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OVG Weimar Beschluss vom 30.04.2002 - 2 EO 87/02 - Für einen Fahreignungsausschluss genügt bereits der Nachweis des einmaligen Konsums eines im Betäubungsmittelgesetz angeführten Rauschmittels (außer Cannabis)

OVG Weimar v. 30.04.2002: Für einen Fahreignungsausschluss genügt bereits der Nachweis des einmaligen Konsums eines im Betäubungsmittelgesetz angeführten Rauschmittels (außer Cannabis)




Das OVG Weimar (Beschluss vom 30.04.2002 - 2 EO 87/02) hat entschieden:

   Für einen Eignungsausschluss im Sinne des § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 FeV genügt bereits der Nachweis des einmaligen Konsums eines im Betäubungsmittelgesetz angeführten Rauschmittels (außer Cannabis) (in diesem Sinne bereits Senatsbeschluss vom 29. März 2001 - 2 ZEO 13/01 -; ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. November 2000, ZfS 2001, 141). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut "Einnahme", der auch ein erstes/einmaliges Konsumieren eines Rauschmittels erfasst.

Siehe auch
Zum Entzug der Fahrerlaubnis bei nur einmaligem Konsum harter Drogen (außer Cannabis)
und
Stichwörter zum Thema Drogen

Zum Sachverhalt:


Der Antragsteller ist Inhaber der Fahrerlaubnisse der (früheren) Klassen 1 und 3.

Bei einer Fahrzeugkontrolle im Zusammenhang mit einer Musikveranstaltung am 11. August 2001 stellte die Polizei beim Antragsteller Betäubungsmittel fest. Er räumte ein, Konsument dieser Mittel zu sein. Der bei ihm durchgeführte Drogenvortest ergab Hinweise auf die Einnahme von Amphetamin und Cannabis. Eine Blut- und Urinentnahme wurde angeordnet.

Nach dem Untersuchungsbericht des Instituts für Rechtsmedizin der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom 25. September 2001 hat der Antragsteller zweifelsfrei in zeitlicher Nähe zur Blut- und Urinentnahme Amphetamine (speziell MDMA, -Ecstasy-) sowie - zeitlich früher - Cannabis konsumiert.

Nach der Mitteilung dieser Umstände durch die Polizei gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 5. November 2001 Gelegenheit, zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis Stellung zu nehmen.

Der Antragsteller erklärte, er habe nur einmal Drogen eingenommen.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2001 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis für alle Klassen und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides an.




Dagegen erhob der Antragsteller am 14. Dezember 2001 Widerspruch und beantragte gleichzeitig die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er habe nur einmal Drogen, nämlich am Tag vor der Polizeikontrolle, aus einer spontanen Situation heraus eingenommen. Damit sei nicht erwiesen, dass er ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges sei. Vielmehr wäre eine umfassende Würdigung aller seiner Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen als Führerscheininhaber auf der Grundlage eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich gewesen. Der Katalog der Eignungsmängel, den die Fahrerlaubnisverordnung zur Beurteilung vorgebe, sei so auszulegen, dass auch bei Betäubungsmitteln die Abhängigkeit oder missbräuchliche Einnahme, d. h. der regelmäßig übermäßige Gebrauch, festgestellt werden müsse, um die Nichteignung annehmen zu können. Diese Voraussetzungen lägen beim Antragsteller gerade nicht vor. Auch der einmalige Cannabiskonsum rechtfertige die Entziehung nicht. Die konkreten Umstände zeigten überdies, dass er den Konsum von Cannabis und das Fahren eines Fahrzeuges trennen könne.

Mit Beschluss vom 9. Januar 2002 - 2 E 2302/01.We - hat das Verwaltungsgericht Weimar den Antrag abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos.





Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Beschwerde ist zulässig (vgl. § 147, § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001, BGBl. I S. 3987), aber unbegründet.

Gegenstand der Prüfung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts durch den Senat sind nach neuem Recht nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO n. F.).

Der Antragsteller hat vorliegend unter Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mit einer einmaligen Einnahme von Betäubungsmitteln begründet werden und er den Cannabiskonsum vom Fahren eines Fahrzeugs trennen könne. Damit hat er nicht nur die tragenden Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses, sondern auch des angefochtenen Verwaltungsaktes substantiiert angegriffen.

Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde in der Sache aber nicht zum Erfolg. Denn auch unter seiner Berücksichtigung erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.

Die Fahrerlaubnis ist nämlich zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist (vgl. § 3 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV -). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Mangel nach der Anlage 4 zur FeV - Anlage 4 FeV - vorliegt (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Nach Ziffer 9.1 dieser Anlage schließt die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (außer Cannabis) die Fahreignung aus.

Der Antragsteller hat unzweifelhaft Amphetamin konsumiert. Amphetamin ist in der Anlage III, Teil A zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes - BtMG - als Betäubungsmittel aufgeführt. Der Antragsteller weist somit einen gesetzlich umschriebenen Eignungsmangel auf.

Für einen Eignungsausschluss im Sinne des § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 FeV genügt bereits der Nachweis des einmaligen Konsums eines im Betäubungsmittelgesetz angeführten Rauschmittels (außer Cannabis) (in diesem Sinne bereits Senatsbeschluss vom 29. März 2001 - 2 ZEO 13/01 -; ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. November 2000, ZfS 2001, 141). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut "Einnahme", der auch ein erstes/einmaliges Konsumieren eines Rauschmittels erfasst.

Dieser Feststellung steht auch nicht die Systematik der Ziffer 9 der Anlage 4 FeV, wie der Antragsteller meint, entgegen.

Der Verordnungsgeber differenziert in Ziffer 9 beim Umgang des Betroffenen mit Betäubungsmitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen zwischen der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ohne Cannabis) (Ziffer 9.1), der regelmäßigen Einnahme von Cannabis (Ziffer 9.2.1) sowie seiner gelegentlichen Einnahme (Ziffer 9.2.2), der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (Ziffer 9.3) und der missbräuchlichen Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (Ziffer 9.4).

Die in Ziffer 9.1 aufgeführte, die Fahreignung ausschließende Verhaltensweise (Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes [ohne Cannabis]) ist nach dem Wortlaut weder an eine Abhängigkeit, noch an die missbräuchliche, regelmäßige oder gelegentliche Einnahme geknüpft. Die hierin zum Ausdruck kommende Strenge des Gesetzgebers ist durch die Aufnahme des jeweiligen Betäubungsmittels in den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes begründet, die wegen seiner besonderen Gefährlichkeit, insbesondere Suchtpotenz, im Falle des Konsums erfolgte.

Die Regelung in Ziffer 9.1 ist auch kein Redaktionsversehen. Anhaltspunkte für eine so vom Verordnungsgeber nicht gewollte Bestimmung ergeben sich nicht. Zwar reicht nach Ziffer 9.1 im Gegensatz zu Ziffer 9.3, die für die Nichteignung eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln i. S. d. BtMG voraussetzt, die bloße Einnahme eines Betäubungsmittels i. S. d. BtMG. Diese in der Verordnung vorgenommene Differenzierung findet sich aber nicht nur in Ziffer 9.1 und 9.3, sondern auch in § 14 Abs. 1 Satz 1 FeV wieder, wo zwischen Abhängigkeit von Betäubungsmitteln i. S. d. BtMG (Nr. 1) und ihrer Einnahme (Nr. 2) unterschieden wird. Zu dieser Vorschrift führt die Begründung des Gesetzentwurfes - den Willen des Gesetzgebers bekräftigend - ausdrücklich aus (vgl. BRDrucks. 443/98 S. 261; abgedruckt in VkBl. 1998, 1071):

   Wird durch die ärztliche Untersuchung Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder sonstigen psychoaktiv wirkenden Stoffen festgestellt, ergibt sich hieraus in Verbindung mit Anlage 4 und den Begutachtungs-Leitlinien -Kraftfahreignung-, daß ein Eignungsmangel vorliegt.

Wird durch die ärztliche Untersuchung zwar Konsum (-Einnahme-), aber keine Abhängigkeit festgestellt, ist bei der Beurteilung der Fahreignung nach Anlage 4 und den Begutachtungs-Leitlinien zu differenzieren:

Die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes mit Ausnahme Cannabis führt zur Nichteignung. (...) -

Diese Ausführungen schließen die Annahme eines redaktionellen Versehens aus.

Ziffer 9.3 läuft bei dieser Auslegung auch nicht ins Leere. Der Bestimmung verbleibt auch dann noch ein Anwendungsbereich, wenn bereits die bloße Einnahme von Betäubungsmitteln zur Nichteignung nach Ziffer Nr. 9.1 führt. So kann zum einen bei festgestellter Abhängigkeit von Betäubungsmitteln die Entziehung unmittelbar auf sie gestützt werden und zum anderen erfasst sie daneben die Abhängigkeit von allen anderen psychoaktiv wirkenden, im BtMG nicht aufgeführten Mittel.

Auch die von der Beschwerde unter Bezugnahme auf neuere Äußerungen in der Literatur vertretene Auffassung, die Regelung in Ziffer 9 der Anlage 4 FeV müsse wegen der in den Begutachtungs-Leitlinien zusammengefassten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse und gutachterlichen Erfahrungen zwingend so ausgelegt werden, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln nur dann die Annahme der Nichteignung rechtfertige, wenn sie entweder zur Abhängigkeit geführt habe oder missbräuchlich oder regelmäßig erfolgt sei (vgl. Bode, Einnahme von Betäubungsmitteln (außer Cannabis) und Kraftfahreignung, DAR 2002, 24 ff.), teilt der Senat nicht.




Dieser Auslegung steht bereits der beschriebene eindeutige Wortlaut der Bestimmung entgegen. Darüber hinaus ist zwar der rechtliche Ausgangspunkt der Beschwerde zutreffend. In § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Anlage 4 FeV hat der Verordnungsgeber eine Bewertung der Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen und Erkrankungen auf die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorgenommen, indem er die auf wissenschaftlicher Grundlage gewonnenen und bereits im Gutachten "Krankheit und Kraftverkehr" (vgl. Bundesministerium für Verkehr, Heft 73, August 1996) zusammengefassten Erkenntnisse in die FeV integriert und damit normativ als für den Regelfall zutreffend gekennzeichnet hat.

Bei summarischer Prüfung steht aber Ziffer 9 der Anlage 4 FeV mit diesen Erkenntnissen, insbesondere wie sie in der aktuellen Fassung der Leitlinien niedergelegt sind (vgl. -Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung-, 6. Auflage, bast Heft M 115, Februar 2000 S. 43 ff.) in Einklang. So ist aus den Leitsätzen unter Ziffer 3.12.1 mit der Überschrift -Sucht (Abhängigkeit) und Intoxikationszustände- eine abgestufte Einschätzung der unterschiedlichen -Drogen- hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Kraftfahreignung durch die Gutachter festzustellen. Es wird unterschieden nach Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG (1. Leitsatz), Cannabis (2. und 3. Leitsatz) und den anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (4. und 5. Leitsatz). Im ersten Satz des 1. Leitsatzes heißt es wörtlich: -Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) nimmt oder von ihnen abhängig ist, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden.- Der zweite Abschnitt der Begründung macht außerdem auch deutlich, dass einige Drogen, von denen nur Heroin ausdrücklich erwähnt ist, bei einmaliger Einnahme sehr schnell zu schwerwiegenden Folgen für die Kraftfahreignung führen.

§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Ziffer 9.1 Anlage 4 FeV erhebt mithin in Übereinstimmung mit dem ersten Leitsatz unter Ziffer 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien den Erfahrungssatz, dass schon die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG regelmäßig die Fahreignung ausschließt, zum Rechtssatz. An diese normative Wertung ist der Senat gebunden, solange keine anderen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgetragen werden, die eine andere Beurteilung rechtfertigen.

Erkenntnisse oder Umstände, die die Regelannahme der Anlage 4 FeV entkräften, sind hier weder vorgetragen noch lassen sie sich den vorgelegten Unterlagen entnehmen. Deshalb war über den hier durch medizinisches Gutachten geführten Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln hinaus keine weitere gutachterliche Feststellung auf der Grundlage von Ziffer 3 der Vorbemerkung zu Anlage 4 FeV erforderlich.



Genügt vorliegend der Nachweis des einmaligen Konsums eines Rauschgiftes im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes für den Ausschluss der Fahreignung, kommt es nicht darauf an, dass der Antragsteller nach eigener Einlassung derzeit keine Drogen mehr konsumiert. Diesem Umstand ist allenfalls im Wiedererteilungsverfahren der Fahrerlaubnis Rechnung zu tragen, nicht jedoch im hier streitigen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren.

Auch wie der weitere Umstand zu bewerten ist, dass der Antragsteller neben den Amphetaminen noch Cannabis konsumiert hat, ob er unter dem Einfluss dieses Mittels gefahren ist und ob er in der Lage war und ist, zwischen dem Cannabiskonsum und dem Fahren zu trennen, ist für die vorliegende Entscheidung unmaßgeblich. Denn der Antragsteller erfüllt - wie festgestellt - bereits einen die Entziehung rechtfertigenden Eignungsmangel nach der Anlage 4 der FeV. ..."

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