Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Berlin Beschluss vom 27.07.2005 - VG 11 A 544.05 - Ein Kraftfahrer, der auch bloße Ordnungsvorschriften hartnäckig missachtet, ist zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet

VG Berlin v. 27.07.2005: Ein Kraftfahrer, der auch bloße Ordnungsvorschriften hartnäckig missachtet, ist zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet




Das Verwaltungsgericht Berlin (Beschluss vom 27.07.2005 - VG 11 A 544.05) hat auf die Rechtmäßigkeit eines Fahrerlaubnisentzugs wegen permanenten Falschparkens entschieden:

   Ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften einzuhalten, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, und solche Vorschriften hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht, ist zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet. Denn wenn ein Kraftfahrer die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt und sie bewußt immer wieder verletzt, ist von ihm ein Beachten der Rechtsvorschriften im fließenden Verkehr nicht zu erwarten. Der Kraftfahrer daher nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es sich bei den Verkehrsverstößen überwiegend um Parkverstöße gehandelt habe.

Siehe auch
Die MPU-Anordnung zur Überprüfung der charakterlichen Eignung als Ermessensentscheidung (ohne Alkohol und Drogen)
und
Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein

Zum Sachverhalt:


Gegen den Antragsteller wurden seit 2002 nach Mitteilung des Polizeipräsidenten in Berlin mindestens 99 Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten geführt. Selbst aus der vom Polizeipräsidenten in Berlin auf Anforderung des Gerichts nachgereichten Auflistung ergeben sich allein für den Zeitraum vom 30. Juli 2003 bis zum 9. Juli 2005 46 Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Darüber hinaus wurde der Antragsteller mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt, nachdem er im Zuge einer Auseinandersetzung im Straßenverkehr dem Zeugen J. mehrmals mit der Faust gegen den Kopf geschlagen hatte wodurch dieser mit seinem Mofa zu Fall kam. Hierbei wurden Mofa und Brille des Zeugen beschädigt, der Zeuge erlitt eine Schädelprellung.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Das öffentliche Interesse daran, durch die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Verzögerung eine weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr auszuschließen, überwiegt das Interesse des Antragstellers, von den Wirkungen der Entziehung der Fahrerlaubnis vorerst verschont zu bleiben.

Ob der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO begründet ist, hängt vom Ergebnis einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache ab. Er ist begründet, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache bei summarischer Prüfung erfolgreich sein wird oder wenn bei einem nach summarischer Prüfung voraussichtlich offenen Ausgang die Abwägung der gegensätzlichen Interessen ergibt, dass dem Interesse des Antragstellers für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt. Im vorliegenden Fall ist der Antrag unbegründet, denn der Widerspruch des Antragstellers wird nach dem derzeitigen Sachstand nach Auffassung der Kammer voraussichtlich keinen Erfolg haben, weil der angefochtene Bescheid vom 4. Juli 2005 bei summarischer Prüfung rechtmäßig ist.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zu Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV unter anderem dann, wenn erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers, und zwar nach dem Maßstab seiner Gefährlichkeit für den öffentlichen Straßenverkehr. Dabei sind sämtliche im Einzelfall bedeutsamen Umstände heranzuziehen, die Aufschluss über die körperliche, geistige und charakterliche Eignung geben können. Insbesondere bei der charakterlichen Eignung kommt eine Vielzahl von Tatsachen und persönlichen Merkmalen in Betracht, wie Art, nähere Umstände und Anzahl der bereits begangenen Straftaten, außerdem das Alter, die persönlichen und familiären Verhältnisse, etwaige Alkohol- oder Drogenauffälligkeiten und anderes mehr (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1987 - 7 C 87.84 - BVerwGE 77, 40, 42). Charakterliche Mängel können sowohl in der häufigen Nichtbeachtung verkehrsrechtlicher Vorschriften, als auch in Straftaten nichtverkehrsrechtlicher Art zum Ausdruck kommen, wenn sich aus ihnen ergibt, dass der Inhaber die Fahrerlaubnis zu Straftaten nichtverkehrsrechtlicher Art missbrauchen wird oder die Art und Weise dieser Straftaten charakterliche Anlagen erkennen lässt, die, wenn sie im Straßenverkehr sich auswirken, zu einer Gefährdung der Allgemeinheit führen (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1969 - VII C 173.66 - Buchholz 442.10 StVG § 4 Nr. 29).


Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ist ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften einzuhalten, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, und solche Vorschriften hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht, zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (BVerwG, DÖV 1977, 602; OVG Berlin, Beschl. v. 28. April 2005 - OVG 1 S 8.04 - m.w.N.). Denn wenn ein Kraftfahrer die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt und sie bewußt immer wieder verletzt, ist von ihm ein Beachten der Rechtsvorschriften im fließenden Verkehr nicht zu erwarten (vgl. BVerwG a.a.O.). Der Antragsteller kann sich aus den oben dargelegten Gründen auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es sich bei den Verkehrsverstößen überwiegend um Parkverstöße gehandelt habe, die nicht den Schluss zuließen, dass von ihm eine Gefahr für den öffentlichen Straßenverkehr ausgehe.

Gegen den Antragsteller wurden seit 2002 nach Mitteilung des Polizeipräsidenten in Berlin mindestens 99 Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten geführt. Selbst aus der vom Polizeipräsidenten in Berlin auf Anforderung des Gerichts nachgereichten Auflistung ergeben sich allein für den Zeitraum vom 30. Juli 2003 bis zum 9. Juli 2005 46 Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Darüber hinaus wurde der Antragsteller mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt, nachdem er im Zuge einer Auseinandersetzung im Straßenverkehr dem Zeugen J. mehrmals mit der Faust gegen den Kopf geschlagen hatte wodurch dieser mit seinem Mofa zu Fall kam. Hierbei wurden Mofa und Brille des Zeugen beschädigt, der Zeuge erlitt eine Schädelprellung.

Aufgrund dieser Umstände steht es nach Auffassung der Kammer außer Frage, dass der Antragsteller zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet ist.

Allein in der Straftat kommt ein derart hohes Aggressionspotential des Antragstellers zum Ausdruck, dass allein aufgrund dessen seine charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen äußerst fraglich erscheint. Es kann vorliegend dahinstehen, ob bei einer derartigen Tat nicht bereits im Zuge des Strafverfahrens die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB geboten gewesen wäre.



Jedenfalls konnte und musste der Antragsgegner aus dem gesamten Verhalten des Antragstellers den Schluss ziehen, dass dieser sich auch künftig wiederholt über Vorschriften des Straßenverkehrs hinwegsetzen werde. Wer sich in einem solch hohen Maße wie der Antragsteller permanent über „unbequeme" Vorschriften der StVO hinwegsetzt, besitzt nicht die geistige und charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Der Einwand des Antragstellers, es sei in den vergangenen 10 Monaten zu keinen weiteren Verkehrsverstößen gekommen, ist zum einen im Hinblick auf die Vielzahl der vorangegangenen Verstöße unerheblich und zum anderen falsch und durch die Auflistung des Polizeipräsidenten in Berlin vom 22. Juli 2005 eindrucksvoll widerlegt. Nach dieser Auflistung hat der Antragsteller während der vergangenen 10 Monate, d.h. seit Oktober 2004 22 (darunter allein von Januar bis Anfang Juli 2005 mindestens 10) weitere Verkehrsverstöße begangen. Dies zeigt nach Auffassung der Kammer, dass er nicht einmal vor dem Hintergrund der drohenden Entziehung der Fahrerlaubnis Willens oder in der Lage ist, die Vorschriften der StVO zu beachten.

Vor diesem Hintergrund sollte der Antragsteller die Inanspruchnahme einer verkehrspsychologischen Beratung ernsthaft in Erwägung ziehen.

Ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, so hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV zu entziehen. Ein Ermessen steht ihr insoweit nicht zu. ..."

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