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Die MPU-Anordnung zur Überprüfung der charakterlichen Eignung als Ermessensentscheidung

Die MPU-Anordnung zur Überprüfung der charakterlichen Eignung als Ermessensentscheidung (ohne Alkohol und Drogen)


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)




Allgemeines:

Die Voraussetzungen der körperlichen Eignung sind in den Anlagen 4, 5 und 6 zur Fahrerlaubnisverordnung festgelegt, sodass im Regelfall einigermaßen sicher vorausgesagt werden kann, unter welchen Umständen die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anordnen darf bzw. muss.

Hingegen sind die Voraussetzungen der charakterlichen Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers oder -bewerbers weniger eindeutig geregelt, sondern insoweit räumen die gesetzlichen Bestimmungen (§§ 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, 11 Abs. 1 Satz 3 FeV der Behörde - bis auf die Sonderfälle Alkohol oder Drogen - ein mehr oder weniger weites Ermessen bei der Entscheidung ein, ob beim Vorliegen von Eignungszweifeln eine MPU angeordnet werden darf bzw. muss. Allerdings handelt es sich keineswegs um ein uferloses Ermessen, sondern die Sachverhaltsbeurteilung - die ja für die dann zu treffende Entscheidung maßgeblich ist - hat an das Verhalten des Betroffenen in strafrechtlicher und/oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Hinsicht anzuknüpfen. Es muss sich dabei nicht zwingend um Vorkommnisse im Straßenverkehr handeln.


So bestimmt § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG:
"Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat."
Durch die FeV wird dieser Rahmen in § 11 Abs. 3 Satz noch weiter eingeschränkt:
"Die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 2 angeordnet werden,

... bei erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahrereignung stehen oder bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen ..."
Es gibt somit einen vierfachen Katalog an Voraussetzungen, die die Ermessensausübung eröffnen:
  • erhebliche oder wiederholte Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr;

  • Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen;

  • Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen;

  • Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen.
Vorfälle aus jeder Gruppe für sich allein können ggf. zu einer MPU-Anordnung führen; erst recht ist dies der Fall, wenn Vorfälle aus zwei oder mehr Gruppen zusammentreffen.

Immer ist eine gewissen Schwere der Verstöße erforderlich, um den schwerwiegenden Grundrechtseingriff einer MPU zu rechtfertigen; vgl. OVG Koblenz NJW 2000, 2442 f. = DAR 2000, 377 f. (Urt. v. 11.04.2000, Az: 7 A 11670/99):
"Die Regelung führt - die Voraussetzungen des § 2 Abs. 8 StVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1c StVG konkretisierend - in ihren jeweiligen Ziffern 1-5 bestimmte Sachverhalte an, aus denen die Fahrerlaubnisbehörde Zweifel an der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs ableiten darf, die so schwer wiegen, dass sie das Verlangen nach Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, dessen Erstellung einen weitgehenden Persönlichkeitseingriff für den Führerscheinbewerber bzw. -inhaber bedeutet, rechtfertigen."
Bei der Bestimmung des Ermessensumfangs ist zu beachten, dass die FeV ein abgestuftes System der Überprüfung von Eignungszweifeln kennt: die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens, die Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers und schließlich als den schwersten Eingriff die MPU. Reicht ein minder schwerer Eingriff aus, dann darf nicht der schwerwiegendere angeordnet werden. Umgekehrt darf der Betroffene nicht durch vorhergehende Maßnahmen beschwert werden, wenn letztlich die Anordnung einer MPU sowieso nicht zu umgehen ist (vgl. insoweit VG München - Beschl. v. 05.11.2004 - M 6a S 04.2546):
"Bei der nach § 11 Abs. 3 FeV zu treffenden Ermessensentscheidung zur Überprüfung der Fahreignung durch Anordung einer MPU gibt es im Gegensatz zu den Entscheidungen nach Abs. 2 oder Abs. 4 keine vorrangigen abgestuften Überprüfungsmaßnahmen (ärztliches Gutachten, Gutachten eines amtlich anerkannten Gutachters oder Prüfers)."
Der allgemein Grundsatz für die Ermessensausübung kann wie folgt definiert werden: Im Rahmen der Gefahrenabwehr für die Allgemeinheit muss ein Fahrerlaubnisinhaber den Entzug der Fahrerlaubnis, ein Bewerber um eine Fahrerlaubnis deren Verweigerung, aber erst recht deren vorausgehende Überprüfungsmaßnahme einer MPU-Anordnung hinnehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefahr für deren Sicherheit besteht. Dieses Risiko für das Allgemeininteresse muss deutlich über demjenigen liegen, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist (vgl. Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (506)).

Für die Anwendung des § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Entzugs- oder ein Erteilungsverfahren handelt, weil die Bestimmung entweder über § 22 Abs. 2 Satz 4 FeV oder über § 46 Abs. 3 FeV anwendbar ist.

Bei der Ermessensausübung ist auch das Punktsystem in die Betrachtung einzubeziehen, und zwar, weil auch die Auswirkungen von vorangegangenen Maßnahmen der Gerichte und der Fahrerlaubnisbehörde auf das Verhalten des Betroffenen zu betrachten sind. Insbesondere ist zu berücksichtigen, ob ein Betroffener bereits früher einer MPU-Aufforderung nachkommen musste. So muss die Fahrerlaubnisbehörde bei einem Fahrerlaubnisinhaber, dem früher die Fahrerlaubnis wegen Erreichens der 18-Punkte-Grenze entzogen worden war, nicht wiederum zuwarten, bis erneut diese Schwelle erreicht wird (vgl. OVG Greifswald - Beschl. v. 07.11.2003 -1 M 205/03).

Wurde eine Fahrerlaubnis neu erteilt oder wurde früher eine positive MPU beigebracht, so sind damit nicht etwa die alten Tatsachen, die seinerzeit Eignungszweifel ausgelöst hatten, "geheilt" und unverwertbar geworden; solange die Verstöße oder sonstigen Tatsachen noch nicht im VZR gelöscht oder tilgungsreif sind, können sie im Rahmen des auszuübenden Ermessens auch weiterhin verwertet werden (vgl. hierzu BVerwG DAR 2005, 578 ff. = NJW 2005, 3440 ff. = VRS 109, 293 ff. (Urt. v. 09.06.2005 - 3 C 21.04).

Zum jeweils zu berücksichtigenden Zeitraum von Verstößen führt Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (506) aus:
"Zu berücksichtigen ist auch der Zeitraum, in dem die Verstöße begangen wurden; gehäufte Auffälligkeiten in einem kurzen Zeitraum rechtfertigen je nach Art der Verstöße auch außerhalb der Maßnahmen nach dem Punktsystem eine Gutachtenanordnung; dagegen sind weiter zurückliegende, gleichwohl noch verwertbare Verstöße nur dann geeignet, Eignungszweifel hervorzurufen, wenn in jüngerer Zeit nochmals Verstöße von einem gewissen Gewicht begangen wurden."
Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder der Kraftfahreignung:

Der strafrechtliche Eignungsbegriff (§ 69 StGB) ist mit dem fahrerlaubnisrechtlichen Eignungsbegriff deckungsgleich. Kam ein Entzug im Strafverfahren nicht in Betracht, weil das Strafgericht die charakterliche Nichteignung nicht feststellen konnte, so ergeben sich für die Fahrerlaubnisbehörde aus dem Vorliegen der verkehrsrechtlichen Straftat gleichwohl Eignungszweifel, die Anlass für eine Überprüfung und somit auch für eine MPU-Anordnung sein können (aus diesem Grund besteht auch gem. Nr. 45 Abs. 2 der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen (MiStrA) eine Informationspflicht gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde.

Der Große Strafsenat des BGH DAR 2005, 452 ff. = NJW 2005, 1957 ff. (Beschluss vom 27.04.2005 - GSSt 2/04) hat in diesem Zusammenhang grundsätzlich ausgeführt:
"Sowohl die strafgerichtliche als auch die verwaltungsbehördliche Entziehung der Fahrerlaubnis knüpfen die Anordnung der Maßnahme an die Feststellung der fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Der in § 69 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Ungeeignetheit stimmt inhaltlich mit demselben, in den genannten Vorschriften des Straßenverkehrs- und Fahrerlaubnisrechts verwendeten Begriff überein. Dies folgt schon daraus, daß – wie die Materialien zum (ersten) Straßenverkehrssicherungsgesetz 1952 belegen (vgl. BTDrucks. [1. WP] Nr. 2674 S. 8, 12) – mit der Übertragung der zuvor ausschließlich den Verwaltungsbehörden zugewiesenen Aufgabe der Entziehung der Fahrerlaubnis „auch“ auf den Strafrichter letzterer bei Anwendung des § 69 StGB der Sache nach die Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde wahrnimmt (BVerwG NJW 1989, 116, 117). Deshalb ist für die Auslegung des Begriffs der Ungeeignetheit in § 69 StGB der Zweck der Vorschrift des § 3 Abs. 1 StVG über die Entziehung der Fahrerlaubnis beachtlich. Dieser besteht - auch in Übereinstimmung mit neuerer verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung - darin, die Allgemeinheit vor Kraftfahrzeugführern zu schützen, die für andere Verkehrsteilnehmer eine Gefahr bilden. Maßstab für die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis ist demgemäß die in die Zukunft gerichtete Beurteilung der Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr (BVerwG aaO; im gleichen Sinne zur Zuverlässigkeit i.S. von § 29 d LuftVG: BVerwG, Urt. vom 15. Juli 2004 - 3 C 33/03 - DÖV 2005, 118; vgl. auch OVG Koblenz NJW 1994, 2436, 2437; NJW 2000, 2442, 2443; Halecker aaO S. 96 m.N.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 2 StVG Rdn. 15 m.w.N.).

Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht eine - verwaltungsrechtliche - Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund charakterlich-sittlicher Mängel an die Prognose geknüpft, daß der Betroffene bereit ist, das Interesse der Allgemeinheit an sicherer und verkehrsgerechter Fahrweise den jeweiligen eigenen Interessen unterzuordnen und hieraus resultierende Gefährdungen oder Beeinträchtigungen des Verkehrs in Kauf zu nehmen (BVerfG, Kammer, Beschl. vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378, 2380).

...

Lassen sich deshalb im Strafverfahren aus einer Straftat zwar Hinweise dafür entnehmen, daß der Täter zu Aggression, Rücksichtslosigkeit oder allgemein zur Mißachtung gesetzlicher Vorschriften neigt, ohne daß dies für den Strafrichter schon die sichere Beurteilung der Fahreignung zuläßt, und unterbleibt deshalb die Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB, so ist es Aufgabe der Verwaltungsbehörde zu prüfen, ob Anlaß besteht, dem Täter die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dabei ist die Fahrerlaubnisbehörde zwar an die eine bestimmte Tat oder bestimmte Taten betreffende strafgerichtliche Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gebunden (§ 3 Abs. 4 Satz 1 StVG). Sie hat aber – anders als der Strafrichter – die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln umfassend (vgl. BVerfGE 20, 365, 369, 371; BVerwGE 77, 40, 42; 80, 43, 46) – regelmäßig durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens – zu prüfen (vgl. § 11 Abs. 3, § 46 Abs. 3 FeV; Burmann, 42. VGT 2004, S. 154, 155 = Blutalkohol 2004, 136, 137; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 11 FeV Rdn. 4, 12 ff.). Deshalb darf und muß sie auch eine abgeurteilte Straftat, die für sich allein dem Strafrichter nicht ausgereicht hat, die Ungeeignetheit festzustellen, zur Unterstützung außerhalb des abgeurteilten Sachverhalts liegender Entziehungsgründe mit heranziehen."
Auch bei der Wiedererteilung nach strafrechtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis wird in der Regel eine MPU-Anordnung gerechtfertigt sein, um zu überprüfen, ob die festgestellte Nichteignung wieder hergestellt ist (jedoch hat der Gesetzgeber beispielsweise durch die Regelung in § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV klargestellt, dass dies bei einer Alkoholverurteilung unterhalb von 1,60 ‰ nicht erforderlich ist).

Siehe in diesem Zusammenhang auch: Unter Berücksichtigung der Maßnahmen nach dem Punktsystem soll die Fahrerlaubnisbehörde Zurückhaltung üben, wenn sie Eignung des Betroffenen bei einem Punktestand von unter 18 Punkten in Frage stellen und mittels einer MPU überprüfen will; denn der Gesetzgeber habe es bewusst hingenommen, dass Kraftfahrer mit einem nicht unerheblichen Sündenregister am Verkehr teilnehmen (Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl., 2004, § 4 StVG Rdnr. 7; VGH München (Beschl. v. 02.06.2003 - 11 CS 03.743).

Einzelne Delikte:
  • Fahren ohne Fahrerlaubnis:

    Hierzu führt Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (508) aus:
    "Bei der Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium das Fahrzeug, mit dem die Straftat begangen wurde: Während eine Schwarzfahrt mit einem Pkw oder gar einem Lkw regelmäßig erhebliche Zweifel an der charakterlichen Eignung zum Führen von Kfz rechtfertigt (im Straf-verfahren wird häufig eine isolierte Sperre verhängt), ist eine Fahrt mit einem frisierten Mofa oder Kleinkraftrad in der Regel nur im Wiederholungsfall geeignet, Zweifel an der charakterlichen Eignung zu begründen. Hier geht es regelmäßig um jugendtypische Verfehlungen, die im Strafverfahren meist mit Geldstrafen und Arbeitsauflagen abgegolten werden, und denen mit Erreichen der Volljährigkeit die Grundlage für eine Wiederholung fehlt.

    Jedoch ist zu beachten, dass extremes Frisieren eines Mofas auf Geschwindigkeiten an oder gar über 100 km/h im Einzelfall ausreichen kann für die Anordnung eines Gutachtens. Bei Erstbewerbern um eine Fahrerlaubnis ist eine Begutachtung dann gerechtfertigt, wenn mit einer Tat die Delikte Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das PflVG begangen werden (meist ist in derartigen Fällen zusätzlich auch noch die Betriebserlaubnis erloschen), also ein Mofa oder Kleinkraftrad stark auffrisiert war. Dies liegt auch darin begründet, dass von derart frisierten Kleinkrafträdern eine erhebliche Gefahr nicht nur für den Fahrer ausgeht, weil diese von ihrer Bauart her für so extrem hohe Geschwindigkeiten nicht ausgelegt sind.

    Zumindest rechtfertigt eine Schwarzfahrt während eines Entzuges der Fahrerlaubnis zusammen mit der dem Entzug zugrundeliegenden Straftat grundsätzlich eine Gutachtenanordnung.

    Besonders brisant ist diese Straftat, wenn während eines Fahrverbotes gefahren wird (vgl. § 21 I Nr. 1 Alt. 2 und 3 StVG), weil dem Fahrverbot ja bereits ein erheblicher Verstoß zugrundegelegen haben muss: Ein strafgerichtlicher Entzug der Fahrerlaubnis kommt bei dieser Straftat nicht in Betracht, was in der Natur der Sache liegt, da ein Fahren ohne Fahrerlaubnis ja nur ohne die erforderliche Fahrerlaubnis möglich ist (ein Ruhen während eines Fahrverbotes steht dem strafrechtlich gleich), vgl. dazu den Regelfallkatalog des § 69 II StGB. Hier ist regelmäßig eine Begutachtung erforderlich, besonders wenn mehrere vorsätzliche Fahrten während des Fahrverbots nachgewiesen wurden."

  • Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort:

    Wurde die Fahrerlaubnis im Strafverfahren entzogen, weil ein Schaden von mehr als 1.300,00 € entstanden war, oder weil andere Delikte hinzukamen (beispielsweise eine Trunkenheitsfahrt unter Alkohol und/oder Drogen, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Straßenverkehrsgefährdung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr), so bestehen in der Regel Eignungszweifel, die zu einer MPU-Anordnung führen. Das gilt auch dann, wenn zusätzlich zu der Unfallflucht noch andere VZR-Eintragungen verwertbar sind.

    Wurde die Fahrerlaubnis nicht entzogen, so soll zunächst untersucht werden, weshalb die Entziehung unterblieben ist. Gleichwohl kann im Zusammenhang mit weiteren verwertbaren VZR-Eintragungen auch dann eine MPU-Anordnung geboten sein.

  • Straßenverkehrsgefährdung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr:

    Derartige Delikte wecken stets Eignungszweifel, sodass eine entsprechende Überprüfung durch eine MPU gerechtfertigt ist; das gilt besonders dann, wenn eine Vorsatzverurteilung ausgesprochen wurde.

  • Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz:

    Ein einzelner Verstoß rechtfertigt in der Regel nicht die Anordnung einer MPU; anders ist dies jedoch, wenn mehrere Verstöße dieser Art vorliegen oder aber auch dann, wenn ein einzelner Verstoß über einen sehr langen Zeitraum hinweg begangen wurde (intensive Nutzung des unversicherten Kfz über lange Zeit); es ist dann davon auszugehen, dass der Täter billigend in Kauf genommen hat, dass der Geschädigte eines Unfalls möglicherweise keinen Schadensersatz erlangen kann.

    Auch wenn zum Pflichtversicherungsverstoß noch weitere verwertbare VZR-Eintragungen hinzukommen, kann sich eine MPU-Anordnung aufdrängen.

  • Beleidigung, Nötigung:

    Hierzu führt Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (508) aus:
    "Wird eine Nötigung (§ 240 StGB) oder Beleidigung (§§ 185 ff StGB) im Straßenverkehr begangen, z. B. durch Anhupen, Gesten, dichtes Auffahren, Drängeln oder ähnliches, so wird dies in der Regel mit einem Fahrverbot gem. § 44 StGB geahndet werden. Eine weitergehende Überprüfung ist dann veranlasst, wenn die Nötigung bzw. Beleidigung wiederholt begangen wurde, wenn sie neben anderen Straftaten im Verkehr begangen wurde, z. B. §§ 315 b oder c StGB oder wenn schon wiederholt ähnliche Verkehrsverstöße begangen wurden, z. B. Rotlichtverstöße, erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen, Überholen trotz Überholverbots o. ä.
  • Körperverletzung, fahrlässige Tötung:

    Für sich betrachtet legen diese Straftaten eine Überprüfung durch eine MPU nicht nahe. Anders kann dies aussehen, wenn es sich um wiederholte Taten gleicher Art von einiger Schwere handelt; auch wenn weitere verwertbare Delikte hinzukommen kann an eine MPU-Anordnung gedacht werden, insbesondere wenn zweifelhaft ist, ob die Aufmerksamkeitsleistungen für die Anforderungen des Straßenverkehrs zureichend sind.

    Weiterhin ist bei diesen Delikten unter Umständen auch das Nachtatverhalten (gegenüber dem Verletzten im Fall der Körperverletzung, gegenüber den Angehörigen im Fall der fahrlässigen Tötung) mit in die Betrachtung einzubeziehen, um zu ergründen, ob schwerwiegende zur Ungeeignetheit führende charakterliche Mängel vorliegen.

  • Benutzung des Kfz für Straftaten:

    Auch sei auf Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (509) verwiesen:
    "Bei Benutzung des Kfz für Straftaten (z. B. Einfuhr von BtM, Bankraub, Vergewaltigung) kommt nach der aktuellen. höchstrichterlichen Rechtsprechung ein gerichtlicher Entzug der Fahrerlaubnis nur dann in Betracht, wenn die Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf zu-lässt, dass der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unter-zuordnen. Konnte eine Nichteignung durch das Strafgericht nicht festgestellt werden, ist besonderer Wert auf die Urteilsbegründung zu legen. Nach der zitierten BGH-Entscheidung dient der § 69 StGB nicht der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung, auch wenn diese ein erwünschter Nebeneffekt sein kann. Daher ist bei den aus derartigen Straftaten entstehenden charakterlichen Zweifeln das von § 11 III 1 Nr. 4 FeV eröffnete Ermessen hinsichtlich der Eignungsüberprüfung durch die genannte Entscheidung im Regelfall fast auf Null reduziert, so dass das Unterbleiben einer Gutachtenanordnung nur in seltenen Einzelfällen (z. B. einmaliger Schmuggel einer geringen Menge Cannabis) gerechtfertigt sein kann."
    Gerade hier werden die unterschiedlichen Aufgaben der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden bei der Eignungsüberprüfung sehr deutlich.


Straftaten, die Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bieten:

Es handelt sich um Taten, aus denen sich ergibt, dass der Betroffene bei impulsiven, von ihm schlecht beherrschten Handlungen oder gar solchen, die er vorsätzlich ausführt, die körperliche Unversehrtheit anderer oder ggf. auch bedeutende Sachwerte gering schätzt. Da insoweit von gravierenden Störungen der Verhaltensplanung und -kontrolle ausgegangen werden muss, steht zu befürchten, dass sich dies auch auf das Verkehrsverhalten in Form von Nichtbeachtung von Verkehrsnormen und einer Missachtung der Rechte und Interessen anderer Verkehrsteilnehmer auswirken kann.

Dies legt nahe, stets dann, wenn sich aus einer begangenen Straftat derartige Hinweise auf eine erhöhtes Aggressionspotential ergeben, eine MPU zur Überprüfung der charakterlichen Eignung anzuordnen.

Zur Feststellung aggressiver Neigungen ist weder eine rechtskräftige Verurteilung nötig noch muss seitens des Strafgerichts eine Strafe ausgesprochen worden sein. Sowohl polizeiliche Mitteilungen wie die Übersendung eines in einem Jugendstrafverfahren ergangenen Urteils durch die Staatsanwaltschaft sind eine ausreichende und geeignete verwertbare Grundlage, so dass u. a. auch Verfahrenseinstellungen gem. § 153 a StPO ausgewertet werden können (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 11 FeV Rdnr. 12; VGH Mannheim NJW 2005, 234 ff. = VRS 108, 71 ff., Urt. v. 14.09.2004 - 10 S 1283/04).

Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (509, 510) erläutert hierzu im übrigen:
"In die Abwägung einzustellen ist in jedem Fall, ob die Straftaten vorsätzlich begangen wurden oder ob lediglich Fahrlässigkeit vorliegt. Fahrlässigkeitstaten rechtfertigen Zweifel nur bei wiederholter einschlägiger Auffälligkeit oder wenn sich aus den Tatumständen trotzdem eine Geringschätzung der körperlichen Integrität anderer Personen ergibt. Hingegen lässt die vorsätzliche Begehung von Straftaten, die Anhaltspunkte für ein erhöhtes Aggressionspotential bieten, regelmäßig Zweifel an der charakterlichen Eignung entstehen, die einer näheren Aufklärung bedürfen. Hier können Ausnahmen nur gerechtfertigt sein aufgrund besonderer Tatumstände -wie Vollrausch (Zuweisung zu ärztlicher Begutachtung nach § 13 Nr. 1 FeV zu erwägen).

Zu berücksichtigen ist auch, wenn der Betroffene aus einer Gruppe heraus in Mittäterschaft gehandelt hat und die dadurch geschaffene Situation einer Übermacht zur Verletzung des Opfers ausnutzt; diese Anhaltspunkte wer-den nicht dadurch beseitigt, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Tat Heranwachsender war.

...

Bereits die Begehung einer erheblichen Straftat, die auf ein hohes Aggressionspotential hindeutet, kann Anlass für eine Gutachtenanordnung sein, da nach dem systematischen Normzusammenhang mit § 2 IV StVG und § 11 I 3 FeV auch die einmalige Begehung einer Straftat Zweifel an der charakterlichen Eignung erwecken kann. Jedoch ist besonders bei ehelichen Streitigkeiten auf die Gesamtumstände zu achten, weil ein einmaliges Verhalten in einer Ausnahmesituation (z. B. vor der Ehescheidung) nicht in jedem Fall Rückschlüsse auf ein allgemein bestehendes Aggressionspotential zulässt.

Ein verfestigtes Aggressionspotenzial darf außerdem nicht bereits erwiesen sein, da ansonsten gem. § 11 VII FeV eine weitergehende Aufklärung zu unterbleiben hätte; vielmehr berechtigen nach dem Wortlaut des § 11 III 1 Nr. 4 FeV bereits Anhaltspunkte für ein erhöhtes Aggressionspotenzial zu weitergehenden Aufklärungsmaßnahmen in Form einer MPU."

Sonstige erhebliche oder wiederholte Verkehrsverstöße:

Diese Grundlage für eine MPU-Anordnung wurde zum 01.02.2005 eingeführt. Daher gibt es hierzu noch kaum Rechtsprechung, die klare Richtlinien für die Normanwendung liefern könnte.

Die Gefährdung durch diese Gruppe ergibt sich daraus, dass erhebliche oder wiederholte Verkehrsverstöße meistens Fehleinstellungen, Gewohnheiten oder sonstige schwere Leistungsmängel zu Grunde liegen. Die hohe Dunkelziffer und das geringe Entdeckungsrisiko kurzzeitiger schwerer Verstöße lässt darauf schließen, dass im Vorfeld von aktenkundig gewordenen Vorfällen meist eine jahrelange Lerngeschichte vorausging. Statistische Untersuchungen zeigen, dass Personen, die bereits mehrfache Eintragungen im VZR aufweisen, besonders rückfallanfällig sind, und zwar zudem in immer kürzeren Rückfallintervallen (Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (510)).

Besonders in diesem Bereich ist bei der Ermessensausübung das Punktsystem mit seinen abgestuften Maßnahmen zu berücksichtigen. Für ein MPU außerhalb des Punktsystems kommen daher vor allem Fälle in Betracht, bei denen die Verstöße in derart schneller Häufigkeit erfolgen, dass die Fahrerlaubnisbehörde mit den Maßnahmen des Punktsystems nicht Schritt halten kann. Wäre es nicht zulässig, bei gegebenen Eignungszweifeln eine MPU anzuordnen, würden Täter, bei denen die Behörde erst nachträglich nach einer Reihe von Verstößen dazu kommt, eine Maßnahme nach dem Punktsystem zu ergreifen, noch dafür mit einer Punktereduzierung belohnt, dass sie die Verstöße schnell und gehäuft begangen haben.

Im einzelnen erläutert hierzu Wendlinger DAR 2006, 505 ff. (511) zu weiter zurückliegenden Verstößen:
"...; dagegen sind weiter zurückliegende, gleichwohl noch verwertbare Verstöße nur dann geeignet, Eignungszweifel hervorzurufen, wenn in jüngerer Zeit nochmals Verstöße von einem gewissen Gewicht hinzukamen.

Insoweit ist im Fall wiederholter Verkehrsverstöße der Grundsatz der Verwertbarkeit nach den Tilgungsvorschriften eingeschränkt; vor allem ist dies in Fallkonstellationen zu beachten, bei denen auf Grund einer vor mehreren Jahren im Verkehr begangenen Straftat (z. B. fahrlässige Körperverletzung) Ordnungswidrigkeiten nicht getilgt werden können (§ 29 VI 1 und 3 StVG) und in der Folge keine oder nur mehr geringfügige Auffälligkeiten zu verzeichnen waren.

Dies gilt insbesondere dann, wenn der Zeitraum ohne Auffälligkeiten mehr als drei Jahre beträgt und die damaligen Verkehrsverstöße zwar für Eignungszweifel ausreichend gewesen wären, aber nur eine Maßnahme nach dem Punktsystem ergriffen, nicht jedoch ein Gutachten angeordnet wurde. In diesen Fällen sollten auch die erst später begangenen Verstöße entweder von der Anzahl her gegenüber den älteren hervorstechen oder zumindest ein gewisses Gewicht haben; denn es ist rechtlich nicht haltbar, Jahre später eine Eignungsüberprüfung maßgeblich auf Verkehrsverstöße zu stützen, die zu einem früheren Zeitpunkt der Fahrerlaubnisbehörde bereits bekannt waren und neu. hin-zugekommene, relativ geringfügige Eintragungen im VZR sozusagen nur als Anlass für die Anordnung zu nehmen.

Ebenfalls ist eine Eignungsüberprüfung neben dem Punktsystem möglich, wenn die begangenen Verstöße nahelegen, dass es sich um einen notorischen und unverbesserlichen Raser oder Drängler handelt oder die Verstöße von einer derartigen potentiellen Gefährlichkeit sind, dass ein Abwarten und Vorgehen nach dem Punktsystem gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern unverantwortlich wäre."
Die Frage, wann ein einzelner Verkehrsverstoß so erheblich ist, dass er unter Absehen von den Maßnahmen des Punktsystems zu derartigen Eignungszweifeln führt, dass eine MPU-Anordnung geboten erscheint, ist nur anhand der tatsächlichen Einzelfallgestaltung unter Einbeziehung auch subjektiver Tätermomente (soweit diese als "Tatsachen" bekannt sind) zu beantworten.

Schwerwiegende Geschwindigkeits- und Abstandsverstöße werden hier wegen ihrer potentiellen Gefährlichkeit noch am ehesten zu berücksichtigen sein und können ein sofortiges Einschreiten im Interesse der übrigen Verkehrsteilnehmer erfordern (vgl. - allerdings noch zu alten Rechtslage vor 2005 - OVG Lüneburg NJW 2000, 685 f. = DAR 2000, 133 ff. (Beschl. v. vom 02.12.1999 - 12 M 4307/99):
"Auch eine einmalige erhebliche Höchstgeschwindigkeitsüberschreitung von über 100% in einer geschlossenen Ortschaft rechtfertigt im Regelfall für sich genommen weder die Entziehung der (allgemeinen) Fahrerlaubnis noch werden hierdurch so massive Zweifel an der (charakterlichen) Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründet, die es erlauben, von dem Fahrerlaubnisinhaber die Beibringung eines Gutachtens zur Abklärung dieser Eignungszweifel zu verlangen und ihn bis zur Abklärung mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr auszuschließen."
Durch die veränderte Rechtslage seit 2005, die die MPU-Anordnung bei erheblichen Verstößen erleichtern wollte, kann zumindest bei einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 100% eine Überprüfung durch ein Fahreignungsgutachten dann in Betracht kommen, wenn noch weitere, weniger schwere Verstöße vorliegen und verwertbar sind.



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