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Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil vom 15.02.2005 - 9 K 90/04 - Zur Verwertung von alten in der FS-Akte befindlichen Gutachten
VG Sigmaringen v. 15.02.2005: Zur Verwertung von alten in der FS-Akte befindlichen Gutachten
In einem unveröffentlichten Urteil vom 15.02.2005 - 9 K 90/04 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen entschieden, daß ein negatives Gutachten, welches sich in den Führerscheinakten befindet, auch dann noch verwertet werden darf, wenn die Eintragungen, die zur Veranlassung des Gutachtens geführt haben, bereits getilgt sind, und die 10-jährige Vernichtungsfrist des § 2 Abs. 9 StVG noch nicht erreicht sind. Im einzelnen führt das Gericht hierzu aus:
"Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B und der darin enthaltenen Klassen.
Dem Kläger wurde erstmals im Jahr 1975 die Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 erteilt. Nachdem ihm diese im Jahre 1990 entzogen worden war, wurden Anträge auf deren Neuerteilung in den Jahren 1991 und 1993 abgelehnt; ein weiterer Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde am 17.01.1997 zurückgenommen.
Siehe auch MPU-Gutachten-Anforderung und Verwaltungsverfahren
Am 01.10.2001 beantragte der Kläger schließlich erneut die (Wieder-) Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B. Aufgrund des sich bei den Akten befindlichen medizinisch-psychologischen Gutachtens des TÜV ...vom 17.12.1996 über die Frage der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen äußerte der Beklagte fortbestehende Bedenken an dessen Eignung hierzu. Der Kläger wurde zur erneuten Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert. Ein solches wurde vom Kläger allerdings mit der Begründung abgelehnt, dass die zu der Begutachtung im Jahr 1996 führende Trunkenheitsfahrt am 19.11.2001 aus dem Verkehrszentralregister getilgt worden sei und daher weder diese noch das Gutachten verwertbar seien. Dies ergebe sich aus § 2 Abs. 9 StVG.
Mit Bescheid vom 23.10.2003 lehnte der Beklagte den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klassen B, M und L ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach § 2 Abs. 9 StVG Gutachten nach spätestens zehn Jahren zu vernichten seien. Diese seien im Zusammenhang mit der Überprüfung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aber auch dann verwertbar und könnten dem Betroffenen vorgehalten werden, wenn die der Begutachtung zugrunde liegende Zuwiderhandlung im Verkehrszentralregister und Bundeszentralregister zwischenzeitlich getilgt worden sei. In diesem Fall könne aber lediglich das Gutachten bzw. das gutachterliche Ergebnis, nicht jedoch die getilgte Tat, die Anlass der Begutachtung gewesen sei, vorgehalten werden. ...
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger unter Vertiefung des bisher Vorgebrachten aus, dass ein Gutachten nur solange aufbewahrt und verwertet werden dürfe, solange es einen Bezug zu einer Eintragung im entsprechenden Register habe. Anlässlich der Tilgung der das Gutachten veranlassenden Zuwiderhandlung am 19.11.2001 sei dieses daher nicht verwertbar. Überdies seien aber auch keine körperlichen und geistigen Mängel festgestellt worden. Schließlich sei das Gutachten auch gegen seinen Willen von der Führerscheinstelle einbehalten worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2003 wies das Regierungspräsidium ... den Widerspruch zurück. Dem Kläger könne das Gutachten bzw., das gutachterliche Ergebnis durchaus vorgehalten werden. Die Voraussetzungen einer Vernichtung nach § 2 Abs. 9 StVG lägen nicht vor. Daher sei der Kläger zu Recht zur Ausräumung der bestehenden Eignungsbedenken aufgefordert worden, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beibringen. Aus der Weigerung, ein derartiges Gutachten vorzulegen, könne auf die Nichteignung des Betroffenen geschlossen werden. Sein Verhalten zeige, dass er im hohen Maße unbelehrbar sei. Trotz der in der Vergangenheit erlittenen Nachteile habe er offensichtlich noch kein ausreichendes Problembewusstsein hinsichtlich seiner Alkoholproblematik entwickelt. Unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und der unzureichenden Auseinandersetzung mit der persönlichen Problematik sei daher zu befürchten, dass der Kläger erneut unter Alkoholeinwirkung als Führer eines Kraftfahrzeuges am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen werde. Dieser Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 16.12.2003 zugestellt.
Hiergegen erhob der Kläger am 12.01.2004 Klage. Zur Begründung wird im Wesentlichen das bisher Vorgebrachte wiederholt.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sachdienlich ausgelegt),
den Bescheid des Landratsamts ... vom ... und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom ... aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, über die am 01.10.2001 beantragte Fahrerlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dem Gericht lagen die einschlägigen Behördenakten des Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
... Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die (sachdienlich) begehrte Neubescheidung seines Antrags auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B und der darin enthaltenen Klassen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Denn der Beklagte hat in zutreffender und rechtlich nicht zu beanstandender Weise den Antrag des Klägers abgelehnt. Zur Begründung kann daher auf die Ausführungen des Regierungspräsidiums ... im Widerspruchsbescheid vom ... verwiesen werden, welchen das Gericht folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend ist noch auszuführen, dass nach § 2 Abs. 9 S.2 StVG (u.a.) Gutachten, die zur Feststellung oder Überprüfung der Eignung oder Befähigung verwendet werden, grundsätzlich nach spätestens zehn Jahren zu vernichten sind. Sie können aber, wie sich aus dem 2. Halbsatz des § 2 Abs. 9 S. 2 StVG ergibt, durchaus auch länger als 10 Jahre verwendet werden, nämlich dann, wenn mit ihnen im Zusammenhang stehende Eintragungen im Verkehrszentralregister oder zentralen Fahrerlaubnisregister nach den Bestimmungen für diese Register zu einem späteren Zeitpunkt zu tilgen oder zu löschen sind. Ergibt sich aus der Regelung daher, dass unter den dort genannten Voraussetzungen Gutachten sogar länger als 10 Jahre verwendet werden können, so kann aus ihr jedenfalls nicht gefolgert werden, dass für die Fälle, in denen die ein solches Gutachten veranlassende Eintragung vor Ablauf dieser zehnjährigen Frist zu tilgen oder zu löschen ist, das Gutachten zwingend zu vernichten ist bzw. nicht mehr verwertbar sein soll.
Der Beklagte hat unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 65 Abs. 9 StVG zurecht auch ausgeführt, dass zwar die dieses Gutachten (u.a.) veranlassende Tat nicht mehr verwertet werden kann, gleichwohl aber das Ergebnis des Gutachtens vorliegend Berücksichtigung finden kann. Denn dieses basiert nicht nur auf der das Gutachten veranlassenden Verkehrsstraftat, sondern auf einer Würdigung der im Rahmen der psychologisch-diagnostischen Exploration des Klägers zu Tage getretenen Erkenntnisse (wird ausgeführt ...)
Auch wenn das Gutachten angesichts dessen in Verbindung mit der Vorgeschichte, der (mittlerweile) getilgten Verkehrstraftat zusammenfassend die Frage bejahte, dass zu erwarten sei, dass der Kläger auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird, so beruht das Gutachten danach doch gerade nicht allein auf der Würdigung der Verkehrsstraftat, vielmehr auf der Würdigung der bei der Exploration des Klägers anhand seiner Angaben deutlich zu Tage getretenen, noch nicht bewältigten Alkoholproblematik.
Nachdem der Kläger am 23.12.1996 das Gutachten des TÜV ... vom 17.12.1996 beim Beklagten auch persönlich abgegeben hatte, wie sich aus den Akten ergibt, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass dieser es auch aktuell zum Anlass genommen hat, den Kläger zur erneuten Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufzufordern und angesichts der verweigerten Vorlage eines solchen auf dessen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geschlossen hat."