Das Verkehrslexikon
OLG Stuttgart Beschluss vom 03.02.1988 - 1 Ss 31/88 - Urkundenfälschung bei nachträglichen Änderungen auf dem Fahrtenschreiberblatt
OLG Stuttgart v. 03.02.1988: Zur Urkundenfälschung bei nachträglichen Änderungen auf dem Fahrtenschreiberblatt
Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 03.02.1988 - 1 Ss 31/88) hat entschieden:
Der Aussteller eines wenigstens teilweise ausgefüllten Fahrtenschreiberblattes macht sich der Urkundenfälschung schuldig, wenn er dieses nach Beginn der Fahrt nachträglich abgeändert oder ergänzt.
Siehe auch Vortäuschen der Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten
Zum Sachverhalt: Die Angeklagten betrieben ein Speditionsunternehmen mit acht Lastkraftwagen. Da die Fahrer die durch EWG-Verordnung vorgegebenen Lenkzeitvorschriften mit Wissen und Billigung der Angeklagten zum Teil krass mißachteten, wurden - um wegen der Verstöße nicht aufzufallen - die jeweiligen Fahrtenschreiberblätter nicht korrekt ausgefüllt. Bei allen Fahrten, die wegen der Lenkzeitvorschriften kritisch werden konnten, wurden die Fahrtenschreiberblätter nicht - wie zwingend vorgeschrieben - mit dem Namen der jeweiligen Fahrer ausgefüllt, sondern der entsprechende Platz wurde freigelassen. Von März bis Oktober 1986 trugen die Angeklagten in zahlreichen Fällen in die Blankofahrtenschreiberblätter die Namen von anderen Fahrern ein, insbesondere ihre eigenen und diejenigen ihres Bruders ... Am 9. Juli 1986 wurde ein Fahrer der Spedition mit einem solchen Blankofahrtenschreiberblatt bei einer zufälligen Polizeikontrolle ertappt.
Das Amtsgericht hat die Angeklagten wegen je eines Vergehens der Urkundenfälschung zu Geldstrafen verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Sachrüge erheben, hatten Erfolg, allerdings lediglich mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen der Vorinstanz.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) erfordert entweder die Herstellung einer unechten Urkunde oder die Verfälschung einer echten Urkunde. Die Feststellungen des Amtsgerichts lassen dies nicht zuverlässig erkennen. Es wird nicht dargelegt, ob die Angeklagten die Fahrtenschreiberschaublätter vor Antritt der Fahrten überhaupt mit handschriftlichen Angaben, beispielsweise solchen über den Lastkraftwagen, das Datum und den Ausgangspunkt der Fahrt versehen haben. Es wird nur mitgeteilt, die Namen der Fahrer seien nachträglich eingetragen worden. War jedoch bei Beginn der Fahrt und damit bei Beginn der technischen Aufzeichnung des Geschehensablaufs durch den Fahrtenschreiber auf dem für handschriftliche Eintragungen vorgesehenen inneren Ring der Fahrtenschreiberschaublätter noch überhaupt keine Eintragung vorhanden, so waren die Fahrtenschreiberschaublätter noch keine Urkunden im Rechtssinne. Denn bis zur Eintragung enthielten sie keine Äußerung menschlicher Gedanken. Erst mit der Vornahme der in § 57 a Abs. 2 Satz 2 StVZO vorgeschriebenen Eintragungen über den Namen des Fahrers sowie über Ausgangspunkt und Datum der ersten Fahrt wurden aus den Schaublättern Urkunden, die sich aus dem Augenscheinsobjekt der technischen Aufzeichnung und der darauf bezogenen menschlichen Erklärung zusammensetzten (vgl. KG VRS 57, 121; BayObLG NJW 1981, 774; OLG Karlsruhe NJW 1986, 2773). Hatten aber die Schaublätter mangels jeglicher handschriftlicher Eintragung noch gar keine Urkundenqualität, so konnten sie auch nicht im Sinne von § 267 StGB verfälscht werden. Sie wurden auch nicht dadurch zu unechten Urkunden, daß die Angeklagten als Halter der Lastkraftwagen unzutreffende Eintragungen über die Namen der Fahrer vornahmen. Denn Aussteller eines Fahrtenschreiberschaublattes ist nicht derjenige, dessen Name auf dem Blatt eingetragen ist, sondern nach § 57 a Abs. 2 Satz 2 StVZO ausschließlich der Halter oder sein Beauftragter. Dadurch, daß der gesetzlich Verpflichtete unzutreffende Eintragungen machte, wurden die Urkunden nicht zu unechten; es lagen vielmehr nur - straflose - schriftliche Lügen vor (vgl. KG a.a.O.; BayObLG a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.).
Waren die Fahrtenschreiberschaublätter hingegen von Anfang der Fahrt an wenigstens mit dem Datum und dem Ausgangspunkt der Fahrt versehen, so handelte es sich - da der Aussteller mit der Person des Halters oder dessen Beauftragtem feststand - von Anfang an um Urkunden, die der strafbaren Verfälschung durch einen Unbefugten oder nicht mehr Befugten zugänglich waren.
Welche dieser Sachverhaltsalternativen bei den von März bis Oktober 1986 vorgekommenen Fällen vorlag, läßt sich aufgrund der lückenhaften Feststellungen nicht zuverlässig beurteilen. Das Amtsgericht wird solche Feststellungen aufgrund des vorhandenen Beweismaterials nachzuholen haben.
Ein weiterer Darlegungsmangel des Urteils liegt darin, daß das Amtsgericht zwar feststellt, die nachträglichen Namenseintragungen seien von März bis Oktober 1986 systematisch geschehen. Die hier naheliegende Feststellung, die Angeklagten hätten im Rahmen einer fortgesetzten Tat aufgrund eines einheitlichen, auf gleichartige wiederholte Tatbegehung gerichteten Willensentschlusses gehandelt, wird jedoch nicht getroffen. Eine solche Feststellung ist jedoch notwendig, wenn - wie geschehen - dem Angeklagten ... zwei Fälle und dem Angeklagten ... "in erheblich stärkerem Umfange" Fälschungshandlungen im Rahmen eines einzigen Vergehens der Urkundenfälschung vorgeworfen werden. Denn läge ein Gesamtvorsatz nicht vor, so müßten mehrere rechtlich selbständige Handlungen (§ 53 StGB) angenommen werden.
Beim Angeklagten ... fehlen überdies Feststellungen zur Mindestzahl der von ihm vorgenommenen Fälschungshandlungen. Solche Feststellungen sind jedoch sowohl bei der Annahme einer fortgesetzten Handlung (vgl. Dreher/Tröndle, StGB 43. Aufl., Vorbemerkungen vor § 52 Rdnr. 25 a) als auch bei der Annahme mehrerer rechtlich selbständiger Handlungen unentbehrlich, da erst hierdurch der Schuldumfang festgelegt wird. Ohne solche Feststellungen kann der Senat nicht nachprüfen, ob das Amtsgericht beim Rechtsfolgenausspruch von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird auf folgendes hingewiesen:
Sollten die Fahrtenschreiberschaublätter bei Antritt der Fahrten mit Ausnahme des Fahrernamens ausgefüllt gewesen sein und damit Urkundenqualität besessen haben, so kommt es für die Frage der Echtheit darauf an, ob die Angeklagten als Aussteller der Fahrtenschreiberschaublätter auch noch die Abänderungsbefugnis über diese Urkunden hatten, als sie nach Beendigung der Fahrten die Namen des oder der angeblichen Fahrer eingetragen haben.
Die Frage, ob und gegebenenfalls wann die Befugnis des Ausstellers zur Abänderung der von ihm hergestellten Urkunde erlischt, wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Eine im Schrifttum verbreitete Ansicht hält die nachträgliche Abänderung einer Urkunde durch den Aussteller grundsätzlich nicht für nach § 267 StGB strafbar, da eine Täuschung über die Identität des Ausstellers ebensowenig vorliege wie eine Verletzung des Interesses an der Unversehrtheit der Urkunde (vgl. Cramer in Schönke/Schröder, StGB 22. Aufl., § 267 Rdnr. 68; Samson in SK BT § 267 Rdnr. 74; A. Kaufmann ZStW 71, 411; Lampe GA 1964, 330; Puppe Jura 1979, 639 und JR 1978, 206). Die Aufgabe, den Bestandsschutz der Urkunden sicherzustellen, erfüllt nach dieser Meinung der Tatbestand der Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB), der allerdings zusätzlich die Absicht der Nachteilszufügung verlangt. Demgegenüber sieht die herrschende Meinung das Verfälschen einer Urkunde als selbständiges Tatbestandsmerkmal an, das die Strafbarkeit auf die Verfälschung durch den Aussteller erstreckt, sofern dieser die Abänderungsbefugnis hinsichtlich der Urkunde verloren hat (vgl. BGHSt 13, 382; RGSt 3, 324; 50, 420; OLG Stuttgart, NJW 1978, 715; Lackner StGB 17. Aufl., § 267 Rdnr. 4; Tröndle in LK StGB 10. Aufl., § 267 Rdnr. 153 ff. mit weiteren Nachweisen). Das Reichsgericht (RGSt 50, 420) hat dies überzeugend damit begründet, daß die Urkunde strafrechtlichen Schutz nicht im Interesse des Ausstellers genieße, sondern im Interesse der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs. Durch § 267 StGB solle die Unversehrtheit der Urkunden in ihrer Eigenschaft als formales Beweismittel ohne Rücksicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit geschützt werden. Die Abänderungsbefugnis des Ausstellers dauere nur solange, bis er die Urkunde in den Rechtsverkehr überführt habe.
Dem ist zuzustimmen. Durch die Abänderung nach Einführung der Urkunde in den Rechtsverkehr erweckt der Aussteller den Anschein, als enthalte die Urkunde noch die Gedankenerklärung, die sie bei ihrer Begebung gehabt hat. Er täuscht über den Ursprungsgehalt der Urkunde, wenn er die abgeänderte Urkunde - anders als der Urkundenunterdrücker - im Beweisverkehr trügerisch weiter benutzt (vgl. Tröndle in LK a.a.O. Rdnr. 158).
Der Zeitpunkt des Erlöschens der Abänderungsbefugnis ist bisher nicht allgemeinverbindlich, sondern stets bezogen auf die Umstände des einzelnen Falles festgelegt worden. Teilweise wurde darauf abgestellt, ob ein Kontrollbeamter die Urkunde eingesehen (vgl. RGSt 51, 340) oder mit dem Verlangen auf Vorlegung der Urkunde an den Aussteller herangetreten war (RGSt 50, 420; 52, 78). In anderen Entscheidungen wird darauf abgestellt, ob die Urkunde der Außenwelt und dem Rechtsverkehr zugänglich gemacht worden war (vgl. RGSt 64, 394; BGHSt 13, 382). In Bezug auf - allerdings bereits vollständig ausgefüllte - Fahrtenschreiberschaublätter hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgericht Stuttgart (NJW 1978, 715) erwogen, die Abänderungsbefugnis mit dem Ende der aufgezeichneten Fahrt erlöschen zu lassen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (NJW 1986, 2773) hat die vor Antritt der Fahrt vorgenommene Eintragung von falschen Fahrernamen lediglich als - straflose - schriftliche Lüge angesehen.
Nach Auffassung des Senats ist die Frage, wann die Abänderungsbefugnis des Ausstellers erlischt, nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Beurkundung zu beantworten. § 57 a Abs. 2 Satz 2 StVZO schreibt vor, daß die Fahrtenschreiberschaublätter vor Antritt der Fahrt mit den Namen der Führer sowie dem Ausgangspunkt und Datum der ersten Fahrt zu bezeichnen sind; ferner ist der Stand des Wegstreckenzählers am Beginn und am Ende der Fahrt einzutragen. Diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 15 a StVZO zu sehen, der die höchstzulässigen Lenkzeiten im Straßenverkehr regelt. Sie soll es ermöglichen, bei jeder während der Fahrt vorgenommenen überraschenden polizeilichen Kontrolle eine etwaige Überschreitung der höchstzulässigen Lenkzeiten beweiskräftig festzustellen. Diese Feststellungen müssen im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs vor übermüdeten Fahrern und im Interesse des im Fahrpersonalgesetz konkretisierten Arbeitnehmerschutzes zu jedem Zeitpunkt der Fahrt möglich sein. Die Fahrtenschreiberschaublätter erlangen daher bereits mit Antritt der Fahrt potentielle Beweisbedeutung im Hinblick auf eine stets mögliche Polizeikontrolle. Sie werden - wenn sie durch jedenfalls teilweises Ausfüllen Urkundenqualität erlangt haben - bereits mit Beginn der Fahrt zum Zweck des Beweises in den Rechtsverkehr eingeführt. Damit verliert der Aussteller die Befugnis, die Urkunden abzuändern. Diese lösen sich mit ihrem - unvollständigen - Aussageinhalt vom Aussteller und erlangen eigenständige Beweisbedeutung. Der Aussteller ist ab diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr befugt, wahrheitsgemäße Angaben, die er zuvor bewußt unterlassen hatte, nachzutragen, weil dadurch der Inhalt und damit der Beweiswert der bei der Einführung in den Rechtsverkehr unvollständigen Urkunde nachträglich verändert würde.
Die Verurteilung der Angeklagten wegen einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 57 a Abs. 2 Satz 2, 69 a Abs. 5 Nr. 6 StVZO, 24 StVG ist wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 3 StVG) nicht mehr möglich. ..."