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OLG Köln Urteil vom 16.02.2006 - 7 U 73/05 - Zur Einbeziehung der Wertminderung und der Mietwagenkosten in die Vergleichskontrollrechnung

OLG Köln v. 16.02.2006: Zur Einbeziehung der Wertminderung und der Mietwagenkosten in die Vergleichskontrollrechnung


Das OLG Köln (Urteil vom 16.02.2006 - 7 U 73/05) hat entschieden:
  1. Die Wertminderung ist auch bei der Vergleichskontrollrechnung zu berücksichtigen. Ein sachlich einleuchtender Grund, den Minderwert grundsätzlich als unmittelbar ersatzfähige Schadensposition anzuerkennen, ihn aber außer Betracht zu lassen, sobald es um die Einhaltung der 130 %-Grenze geht, ist nicht ersichtlich.

  2. Die Höhe der merkantilen Wertminderung ist nach § 287 ZPO frei zu schätzen. Dabei kann auf die Methode Sahm/Ruhkopf zurückgegriffen werden. Der Hinweis, einer Bewertung der Wertminderung durch einen Sachverständigen sei in jedem Fall gegenüber "irgendwelchen Formeln" der Vorzug zu geben, geht fehl. Die formelhafte Beurteilung in einem Privatgutachten, "aufgrund des Alters, der Laufleistung und des Schadensumfangs sei eine merkantile Wertminderung in Höhe von 830 Euro zu befürworten", ist kaum aussagekräftig und geht in ihrer prozessualen Bedeutung nicht über bloßen Parteivortrag hinaus (vom Gericht angenommen 1.400,00 € statt 830,00 € im SV-Gutachten).

  3. Bei der Vergleichskontrollrechnung sind auf Seiten der Reparaturkosten auch die voraussichtlichen Mietwagenkosten zu berücksichtigen, soweit der Reparaturzeitraum über den der Wiederbeschaffung hinausgeht.

  4. Erteilt der Geschädigte sofort nach dem Unfall Reparaturauftrag, steht ihm keine Überlegungsfrist zu, weil er diese nicht in Anspruch genommen hat. Ein fiktiver Schadensermittlungs- und Prüfungszeitraum ist nicht zu berücksichtigen; andernfalls müsste sich auch die Reparaturdauer entsprechend verlängern.

  5. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten bestimmen sich im Außenverhältnis nach dem Gegenstandswert, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (vgl. BGH NJW 70, 1122 ; 05, 1112).

Siehe auch Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das Landgericht hat seine Klageabweisung insoweit darauf gestützt, dass der Kläger auf mehr als die von der Beklagten beglichenen Mietwagenkosten für 20 Tage in Höhe von 1.700,00 Euro keinen Anspruch habe.

Diese Begründung beruht jedoch darauf, dass das Landgericht eine Schadensabrechnung nur auf Totalschaden- und nicht auf Reparaturkostenbasis gebilligt hat, so dass Mietwagenkosten - was auch der vorgerichtlichen Zahlung durch die Beklagte zugrunde lag - entsprechend der voraussichtlichen Wiederbeschaffungsdauer, nicht aber für die Dauer der Fahrzeugreparatur zu erstatten sind. Da sich der Kläger im übrigen mit seiner Berufung gerade gegen diese Art der Schadensberechnung wendet, ist damit zugleich auch die Aberkennung der Mietwagenkosten angegriffen. Soweit der Senat in der mündlichen Verhandlung insoweit Zweifel an der Zulässigkeit des Rechtsmittels geäußert hat, wird daran nicht festgehalten.

II.

...

1. Der Auffassung des Klägers, beim Vergleich von Reparaturkosten einerseits und Wiederbeschaffungswert andererseits dürfe eine Wertminderung aus Gründen der Rechtssicherheit - von vorneherein - nicht berücksichtigt werden, vermag der Senat nicht zu folgen. Dass der Minderwert einen unmittelbaren Sachschaden darstellt, entspricht der ständigen Rspr. des BGH (vgl. zuletzt BGH NJW 05, 277 , 279; 05, 1108, 1110). Er ist deshalb ungeachtet der mit seiner Ermittlung verbundenen Unsicherheiten auch bei der Vergleichsrechnung zu berücksichtigen. Ein sachlich einleuchtender Grund, den Minderwert grundsätzlich als unmittelbar ersatzfähige Schadensposition anzuerkennen, ihn aber außer Betracht zu lassen, sobald es um die Einhaltung der 130 %-Grenze geht, ist nicht ersichtlich.

2. ...

3. Die Höhe der merkantilen Wertminderung ist nach § 287 ZPO frei zu schätzen (vgl. KG VRS 71, 241 ). Insoweit bleibt es dabei, dass sich die Annahme einer Wertminderung von 1.400 Euro - wie vom Kläger zunächst selbst geltend gemacht - durch das Landgericht im Rahmen des durch § 287 ZPO eröffneten Ermessens hält. Dass für ein Fahrzeug mit - wie hier - reparierten Unfallschäden an tragenden Teilen auf dem Gebrauchtwagenmarkt ein um 1.400 Euro geringerer Preis gezahlt wird als für ein gleichwertiges unfallfreies Fahrzeug erscheint auch ohne weiteres plausibel. Der Hinweis, einer Bewertung der Wertminderung durch einen Sachverständigen sei in jedem Fall gegenüber "irgendwelchen Formeln" der Vorzug zu geben, geht fehl. Die formelhafte Beurteilung des Privatgutachters G., "aufgrund des Alters, der Laufleistung und des Schadensumfangs sei eine merkantile Wertminderung in Höhe von 830 Euro zu befürworten", ist kaum aussagekräftig und geht in ihrer prozessualen Bedeutung nicht über bloßen Parteivortrag hinaus. Dass das Landgericht - wozu es nicht einmal bei einem entsprechenden Beweisantrag des Klägers verpflichtet gewesen wäre ( § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO ) - nicht von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur Höhe des Minderwertes eingeholt, sondern im Rahmen des ihm nach § 287 ZPO eingeräumten Ermessens auf eine auch vom Kläger vorgerichtlich herangezogene, anerkannte ( BGH NJW 80, 281 ; OLG Hamm DAR 87, 83 ) Berechnungsmethode zurück gegriffen hat, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Das Abstellen auf die vom Kläger - zunächst - selbst zugrunde gelegte Berechnungsmethode Ruhkopf/Sahm überschreitet auch nicht deshalb die Grenzen des § 287 ZPO , weil diese Methode - wie der Kläger geltend macht - nur Reparaturkosten von bis zu 90 % des Wiederbeschaffungswertes erfasst. Da eine Wertverbesserung im ersten Rechtszug nicht behauptet war und auch nicht aus der Höhe der Reparaturkosten hergeleitet werden kann (s. o. unter 2.), sprach rechtlich jedenfalls nichts dagegen, ebenso wie der Kläger den für Reparaturkosten von bis zu 90 % des Zeitwertes bestimmten Prozentsatz des Minderwertes auch im vorliegenden Fall heranzuziehen. Eine hinreichende Schätzungsgrundlage bot die Methode Ruhkopf/Sahm auch bei der hier in Rede stehenden Reparaturkostenhöhe.

4. Bei der Vergleichsrechnung ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die 130 %-Grenze aufgrund der geltend gemachten Mietwagenkosten sogar deutlich überschritten wird. Die Auffassung des Klägers, bei der Ermittlung der 130 %-Grenze seien die Mietwagenkosten nicht zu berücksichtigen, trifft nicht zu. Nach der Entscheidung BGH NJW 92, 302 , 305 kann es aus Gründen der Wirtschaftlichkeit geboten sein, den Geschädigten vor allem, wenn die prozentuale Opfergrenze auch ohne den Vergleich dieser Überbrückungskosten schon erreicht ist, wegen der Diskrepanz bei den Mietwagenkosten auf den billigeren Wege der Ersatzbeschaffung zu verweisen. Danach sind im Streitfall zumindest die auf den reinen Reparaturzeitraum von 25 Tagen entfallenden Mietwagenkosten zu berücksichtigen. Die voraussichtliche Ersatzbeschaffungsdauer liegt demgegenüber - auf der Grundlage des Klägervortrags - bei nur 14 - 16 Tagen, wird also von der Reparaturzeit um rund 2/3 überschritten. Der Kläger hat zwar unter Beweis gestellt, dass selbst ein Zeitraum von 25 Tagen für eine Ersatzbeschaffung nicht ausgereicht hätte. Er hat dabei jedoch neben einer reinen Wiederbeschaffungsdauer von 14 - 16 (im Durchschnitt also 15) Tagen auch einen Schadensermittlungszeitraum von 5 Tagen sowie eine Prüfungs- und Überlegungsfrist von 10 Tagen (= insgesamt 29 - 31 Tage) zugrunde gelegt. Das ist schon deshalb unzutreffend, weil der Kläger, indem er noch am Unfalltag den Reparaturauftrag erteilt hat, einen Schadensermittlungs- und Überlegungszeitraum tatsächlich nicht in Anspruch genommen hat. Ein fiktiver Schadensermittlungs- und Prüfungszeitraum ist jedoch nicht zu berücksichtigen; andernfalls müsste sich auch die Reparaturdauer von 25 Tagen entsprechend verlängern.

Daraus ergibt sich - unter Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers - folgende Abrechnung:

Reparaturkosten netto 11.010,90 Euro
Wertminderung 1.400,00 Euro
Zusätzliche Mietwagenkosten netto bei Reparatur (10 Tage à 98,11 Euro - Pauschaltarif der Fa. C. GmbH gem. Rechnung vom 31.12.03 - 981,10 Euro

Summe 13.392,00 Euro

Dieser Betrag überschreitet den Netto-Wiederbeschaffungswert - ohne Abzug des Restwertes - von 9.137,93 Euro um 46,55 % und ist daher nicht mehr durch das Integritätsinteresse des Klägers gedeckt. Selbst bei Ansatz eines Minderwertes von 830 Euro liegt der Gesamtbetrag einschließlich der Reparaturkosten (12.822,00 Euro) noch 40,32 % über dem Wiederbeschaffungswert.

Dass der BGH (a.a.O. S. 305) in dem dort entschiedenen Fall die gegenüber der Wiederbeschaffungsdauer um ca. 60 % höher liegenden Mietwagenkosten noch nicht als unverhältnismäßig angesehen hat, hatte seinen Grund lediglich darin, dass die Reparaturkosten den sog. Integritätszuschlag bei weitem nicht ausschöpften. Sie lagen - anders als hier - sogar noch erheblich unter dem Wiederbeschaffungswert.

Eine andere Beurteilung könnte sich möglicherweise ergeben, wenn der Kläger bei Erteilung des Reparaturauftrages davon hätte ausgehen dürfen, dass ein Minderwert nicht vorliegt, die voraussichtliche Reparaturzeit den Zeitraum einer Ersatzbeschaffung nicht oder nicht wesentlich übersteigt und die Gesamtkosten deshalb die Grenze von 130 % nicht überschreiten. Dafür besteht jedoch kein Anhaltspunkt. Es ist nicht vorgetragen, dass sich der Kläger vor Auftragserteilung bei seiner Werkstatt - etwa durch Einholung eines Kostenvoranschlags - nach der konkreten Höhe der Reparaturkosten, einer etwa verbleibenden Wertminderung und der voraussichtlichen Reparaturdauer erkundigt hat. Auf die angebliche - der Beklagten ersichtlich nicht zurechenbare - Zusage der Fa. Autozentrum T. GmbH, die Reparaturkosten würden ebenso wie die Mietwagenkosten "vollumfänglich" von der Beklagten übernommen, durfte der Kläger nicht vertrauen. Vor diesem Hintergrund ist die vom Landgericht vorgenommene Schadensabrechnung auf Totalschadenbasis nicht zu beanstanden.

Auch der vom Landgericht vorgenommene Restwertabzug in Höhe von 3.327,59 Euro begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die gegenteilige Auffassung des Klägers im Schriftsatz vom 16.1.2006 verkennt, dass der Restwert des Unfallfahrzeugs lediglich bei der Gegenüberstellung von Reparaturkosten und Wiederbeschaffungskosten außer Betracht zu bleiben hat (BGH NJW 92, 304). Dem entspricht auch die im Streitfall vorgenommene Vergleichsrechnung. Kann der Geschädigte - wie hier - nach dem Ergebnis der Vergleichsrechnung nur eine Abrechnung auf Totalschadensbasis verlangen, ist der Restwert auf den Wiederbeschaffungswert anzurechnen (vgl. BGH NJW 00, 800 ). Aus der vom Kläger angeführten Entscheidung BGH NJW 03, 2085 ergibt sich nichts anderes, denn sie betrifft eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis.

5. Der Kläger kann über den vorgerichtlich von der Beklagten gezahlten Betrag in Höhe von 1.700 Euro hinaus auch keinen Ersatz weiterer Mietwagenkosten (insgesamt 56 Tage nebst Zusatzkosten) verlangen.

Angesichts der hier vorzunehmenden Abrechnung auf Totalschadenbasis schuldet die Beklagte Mietwagenkosten lediglich für die voraussichtliche Dauer der Ersatzbeschaffung. Diese liegt - wie oben dargelegt - im Durchschnitt bei 15 Tagen, wobei der Senat die Angaben des Klägers zugrunde gelegt hat. Nach der Rechnung der Fa. Autovermietung C. GmbH vom 31.12.2003 beläuft sich der Netto-Tagessatz für den vom Kläger in Anspruch genommenen Mietwagen auf 98,11 Euro. Für einen Zeitraum von 15 Tagen ergibt sich daraus ein Betrag in Höhe von 1.471,65 Euro. Da dieser Betrag noch um ersparte Eigenaufwendungen zu kürzen wäre, ist der ersatzfähige Schaden mit der erfolgten Zahlung von 1.700 Euro in jedem Fall ausgeglichen.

6. Soweit das Landgericht die Klage - allerdings ohne Begründung - auch wegen der geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von netto 1.246 Euro (10/10 Geschäfts- und 10/10 Besprechungsgebühr gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1, 2 der - hier noch anwendbaren - BRAGO) abgewiesen hat, ist die Berufung hingegen teilweise begründet.

Vorprozessuale Anwaltskosten des Geschädigten sind grundsätzlich erstattungsfähig, wenn die Einschaltung eines Anwalts - wie hier - nach Lage der Dinge erforderlich war. Der Höhe nach wird der Anspruch jedoch zum einen durch die nach § 118 Abs. 2 BRAGO bestimmte Anrechnung der Geschäftsgebühr ( § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO ) begrenzt, was der Kläger bei seinem erstinstanzlichen Schlussantrag - anders als noch in der Klageschrift - nicht berücksichtigt hat. Zum anderen bestimmen sich die vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht nach dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angegebenen Gegenstandswert von 17.333,04 Euro. Zugrunde zu legen ist vielmehr der Gegenstandswert, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (vgl. BGH NJW 70, 1122 ; 05, 1112). Dies ist der vom Landgericht ermittelte Betrag von 8.133,44 Euro. Bei Ansatz einer - hier nicht zu beanstandenden - 10/10 Besprechungsgebühr aus § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO ergibt sich ein Nettobetrag in Höhe von 449,00 Euro, zuzüglich Auslagen und Fotokopiekosten also insgesamt 483,00 Euro. In diesem Umfang hat die Berufung Erfolg.

...

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO , die ohnehin nur nach Maßgabe des § 526 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erfolgen könnte, liegen - anders als der Kläger meint - nicht vor:

Dass sowohl die Wertminderung als auch die Mietwagenkosten bei der Prüfung der 130 %-Grenze zu berücksichtigen sind, ergibt sich aus der Entscheidung BGH NJW 92, 302 , 304, 305. Die Frage, ob die Schätzungsmethode von Ruhkopf/Sahm auch bei Festsetzung der Wertminderung durch einen Sachverständigen gilt, stellt sich im Hinblick auf § 287 Abs. 1, 2 ZPO nicht. Gleiches gilt für die Frage, ob das Gericht die Wertminderung - immer - durch einen Sachverständigen zu ermitteln hat; auf die Billigung der Methode Ruhkopf/Sahm durch BGH NJW 80, 281 wird Bezug genommen. Auch die Frage, ob die Methode Ruhkopf/Sahm bei Reparaturkosten im Bereich von 90 % bis 130 % des Wiederbeschaffungswertes anwendbar ist, stellt sich nicht grundsätzlich, denn sie ist nach dem eigenen Vorbringen des Klägers im Ergebnis vom Eintritt einer Wertverbesserung abhängig, für die im Streitfall hinreichender Sachvortrag fehlt. Ob eine merkantile Wertminderung bei Reparaturkosten zwischen 90 % und 130 % des Wiederbeschaffungswertes in Betracht kommt, ist keine Frage grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine solche des Einzelfalls.

Die Frage, ob der Restwert nach durchgeführter Reparatur in Abzug gebracht werden kann, differenziert nicht zwischen der Abrechnung auf Reparaturkostenbasis einerseits und auf Totalschadenbasis andererseits. Für die hier nur zulässige Abrechnung auf Totalschadenbasis ist die Anrechnung des Restwertes durch BGH NJW 00, 800 , 801 anerkannt. ..."



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