Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 09.07.1996 - VI ZR 5/95 - SGB X § 116 Abs 6 (juris: SGB 10) steht dem Übergang des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers aus PflVG § 3 Nr 1 auf den Sozialhilfeträger nicht entgegen

BGH v. 09.07.1996: § 116 Abs. 6 SGB X (Familienprivileg) steht dem Übergang des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers aus § 3 Nr. 1 PflVG auf den Sozialhilfeträger nicht entgegen


Der BGH (Urteil vom 09.07.1996 - VI ZR 5/95) hat entschieden:
  1. SGB X § 116 Abs 6 (juris: SGB 10) steht dem Übergang des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers aus PflVG § 3 Nr 1 auf den Sozialhilfeträger nicht entgegen.

  2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Lauf der Verjährung nach BGB § 852 Abs 1 ausnahmsweise auch dann ausgelöst wird, wenn der maßgebliche Kenntnisträger nicht eine positive Kenntnis von Schädiger, Schaden und Schädigungshandlung besitzt.


Siehe auch Forderungsübergang im Schadensfall


Tatbestand:

Am 15. November 1983 erlitt die damals 18 Jahre alte Brigitte S. (im folgenden: die Geschädigte) als Insassin in einem von ihrem Vater gesteuerten Pkw schwere Verletzungen. Ihr Vater war bei einem Überholmanöver auf schnee- und eisglatter Fahrbahn mit dem Pkw auf der linken Fahrspur ins Schleudern geraten und dort mit einem entgegenkommenden Lkw zusammengeprallt. Bei dem Unfall wurden die Eltern der Geschädigten tödlich verletzt. Sie selbst erlitt so schwere Verletzungen, dass sie lange in Lebensgefahr schwebte und in der Mitte des Jahres 1984 noch nicht ansprechbar war. Sie ist auf Dauer pflegebedürftig und in einem Wohn- und Pflegeheim für Behinderte untergebracht. Am 13. Dezember 1983 wurde das Jugendamt des Kreises B., des Klägers, zum Pfleger bestellt; der Wirkungskreis des Pflegers umfasste das Recht der Aufenthaltsbestimmung, der Entscheidung über Heilbehandlungen und die Vermögenssorge. Seit dem 22. Juli 1985 ist das Jugendamt der Stadt Bot. zum neuen Pfleger bestellt.

Die Kosten der Heimunterbringung und Versorgung der Geschädigten wurden bis zum 31. Januar 1987 aus den Erlösen eines rückgängig gemachten Kaufvertrages der Eltern über ein Einfamilienhaus, aus Lebensversicherungen und aus Betriebsrenten gedeckt. Seit dem 1. Februar 1987 erhält die Geschädigte Hilfe zur Pflege im Heim nach § 68 BSHG; Kostenträger dieser Sozialhilfe ist der Kläger.

Mit Schreiben vom 24. Juni 1987 bat das Sozialamt des klagenden Kreises den Beklagten - den Haftpflichtversicherer für das Fahrzeug, mit dem der Vater der Geschädigten den Unfall verursacht hatte - um Auskunft über die bisherigen Versicherungsleistungen. Der Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 14. Juli 1987, dass Zahlungen nicht erfolgt seien; es sei zweifelhaft, ob der Vater der Geschädigten den Unfall verschuldet habe, im übrigen seien etwaige Schadensersatzansprüche längst verjährt. In der Folgezeit bemühte sich das Sozialamt des Klägers bei der Stadt Bot., dem Amtsgericht Bot., dem Jugendamt des klagenden Kreises und dem Beklagten vergeblich um eine Aufklärung des Unfallgeschehens. Auf ein erneutes Schreiben des Sozialamts vom 28. September 1989 teilte der Beklagte unter dem 17. Oktober 1989 das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft mit. Daraufhin erhielt das Sozialamt des Klägers Mitte November 1989 Einsicht in die Strafakten. Mit Schreiben vom 15. November 1990 forderte dieses Amt den Beklagten nunmehr unter Darstellung des Unfallablaufs aus übergegangenem Recht (§ 116 Abs. 1 SGB X) zur Erstattung der durch die Sozialhilfe bisher entstandenen Aufwendungen auf; ferner bat das Sozialamt den Beklagten wegen der zukünftigen Aufwendungen für die Heimunterbringung der Geschädigten um eine allgemeine Kostenzusage. Unter dem 30. November 1990 lehnte der Beklagte unter Hinweis auf die nach seiner Auffassung längst eingetretene Verjährung der Schadensersatzansprüche der Geschädigten eine Erstattung der Sozialhilfeaufwendungen des Klägers ab.

Mit der am 2. April 1991 bei Gericht eingegangenen und dem Beklagten am 5. April 1991 zugestellten Klage hat der Kläger von dem Beklagten für die Zeit vom 1. Februar 1987 bis Februar 1991 die Erstattung seiner auf 152.447,37 DM bezifferten Aufwendungen für die Heimunterbringung der Geschädigten verlangt; außerdem hat er die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Rente von 3.715,86 DM ab 1. März 1991 sowie die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der weiteren mit diesem Sozialhilfefall verbundenen Aufwendungen begehrt. Er hat sich dabei zunächst auf einen Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X, später auf eine Überleitungsanzeige gemäß § 90 BSHG vom 5. Juni 1991 und zuletzt auf eine vormundschaftsgerichtlich genehmigte Abtretungserklärung des Pflegers der Geschädigten vom 30. August 1991, mit der ihre Schadensersatzansprüche aus dem Unfall gegen den Beklagten an den Kläger abgetreten wurden, berufen.

Der Beklagte hat geltend gemacht, dass Schadensersatzansprüche der Geschädigten aus dem Unfall wegen des Angehörigenprivilegs aus § 116 Abs. 6 SGB X nicht auf den Kläger übergegangen seien; außerdem seien solche Ansprüche längst verjährt.


Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann es auf sich beruhen, ob ein Übergang der mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzansprüche, die die Geschädigte gemäß §§ 823, 843 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG gegen den beklagten Haftpflichtversicherer aus dem Unfall erlangt hat, auf den Kläger als Sozialhilfeträger an dem Haftungsprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X gescheitert ist. Denn jedenfalls seien diese Ansprüche nach § 852 Abs. 1 BGB bei Klageerhebung verjährt gewesen. Die Ansprüche hätten zunächst der Geschädigten zugestanden. Anders als im Fall des Anspruchsübergangs auf den Sozialversicherungsträger erfolge der Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger nicht im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sich die Sozialhilfebedürftigkeit näher konkretisiert habe. Danach sei im Streitfall, wenn es angesichts der Übergangssperre des § 116 Abs. 6 SGB X überhaupt zu einem Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X gekommen sei, der Übergang der Schadensersatzansprüche der Geschädigten auf den Kläger nicht vor Anfang 1987 erfolgt. Die Verjährung dieser Ansprüche habe aber bereits spätestens ab Mitte 1985 zu laufen begonnen. Da die Geschädigte wegen ihrer Unfallverletzungen bis Mitte 1985 nicht in der Lage gewesen sei, die Geschehnisse zu erfassen, komme es für die nach § 852 Abs. 1 BGB erforderliche Kenntnis von Schaden, Schädigungshandlung und Schädiger auf den Kenntnisstand ihres Pflegers an. Der Pfleger der Geschädigten habe bereits im Dezember 1983 von dem eingetretenen Schaden, dem Schädiger - dem Vater der Geschädigten - und auch davon Kenntnis gehabt, dass das Unfallfahrzeug bei dem Beklagten haftpflichtversichert gewesen sei. Selbst wenn die Kenntnis des Pflegers von dem Unfallhergang für eine erfolgversprechende Klageerhebung noch nicht ganz ausgereicht habe, stehe diese verbleibende Wissenslücke dem Beginn des Laufs der Verjährung nicht entgegen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die nach § 852 Abs. 1 BGB erforderliche Kenntnis schon dann anzunehmen sei, wenn der Geschädigte bzw. sein gesetzlicher Vertreter diese Kenntnis zwar tatsächlich noch nicht besitze, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen könne. Um einen solchen Fall gehe es hier. Dem Jugendamt des Klägers als Amtspfleger habe sich aufdrängen müssen, dass die Geschädigte als Insassin bei einem Unfall, an dem zwei Kraftfahrzeuge beteiligt gewesen seien, nicht ohne jeden Schadensersatzanspruch habe dastehen können. Der Pfleger habe aufgrund seiner Amtspflicht der Haftungsfrage nachgehen müssen. Er sei dazu auch ohne eine Einschaltung eines Rechtsanwalts in der Lage gewesen, denn er habe die Ermittlungsakten im Wege der Amtshilfe anfordern und sich in der eigenen Verwaltung - nämlich bei der eigenen Polizeibehörde, die den Unfall aufgenommen habe - über die näheren Einzelheiten des Unfallhergangs informieren können; es habe nur eines Anrufes bei den Kollegen von der eigenen Polizeibehörde bedurft, um die noch fehlenden Informationen zu beschaffen. Zu diesen Aktivitäten habe spätestens bei dem Pflegerwechsel Mitte 1985 Veranlassung bestanden. Damit sei die Verjährung der Klageansprüche spätestens Mitte 1988 eingetreten. Im übrigen seien nicht nur dem Jugendamt des Klägers als Pfleger der Geschädigten, sondern auch den Bediensteten des Sozialamts des Klägers Versäumnisse unterlaufen mit der Folge, dass bei einem Übergang der Klageansprüche auf den Kläger gemäß § 116 Abs. 1 SGB X die Verjährung dieser Ansprüche aus einem weiteren Grund jedenfalls vor Anfang 1988 zu laufen begonnen habe und deshalb bei der Klageerhebung abgelaufen gewesen sei. Nach dem Schreiben des Beklagten vom 14. Juli 1987 habe für das Sozialamt des Klägers aller Anlass bestanden, die Haftungsfrage näher abzuklären; jedenfalls bis Ende 1987 hätte sich dieses Amt durch Einsichtnahme in die Ermittlungsakten im Wege der Amtshilfe die etwa noch fehlende Kenntnis verschaffen können und müssen.


II.

Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision letztlich nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat - aus seiner rechtlichen Sicht zu Recht - unentschieden gelassen, ob der Übergang der Klageansprüche auf den Kläger an der Übergangsschranke des § 116 Abs. 6 SGB X gescheitert ist. Dies ist nicht der Fall. Bei den Klageansprüchen handelt es sich um die Direktansprüche der Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers aus §§ 823, 843 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG. Dem Übergang dieser Ansprüche auf den Sozialhilfeträger steht - im Unterschied zu den Ansprüchen, die sich gegen den Schädiger richten - § 116 Abs. 6 SGB X nicht entgegen.

Allerdings hat der Senat im Urteil vom 5. Dezember 1978 - VI ZR 233/77 - VersR 1979, 256, 257 f. - die Auffassung vertreten, dass die Rechtsnatur des Direktanspruchs einen getrennten, vom Haftpflichtanspruch losgelösten Übergang des Direktanspruchs auf einen neuen Gläubiger nicht zulässt. Tragend war dabei der Gedanke, dass der Direktanspruch als akzessorisches Recht der Sicherung der Forderung des Verletzten dient und insoweit in seinem Bestand von dem Haftpflichtanspruch abhängig ist; geht - so führte der Senat aus - der Haftpflichtanspruch auf einen neuen Gläubiger über, so geht entsprechend § 401 BGB auch der ihn sichernde Direktanspruch über, und geht der Haftpflichtanspruch nicht über, so geht auch der Direktanspruch nicht über.

Diese Entscheidung bezog sich auf den Anspruchsübergang auf einen Sozialversicherungsträger. Ob an ihr uneingeschränkt festgehalten werden kann, mag dahinstehen. Im vorliegenden Fall geht es nämlich um einen Anspruchsübergang auf einen Sozialhilfeträger. Dies bedeutet, dass bei der Anwendung der Übergangsschranke des § 116 Abs. 6 SGB X dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe Rechnung zu tragen ist. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass derjenige, dem ein alsbald realisierbarer Anspruch gegen einen Dritten zusteht, diesen Anspruch zur Deckung seines Bedarfs verwirklichen muss und daher in dessen Umfang nicht hilfsbedürftig ist (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 1995 - VI ZR 271/94 - VersR 1996, 349, 350 m. w. N. - zum Abdruck in BGHZ 131, 274 vorgesehen). Es liegt in der Konsequenz dieses Subsidiaritätsgrundsatzes, dass dem Sozialhilfeträger dann, wenn er - wie hier - vor einem eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer auf Leistung in Anspruch genommen wird, der Rückgriff gegen den Haftpflichtversicherer offenstehen muss; erst durch diesen Rückgriff wird die Lage wiederhergestellt, die dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entspricht. Eine andere Auslegung des § 116 Abs. 6 SGB X würde zu einem Normenkonflikt mit dem in § 2 BSHG verankerten Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe führen. Der Senat hat im übrigen schon im Urteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 184/81 - VersR 1983, 989, 990 - im Hinblick auf das sozialhilferechtliche Nachrangprinzip die entsprechende Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG verneint.

Allerdings bedeutet diese Auslegung des § 116 Abs. 6 SGB X, dass für den Fall des Übergangs des Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer auf den Sozialhilfeträger der mit dem Direktanspruch verbundene Akzessorietätsgedanke gegenüber dem Subsidiaritätsgrundsatz des Sozialhilferechts zurücktritt. Dies erscheint indes im Hinblick darauf hinnehmbar, dass die Rechtsprechung dem Direktanspruch in verschiedener Hinsicht inzwischen eine eigenständige Bedeutung beigemessen hat. So ist entschieden, dass der Direktanspruch nicht durch eine sog. Konfusion untergeht, wenn der verletzte Beifahrer der Alleinerbe des Fahrers ist, der den Unfall verschuldet hat (OLG Hamm, bestätigt durch NA-Beschluss des Senats vom 14. März 1995 - VI ZR 230/94 - VersR 1995, 454). Ferner hat der Senat in BGHZ 116, 200, 207 ff. ausgeführt, dass die Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber bei gefahrgeneigter Arbeit entfällt, wenn und soweit der Arbeitnehmer in den Schutzbereich des Pflichtversicherungsgesetzes einbezogen ist. In einem anderen Senatsurteil heißt es, dass bei der Frage, ob dem Unfallverletzten aus Billigkeitsgründen Schadensersatz nach § 829 BGB zuzubilligen ist, berücksichtigt werden kann, dass für den schuldlos handelnden Schädiger Versicherungsschutz auf Grund einer Kfz-Pflichtversicherung besteht (BGHZ 127, 186, 192).

2. Die Klage scheitert entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht an der Verjährungseinrede des Beklagten.

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich der Zeitpunkt, in dem die Klageansprüche auf den Kläger übergegangen sind, nicht festlegen. Der Anspruchsübergang fand statt, als auf Grund konkreter Anhaltspunkte, auch für eine Bedürftigkeit der Geschädigten, mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ernsthaft zu rechnen war (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 1995 - VI ZR 271/94 - aaO). Die Feststellungen des Berufungsgerichts lassen nicht erkennen, ob sich - was nach der Schwere der Verletzungen naheliegt - schon von Anfang an mit Deutlichkeit abgezeichnet hat, dass die Verletzte auf Dauer ein Pflegefall sein werde, oder ob sich diese Erkenntnis erst in einem späteren Zeitpunkt durchgesetzt hat. Ist ersteres der Fall, dann sind die Klageansprüche von Anfang an auf den Kläger übergegangen mit der Folge, dass es für die Verjährung nach § 852 Abs. 1 BGB auf den Kenntnisstand und etwaige Versäumnisse der zuständigen Bediensteten des Sozialamts ankommt. Ist hingegen erst zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit ernsthaft hervorgetreten, dass die Verletzte auf Dauer ein Pflegefall sein wird, dann sind die Klageansprüche zunächst bei der Geschädigten verblieben. In diesem Fall kommt es für den die Verjährung nach § 852 Abs. 1 BGB auslösenden Kenntnisstand sowie die rechtliche Erheblichkeit von Aufklärungsversäumnissen auf die zuständigen Bediensteten des Kreisjugendamtes des Klägers als Pfleger an.

b) Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die zuständigen Bediensteten sowohl des Jugendamts als auch des Sozialamts eine den Lauf der Verjährung nach § 852 Abs. 1 BGB auslösende Kenntnis des Unfallhergangs zunächst nicht gehabt haben, dass den Bediensteten beider Ämter aber Aufklärungsversäumnisse unterlaufen sind mit der Folge, dass ihre Nicht-Kenntnis der Kenntnis gleichstehe, so dass die Verjährungsfrist bei Klageerhebung abgelaufen sei. Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Nach seiner Ansicht waren die Klageansprüche bei der Klageerhebung noch nicht verjährt, gleichgültig, ob die zuständigen Bediensteten des Jugendamtes oder des Sozialamtes die nach § 852 Abs. 1 BGB maßgeblichen Kenntnisträger gewesen sind, so dass dahingestellt bleiben kann, ob die Klageansprüche bereits im Zeitpunkt des Schadenseintritts oder zu einem späteren Zeitpunkt auf den Kläger übergegangen sind. Zwar trifft es - wie das Berufungsgericht ausführt - zu, dass nicht ausnahmslos nur die positive Kenntnis des maßgeblichen Kenntnisträgers von Schädiger, Schaden und Schädigungshandlung den Lauf der Verjährung auslöst. Der Senat ist jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der Auffassung, dass hier kein Sonderfall vorliegt, in dem das Nichtwissen der Kenntnis gleichsteht.

aa) Nach dem Wortlaut des § 852 Abs. 1 BGB setzt der Beginn der Verjährung deliktischer Schadensersatzansprüche die positive Kenntnis des Geschädigten von dem Schaden einschließlich des Schadenshergangs und dem Schädiger voraus. Allerdings hat der Senat § 852 Abs. 1 BGB auch dann angewandt, wenn der Geschädigte einen den Lauf der Verjährung auslösenden Kenntnisstand positiv nicht besessen, wohl aber die Möglichkeit gehabt hat, sich die erforderlichen Kenntnisse in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe zu beschaffen. Damit soll indes - dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folgend - nur dem Geschädigten die sonst bestehende Möglichkeit genommen werden, die Verjährungsfrist missbräuchlich dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließt. Der Senat hat stets mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass diese Rechtsprechung nicht in dem Sinne missverstanden werden darf, dass bereits eine - sei es auch grob fahrlässig - verschuldete Unkenntnis der vom Gesetz geforderten positiven Kenntnis gleichstehe; vielmehr betrifft diese Rechtsprechung nur die Fälle, in denen es der Geschädigte bzw. dessen gesetzlicher Vertreter versäumt, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen, und letztlich das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte (vgl. Senatsurteil vom 20. September 1994 - VI ZR 336/93 - NJW 1994, 3092, 3093 m.w.N.).

Das Berufungsgericht geht davon aus, dass der Mitarbeiter B. des Jugendamts des Klägers hinsichtlich des Unfallhergangs - insbesondere hinsichtlich der Erkennbarkeit der Glätte der Fahrbahn - nicht den für eine erfolgversprechende Klageerhebung erforderlichen Kenntnisstand gehabt hat, dass er aber die Wissenslücke durch eine Anforderung der Ermittlungsakten und Erkundigungen bei der Polizeibehörde hätte ausfüllen können. Mit diesen Anforderungen an die Aufklärungspflicht des Geschädigten bzw. seines gesetzlichen Vertreters geht das Berufungsgericht im Rahmen des § 852 Abs. 1 BGB zu weit. Insoweit kann eine Aktenüberprüfung bzw. Aktenauswertung mit dem Ziel einer Feststellung der Voraussetzungen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs von dem Geschädigten bzw. seinem gesetzlichen Vertreter nicht verlangt werden (vgl. Senatsurteile vom 16. Mai 1989 - VI ZR 251/88 - VersR 1989, 914 und vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93 - NJW 1995, 776, 778 für den Fall der Überprüfung von Krankenhausunterlagen). Ähnliches gilt für die Nachforschungen bei der Polizeibehörde. Es geht hier nicht um eine ohne nennenswerten Aufwand zu erledigende Erkundigung, wie etwa die Frage nach dem Namen eines Unfallbeteiligten, vielmehr hätte dem Mitarbeiter des Jugendamtes nur eine eingehende Mitteilung der Umstände des Unfalls und seines Ablaufs, insbesondere eine Schilderung der Witterungsverhältnisse und des Fahrbahnzustands, weitergeholfen. Bei dieser Sachlage vermag der Senat nicht die Auffassung des Berufungsgerichts zu teilen, es sei eine gleichsam auf der Hand liegende Erkundigungsmöglichkeit versäumt worden. Eine Wissenslücke, die nur durch lange und zeitraubende Telefonate geschlossen werden kann, steht einer positiven Kenntnis i. S. von § 852 Abs. 1 BGB nicht gleich (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 1987 - VI ZR 285/86 - VersR 1988, 465, 466).

bb) Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Senat die Auffassung des Berufungsgerichts, auch den Bediensteten des Sozialamts seien Aufklärungsversäumnisse anzulasten, so dass ihre mangelnde Kenntnis des Unfallablaufs ab Ende 1987 der Kenntnis gleichstehe, gleichfalls nicht teilt. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat nach der Anspruchsablehnung durch den Beklagten im Schreiben vom 14. Juli 1987 für das Sozialamt aller Anlass bestanden, die Haftungsfrage durch Einsichtnahme in die Ermittlungsakten näher abzuklären. Mit dieser Überlegung verkennt das Berufungsgericht, dass - wie oben ausgeführt - eine Wissenslücke, die nur durch eine wertende Aktenüberprüfung überbrückt werden kann, der von § 852 Abs. 1 BGB geforderten positiven Kenntnis nicht gleichsteht.


III.

Der Senat musste daher das Berufungsurteil aufheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

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