Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 04.03.1997 - VI ZR 243/95 - Zur sachlichen Kongruenz von Sozialhilfe und Jahresunterhalt aus Teilzeitarbeit

BGH v. 04.03.1997: Zur zeitlichen und sachlichen Kongruenz eines Erwerbseinkommens in nur einzelnen Monaten


Bezieht eine Person ihren gesamten Jahresunterhalt aus den Einkünften einer nur während einzelner Monate ausgeübten Erwerbstätigkeit (Weihnachtsbaumverkäufer, Saisonarbeiter), so kann sich die zeitliche Kongruenz auf das gesamte Jahr erstrecken, mit der Folge, daß jeder Monat dann mit 1/12 des Jahreseinkommens zu berücksichtigen ist, vgl. BGH (Urteil vom 04.03.1997 - VI ZR 243/95):
Hätte ein Geschädigter ohne den Unfall seinen Jahresunterhalt aus den Einkünften einer nur während einzelner Monate ausgeübten Erwerbstätigkeit bestritten, so kann die gesamte ihm wegen seiner unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit im betreffenden Jahr gezahlte Sozialhilfe seinem ersatzfähigen Verdienstausfall zeitlich und sachlich kongruent sein.


Siehe auch Forderungsübergang auf die Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger und Forderungsübergang im Schadensfall


Aus den Entscheidungsgründen:

"...Bei dem Verdienst, den der Kl. im Lauf von drei Monaten während eines Jahres erzielt hätte, kann es sich um ein Jahreseinkommen handeln, aus dem der Kl. seine Bedürfnisse während eines Jahres befriedigt hätte. In einem solchen Fall wäre die Verrechnung dieses Einkommens mit der während des Jahres insgesamt bezogenen Sozialhilfe im Hinblick auf die gegebene zeitliche Kongruenz rechtlich nicht zu beanstanden.

bb) Es ist aber auch denkbar, daß der Kl. seine Bedürfnisse aus dem Verdienst nur für die Dauer von drei Monaten eines Jahres hätte befriedigen können und zur Bestreitung seines Lebensunterhalts in der restlichen Zeit auf andere Quellen hätte zurückgreifen müssen. In diesem Fall könnte eine Verrechnung mit dem Jahresbetrag der erhaltenen Sozialhilfe wegen Fehlens der zeitlichen Kongruenz nicht, sondern nur mit einem dreimonatigen Anteil vorgenommen werden.

cc) Sollte es nach erneuter Verhandlung wieder zu einer Abrechnung auf Jahresbasis kommen, wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß einer jahresübergreifenden Berücksichtigung, wie dies im angefochtenen Urteil geschehen ist, der Grundsatz der zeitlichen Kongruenz der Sozialhilfeleistungen entgegensteht.

c) Für die Zukunft, d. h. für die Zeit vom Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, käme ein Anspruch auf Rentenzahlung für den während dreier Monate eines jeden Jahres entgehenden Verdienst ohne Berücksichtigung etwaiger Sozialhilfeverpflichtungen eines Sozialhilfeträgers in Betracht. Das ergibt sich aus dem in § 2 BSHG normierten Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe (vgl. dazu BGHZ 115, 228 [230] = VersR 1991, 1417; 131, 274 [281] = VersR 1996, 349 [350]). Dieser Grundsatz bedeutet, daß Sozialhilfe erst dann zu leisten ist, wenn der Betreffende sich nicht selbst helfen kann. Hat der Geschädigte einen titulierten Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger, so muß er, bevor er Sozialhilfe in Anspruch nehmen kann, zunächst diesen Anspruch zur Deckung seines Bedarfs verwirklichen (BGHZ 131, 274 = VersR 1996, 349 m. w. N.; Senat vom 9. 7. 1996 - VI ZR 5/95 - VersR 1996, 1258). Demgemäß müßte auch der Kl. in der Zukunft, in der Sozialhilfeleistungen noch nicht erbracht sind, zunächst seinen Lebensbedarf aus der Schadensersatzforderung gegen die Bekl. decken. Aus diesem Grund müßten ihm Rentenbeträge, auf die er für entgehende Verdienste in der Zukunft Anspruch hat, ohne jede Berücksichtigung etwaiger Sozialhilfe zuerkannt werden. ..."