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OLG Hamburg Urteil vom 07.08.1987 - 14 U 136/86 - Der Fahrzeugführer haftet auch auf immateriellen Ersatz bei fehlendem Unabwendbarkeitsbeweis aus vermutetem Verschulden gem. § 18 StVG

OLG Hamburg v. 07.08.1987: Der Fahrzeugführer haftet auch auf immateriellen Ersatz bei fehlendem Unabwendbarkeitsbeweis aus vermutetem Verschulden gem. § 18 StVG


Das OLG Hamburg (Urteil vom 07.08.1987 - 14 U 136/86) hat entschieden:
  1. Wird ein Kind im Straßenverkehr von einem Pkw angefahren, so hat der Pkw-Fahrer bei unklarem Unfallhergang 40% des materiellen Schadens zu tragen, wenn ihm einerseits ein Verschulden an dem Unfall nicht nachgewiesen werden kann, andererseits es ihm aber nicht möglich ist, den Entlastungsbeweis des StVG § 7 Abs 2 zu führen.

  2. Die Kosten für die Beratung einer ärztlichen Kapazität im Ausland gehören je nach den Umständen des Einzelfalls zu dem zu ersetzenden Gesundheitsschaden.

  3. Ist von einem ungeklärten Unfallverlauf auszugehen, weil unklar ist, ob es dem Pkw-Fahrer bei der gebotenen Aufmerksamkeit möglich gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden, so ist ihm der Beweis eine verkehrsgerechten Verhaltens nicht gelungen.

Siehe auch Haftung des Fahrzeugführers


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Dem Kl. steht gem. §§ 7, 9, 11, 18 StVG, 254 BGB, 3 Nr. 1 und 2 PflVG gegen die Bekl. ein Anspruch auf 40 % seines materiellen Schadens zu.

Dem Kl. ist nicht der Beweis gelungen, daß den Bekl. zu (3) ein Verschulden an dem Unfallgeschehen trifft (wird ausgeführt).

Andererseits ist den Bekl. zu (1) und (2) nicht der Entlastungsbeweis des § 7 Abs. 2 StVG gelungen.


Es ist nicht auszuschließen, daß der Kl. für den Bekl. zu (3) so frühzeitig erkennbar gewesen ist, daß er durch Abwehrmaßnahmen, wie z. B. scharfes Bremsen und Hupen, den Unfall hätte vermeiden können. Geht man allerdings von dem Vorbringen der Bekl. aus, daß der Kl. für den Bekl. zu (3) erst sichtbar geworden ist, als er zwischen den parkenden Fahrzeugen hindurch auf die Fahrbahn gelaufen ist, dann liegt die Annahme nahe, daß dem Bekl. zu (3) eine Abwehrreaktion überhaupt nicht mehr möglich gewesen ist. Diese Annahme ist jedoch mit den Beobachtungen des Zeugen B. unvereinbar, es sei dem Bekl. zu (3) noch gelungen, dem herannahenden Kl. nach links auszuweichen... Diese Bekundungen des Zeugen B., denen die Bekl. nicht entgegengetreten sind, deuten darauf hin, daß der Bekl. zu (3) den Kl. früher bemerkt hat, sei es, daß er ihn schon zwischen den parkenden Fahrzeugen erblickt hat, sei es, daß der Kl. eben nicht in ununterbrochenem Laufschritt zwischen diesen Fahrzeugen herausgekommen ist...

Da offengeblieben ist, aus welcher Entfernung der Bekl. zu (3) den Kl. bemerkt hat, ist auch die Verschuldensvermutung des § 18 Abs. 1 S. 2 StVG nicht ausgeräumt.

Neben einem Bremsmanöver ist in der damaligen Situation für den Bekl. zu (3) besonders die Warnung des Kl. durch Hupen geboten gewesen. Es ist durchaus möglich, daß der Kl. hierauf durch Stehenbleiben reagiert hätte und der Unfall daher vermieden worden wäre.

Auf der Grundlage der Haftung gem. § 7 Abs. 1 StVG beanstanden die Bekl. ohne Erfolg die vom LG ermittelte Haftungsquote von 60:40. Zwar wird bei der Abwägung von Betriebsgefahr und - grobem - Verschulden des Fußgängers gem. § 9 StVG im allgemeinen die Betriebsgefahr nur mit 30 % zu bewerten sein. Hier ist aber dem Umstand Rechnung zu tragen, daß das Mitverschulden eines Neunjährigen geringer als das eines Erwachsenen anzusetzen ist (vgl. BGH VersR 53, 27 = VRS 5, 4 (5); Jagusch, Straßenverkehrsrecht 29. Aufl. § 9 StVG Rdn. 12; Grunsky in Münch. Komm. zum BGB 2. Aufl. § 254 Rdn. (61). ...

Mit Recht hat das LG die von den Bekl. bekämpfte Haftung der Bekl. zu (1) und (2) für den immateriellen Schaden des Kl. gem. § 847 BGB bejaht. Eine Entlastung nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB ist der Bekl. zu (2) nicht möglich. Es ist den Bekl. aber auch nicht der Beweis gelungen, daß der Bekl. zu (3) sich verkehrsgerecht verhalten hat (vgl. zu dieser Entlastung BGHZ 24, 21 (22, (29) = VersR 57, 288 (290). Es ist von einem letztlich nicht geklärten Unfallverlauf auszugehen, weil offengeblieben ist, ob es dem Bekl. zu (3) bei der gebotenen Aufmerksamkeit nicht möglich gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden. Die von den Bekl. aufgeworfene Frage, ob an den Nachweis des verkehrsrichtigen Verhaltens geringere Anforderungen zu stellen sind als an den Unabwendbarkeitsbeweis nach § 7 Abs. 2 StVG, wie die Bekl. in ihrer Berufungsrechtfertigung ausführen, bedarf hier keiner abschließenden Erörterung. ..."