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OVG Weimar Beschluss vom 24.02.2005 - 2 EO 1087/03 - Vertrauensschutz und Rücknahme einer Fahrerlaubnis

OVG Weimar v. 24.02.2005: Vertrauensschutz und Rücknahme einer Fahrerlaubnis


Das OVG Weimar (Beschluss vom 24.02.2005 - 2 EO 1087/03) hat entschieden:
Will die Behörde eine nach der Eintragung im Führerschein unbeschränkt erteilte Fahrerlaubnis zurücknehmen, hat sie den Nachweis zu erbringen, dass nur eine mit Auflagen bzw. Einschränkungen versehene Fahrerlaubnis erteilt wurde. Durch die Aushändigung eines fehlerhaft ohne Einschränkungen ausgestellten Ersatzführerscheins wird grundsätzlich keine unbeschränkte Fahrerlaubnis erteilt.


Siehe auch Fahrerlaubnis - Führerschein


Zum Sachverhalt: Die Beteiligten stritten im vorläufigen Rechtsschutzverfahren über die Rechtmäßigkeit einer teilweisen Rücknahme der dem Antragsteller ausweislich seines Führerscheins erteilten Fahrerlaubnis.

Der Antragsteller erwarb am 13. April 1971 eine durch den damaligen Landkreis Köln erteilte Fahrerlaubnis. Der nunmehr in seinem Besitz befindliche, am 14. April 1987 als Ersatz von der Stadt Mainz ausgestellte Führerschein weist aus, dass er die Fahrerlaubnis der Klasse 3 besitzt. Beschränkungen benennt der Führerschein nicht.

Im November 2002 beantragte der Antragsteller den Umtausch seines Führerscheins in einen neuen EU-Führerschein. Im Rahmen dieses - später vom Antragsteller nicht weiter verfolgten - Verfahrens übermittelte die Stadt Mainz und der Erftkreis der Antragsgegnerin Dateiabschriften aus den jeweiligen Fahrerlaubnisregistern, in denen vermerkt war, dass dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 mit der Auflage "die auftragsgemäße Personenbeförderung ist unzulässig, Klasse 3 gilt nur für Kfz. bis 3.500 kg zul. Gesamtgewicht" erteilt worden sei. Der Antragsteller gab hingegen im Anhörungsverfahren an, in den ihm ausgehändigten Führerscheinen sei eine solche Beschränkung nicht enthalten gewesen und sie sei ihm auch nicht erinnerlich. Er habe in den vergangenen Jahren auch Fahrzeuge mit mehr als 3,5 t Gesamtgewicht geführt, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei.

Die Antragsgegnerin nahm nach vorangegangener Anhörung des Antragstellers mit Bescheid vom 15. September 2003 den "rechtswidrig erteilten Teil der Fahrerlaubnis" des Antragstellers "im Inhalt der heutigen Klassen C1 und C1E mit Wirkung vom 14. April 1987" zurück, ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an und forderte den Antragsteller auf, ihr binnen 7 Tagen nach Zustellung des Bescheides den bisherigen Führerschein zu übersenden oder abzugeben.

Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, die 1987 mit Aushändigung des Führerscheines erteilte unbeschränkte Fahrerlaubnis der Klasse 3 sei fehlerhaft. Aufgrund der Registerauszüge und ergänzender Mitteilung der damaligen Fahrerlaubnisbehörde sei erwiesen, dass 1971 wahrscheinlich aufgrund einer Einschränkung des Sehvermögens die Fahrerlaubnis der Klasse 3 mit der Beschränkung auf das Führen von Kraftfahrzeugen bis zu 3,5 t zulässigen Gesamtgewicht erteilt worden sei. Die Beweislast einer unbeschränkten Fahrerlaubniserteilung träfe den Antragsteller, bei dem im Übrigen von einer Kenntnis der Beschränkung auszugehen sei.

Gegen diesen ihm am 18. September 2003 zugestellten Bescheid legte der Antragsteller am 22. September 2003 Widerspruch ein. Noch am gleichen Tage hat er beim Verwaltungsgericht Weimar um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Mit Beschluss vom 16. Oktober 2003 hat das Verwaltungsgericht Weimar den Antrag abgelehnt.

Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Antragstellers, die Erfolg hatte.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht den vorläufigen Rechtsschutzantrag abgelehnt.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 4, 147 VwGO). Sie genügt den besonderen Begründungsanforderungen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). So hat der Antragsteller Gründe dargelegt, aus denen nach seiner Auffassung die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist.

Die Beschwerde ist auch begründet. Mit seinem Beschwerdevorbringen - nur dies ist zunächst Gegenstand der Prüfung im Rechtsmittelverfahren (§ 146 Abs. 4 S. 4 VwGO) - zeigt der Antragsteller solche Gründe auf, aus denen die Entscheidung abzuändern ist.

Der vom Antragsteller begehrte Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. September 2003 hat in der Sache Erfolg.

Eine ähnliche Interessensabwägung wie die Verwaltungsbehörde zur Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zu treffen hat, hat das Gericht anzustellen, wenn es im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung angerufen wird. Einem solchen vorläufigen Rechtsschutzantrag ist stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt, gegen den Widerspruch erhoben wurde, offensichtlich rechtswidrig ist. In einem solchen Fall kann regelmäßig kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bestehen. Dagegen ist der Rechtsschutzantrag grundsätzlich abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Sind die Erfolgsaussichten dagegen offen, hat das Gericht eine eigenständige, sorgsame Abwägung aller im Streit stehenden Interessen vorzunehmen und zu prüfen, welchem Interesse für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt.

Die vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gewonnene Feststellung, dass die angefochtene Entscheidung offensichtlich rechtmäßig sei, ist unzutreffend. Dies folgt bereits aus dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers. Es lässt sich derzeit nicht hinreichend sicher nachweisen, dass die unbeschränkte Fahrerlaubnis der Klasse 3, die nach Ansicht der Antragsgegnerin durch Aushändigung des Führerscheins am 14. April 1987 dem Antragsteller erteilt wurde und die sie auf Grundlage des § 48 Abs. 1 ThürVwVfG zurücknehmen will, rechtswidrig war. Es spricht einiges dagegen.

Zunächst gilt, dass hinsichtlich der das Merkmal der Rechtswidrigkeit tragenden Tatsachen keine Beweislast zu Lasten des Antragstellers besteht. Das Verwaltungsgericht hat seiner gegenteiligen Auffassung wohl die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Fällen eines Verpflichtungsbegehrens auf Erteilung einer Fahrerlaubnis, nämlich der Umschreibung einer ausländischen in eine inländische Fahrerlaubnis, zu Grunde gelegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 1994 - 11 C 60/92 -, DVBl. 1994, 1192). Damit verkennt jedoch das Verwaltungsgericht, dass diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sind. Die Beweislast im Falle des Verpflichtungsbegehrens folgt daraus, dass die Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen zu Lasten dessen geht, der daraus für sich günstige Rechtsfolgen herleitet, sofern nicht das materielle Recht eine andere Verteilung der Beweislast vorsieht. Im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsaktes ergibt sich aber, dass grundsätzlich die Behörde den Nachweis der Voraussetzungen der Eingriffsnorm zu erbringen hat. Nicht der Inhaber der Fahrerlaubnis hat nachzuweisen, dass er diese nicht rechtswidrig erworben hat, sondern es gilt im Falle der Anfechtung der Rücknahmeentscheidung weiterhin, dass die Behörde etwaige Rücknahmegründe auf der Grundlage eines möglicherweise rechtswidrigen Ausgangsbescheides nachzuweisen hat.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich derzeit im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach der allein möglichen summarischen Tatsachenprüfung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass 1987 die unbeschränkte Eintragung der Klasse 3 im Führerschein des Antragstellers fehlerhaft war, weil ihm möglicherweise 1971 lediglich eine beschränkte Fahrerlaubnis der Klasse 3 erteilt wurde. Zwar sprechen für eine solche Beschränkung die Eintragungen im Fahrerlaubnisregister der Stadt Mainz und des Erftkreises. Jedoch wird der Beweiswert der Registerauszüge durch den vorliegenden Führerschein in Frage gestellt. Der Führerschein selbst ist eine öffentliche Urkunde, die amtlich den Umfang der erteilten Fahrerlaubnisse bescheinigt (vgl. § 2 Abs. 1 StVG, § 4 Abs. 2 FeV). Es stehen sich also der Erklärungswert zweier öffentlicher Dokumente gegenüber, ohne dass erwiesen ist, dass dem Registereintrag ein stärkerer Beweiswert zukommt. Es ist bislang unbeachtet geblieben, dass die vorgelegten EDV-Auszüge wohl noch nicht Grundlage der 1987 erfolgten Führerscheinausgabe waren, sondern erst nach diesem Zeitpunkt aus vorhandenen anderweitigen Registern erstellt wurden. Ein Übertragungsfehler ist nicht auszuschließen. So fällt nach Aktenlage auf, dass die beschränkenden Eintragungen im Fahrerlaubnisregister der Stadt Mainz zunächst nur handschriftlich und erst später maschinenschriftlich in die Datei eingefügt wurden. Es wurde bislang von der Antragsgegnerin zur Richtigkeit der Registereinträge auch nicht ermittelt, ob diese mit den Einträgen im Zentralen Fahrerlaubnisregister übereinstimmen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin bislang die Daten mit dem Inhalt der wohl beim Erftkreis auf Mikrofiche verfilmten Führerscheinakte des Antragstellers nicht abgeglichen. Darüber hinaus sind keine über das Register hinausgehende Anhaltspunkte für eine Falschbeurkundung im Rahmen der Ausfertigung des Führerscheins 1987 benannt. Konkret hierzu fehlt eine Äußerung der zuständigen Stellen der Stadt Mainz. Soweit die Antragsgegnerin meint, der 1971 ausgestellte Führerschein habe die Beschränkung enthalten, ist auch dies bislang zur Überzeugung des Gerichts nicht nachgewiesen. Dem steht insofern der schlüssige Vortrag des Antragstellers entgegen. In der Tat spricht gegen eine Beschränkung zumindest der Umstand, dass ein Anlass für eine 1971 erteilte Beschränkung jedenfalls nach den vorgetragenen Tatsachen nicht erkennbar ist. Soweit die Antragsgegnerin Sehbehinderungen des Antragstellers hierfür anführt, handelt es sich um bloße Mutmaßungen, ohne dass diese belegt sind.

Weiterhin macht der Antragsteller zu Recht geltend, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat, ob die von ihr angenommene ursprüngliche Fehlerhaftigkeit des 1987 ausgestellten Führerscheins nunmehr überholt ist. Dabei gilt grundsätzlich, dass, wenn ein Verwaltungsakt rechtswidrig war und die Regelung durch eine Änderung der Sach- und Rechtslage später aber rechtmäßig wird, die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ermessensfehlerhaft wäre (vgl. nur Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., 1998, § 48 Rz. 74 m. w. N.). Ohne dass dies hier abschließend zu beurteilen ist, spricht einiges dafür, dass durch die Streichung der Beschränkung im Fahrerlaubnisregister durch die Stadt Mainz - ungeachtet der Frage nach deren Zuständigkeit - der im Führerschein dokumentierte Umfang der erteilten Fahrerlaubnisse mit den im Fahrerlaubnisregister enthaltenen Eintragungen nunmehr übereinstimmt und zumindest jetzt nicht mehr fehlerhaft ist.

Darüber hinaus weist der Senat auf Folgendes für das weitere Verfahren hin: Es ist bereits zweifelhaft, ob die Annahme der Antragsgegnerin, dem Antragsteller sei 1987 durch Aushändigung des Ersatzführerscheins mit einer von ihr unterstellten Falscheintragung eine entsprechende Fahrerlaubnis zu Unrecht erteilt worden, die sie nun nach § 48 ThürVwVfG zurücknehmen müsse, zutreffend ist. Eine Fahrerlaubnis wird durch die Aushändigung eines inhaltlich falschen Ersatzführerscheins nicht ohne weiteres erteilt.

Die Antragsgegnerin verkennt insofern grundlegend, dass die Erteilung der Fahrerlaubnis von der Erstellung und Aushändigung des Führerscheins zu trennen ist (§ 2 Abs. 1 StVG). Während die Fahrerlaubnis als solches das Recht beinhaltet, auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug zu führen, dient der Führerschein als amtliche Bescheinigung dem Nachweis dieser Erlaubnis. Der Führerschein ist also eine amtliche Urkunde, die die Fahrerlaubnis dokumentiert (vgl. auch § 4 Abs. 2 FeV). Von dieser Trennung gehen ersichtlich auch die straßenverkehrsrechtlichen Regelungen aus. So ist sowohl nach den strafrechtlichen Bestimmungen als auch nach den straßenverkehrsgesetzlichen Bestimmungen die Entziehung der Fahrerlaubnis von der Einziehung des Führerscheins zu unterscheiden (z. B. § 69 Abs. 3 StGB, § 3 Abs. 2 StVG; vgl. insgesamt auch BGH, Urteil vom 24.10.1990 - 3 StR 196/90 -, NJW 1991, 576).

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Fahrerlaubnis regelmäßig durch die Aushändigung des Führerscheins erteilt wird (§ 22 Abs. 3 und 4 FeV). Denn es gilt nicht umgekehrt, dass "jede" Aushändigung "irgendeines" Führerscheins eine Fahrerlaubnis beinhaltet. Zwar wird durch die Aushändigung des Erstführerscheins der Inhalt der Fahrerlaubnis bekannt gemacht und mit diesem Inhalt nach außen wirksam. Dies kann aber nicht ohne weiteres für die Ausstellung des Ersatzführerscheins gelten, dem mangels Regelungscharakter grundsätzlich die Verwaltungsaktqualität fehlt. Weder wird durch die Aushändigung einer solchen Zweiturkunde die bestehende Fahrerlaubnis erneut erteilt noch kann angenommen werden, dass - wie möglicherweise hier - im Falle einer Falscheintragung die Fahrerlaubnisbehörde einen Regelungswillen besitzt, die fehlerhaft eingetragene Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit der Ausstellung eines Ersatzführerscheines will sie regelmäßig nur den Bestand der vorhandenen Fahrerlaubnisse amtlich nachweisen. Im Fall einer Falscheintragung im Ersatzführerschein kommt somit nicht die Rücknahme einer Fahrerlaubnis in Betracht; die Fahrerlaubnisbehörde kann sich vielmehr zur Berichtigung den Führerschein in entsprechender Anwendung der speziellen gesetzlichen Regelung des § 47 Abs. 1 FeV oder der allgemeinen verwaltungsverfahrensgesetzlichen Bestimmung des § 52 ThürVwVfG vorlegen lassen.

Sprechen somit mehr Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit. Dem stehen in diesem Fall auch keine ansonsten in fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren regelmäßig zu beachtenden Interessen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs entgegen. Zum einen kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller unberechtigt in Besitz einer unbeschränkten Fahrerlaubnis ist, zum anderen hat er durch Vorlage augenärztlicher Gutachten, die die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Mainz anerkannt hat, möglicherweise bestehende Zweifel an seiner Tauglichkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen mit mehr als 3,5 t zulässigen Gesamtgewicht ausgeräumt. ..."





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