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OLG Karlsruhe Beschluss vom 28.11.2006 - 2 Ss 78/06 - Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich des Vorsatzes beim Fahren ohne Fahrerlaubnis

OLG Karlsruhe v. 28.11.2006: Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich des Vorsatzes beim Fahren ohne Fahrerlaubnis, wenn der Angeklagte sich nach Ablehnung seiner Anträge auf Erteilung einer Fahrerlaubnis einen Fantasie-Führerschein ("Führerschein Deutsches Reich") beschafft hatte.


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 28.11.2006 - 2 Ss 78/06) hat entschieden:
Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich des Vorsatzes beim Fahren ohne Fahrerlaubnis, wenn der Angeklagte sich nach Ablehnung seiner Anträge auf Erteilung einer Fahrerlaubnis einen Fantasie-Führerschein ("Führerschein Deutsches Reich") beschafft hatte.


Siehe auch Fahren ohne Fahrerlaubnis


Zum Sachverhalt: Mit Urteil vom 19. April 2005 hat das Amtsgericht W.-T. den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen im Zeitraum von Dezember 2004 bis Februar 2005 zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt.

Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Landgericht W.-T. die Berufung des Angeklagten gegen das erstinstanzliche Urteil mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt wurde.

Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beanstandet.

Das von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Rechtsmittel hat in der Sache vorläufigen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Nach den Feststellungen des Amtsgerichts W.-T., auf die das Landgericht in zulässiger Weise Bezug genommen hat, hat der Angeklagte jeweils mit einem PKW am 16.12.2004, am 22.1.2005 und am 15.2.2005 am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen, obwohl er nicht die erforderliche Fahrerlaubnis besaß.

Unter Berücksichtigung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ verurteilte das Landgericht den Angeklagten jedoch nur wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen; die Einlassung des Angeklagten, er habe auf die Echtheit und Richtigkeit des ihm gegen Zahlung einer Gebühr übersandten Führerscheins „Deutsches Reich“ vertraut und geglaubt, er dürfe nunmehr, obwohl ihm durch ein früheres Gerichtsurteil die Fahrerlaubnis entzogen und die Neuerteilung der Fahrerlaubnis durch das Landratsamt Waldshut abgelehnt worden war, aufgrund dieses ihm zugesandten Führerscheins wieder Auto fahren, sei nicht zu widerlegen.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat den aus dem Tenor ersichtlichen - vorläufigen - Erfolg. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Revisionsgericht ist aufgrund der dem Tatrichter zugewiesenen Aufgabe, das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, nur in beschränktem Maße befugt, die Überzeugungsbildung des Tatrichters nachzuprüfen; dieser hat ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann ( BGH StV 1983, 267 ). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich daher nur darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt werden ( BGH NStZ 1982, 478 , 479; BGH NStZ 1983, 277 , 278; BGH NStZ-RR 2005, 147).

Vorliegend hat das Tatgericht die Anforderungen an die zur Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erforderliche Gewissheit deutlich überspannt:

Voraussetzung dafür, dass sich der Tatrichter vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts oder eines Umstandes überzeugt, ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und darum von niemandem anzweifelbare Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht aufkommen lässt ( BGH NStZ 1985, 15 Nr. 17; BGHR § 261 StPO Überzeugungsbildung 22; BGHR § 261 StPO Beweiswürdigung 5; BGH NStZ-RR 2005, 149 ). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung auch dann, wenn, wie im vorliegenden Falle, eine nach den Feststellungen nahe liegende Schlussfolgerung nicht gezogen wird, ohne dass konkrete Gründe aufgeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten (BGH NStZ-RR a.a.O.). Vernünftige, mithin rational nachvollziehbare, Zweifel daran, dass der Angeklagte bei allen Fahrten wusste, dass er nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

Das Landgericht hat festgestellt: Der durchschnittlich intelligente, sich regelmäßig aus den Medien (u.a. ARD-Tagesschau, Tageszeitung) über die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik informierende Angeklagte hatte bis zum Jahre 1998 den Beruf eines Kraftfahrers ausgeübt. 1998 verlor er die Fahrerlaubnis wegen Alkoholmissbrauchs. In den Jahren 1999, 2000, 2001 und 2002 stellte er beim Landratsamt W. insgesamt vier Anträge auf die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, die alle erfolglos blieben. Seine schließlich vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage auf Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis wurde im November 2003 abgewiesen. Ferner stellt das Landgericht in Zusammenhang mit seiner Bezugnahme auf die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen fest (UA 6): „Insbesondere hat der Angeklagte auch zugegeben, dass er aufgrund der jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Landratsamt, die letztlich mit der Abweisung seiner Klage endete, keine konkreten Chancen mehr gesehen hatte, in absehbarer Zeit eine neue Fahrerlaubnis durch dieses Amt erteilt zu bekommen.“

Nach diesen Feststellungen drängte sich der Schluss auf, dass der Angeklagte wusste, dass er keine Fahrerlaubnis hatte, und ihm außerdem bekannt war, welche Behörde für ihre Erteilung zuständig war und welche Voraussetzungen - Bestehen der medizinisch-psychologischen Eignungsprüfung - er für ihren Erhalt hätte erfüllen müssen, dass er mithin vorsätzlich handelte.

Der Senat vermag anhand der Beweiswürdigung nicht nachzuvollziehen, dass dem Angeklagten dieses Wissen dadurch abhanden gekommen sein könnte, dass er sich im Sommer 2004 gegen Zahlung von 50 Euro von einem so genannten „Reichspräsidenten“ erst einen und später nach dessen Beschlagnahme noch einen weiteren „Führerschein Deutsches Reich“ geben ließ. Hierbei handelte es sich, wie das Landgericht treffend anmerkt, um „Fantasieprodukte“ und um „auf der Hand liegenden Unsinn“ (UA 11). Dass der Angeklagte dennoch geglaubt haben soll, diese Dokumente hätten ihn zur Teilnahme am Straßenverkehr berechtigt, weil er einfach strukturiert und „offensichtlich und eindeutig von bestimmten politischen Kreisen verführt und indoktriniert“ sei, ist eine in den Urteilsgründen nicht mit Tatsachen belegte Vermutung des Landgerichts; aus dem Urteil ergibt sich lediglich ein Besuch des Angeklagten bei einer Veranstaltung, bei der der „Reichspräsident“ in Erscheinung getreten war. Weitere tatsächliche Belege für eine „Indoktrination“ des Angeklagten enthält das Urteil nicht. Es ist aber weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte dargetan sind (z. B. BGH NJW 2005, 1727 ).

Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben. Der Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen bedarf somit erneuter tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung. ..."



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