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OLG Köln Urteil vom 19.03.1991 - Ss 63/91 - Zur konkreten Gefährdung eines Beifahrers

OLG Köln v. 19.03.1991: Der Beifahrer eines fahruntüchtigen Fahrzeugführers wird nicht allein durch die bloße Mitnahme konkret gefährdet


Das OLG Köln (Urteil vom 19.03.1991 - Ss 63/91) hat zur Annahme einer konkreten Gefahr für den Beifahrer eines betrunkenen Fahrzeugführers entschieden:
Der Beifahrer eines fahruntüchtigen Fahrzeugführers wird nicht allein durch die bloße Mitnahme konkret gefährdet.


Siehe auch Abstrakte und konkrete Gefährdung - Gefährdung des Beifahrers


Zum Sachverhalt: Das AG hat die Angekl. wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr - BAK 2,12 Prom. - (§ 316 I StGB) verurteilt.

Das AG hat seine Auffassung, wonach sich die Angekl. abweichend von der Anklageschrift nicht wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c I Nr. 1 a StGB), sondern nur wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (§ 316 I StGB) strafbar gemacht habe, damit begründet, dass die Angekl. das in dem Pkw mitfahrende Kind keiner konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt habe, weil ein Fahrfehler nicht festgestellt worden sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... B. Die Revision der StA hat keinen Erfolg.

Mit Recht hat das AG die Angekl. nicht wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315e I Nr. 1 a StGB) verurteilt. Nach dieser Vorschrift kann der alkoholbedingt fahruntüchtige Täter nur bestraft werden, wenn durch das Fahrzeugführen Leib und Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden. Hierzu reicht die allgemeine Gefährlichkeit des Fahrzeugführens im Zustand der Fahruntüchtigkeit nicht aus. Vielmehr verlangt § 315 c StGB den Eintritt einer konkreten Gefahr (vgl. Rüth, in: LK, 10. Aufl., Rdnr. 1; Cramer, in: Schönke/ Schröder, StGB, 23. Aufl., Rdnr. 2; Dreher/Tröndle, StGB, 45. Aufl., Rdnr. 2; Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 31. Aufl., Rdnr. 3; alle zu § 315c StGB; Hentschel/Born, Trunkenheit im Straßenverkehr, 5. Aufl., Rdnr. 80).

Eine konkrete „Gefahr” ist gegeben, wenn der Eintritt eines Schadens wahrscheinlicher ist als sein Ausbleiben (vgl. BGHSt 13, 66 [70]). Erforderlich ist eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung im Einzelfall zu beurteilende naheliegende Gefahr, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall hindeutet (BGHSt 18, 271 [272]). Die Sicherheit einer bestimmten Person oder eines bestimmten Sachwerts muss mit anderen Worten so stark beeinträchtigt sein, dass es letztlich nur vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht (vgl. BGH, VRS 69, 125 [127]; NStZ 1985, 263).

Die Frage, ob ein fahruntüchtiger Fahrzeugführer seinen Beifahrer allein durch die bloße Mitnahme konkret gefährdet, ist umstritten.

Der BGH hat sich hierzu in Form von „obiter dicta” mehrfach geäußert. In einer Entscheidung vom 25. 10. 1984 (VRS 68, 116 MDR 1985, 245 = NStZ 1985, 263 [264] = JR 1985, 433 [434]), bei der es darum ging, ob die Inbetriebnahme eines Kfz ohne wirksame Fußbremse eine konkrete Gefährdung für den betroffenen Fahrer darstelle, hat der BGH unter Hinweis auf frühere Entscheidungen (BGHSt 6, 100 [103]; 27, 40 [43]) die - in jenem Fall nicht entscheidungserhebliche - Erwägung angestellt, auch ein (nicht tatbeteiligter) Insasse eines Fahrzeugs, das von einem fahruntüchtigen Fahrer gelenkt werde, sei nicht erst dann im Sinne des § 315c StGB konkret gefährdet, wenn dieses Fahrzeug tatsächlich in eine gefährliche Verkehrssituation gerate, sondern schon dadurch, dass er in einem Fahrzeug am Verkehr teilnehme, das von einem Führer in „ungeeignetem Zustand” gelenkt werde, gleichgültig, welche Gefahrensituation dieser zu meistern oder zufällig nicht zu bewältigen habe.

In einer weiteren Entscheidung vom 20. 10. 1988 (VRS 76, 194 = NZV 1989, 31 = DAR 1989, 32 = MDR 1989, 173 = NJW 1989, 1227 = NStZ 1989, 73) hat der BGH diese Ansicht dem Grundsatz nach bestätigt und gegen Einwände des BayObLG verteidigt. Jedoch hält er Ausnahmen für denkbar und lässt auch offen, ob und inwieweit sich die für den Mitfahrer bestehende konkrete Gefahr indiziell nach außen gezeigt haben müsse (vgl. Geppert, NStZ 1985, 265).

Das BayObLG hat sich demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, die Insassen eines Kfz seien nicht schon deshalb konkret gefährdet, weil der Führer dieses Fahrzeugs infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig gewesen sei (BayObLGSt 1988, 76 = VRS 75, 205 = NZV 1988, 70). An dieser Auffassung hat es auch nach der zuletzt genannten Entscheidung des BGH (aaO) festgehalten (BayObLG, NZV 1989, 479 = NJW 1990, 133 = VRS 78, 44 = DAR 1990, 70 = BA 1990, 132). Zur Begründung wird in erster Linie angeführt, dass sich ansonsten die begriffliche Abgrenzung zwischen abstrakter und konkreter Gefahr auflöse. Die Fahruntüchtigkeit des Fahrers als das für § 316 StGB konstitutive abstrakte Gefährdungsmerkmal könne und dürfe nicht zugleich die dem einzelnen drohende konkrete Gefahr ausmachen. Deshalb schaffe die bloße Mitnahme eines Beifahrers noch keine unmittelbare Gefährdung seiner Person; sie müsse vielmehr durch weitere Anzeichen festgestellt werden.

Im Schrifttum wird, soweit ersichtlich, die Ansicht des BayObLG für zutreffend gehalten (vgl. Jagusch/Hentschel, § 315 c StGB Rdnr. 3; Hentschel/Born, Rdnr. 380; Geppert, NStZ 1985, 265; Hentschel, JR 1985, 434; Janiszewski, NStZ 1985, 257; Berz, NZV 1989, 414; Cramer, in: Schönke/Schröder, § 315 c Rdnr. 29 a; Puhm, Strafbarkeit gemäß § 315c StGB bei Gefährdung des Mitfahrers, Diss. 1990; jew. m.w.Nachw.).

Auch der Senat hat bereits in einem Urteil vom 25. 9. 1990 (Ss 418/ 90) ausgeführt, dass er dazu neige, sich im Ergebnis der Auffassung des BayObLG anzuschließen.

Die vom BayObLG und im Schrifttum vertretene Auffassung ist zumindest für den Regelfall vorzuziehen. Der Standpunkt des BGH, dass ein fahruntüchtiger Fahrzeugführer seinen Beifahrer allein durch die bloße Mitnahme konkret gefährde, führt dagegen nicht zu folgerichtigen und überzeugenden Ergebnissen. Den vom BayObLG geäußerten Bedenken, dass hiernach auch alle Kfz und ihre Insassen, die dem vom alkoholbedingt fahruntüchtigen Fahrzeugführer gelenkten Kfz entgegenkommen oder von diesem überholt werden, ebenso aber auch alle parkenden Fahrzeuge, an denen der Weg dieses Fahrzeugs vorbeiführt, und alle Fußgänger gefährdet wären, hat der BGH in der Entscheidung vom 20. 10. 1988 (aaO [NZV 1989, 31]) entgegengehalten, der Mitfahrer werde in ganz anderer, stärkerer Weise gefährdet als sonstige Verkehrsteilnehmer. Da ein fahruntüchtiger Kraftfahrer in seiner Gesamtleistungsfähigkeit so vermindert sei, dass er nicht mehr fähig sei, sein Fahrzeug im Straßenverkehr „eine längere Strecke”, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern, bestehe eine konkrete Gefährdung des Fahrzeuginsassen regelmäßig selbst dann, wenn es nicht zu einer gefährlichen Begegnung mit anderen Verkehrsteilnehmern, geparkten Autos oder sonstigen Gegenständen komme. Den Unterschied in der Qualität der Gefährdung sieht der BGH somit letztlich im Zeitmoment, weil er offensichtlich davon ausgeht, dass sich sonstige Verkehrsteilnehmer (z. B. Gegenverkehr, parkende Fahrzeuge, Fußgänger) im allgemeinen nur ganz kurze Zeit im Gefahrenbereich befänden, während der Mitfahrer der von einem betrunkenen Fahrzeugführer ausgehenden Gefahr im Regelfall eine längere Zeitspanne ausgesetzt sei.

Das Zeitkriterium erscheint indes nicht geeignet, die abstrakte Gefahr von der konkreten abzugrenzen. Es können nämlich auch außerhalb des Fahrzeugs befindliche Verkehrsteilnehmer und Sachen von bedeutendem Wert durchaus über eine längere Zeitspanne der von einem Fahruntüchtigen ausgehenden Gefahr ausgesetzt sein, so beispielsweise wenn der Fahruntüchtige über eine größere Strecke hinter einem anderen Fahrzeug herfährt. Solange eine solche Fahrt mit angemessener Geschwindigkeit, genügendem Abstand und auch sonst unauffällig verläuft, ist die Gesamtsituation noch nicht derart zugespitzt, dass ein Schadenseintritt nur vom Zufall abhinge. Erst wenn weitere Gefahrenmomente hinzutreten, kann von einer konkreten Gefahr gesprochen werden. Da das „Zeitmoment”, wie dargelegt, kein geeignetes Abgrenzungskriterium ist, müsste bei folgerichtiger Anwendung der vom BGH vertretenen Auffassung eine konkrete Gefahr für alle Verkehrsteilnehmer, die während der Fahrt irgendwie in den Einflussbereich des fahruntüchtigen Fahrzeugführers gelangen, bejaht werden. Damit aber wäre, wie das BayObLG zutreffend ausführt, im Ergebnis kaum noch ein Fall vorstellbar, der nicht durch § 315c I Nr. 1 a, III Nr. 1 oder 2 StGB abgedeckt würde, während die Vorschrift des § 316 StGB weitgehend bedeutungslos wäre. Dieses Ergebnis stünde indes mit der Systematik der §§ 315c, 316 StGB nicht im Einklang. Für § 315c StGB verlangt das Gesetz den Eintritt einer „wirklichen” Gefahr. Diese muss auf der Grundlage der vorhandenen Umstände nachgewiesen werden. Die allgemeine Gefährlichkeit des Fahrens in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand rechtfertigt noch nicht den Schluss auf den tatsächlichen Eintritt der - konkreten - Gefahr. Der Strafgrund des § 316 StGB, nämlich die (abstrakte) Gefährlichkeit des Fahrens im ungeeigneten Zustand, darf nicht zugleich als Begründung für den Eintritt des Erfolges nach § 315 c I StGB verwendet werden.

Abgesehen davon ist nicht einsehbar, weshalb ein fahruntauglicher Fahrzeugführer nach einer Fahrt ohne Auffälligkeit, bei der er mit Rücksicht auf eine vorhandene Alkoholisierung möglicherweise bewusst verkehrsarme Nebenstrecken gewählt und dort niedrige Geschwindigkeiten eingehalten hat, nur deshalb dem strengeren Maßstab des § 315c StGB unterworfen werden soll, weil sich – zufällig – noch ein Mitfahrer oder, was ebenfalls ausreichen würde, eine fremde Sache von bedeutendem Wert im Wagen befunden hat. Mit Recht weist Jähnke (DRiZ 1990, 430) darauf hin, dass die bloße Mitfahrt in der sozialen Wirklichkeit regelmäßig noch nicht als „explosive Situation” gilt, die einer Fahrt ohne Bremse (BGH, aaO [NStZ 1985, 263]) gleichkommt, zumal es einem erwachsenen Mitfahrer i. d. R. unbenommen ist, seine Einwilligung zu einer Fahrt zu erklären, bei der ein alkoholisierter Fahrzeugführer das Steuer übernimmt. Das Tatbild der folgenlosen Trunkenheitsfahrt wird der Kategorie des § 316 StGB zugeordnet und liegt im allgemeinen unterhalb der Schwelle der Höchstgefahr. Wenn ein betrunkener Fahrer anhält, einen Fahrgast aufnimmt und unauffällig wie zuvor weiterfährt, ändert sich an der Gefährlichkeit seines Verhaltens nichts, und es ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass im selben Augenblick gleichwohl ein Qualitätssprung von der abstrakten zur konkreten Gefahr eingetreten sein soll (Jähnke, aaO). Zwar steigt die Gefahr mit zunehmender Dauer der Fahrt an, jedoch fehlt jeder Maßstab für die Bestimmung eines Zeitpunkts, von dem an man den Wechsel von der abstrakten zur konkreten Gefahr zuverlässig feststellen könnte. Überdies würde die vom BGH vertretene Auffassung auf ernst zu nehmende praktische Schwierigkeiten stoßen. Die Ermittlungsbehörden müssten nicht nur eine eventuelle Tatbeteiligung jedes Mitfahrers überprüfen (in diesem Fall käme die Anwendung des § 315c StGB nämlich nicht in Betracht), sondern auch untersuchen, ob nicht der Fahrer fremde Sachen von bedeutendem Wert mitgeführt hat, deren Vorhandensein bei der Trunkenheitsfahrt gleichermaßen eine „konkrete” Gefahr begründen würde, wenn man der Ansicht des BGH folgen wollte.

Insgesamt ist für den Regelfall mit dem BayObLG davon auszugehen, dass sich die besondere Gefährdung des Beifahrers bzw. mitgeführter fremder Sachen von bedeutendem Wert indiziell gezeigt haben muss, wenn eine konkrete Gefahr i. S. von § 315c StGB bejaht werden soll.

Angesichts der latent hohen Gefahr einer Trunkenheitsfahrt reicht es allerdings aus, wenn sich geringe zusätzliche Auffälligkeiten zeigen (vgl. Jähnke, DRiZ 1990, 430), wobei diese „Auffälligkeit” nicht begriffsnotwendig mit einer verkehrswidrigen Fahrweise verknüpft sein muss. Sie kann vielmehr auch dann gegeben sein, wenn der Fahrzeugführer unter so starkem Alkoholeinfluss steht, dass in Anbetracht der übrigen Faktoren (z. B. Verkehrsdichte etc.) nicht erwartet werden kann, er werde die Verkehrslage meistern (vgl. Geppert, NStZ 1985, 265; Janiszewski, NStZ 1985, 257). Es kommt demnach entscheidend auf die jeweiligen Besonderheiten des einzelnen Verkehrsvorgangs, die Persönlichkeit des Fahrzeugführers und nicht zuletzt auf den Grad der Alkoholbeeinflussung an (vgl. BGHSt 8, 28 [311).

Ausgehend davon hat das AG eine Verurteilung der Angekl. gem. § 315 c StGB mit im Ergebnis zutreffenden Erwägungen abgelehnt. Fahrfehler oder sonstige Verhaltensauffälligkeiten der Angekl. hat es nicht feststellen können. Die bei der Angekl. gemessene BAK von 2,12%o rechtfertigt allein noch nicht die Annahme, sie habe – wie beim Fahrzeug ohne Bremse (vgl. Geppert, NStZ 1985, 265) – die Verkehrsabläufe in keiner Weise mehr beherrschen können, so dass der Nichteintritt eines Schadens als bloßer Zufall einzustufen sei. Selbst bei einem derart erheblichen Alkoholisierungsgrad ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass der herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit in gewissem Umfang durch Kompensationsmaßnahmen begegnet werden kann, namentlich wenn die Fahrt - wie im vorliegenden Fall - zur verkehrsarmen Nachtzeit stattfindet Dies wird hier bereits durch den Umstand belegt, dass die Angekl. nach den Feststellungen des AG ganz normal und ohne jede Auffälligkeit gefahren ist. dass sich im Rahmen der Blutentnahme etwaige Ausfallerscheinungen bei der Angekl. bemerkbar gemacht hätten, ist von der Revisionsführerin nicht behauptet worden.

Das AG hat daher die Voraussetzungen des § 315 c StGB zu Recht verneint. Eine Vorlegung der Sache an den BGH gem. § 121 II GVG ist nicht geboten. Der Senat folgt der Entscheidung des BayObLG, während die abweichenden Stellungnahmen des BGH als „obiter dicta” keine Vorlegungspflicht begründen (vgl. BGH, NStZ 1985, 217; Salger, in: KK-StPO, 2. Aufl., § 121 GVG Rdnr. 37)."



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