Das Verkehrslexikon
OLG Hamm (Urteil vom 29.11.1990 - 6 U 167/90 -
OLG Hamm v. 29.11.1990: Haftungsverteilung beim Linksausschwenken beim Einfahren in ein Grundstück nach rechts
Bei vorherigem Linksausschwenken zwecks Einfahrens in eine rechts gelegene Grundstückseinfahrt (für eine rechts gelegene Parklücke dürfte wohl mindestens das gleiche gelten) und einer Kollision mit einem nachfolgenden, dann beim Ausschwenken nach links noch rechts überholenden Fahrzeug hat das OLG Hamm (Urteil vom 29.11.1990 - 6 U 167/90) eine Haftungsverteilung von 70 : 30 zu Lasten des nach links ausschwenkenden Rechtsabbiegers angenommen:
Siehe auch Ausschwenken von größeren Fahrzeugen beim Ab- bzw. Einbiegen
Aus den Entscheidungsgründen:
"a) Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile ist zu berücksichtigen, dass der Kl., der - aus seiner Sicht gesehen - nach rechts in eine Grundstückseinfahrt einbiegen wollte, sich so zu verhalten hatte, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer - insbes. auch des nachfolgenden Verkehrs - ausgeschlossen war (§ 9 StVO). Gegen diese Verpflichtung hat der Kl. schuldhaft verstoßen und dadurch die erste und entscheidende Ursache für die spätere Kollision mit dem Fahrzeug der Bekl. gesetzt.
Nach Anhörung des Kl. als Partei gem. § 141 ZPO sowie Inaugenscheinnahme der von den zur Unfallaufnahme hinzugezogenen Polizeibeamten gefertigten Lichtbilder steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kl. sich nicht - wie grundsätzlich geboten - (vgl. Jagusch / Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl., § 9 StVO Rdnr. 27) - bei Annäherung an die Einfahrt weit nach rechts einordnen konnte. Da die Parkstreifen am rechten Fahrbahnrand bis unmittelbar an die Einfahrt heran dicht mit Fahrzeugen besetzt war, war dem Kl. ein Einfahren ohne vorheriges Ausschwenken nach links unmöglich. Angesichts der durch dieses besonders risikoreiche Fahrmanöver und durch die Tatsache, dass die Einfahrt für den Ortsunkundigen - insbesondere wegen der dichten Kette parkender Fahrzeuge - erst aus unmittelbarer Nähe erkennbar wurde, geschaffenen Gefahrenlage war der Kl. zu einer besonders umsichtigen Fahrweise verpflichtet. Insbes. musste er der nachfolgenden Bekl. seine Absicht, nach rechts in eine Einfahrt einzubiegen, rechtzeitig ankündigen und sich vergewissern, dass die Bekl. diese Absicht auch erkannte und ihr Fahrverhalten darauf einstellte. ...
Vielmehr hätte er seine Absicht durch mehrmaliges Antippen der Bremse (sog. "Stotterbremsen") bereits in ausreichendem Abstand vor der Einfahrt ankündigen müssen und, sofern die Bekl. hierauf nicht deutlich erkennbar reagierte, notfalls anhalten müssen, um der Bekl. ein gefahrloses Vorbeifahren zu ermöglichen. Das bloße Verlangsamen und Blinken nach rechts genügte den vorbezeichneten besonderen Sorgfaltsanforderungen jedenfalls nicht. Vielmehr musste der Kl. damit rechnen, dass die Bekl. den nach rechts gesetzten Blinker - wie möglicherweise geschehen - übersehen und sein Ausbiegen nach links als ein - wenn auch frühzeitiges - Linkseinordnen vor der nächsten Abbiegemöglichkeit nach links missverstehen konnte. Er musste sich deshalb vor dem Abbiegen davon überzeugen, ob sie seine Abbiegeabsicht erkannt habe und nicht versuchte, rechts an ihm vorbeizufahren.
b) Auch die Bekl. hat den Unfall schuldhaft verursacht (§ 276 BGB) ... Die Bekl. ist unter Verstoß gegen §§ 1 II, 3 I Nr. 1 StVO in eine unklare Verkehrslage hineingefahren.
Aus der Tatsache, dass der Kl., wie die Bekl. vor dem Senat erklärt hat, "stramm links fuhr", konnte und durfte sie nicht schlussfolgern, der Kl. wolle links abbiegen. Denn unstreitig hatte der Kl. den linken Blinker nicht gesetzt. Auch besteht erst etwa 100 m hinter dem Unfallort die nächste Möglichkeit, nach links abzubiegen.
Es kann auch dahinstehen, ob die Bekl. das Aufleuchten der Bremslichter des Pkw des Kl. erkannt hat. Denn um in die Einfahrt abzubiegen - was nach Erfahrung des Senats als Fachsenat wegen des annähernd rechtwinkligen Kurvenverlaufs nur mit maximal 10 bis 15 km/h möglich war - musste der Kl. seine Geschwindigkeit zuvor deutlich herabsetzen. Das hätte die Bekl. aber erkennen können und müssen, ihre Fahrt auch selbst entsprechend verlangsamen und hinter dem Kl. zurückbleiben müssen, bis sie sich Gewissheit über dessen weitere Absichten verschafft hatte.
c) Zwar haben somit beide Fahrer den Unfall schuldhaft herbeigeführt. Da der Verschuldensanteil des Kl., der dem höchsten Sorgfaltsmaßstab zu genügen hatte, und der hier die erste und entscheidende Unfallursache gesetzt hat, den der Bekl. aber deutlich übersteigt, hält der Senat - in Übereinstimmung mit dem LG - eine Haftungsverteilung im Verhältnis 7/10 zu 3/10 zu Lasten des Kl. für geboten."