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OLG Nürnberg Urteil vom 24.05.2005 - 1 U 558/05 - Zum durch eine Unfallbenachrichtigung eines nahen Angehörigen ausgelösten Schock mit der Folge eines Schlaganfalls

OLG Nürnberg v. 24.05.2005: Zum durch eine Unfallbenachrichtigung eines nahen Angehörigen ausgelösten Schock mit der Folge eines Schlaganfalls


Das OLG Nürnberg (Urteil vom 24.05.2005 - 1 U 558/05) hat entschieden:
Der durch eine Unfallbenachrichtigung eines nahen Angehörigen ausgelöste Schock mit der Folge eines Schlaganfalls ist als psychisch vermittelte organische Verletzung grundsätzlich ersatzfähiger eigener Gesundheitsschaden und nicht Drittschaden. Die schlichte Kausalitätsfeststellung im Sinne eines logischen Bedingungszusammenhangs muss in den Fällen psychisch vermittelter Kausalität aber durch eine wertende Betrachtungsweise einschränkend korrigiert werden. Denn ein solcher Schaden gehört grundsätzlich zum allgemeinen Lebensrisiko.


Siehe auch Kausalzusammenhang und Zurechnungszusammenhang


Zum Sachverhalt: Die Bekl. haften als Halter und Fahrer eines Kfz und als dessen Haftpflichtversicherer unstreitig für die Folgen eines Verkehrsunfalls, bei dem die zum Unfallzeitpunkt noch minderjährige Tochter des KI. mit ihrem Motorrad verunglückte. Der Kl. wurde von seiner Tochter zur Unfallstelle gerufen. Dort erlitt er aus Aufregung über den Unfall eine Hirnblutung. Er hat die Bekl. wegen der dadurch eingetretenen Folgen auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Zu Recht hat das LG die Klage abgewiesen, weil die vom Kl. geltend gemachten Körper- und Gesundheitsverletzungen dem Bekl. zu 1) nicht zurechenbar sind. Damit besteht auch kein Direktanspruch gegen die Bekl. zu 2) als Versichererin des Bekl. zu 1). Der Senat verweist auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils. Ergänzend ist noch auszuführen:

Der Schlaganfall des Kl. ist dem Bekl. zu 1) nicht zurechenbar, weil die Unfallmitteilung und das Geschehen am Unfallort selbst und damit der erlittene Schlaganfall dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen sind und keine außergewöhnliche unfallbedingte Belastung für den Kl. bedeuteten.

1. Der durch den Schock erlittene Schlaganfall des Kl. ist als psychisch vermittelte organische Verletzung grundsätzlich ersatzfähiger eigener Gesundheitsschaden und nicht Drittschaden. Aufgrund des Sachverständigengutachtens steht fest, dass die erlittene Hirnblutung Folge der Aufregung des KI. am Unfallort war; sie ist über den Umweg des vorliegenden pathologischen Gefäßbefundes (Anginom) verursacht worden. Damit war eine Bedingung gegeben, ohne die der Erfolg nicht eingetreten wäre (conditio sine qua non). Die Zurechnung solcher Schäden scheitert grundsätzlich auch nicht daran, dass der Verletzte infolge einer körperlichen Disposition besonders anfällig für den eingetretenen Schaden ist; denn der Schädiger hat keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt (BGH, MDR 2000, 267 f.; KG, NZV 2003, 328, 329).

2. Die schlichte Kausalitätsfeststellung im Sinne eines logischen Bedingungszusammenhangs muss in den Fällen psychisch vermittelter Kausalität aber durch eine wertende Betrachtungsweise einschränkend korrigiert werden. Denn ein solcher Schaden gehört grundsätzlich zum allgemeinen Lebensrisiko. Rspr. und Literatur billigen unter Hinweis auf die gesetzgeberische Grundentscheidung, „mittelbar” Geschädigten im Falle der Tötung die Ansprüche aus §§ 844, 845 zu gewähren, eine Schadensersatzpflicht nur im Ausnahmefall zu (BGHZ 93, 351, 355 = NJW 1985, 1390 ff.; KG, NZV 1999, 329 ff.; Bamberger/Roth-Grüneberg, BGB 1. Aufl. 2003 vor § 249 Rdn. 37-40; Medicus, Die psychisch vermittelte Kausalität im Zivilrecht, JuS 2005, 289 ff.).

a) Neben der - hier fraglos - gegebenen Bedingung des erheblichen Gesundheitsschadens eines nahen Angehörigen fehlt es an der weiteren von Rspr. und Literatur geforderten Voraussetzung, dass der Schock im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein muss. Schäden, die bei einem durchschnittlich Empfindenden eine entsprechende Erschütterung normalerweise nicht hervorrufen, sind nicht ersatzfähig.

Bei der Bewertung, ob ein Schock in einem adäquaten Zusammenhang zum Anlass steht, kommt es nach Auffassung des Senats nicht nur auf die Schwere des Unfalls und seine konkreten Folgen (Verletzungen, Unfallsituation u.a.) an, ergänzend sind auch die äußeren Begleitumstände, insbesondere die Art und Weise der Übermittlung der Unfallnachricht zu berücksichtigen, die im Einzelfall zu erheblichen und überdurchschnittlichen psychischen Belastungen führen kann.

Aus Sicht eines durchschnittlich Empfindenden muss der Geschädigte aufgrund der übermittelten Umstände oder der unmittelbaren Eindrücke am Unfallort von einem gravierenden Schadensereignis oder akuter schwerer Gefahrenlage ausgehen dürfen (Oetker in Münchener Kommentar, BGB 4. Aufl. 2001 § 249 Rdn. 147). Diese müssen konkret zu einer seelischen Erschütterung führen. Die konkrete Vorschädigung und Überempfindlichkeit (Anginom) des Kl. dagegen muss bei der Bewertung der Angemessenheit der Reaktion - anders als bei der Frage des Ursachenzusammenhangs i.S.d. conditio sine qua non - außer Betracht bleiben. Denn im Rahmen der zur Eingrenzung der Kausalität vorzunehmenden wertenden Betrachtungsweise ist auf den durchschnittlich empfindenden Geschädigten abzustellen. Eine Überempfindlichkeit geht hier nicht zu Lasten des Schädigers (Oetker in Münchener Kommentar, BGB 4. Aufl. 2001 § 249 Rdn. 148). Der Sachverständige hat in seinem Gutachten festgestellt, dass möglicherweise gesunde normale Gefäße auch der erlebten Aufregung und der damit verbundenen Blutdrucksteigerung standgehalten hätten.

b) Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze kann der Schlaganfall des Kl. dem Bekl. zu 1) nicht zugerechnet werden.

Aufgrund der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass die Tochter unmittelbar nach dem Unfall ihren Vater selbst über Handy anrief und ihn bat, an die Unfallstelle zu kommen. Auch wenn die näheren Umstände des Telefonats nicht aufzuklären waren, haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kl. durch die Bitte seiner Tochter, an den Unfallort zu kommen, Anlass hatte, etwa von einer lebensbedrohenden Situation auszugehen. Auch nach dem Eintreffen des Kl. an der Unfallstelle bot sich kein Bild außergewöhnlicher Dramatik oder schwerer Gefahrenlage, das Anlass zu außergewöhnlicher Beunruhigung gegeben hätte. Die Tochter saß - wie dies nach einem Motorradunfall zu erwarten war - auf dem Gehsteig und wurde dann von Sanitätern in die Klinik gebracht. Dies ist nach Motorradunfällen eine sehr häufige Folge, weil i.d.R. Wirbelverletzungen nicht auszuschließen sind.

Hinzu kommt, dass der Kl. mit einem gewissen Unfallrisiko rechnen musste. Die vernommene Zeugin gab an, dass ihr Vater die Nutzung des Motorrades durch beide Töchter förderte. Deshalb habe er sich möglicherweise auch selbst Vorwürfe gemacht, die seine Aufregung steigerten. Diese Annahme der Zeugin ist plausibel. Auch aus diesem Grund sind die eingetretenen Folgen dem Unfallverursacher nicht zuzurechnen. ..."



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