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OLG Saarbrücken Urteil vom 27.01.2004 - 3 U 194/03 - Zur Schadensvertiefung durch einen Zweitunfall

OLG Saarbrücken v. 27.01.2004: Zur Schadensvertiefung durch einen Zweitunfall


Das OLG Saarbrücken (Urteil vom 27.01.2004 - 3 U 194/03) hat entschieden:
Steht nach der Beweisaufnahme nicht fest, dass die schadensursächliche Kollision zwischen zwei Kraftfahrzeugen (hier Krad und Pkw) vom Fahrzeug des Beklagten verursacht wurde, und ist nicht nachgewiesen, dass und in welcher Höhe durch eine als solche nicht bestrittene Zweitkollision mit dem Beklagtenfahrzeug eine Schadensvertiefung eingetreten ist, so kann eine Haftung weder über § 287 ZPO noch über § 830 Abs. 1 Satz 2 ZPO begründet werden.


Siehe auch Kausalzusammenhang und Zurechnungszusammenhang


Zum Sachverhalt: Der Kläger wurde als Kradfahrer von einem Pkw-Fahrer angefahren, bei dem es sich möglicherweise um den im Prozess Beklagten handelte. Nach dem Sturz erfolgte mindestens noch ein weiterer Anstoß an das liegende Krad durch einen dritten Verkehrsteilnehmer. Nach Ausschöpfung sämtlicher Beweismittel erschien sicher, dass der Beklagte gegen das liegende Krad gestoßen war; im übrigen erschien es möglich, aber nicht als ausreichend bewiesen, dass der Beklagte tatsächlich den Erstanstoß verursacht hat. Aus diesem Grunde haben Landgericht und Berufungsgericht die Klage für unbegründet gehalten.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der rechtlichen Bewertung kann daher nur die von den Beklagten zugestandene Zweitkollision mit dem bereits am Boden liegenden Kraftrad des Klägers zugrunde gelegt werden. ...

Darüber hinaus ist es aber auch nicht bewiesen, dass der Sachschaden an dem klägerischen Kraftrad durch die Zweitkollision vergrößert wurde. Sowohl der Sachverständige P. als auch der Sachverständige E. sind zu dem Ergebnis gelangt, dass die durch eine eventuelle zweite Kollision verursachten über die Erstbeschädigung hinausgehenden Schäden nicht näher eingegrenzt werden können. ...

Umgekehrt ist es daher aber auch nicht auszuschließen, dass der gesamte Schaden bereits durch den Sturz und das anschließende Bewegungsverhalten des Fahrzeugs auf dem Boden entstanden ist und durch die spätere Kollision mit dem Pkw des Beklagten zu 1) nicht mehr messbar vergrößert wurde. ...

Entgegen der Auffassung des Klägers reicht es aber für eine Verantwortlichkeit der Beklagten nicht aus, dass überhaupt eine Kollision mit dem – am Boden befindlichen – Zweirad des Klägers stattgefunden hat. Dieser Umstand ist für die Bejahung eines haftungsbegründenden Tatbestandes nicht ausreichend, da alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen (§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 823 BGB, § 3 Nr. 1 u. 2 PflVG) voraussetzen, dass neben dem unfallverursachenden Geschehen auch ein gerade durch dieses Geschehen verursachter Schaden eingetreten ist. Nach dem oben Gesagten ist dies jedoch nicht bewiesen, da nicht feststeht, dass die Erstkollision von dem Beklagten zu 1) verursacht wurde oder dass infolge der zugestandenen Zweitkollision ein weiterer Schaden eingetreten ist, der nicht bereits durch den Erstanstoß entstanden war.

Insoweit greift zugunsten des Klägers auch nicht die Beweiserleichterung des § 287 ZPO, so dass der Anteil des vom Beklagten zu 1) verursachten Schadens am Gesamtschaden geschätzt werden könnte. Zwar kann § 287 ZPO anwendbar sein, wenn ein und derselbe Schaden durch mehrere aufeinanderfolgende Schadensereignisse mitursächlich herbeigeführt wird. In diesem Fall kann jedes mitursächliche Verhalten zu einer gesamtschuldnerischen Haftung für den gesamten Schaden führen (vgl. BGH, NJW 2002, 504 (505)). Jedoch setzt dies, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, voraus, dass zumindest die Mitursächlichkeit des konkreten schadenstiftenden Ereignisses für den entstandenen Schaden als solche feststeht (vgl. BGH, NZV 1995, 145; NJW 2000, 3069; NJW 2002, 504 (505); KG, NZV 2002, 230; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage, § 17 StVG, Rdnr. 5). Dies betrifft jedoch die haftungsbegründende und nicht die haftungsausfüllende Kausalität, so dass insoweit § 286 ZPO anwendbar ist und nicht § 287 ZPO. Erst wenn der haftungsbegründende Ursachenzusammenhang feststeht, gelangt man zur Anwendbarkeit des § 287 ZPO (so im Falle von BGH, NJW 2002, 504 (505)).

Der haftungsbegründende Ursachenzusammenhang ist vorliegend jedoch nicht bewiesen, denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann es nicht ausgeschlossen werden, dass der gesamte an dem Kraftrad vorhandene Schaden bereits durch die Erstkollision entstanden war, das Fahrzeug also bereits in völlig zerstörtem Zustand am Boden lag, als der Pkw des Beklagten zu 1) gegen dieses stieß. Es steht daher nicht fest, dass der Beklagte zu 1) überhaupt einen kausalen Beitrag zur Schadensverursachung geleistet hat. Daher kann auch nicht die Höhe des hierdurch eventuell verursachten Schadens im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO ermittelt werden.

d) Zutreffenderweise ist das Landgericht davon ausgegangen, dass zugunsten des Klägers auch nicht die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB anwendbar ist. Denn diese Vorschrift ist nur anwendbar, wenn feststeht, dass zwei Schädiger (Nebentäter) alternativ oder kumulativ jeweils einen kausalen Beitrag zur Schadensverursachung geleistet haben und jede der beiden Handlungen für sich genommen geeignet war, den gesamten Schaden hervorzurufen (vgl. Müller, NJW 2002, 2841 (2842)). In diesem Falle haften beide Schädiger für den gesamten Schaden, ohne dass es der Aufklärung des genauen Anteils eines jeden der beiden Nebentäter an der verursachten Gesamthöhe des Schadens bedürfte (vgl. Müller, NJW 2002, 2841 (2842)).

Im Falle sukzessiver Schadensverursachung durch mehrere Verkehrsunfälle, bei denen einem nachweislich schadensursächlichen und auch im Übrigen haftungsbegründenden Verhalten des Erstschädigers ein zweites Schadensereignis nachfolgt, das einem Zweitschädiger zuzurechnen wäre, wenn dessen Kausalität feststünde, ist allerdings § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht anwendbar. In einem solchen Fall sind dem Erstschädiger sämtliche Konsequenzen der von ihm zu verantwortenden Rechtsgutsverletzung in den Grenzen der Adäquanz zuzurechnen. Er hat also regelmäßig auch die Folgen des zweiten Schadensereignisses zu tragen (vgl. MünchKomm(BGB)-Wagner, 4. Auflage, § 830 BGB, Rdnr. 45; Geigel-Hübinger, Der Haftpflichtprozess, Kap. 10, Rdnr. 10). In einem solchen Fall fehlt es also an einer Beweisnot des Geschädigten, welche nach Sinn und Zweck des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB behoben werden soll. Daher greift in einem solchen Fall nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat, § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht anwendbar, da die Verantwortlichkeit des Erstschädigers feststeht (vgl. BGHZ 67, 14 (19 ff); 72, 355 (358 f); SaarlOLG, NZV 1999, 510; MünchKomm(BGB)-Wagner, aaO., § 830 BGB, Rdnr. 45; Geigel-Hübinger, aaO., Kap. 10, Rdnr. 11; Palandt-Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Auflage, § 830 BGB, Rdnr. 8). Der Geschädigte kann daher den Zweitschädiger nur unter der Voraussetzung in Anspruch nehmen, dass er die Kausalität dessen Verhaltens für den Schadenseintritt sowie den Umfang des Schadens gesondert nachweist.

Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Derjenige Kraftfahrer, der den ursprünglichen Sturz des Klägers verursacht hat, ist auch für den Schaden verantwortlich, der dadurch entstanden ist, dass der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw gegen das am Boden liegende Kraftrad gefahren ist. Ein solches Folgeereignis stellt nämlich eine nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung liegende und daher adäquate Folge des Erstunfalls dar. Damit aber kann der Kläger die Verantwortlichkeit des Beklagten zu 1) nicht unter Zuhilfenahme von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB begründen. Da, wie oben ausgeführt, nicht feststeht, dass die Kollision des Pkw’s des Beklagten zu 1) mit dem am Boden befindlichen Kraftrad des Klägers überhaupt eine (weitere) schädigende Wirkung auf dieses hatte, hat der Kläger im Übrigen nicht bewiesen, dass durch der Schaden an dem Kraftrad durch den Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) vertieft wurde. ..."



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