Das Verkehrslexikon

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OLG Hamm Urteil vom 01.10.2004 - 9 U 132/04 - Zum Sturz eines Kradfahrers in einer Linkskurve wegen unangemessener Geschwindigkeit

OLG Hamm v. 01.10.2004: Zum Sturz eines Kradfahrers in einer Linkskurve wegen unangemessener Geschwindigkeit


Das OLG Hamm (Urteil vom 01.10.2004 - 9 U 132/04) hat entschieden:

  1.  Wird eine durch den Zustand der Fahrbahn bedingte Gefahrenquelle für Zweiradfahrer (hier: in Fahrbahn eingelassener zu querender Gleiskörper) durch Gefahrenzeichen 101 (Gefahrenstelle) zu § 40 StVO mit Zusatzschild zum Charakter der Gefahrenquelle und Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h ausgewiesen, ist der gleichwohl anlässlich eines Unfalls gegen die Straßenbaubehörde erhobene Vorwurf einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht selbst dann nicht zu begründen, wenn es sich bei der Gefahrenquelle um einen Unfallschwerpunkt handelt. Für weitere Maßnahmen im Bereich der Verkehrsregelung fehlt der Straßenbaubehörde die entsprechende Zuständigkeit.

  2.  Wird die Höchstgeschwindigkeit an einer Gefahrenstelle durch entsprechende Beschilderung beschränkt, bleibt der Verkehrsteilnehmer gleichwohl aufgerufen zu sondieren, ob die konkreten Verhältnisse (Witterung, Sicht- und Lichtverhältnisse) die absolute Höchstgeschwindigkeit zulassen, denn diese gilt nur für optimale Verkehrsbedingungen.


Siehe auch
Unfälle mit Kradbeteiligung - Motorradunfälle
und
Stichwörter zum Thema Verkehrssicherung

Zum Sachverhalt:


Ein Kradfahrer war in einer Linkskurve in einem Tunnel mit seinem Motorrad gestürzt, als er in dem Tunnel eine weiter geradeaus verlaufende und zur Unfallzeit nasse Gleisanlage in einem Winkel überquerte. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war auf 30 km/h begrenzt. Vor dem Tunnel war ferner das Verkehrszeichen 101 "Gefahrstelle" mit den Zusatzzeichen "Gleiskörper in der Fahrbahn" und "Schadhafte Fahrbahn" aufgestellt. Der Kläger verlangte von der Straßenbaubehörde materiellen und immateriellen Schadensersatz. Das Landgericht wies die Klage ab. Hiergegen richtete sich die Berufung des Klägers.




Aus den Entscheidungsgründen:


1. Eine Haftung des Beklagten entfällt allerdings nicht schon deshalb, weil nach § 45 Abs. 3 Satz 1 StVO die Straßenverkehrsbehörde und nicht die verkehrssicherungspflichtige Straßenbaubehörde im Allgemeinen zu bestimmen hat, welche Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen wo anzubringen sind. § 45 Abs. 3 Satz 3 StVO eröffnet nämlich den Straßenbaubehörden ausdrücklich die Befugnis, Gefahrzeichen anzubringen, wenn die Sicherheit des Verkehrs durch den Zustand der Straße gefährdet ist (vgl. auch BGH VersR 1957, 776 - 777 -; Greger Straßenverkehrsrecht, 3. Aufl. Rdn. 450 zu § 16 StVG). Diese Befugnis beinhaltet nach anerkannter Rechtsprechung zugleich eine entsprechende Verpflichtung, deren Verletzung eine Schadenersatzpflicht nach sich zieht. Darüber hinaus haben die Straßenbaubehörden auch alle sonstigen geeigneten Sicherungsmaßnahmen - außer der Auswahl von Verkehrszeichen mit Verbots- und Gebotsinhalten (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1990, 423) - zu ergreifen, die bei straßenbaubedingten Gefahrenquellen erforderlich sind.

Im Streitfall beruht die Gefährlichkeit der Unfallstelle auf der Verschwenkung der Fahrbahn mit der Folge einer tangentialen Überschneidung der Bahngleise sowie darauf, dass Fahrbahn und Schienen teilweise nicht plan liegen, sondern die zwischen den Schienen befindliche Fahrbahnfläche etwas tiefer gelegt ist (vgl. polizeiliche Unfallanzeige). Dies hat zur Folge, dass einspurige Fahrzeuge bei einer Überquerung der Schienen in spitzem Winkel in eine Zwangsführung der Gleise geraten und dadurch instabil werden können. Damit ist die Gefährlichkeit der Unfallstelle durch die bauliche Anlage der Fahrbahn begründet, so dass dem Beklagten als Träger der verkehrssicherungspflichtigen Straßenbaubehörde hier die Vornahme geeigneter Sicherungsvorkehrungen - einschließlich einer hinreichenden Warnbeschilderung - obliegt.


2. Diese Verkehrssicherungspflicht hat der Beklagte nicht verletzt. Vor der Gefahrenstelle waren zum Zeitpunkt des Unfalles unstreitig das Gefahrzeichen 101 (zu § 40 StVO) mit den Zusatzschildern "Gleiskörper in der Fahrbahn/schadhafte Fahrbahn" sowie das - in den Verantwortungsbereich der Straßenverkehrsbehörde (Stadt Gevelsberg) fallende - Verbotszeichen 274 (zulässige Höchstgeschwindigkeit "30 km/h") aufgestellt. Bei hinreichender Beachtung dieser Beschilderung waren die tangential zu der Fahrbahn verlaufenden Gleise von einem durchschnittlich geschulten und erfahrenen Motorradfahrer bei Einhaltung der höchstzulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h und einem möglichst großen Überquerungswinkel der Schienen auch bei Nässe schadlos zu überqueren, wie der Sachverständige Dipl.-Ing. R nach Durchführung mehrerer Fahrversuche festgestellt hat.

An dieser Beurteilung ändert im Ergebnis auch der Umstand nichts, dass sich in und an dem "L- Tunnel" zuvor 35 gleichartige Vorunfälle ereignet haben. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass dieser Bereich aufgrund der Vielzahl früherer Unfälle als Unfallschwerpunkt bewertet werden muss. Jedoch ist nicht ersichtlich, welche geeigneten und zumutbaren weitergehenden Sicherungsmaßnahmen der Beklagte hätte ergreifen können und müssen. Soweit der Kläger eine vollständige Sperrung des Tunnels für einspurige Fahrzeuge oder weitere Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf unter 30 km/h für geboten hält, verkennt er zunächst, dass diese Verbote als Maßnahmen der Verkehrsregelung in den Verantwortungsbereich der Straßenverkehrsbehörde (Stadt H) fallen und der Beklagte insoweit nicht passiv legitimiert ist. Abgesehen davon wären diese Verbote auch in der Sache nicht unproblematisch, da die Sperrung des Tunnels in Anbetracht der von dem Sachverständigen aufgezeigten Beherrschbarkeit der Fahrbahnverschwenkung einen unverhältnismäßigen Eingriff in den Verkehr darstellen würde und bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von unter 30 km/h erfahrungsgemäß mit einer weitgehenden Nichtbeachtung dieser Regelung gerechnet werden müsste. Schließlich sind auch keine anderen erfolgversprechenden Zusatzmaßnahmen ersichtlich, wie vier weitere Unfälle im Jahre 2003 - trotz inzwischen installierter automatischer Geschwindigkeitswarnanlage - deutlich gemacht haben. Nach alledem hat der Beklagte die ihm zur Verfügung stehenden geeigneten und zumutbaren Sicherheitsmöglichkeiten ausgeschöpft, so dass ein Pflichtenverstoß nicht festgestellt werden kann.



Schließlich greift auch der Einwand des Klägers nicht durch, die Tatsache seines Sturzes trotz umfangreicher Fahrpraxis und vorsichtiger Fahrweise spreche gegen eine Beherrschbarkeit des Unfallbereiches. Der Kläger ist trotz der besonders schwierigen Straßen- und Verkehrsverhältnisse (feuchte Schienen, verhältnismäßig spitzer Überquerungswinkel wegen eines entgegenkommenden ausladenden LKW) mit mindestens 31 km/h im obersten Bereich der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren und hatte damit keine Sicherheitsreserven mehr zur Verfügung. Er hätte in Anbetracht der widrigen konkreten Umstände die zulässige abstrakte (d.h. für optimale Wetter- und Verkehrsbedingungen geltende) Höchstgeschwindigkeit nicht voll ausschöpfen dürfen, sondern nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO auf die aktuellen Bedingungen abstellen müssen. Dass er dies nicht getan hat, fällt in seine eigene Verantwortung.

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