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OLG Nürnberg Urteil vom 02.12.2004 - 2 U 2712/04 - Zur Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers bei Unfallbetrug

OLG Nürnberg v. 02.12.2004: Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers gem. § 152 VVG bei Unfallbetrug


Das OLG Nürnberg (Urteil vom 02.12.2004 - 2 U 2712/04) hat entschieden:
  1. Der in § 152 VVG für die Enthaftung des Versicherers geforderte Vorsatz des Versicherungsnehmers muss bei einem Verkehrsunfall nicht nur das Verhalten umfassen, das die Gefahr des Verkehrsunfalls entstehen lässt, sondern auch den Verkehrsunfall als solchen. Es ist aber regelmäßig nicht erforderlich, dass der Versicherungsnehmer auch den konkreten Schadensablauf in den Einzelheiten übersehen hat.

    2. Ohne Bedeutung für die Annahme des Vorsatzes ist, ob der sein Kraftfahrzeug unter billigender Inkaufnahme eines Verkehrsunfalls abbremsende Versicherungsnehmer auch die Möglichkeit bedacht hat, dass nicht das ihm unmittelbar nachfolgende Kraftfahrzeug auffährt, sondern erst das übernächste mit einem weiteren, nachfolgenden Fahrzeug kollidiert.

    3. Eine Beweiswürdigung des Tatrichters, nach der ein Kraftfahrer, der seinen PKW im fließenden Verkehr von ca. 40 km/h bis zum Stand abbremst, die nahe liegende Möglichkeit eines Auffahrunfalls sowie den daraus resultierenden Schaden kennt und diese Folgen seines Handels billigend in Kauf nimmt, weist keinen Rechtsfehler auf.

Siehe auch Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Voll- oder Teilkaskoversicherung und Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Versicherung


Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Einstandspflicht der Beklagten zu 2) als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des früheren Beklagten zu 1) für Schäden, die dem Kläger aus einem Verkehrsunfall entstanden sind, der durch das Abbremsen eines vom früheren Beklagten zu 1) gesteuerten Pkw ausgelöst worden ist.

Der frühere Beklagte zu 1) befuhr am 08.11.2003 die rechte Fahrbahn des "B Damm" in E kurz nach der Einmündung Bstraße in Richtung N. Wegen eines vor ihm langsam fahrenden Busses wechselte er auf die linke Spur unmittelbar vor einen von dem Zeugen M gesteuerten Pkw Sharan. Der frühere Beklagte zu 1) bremste nunmehr den von ihm gesteuerten Pkw ab. Der Zeuge M konnte den Pkw Sharan zwar rechtzeitig anhalten, auf diesen fuhr jedoch das nachfolgende Kraftfahrzeug des Klägers, das von der Zeugin W gesteuert wurde, auf. Auch das sodann nachfolgende Kraftfahrzeug konnte nicht mehr rechtzeitig anhalten und kollidierte von hinten mit dem Pkw des Klägers.

Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, dass der frühere Beklagte seinen Pkw ohne Grund aus voller Fahrt absichtlich scharf abgebremst habe, um den hinter ihm fahrenden Zeugen M wegen eines angeblich gezeigten "Mittelfingers" zur Rede zu stellen. Vor dem früheren Beklagten zu 1) sei die Fahrbahn vollkommen frei gewesen.

Der Kläger hat deswegen Erstattung der ihm entstandenen Sachschäden sowie des Nutzungsausfalls begehrt.

Die Beklagten haben in erster Instanz Klageabweisung beantragt.

Die Beklagten haben vorgetragen, der frühere Beklagte zu 1) habe sein Kraftfahrzeug verkehrsbedingt abbremsen müssen. Der Verkehrsunfall sei deswegen ausschließlich auf die Unaufmerksamkeit der Fahrerin des Kraftfahrzeugs des Klägers zurückzuführen.

Im übrigen wird für den Sachverhalt auf den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts Nürnberg-​Fürth vom 06.07.2004 Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme in dem genannten Endurteil den Beklagten zu 1) im wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Die Klage gegen die Beklagte zu 2) ist mit der Begründung abgewiesen worden, dass der frühere Beklagte zu 1) mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe und deswegen eine Einstandspflicht der Haftpflichtversicherung nach § 152 VVG entfallen sei.

Das Landgericht Nürnberg-​Fürth ist dabei von folgenden tatsächlichen Feststellungen ausgegangen:

Der Beklagte zu 1) hat seinen Pkw aus einer Geschwindigkeit von 40 – 50 km/h ohne zwingenden Grund stark bis zum Stillstand abgebremst. Es liegt deswegen ein absichtliches, grundloses Abbremsen des früheren Beklagten zu 1) vor. Dieser hat mit bedingtem Vorsatz gehandelt.

Der Kläger wendet sich mit der Berufung gegen die Auffassung des Landgerichts, dass der frühere Beklagte zu 1) vorsätzlich gehandelt habe. Das Landgericht habe nicht nur die Voraussetzungen für einen Vorsatz rechtlich falsch gesehen, sondern auch ohne ausreichende Begründung diesen Vorsatz für nachgewiesen erachtet.

Ergänzend beantragt der Kläger die Vernehmung des früheren Beklagten zu 1) als Zeugen dafür, dass dieser die spätere Kollision nicht vorhergesehen, nicht gewollt und nicht gebilligt habe. Eine Vernehmung des Beklagten zu 1) als Zeugen habe er wegen dessen Rolle als Partei im Verfahren erster Instanz nicht früher beantragen können.

Mit der Berufung begehrt deswegen der Kläger:
  1. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-​Fürth vom 06.07.2004, zugestellt am 08.07.2004, Aktenzeichen: 8 O 345/04 wird dahingehend abgeändert, dass neben dem Beklagten zu 1) auch die Beklagte zu 2)/Berufungsbeklagte gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 8.768,61 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.12.2003 an den Kläger zu bezahlen hat.

  2. Die Beklagte zu 2)/Berufungsbeklagte trägt neben dem Beklagten zu 1) gesamtschuldnerisch die Kosten der Ausgangsinstanz sowie alleine die Kosten des Berufungsverfahrens.

  3. Das Urteil ist – notfalls gegen Sicherheitsleistung – für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Die Berufungsbeklagte beantragt,
kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.
Die Berufungsbeklagte verteidigt die Auffassung des Landgerichts und hält dessen Beweiswürdigung für überzeugend. Den konkreten Verkehrsunfall habe der frühere Beklagte zu 1) nicht in allen Einzelheiten, sondern nur als allgemeine Möglichkeit vorhersehen müssen.

Im Berufungsverfahren ist in der Sitzung vom 02.12.2004 Beweis erhoben worden durch uneidliche Vernehmung des früheren Beklagten zu 1) O Y als Zeugen. Für den Inhalt der Aussage wird auf das Protokoll der genannten Sitzung Bezug genommen.


II.

Die zulässige Berufung hat sachlich keinen Erfolg, da der frühere Beklagte zu 1) als Kraftfahrer den Verkehrsunfall und die Schäden, aus denen der Kläger seine Ansprüche ableitet, vorsätzlich herbeigeführt hat.

1. Ein Versicherungsnehmer hat dann keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat, § 152 VVG. Da der Direktanspruch eines im Straßenverkehr durch ein Kraftfahrzeug Geschädigten gegen die Haftpflichtversicherung des Gegners nach § 3 Nr. 1 Pflichtversicherungsgesetz voraussetzt, dass dieser seinerseits einen Anspruch auf Haftpflichtleistungen gegen seine eigene Versicherung hat, entfällt konsequent der Direktanspruch, wenn der Versicherungsnehmer den Verkehrsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat (vgl. hierzu BGH VersR 1971, 239, 240; VersR 1990, 888, 889; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 152 VVG Rdnr. 3). Der unmittelbare Anspruch des bei einem Verkehrsunfall Geschädigten gegen den Versicherer des Unfallverursachers besteht nach § 3 Nr. 1 Pflichtversicherungsgesetz nur im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis mit dem Schädiger (vgl. BGH VersR 1990, 888). Ist mithin im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer eine Haftung ausgeschlossen, so entfällt auch ein Direktanspruch des Unfallgegners gegen die Versicherung.

2. Der frühere Beklagte zu 1) hat den Verkehrsunfall, auf den der Kläger seine Schadensersatzforderungen gegen die Beklagte zu 2) stützt, vorsätzlich herbeigeführt.

a) Der in § 152 VVG geforderte Vorsatz muss dabei nicht nur die Handlung umfassen, die die Gefahr eines Verkehrsunfalls entstehen lässt, sondern auch den Unfallschaden als solchen, der durch das vorsätzliche, verkehrsordnungswidrige Verhalten verursacht worden ist. Allerdings reicht dafür bedingter Vorsatz (dolus eventualis) aus. Der Versicherungsnehmer muss demnach den Erfolg als möglich vorausgesehen und für den Fall seines Eintritts gebilligt haben (vgl. BGH, NVersZ 1998, 45; BGH NJW-​RR 1991, 145, 146). Den späteren Schadensablauf muss er dabei nicht in den Einzelheiten übersehen haben (vgl. BGH, VersR 1954, 591; OLG Saarbrücken, NJW-​RR 1994, 353, 354; OLG Nürnberg, VersR 1991, 1123, 1124; Prölss/Martin-​Voit, Knappmann VVG, 27. Aufl., § 152 Rdnr. 2; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 152 VVG Rdnr. 6).

Dabei geht der Senat davon aus, dass jedenfalls für den Bereich der Haftpflichtversicherungen im Straßenverkehr der Vorsatz nicht nur den Versicherungsfall als solchen, sondern auch die die daraus entstandenen Schadensfolgen erfassen muss (vgl. hierzu Stiefel/Hofmann, a. a. O., Rdnr. 7; OLG Nürnberg, NVersZ 1999, 437, 438; offen gelassen in BGH VersR 1971, 806, 807).

Nicht vom Vorsatz und damit auch nicht vom Haftungsausschluss umfasst sind mithin solche Schadensfolgen, die der Versicherungsnehmer bei seinem rechtswidrigen Handeln nicht in den wesentlichen Konturen als möglich erkannt und für den Fall ihres Eintritts nicht zumindest billigend in Kauf genommen hat (BGH NVersZ 1998, 45).

b) Der Senat wendet zur Klärung dieser Frage in der vorliegenden Fallkonstellation nicht die Grundsätze eines Anscheinsbeweises an.

Die hierfür zu fordernde, gesicherte Typizität eines Geschehensablaufs, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und in solchem Maße das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls dahinter zurücktreten (vgl. dazu etwa BGH VersR 1978, 74, 75), lässt sich gerade dann nicht annehmen, wenn es um ungewöhnliche, individuelle Verhaltensweisen eines Menschen geht, die sich in der konkreten Lebenslage nicht zwanglos erwarten lassen (vgl. etwa BGH VersR 1988, 683 f.).

Der frühere Beklagte zu 1) soll nach dem behaupteten und unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten zu 2) auf eine im Straßenverkehr nicht gänzlich ungewöhnliche Konfrontation zwischen zwei Verkehrsteilnehmern in einer extremen, gänzlich unangemessenen Weise reagiert haben, als er sein Kraftfahrzeug im fließenden Verkehr zum Stillstand abgebremst hat. Dies beschreibt eine atypische, sich gegen eine Einordnung in allgemeine Lebenserfahrung sperrende Verhaltensweise, so dass nicht im Wege des Anscheinsbeweises darauf geschlossen werden kann, der frühere Beklagte zu 1) habe den Unfallschaden vorsätzlich verursachen wollen (vgl. auch OLG Hamm in NZV 1994, 34 f., Stiefel/Hofmann, a. a. O., § 152 VVG Rdnr. 9). Es war im vorliegenden Fall vielmehr erforderlich, das konkrete, nach der Beweisaufnahme feststehende Verhalten des früheren Beklagten zu 1) und die vorliegenden, konkreten Umstände daraufhin zu untersuchen, ob zumindest bedingter Vorsatz des früheren Beklagten zu 1) hinsichtlich des von ihm ausgelösten Unfalls und der dadurch eingetretenen Schadensfolgen in ihren groben Umrissen bewiesen ist.

3. Die von dem Landgericht auf Grundlage des Parteivortrags, der Anhörung der Unfallbeteiligten und der Vernehmung der Zeugen getroffenen Feststellungen sind rechtsfehlerfrei gewonnen worden und lassen keine Anhaltspunkte erkennen, die Zweifel an deren Richtigkeit begründen könnten. Das Berufungsgericht hat mithin seiner Entscheidung diese Feststellungen des Landgerichts zugrunde zu legen, § 529 Abs. 1 ZPO.

a) Soweit über die Beweisaufnahme vor dem Landgericht hinausgehend der frühere Beklagte zu 1) im Berufungsverfahren als Zeuge vernommen worden ist, hat dies keine neuen, nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigenden Tatsachen ergeben.

Zwar ist der frühere Beklagte zu 1) in erster Instanz bereits persönlich angehört worden (Protokoll der Sitzung vom 08.06.2004). Jedoch handelt es sich dabei ausdrücklich um eine "informatorische" Anhörung und keine Parteivernehmung. Dem Berufungsgericht ist damit der Weg verschlossen, die Angaben aus einer förmlichen Parteivernehmung wegen des Verlustes der Parteistellung nunmehr als Zeugenaussage zu würdigen. Dem auf eine Zeugenvernehmung gerichteten Beweisantrag des Klägers war somit stattzugeben, da dem Kläger dieses Beweismittel in erster Instanz nicht zur Verfügung gestanden hat, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.

Die Angaben des früheren Beklagten zu 1) in seiner Zeugenvernehmung vor dem Berufungsgericht haben sich als unzuverlässig, widersprüchlich und nicht glaubwürdig erwiesen. Der Senat konnte deswegen keine Überzeugung dahingehend gewinnen, dass diese Angaben des Zeugen wahrheitsgemäß und zutreffend sind.

Der Zeuge hat in seiner Vernehmung nunmehr bekundet, dass er vor den auf der linken Fahrbahn fahrenden Pkw Sharan vielleicht zu knapp eingeschert sei. Er hat aber darauf bestanden, dass er lediglich deswegen gebremst habe, weil auch vor ihm die Kraftfahrzeuge gebremst hätten. Darüber hinaus hat er erstmals die Mutmaßung aufgestellt, dass er von dem nach ihm fahrenden Kraftfahrzeug absichtlich angeschubst worden sei. Der Zeuge hat es von sich gewiesen, dass er mit seinem Bremsvorgang den Fahrer des nachfolgenden Kraftfahrzeugs habe reglementieren wollen.

Demgegenüber hat der Zeuge unmittelbar nach dem Verkehrsunfall, belegt durch den Aktenvermerk der Polizeiinspektion Erlangen-​Stadt vom 08.11.2003, der zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist, erklärt, dass er den Fahrer des Wagens hinter sich habe zur Rede stellen wollen (Strafakten der Staatsanwaltschaft Nürnberg-​Fürth, Az. 601 Js 33624/04, Bl.

27). Die Angaben aus den Strafakten waren als Urkundenbeweis verwertbar, unabhängig von der Frage, ob der damalige Beschuldigte vor dieser Äußerung ausreichend belehrt worden ist. Schutzwürdige Interessen des nunmehrigen Zeugen, die einer Verwertung seiner damaligen, spontanen Angabe entgegenstehen könnten, sind nicht erkennbar. Das damalige Strafverfahren ist abgeschlossen. Sonstige Belange des früheren Beklagten zu 1), die durch das in den §§ 163 a, 136 StPO geschützte Selbstbelastungsverbot noch tangiert sein könnten, sind nicht erkennbar (vgl. zu diesen Grundsätzen: BGH NJW 2003, 1123, 1224 f.). Insbesondere erfüllen die genannten Normen nicht den Zweck, den früheren Beschuldigten vor den zivilrechtlichen Konsequenzen seiner damaligen Äußerungen zu bewahren.

b) Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht in einer Gesamtschau der Äußerungen des früheren Beklagten zu 1) zu der sicheren Überzeugung gelangt, dass seine ersten, spontanen Angaben gegenüber den Polizeibeamten den Geschehensablauf und seine Motive zutreffend wiedergeben. Die spätere Angabe des früheren Beklagten zu 1) im vorliegenden Verfahren stellt sich demgegenüber als taktische Anpassung der Aussage an die jeweils gewünschten Verfahrensergebnisse dar.

Lediglich die Äußerung vor dem Polizeibeamten lässt sich mit sämtlichen vorliegenden Beweismitteln in Deckung bringen. Es steht nämlich fest, dass unmittelbar vor dem Beklagten kein Kraftfahrzeug gefahren ist, das diesen hätte veranlassen können, einen Bremsvorgang einzuleiten. Darüber hinaus ist es dem nachfolgenden Kraftfahrzeug zunächst gelungen, eine Kollision mit dem zum Stillstand gekommenen Kraftfahrzeug des früheren Beklagten zu 1) zu vermeiden. Der Verkehrsunfall ist erst entstanden, weil der diesem nachfolgende Pkw des Klägers nicht mehr ausreichend bremsen konnte und deswegen auf den Pkw Sharan aufgefahren ist. Dieser Unfallhergang wird nicht nur von den betroffenen Kraftfahrzeugfahrern so geschildert. Ihn bestätigt vielmehr auch die an dem Geschehen nicht beteiligte Zeugin C. Keiner der ansonsten über das Unfallgeschehen vernommenen Personen konnte bestätigen, dass der Beklagte zu 1) verkehrsbedingt bremsen musste und erst anhielt, nachdem es bereits zu einer Kollision gekommen ist.

Damit befindet sich lediglich die frühere Angabe des Beklagten zu 1) gegenüber den, den Verkehrsunfall aufnehmenden Polizeibeamten in Übereinstimmung mit den übrigen Beweismitteln. Seine Angaben als Zeuge vor dem Berufungsgericht erweisen sich als objektiv unzutreffend.

4. Im Rahmen der von ihm verfahrensfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden ist, ist das Landgericht in seiner im Ergebnis sachlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass der frühere Beklagte zu 1) den Verkehrsunfall und die Schäden an den nachfolgenden Kraftfahrzeugen vorsätzlich herbeigeführt hat.

a) Dabei musste sich das Landgericht zwangsläufig auf die durch die Beweisaufnahme festgestellten, äußeren Umstände des Verkehrsgeschehens, das Verhalten des früheren Beklagten zu 1) sowie den Unfallhergang stützen und daraus auf die für die Prüfung eines Vorsatzes zu klärenden Wissens- und Willenselemente bei dem früheren Beklagten zu 1) schließen. Das Landgericht hat damit eine zentrale Aufgabe des Tatrichters erfüllt, der es sich nicht – wie die Berufungsbegründung andeutet – dadurch entziehen kann, dass es den Nachweis eines Vorsatzes praktisch von einer ausdrücklichen Äußerung des Handelnden abhängig macht. Das Landgericht konnte vielmehr aus dem äußeren Geschehensablauf in seiner konkreten, nicht notwendig typischen Gestaltung eine volle Überzeugung von dem Wissen und Wollen der handelnden Personen in dieser Situation gewinnen (so etwa auch OLG Köln, NVersZ, 1999, 288, 289).

b) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1) in der Absicht, den Fahrer des nachfolgenden Kraftfahrzeugs zu reglementieren, seinen Pkw im fließenden Verkehr von ca. 40 km/h stark bis zum Stand abgebremst hat, und hat zutreffend daraus geschlossen, dass dem Beklagten in einer solchen Situation die naheliegende Möglichkeit eines Auffahrunfalls und der daraus resultierende Schaden bekannt gewesen ist und er diese Folgen seines Handelns billigend in Kauf genommen hat (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation etwa OLG Nürnberg, VersR 1981, 1123 f.; Kammergericht Berlin, Urteil vom 10.07.1989, Az. 12 U 4852/88, zitiert nach Juris, Rdnr. 30). Der frühere Beklagte zu 1) hat durch das Bremsmanöver, unmittelbar nach Überqueren einer Kreuzung, im fließenden Verkehr in dramatischer, für die anderen Verkehrsteilnehmer unkalkulierbarer Weise den Verkehrsfluss unterbrochen und ein unübersehbares Gefahrenpotential aufgebaut, so dass die nahe Möglichkeit von erheblichen Sachschäden sich nicht nur aufgedrängt hat, sondern nach dem Hintergrund- und Alltagswissen jedes Kraftfahrers als sicher eintretend auch vom früheren Beklagten zu 1) erkannt worden ist. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses Risiko aufgrund der Besonderheiten der Verkehrssituation im vorliegenden Fall nicht realisieren könnte, haben nicht vorgelegen und sind auch nicht für das Verhalten des früheren Beklagten zu 1) bestimmend geworden. Er wusste, dass im fließenden, 2-​spurigen Verkehr, nach Passieren einer Lichtzeichenanlage, unmittelbar nach Überfahren einer Kreuzung für keinen der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer auch nur die entfernte Erwartung einer Notbremsung zum Stand durch den vorausfahrenden Pkw bestanden hat. Die Realisierung des von ihm durch den Bremsvorgang geschaffenen, dramatischen Risikos hat mithin der frühere Beklagte zu 1) zumindest billigend in Kauf genommen.

c) Unerheblich ist, ob der frühere Beklagte zu 1) gerade die Kollision zwischen dem Kraftfahrzeug des Klägers und dem Pkw Sharan des Zeugen M vorhergesehen hat. Der Vorsatz des Schädigers muss sich lediglich auf die geschaffene Gefahr, den Verkehrsunfall und die möglichen Schadensfolgen in ihren Umrissen erstrecken. Eine exakte Entsprechung zwischen dem vom Schädiger gebilligten Schadenseintritt und den tatsächlich eingetretenen Schäden ist nicht erforderlich (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-​RR 1994, 353, 354; OLG Nürnberg, VersR 1991, 1123 f.). Ohne Bedeutung ist mithin, ob der Beklagte auch die Möglichkeit bedacht hat, dass erst das übernächste, ihm nachfolgende Kraftfahrzeug und ein weiter dahinter fahrendes Fahrzeug das Unfallgeschehen auslösen und an diesen Kraftfahrzeugen die Schäden auftreten.

d) Der Sachschaden an den beteiligten Kraftfahrzeugen schließlich ist eine so typische Folge eines Verkehrsunfalls, dass er zwanglos von einem auf den Unfalleintritt gerichteten Vorsatz als Schadensfolge umfasst wird.

e) Die fehlerfreie Beweiswürdigung des Landgerichts kann nicht durch den Hinweis auf Urteile entkräftet werden, in denen in anderen Schädigungssituationen das dort entscheidende Gericht eine Überzeugung von einem vorsätzlichen Handeln des Versicherungsnehmers nicht gewinnen konnte.

Dies folgt gerade daraus, dass der Senat – in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht in der Berufungsbegründung – die Regeln eines Anscheinsbeweises auf solche Geschehensabläufe nicht für anwendbar erachtet. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass auch keine Erkenntnisse aus einer Typik der Gefahrensituation gegen die Annahme eines vorsätzlichen Handelns gewonnen werden können.

Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die vom Kläger zum Beleg einer vergleichbaren Beweissituation herangezogenen Entscheidungen in der konkreten Fallgestaltung sichtbar vom vorliegenden Geschehensablauf unterscheiden. Die Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.02.1983 (NJW 1983, 1739 f.) und 17.06.1998 (NZVersR 1998, 45 f.) oder die Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 11.11.1992 (NJW-​RR 1994, 353) basieren auf Sachverhalten außerhalb des Straßenverkehrs (Brandstiftung durch einen 15-​Jährigen, Entzünden einer mit Benzin getränkten Hose, Schreckschusspistolenschuss am Ohr), aus denen sich für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits über die vom Senat geteilten allgemeinen Beweisregeln hinaus keine Erkenntnisse gewinnen lassen. Soweit einzelne Entscheidungen sich auf Ereignisse im Straßenverkehr beziehen (vgl. etwa OLG München, OLG-​Report 1997, 65), unterscheiden sich die Unfallkonstellationen, die eingetretenen Schäden (kurzes Abbremsen auf der Autobahn, schwere Unfallverletzungen) und mithin auch die Indizien für und die Anforderungen an die Reichweite des Vorsatzes substantiell von den tatsächlichen Grundlagen des vorliegenden Verfahrens.

Der Senat folgt somit der zutreffenden Beweiswürdigung des Landgerichts und gelangt ebenfalls zu der Feststellung, dass der frühere Beklagte zu 1) den streitgegenständlichen Unfallschaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Deswegen besteht nach § 152 VVG kein Anspruch des früheren Beklagten zu 1) gegen seine Haftpflichtversicherung. Dies hat zur Folge, dass auch dem Kläger als Unfallgegner ein Direktanspruch gegen die Beklagte nicht zusteht.

5. Die Berufung des Klägers war deswegen zurückzuweisen.

Lediglich die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Urteils ist abzuändern. Da die Entscheidung gegen zwei am Verfahren beteiligte Beklagte zu einem unterschiedlichen Ergebnis gelangt ist, mussten nach § 100 ZPO die Grundsätze der Baumbachschen Kostenformel berücksichtigt werden.

6. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt § 97 Abs. 1 ZPO.

7. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 10 ZPO.

8. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Zulassung auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die vorliegende Entscheidung befasst sich mit der Anwendung allgemein anerkannter Grundsätze auf eine in ihrem tatsächlichen Gehalt umstrittene Unfallsituation.



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