Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 15.12.1970 - VI ZR 97/69 - Zur Leistungsfreiheit des Versicherers gegenüber Fahrer und Halter bei vorsätzlichem Unfall

BGH v. 15.12.1970: Zum Umfang des Risikoausschlusses bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den mitversicherten Fahrer


Der BGH (Urteil vom 15.12.1970 - VI ZR 97/69) hat entschieden:
  1. Die Haftung des Kraftfahrzeughalters, der sein Fahrzeug ungesichert über Nacht auf öffentlicher Straße abstellt und dadurch die Benutzung des Fahrzeugs durch Unbefugte schuldhaft ermöglicht, umfasst auch Schäden, die dadurch entstehen, dass der Schwarzfahrer bei dem Versuch, sich einer Festnahme zu entziehen, mit dem KFZ einen Polizeibeamten bedingt vorsätzlich verletzt.

  2. Zum Umfang des Risikoausschlusses bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den mitversicherten Fahrer.

Siehe auch Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Voll- oder Teilkaskoversicherung und Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Versicherung


Tatbestand

Die Beklagte ist der Kraftfahrzeug-​Haftpflichtversicherer des Schlossers Wilfried V. Dieser stellte das versicherte Fahrzeug – einen Personenkraftwagen Opel-​Kapitän am 16. September 1966 gegen 20.30 Uhr auf dem Parkplatz vor seinem Wohnhaus in B ab. Dabei zog er zwar den Zündschlüssel ab, versäumte aber, das Lenkradschloss einzurasten, so dass die Lenkung nicht verriegelt war. Die Türen des Wagens waren ordnungsgemäß verschlossen. In der Nacht brach der damals minderjährige Schlossergeselle Rudolf B mit einer Zange den Wagen auf und fuhr, ohne einen Führerschein zu besitzen, in angetrunkenem Zustand mit zwei Freunden nach G. Dort fiel er gegen 2.30 Uhr wegen seiner Fahrweise einer Polizeistreife auf, die aus dem Kläger und dem Polizeimeister S bestand. Die beiden Polizeibeamten folgten B im Funkstreifenwagen bis zur Bahnhofstraße. Dort hielt B in Höhe der K gasse auf der rechten Fahrbahnseite innerhalb einer markierten Parkfläche an. Der Kläger und Polizeimeister S fuhren mit dem Streifenwagen links neben den Opel-​Kapitän und hielten dort an, um die Fahrzeugpapiere zu kontrollieren. Der Kläger stieg aus, klopfte an die linke Türscheibe des parkenden Fahrzeugs und leuchtete in das Wageninnere. Da die Insassen sich still verhielten, öffnete er die vordere linke Tür, stellte sich zwischen sie und das Fahrzeug und forderte B auf, die Papiere vorzuzeigen. Im gleichen Augenblick startete B, der eine Blutalkoholkonzentration von 1,3 0/00 hatte, überraschend den Motor und fuhr mit Vollgas rückwärts. Um nicht von der offenstehenden Tür umgerissen zu werden, sprang der Kläger auf die untere Führung der Türöffnung und hielt sich mit den Händen am oberen Türrahmen fest. B fuhr im Rückwärtsgang etwa 16 m quer über die Bahnhofstraße und prallte auf der gegenüberliegenden Straßenseite heftig gegen eine Hausmauer. Dabei wurden die linke Rückfront des Wagens erheblich beschädigt und der Fahrersitz aus seiner Halterung gerissen. Der Kläger wurde auf den Gehsteig geschleudert und erlitt einen Bruch der rechten Kniescheibe sowie Schürfwunden am Ellenbogen und Prellungen am Hinterkopf. Wegen dieser Verletzungen wurde er vom 17. bis 30. September 1966 und vom 7. bis 17. April 1967 in der chirurgischen Universitätsklinik in G behandelt. Bis 8. Mai 1967 war der Kläger dienstunfähig. Danach betrug die anerkannte Minderung seiner Erwerbsfähigkeit einstweilen noch 30 %. Ob und in welchem Umfang ein Dauerschaden zurückbleiben wird, ist noch nicht abzusehen.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte müsse als Haftpflichtversicherer des Fahrzeughalters V nach § 3 des Pflichtversicherungsgesetzes in der Fassung vom 5. April 1965 sowohl für seine Ansprüche gegen V als auch für seine Ansprüche gegen den Schwarzfahrer B einstehen. V hafte aus Verschulden, weil er sein Fahrzeug nicht ausreichend durch das Einrasten des Lenkradschlosses gesichert und dadurch die Ingebrauchnahme des Wagens durch B ermöglicht habe. Soweit B den Schaden zu ersetzen habe, sei die Beklagte nicht nach § 152 VVG von ihrer Haftpflicht befreit worden selbst wenn B als unberechtigter Fahrer den Schaden vorsätzlich verursacht habe. Denn nur ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers selbst entbinde den Versicherer von der Haftpflicht. Davon abgesehen habe B bei der Verletzung des Klägers aber auch nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig gehandelt.

Mit der Klage hat der Kläger von der Beklagten 1.142 DM Schadensersatz und 10.000 DM Schmerzensgeld, zusammen also 11.142 DM nebst Zinsen verlangt.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Haftung für den Halter hat sie eingewandt, ihr Versicherungsnehmer V habe die unberechtigte Benutzung seines Wagens nicht durch Verschulden ermöglicht. Da er nicht nach den Deliktsvorschriften hafte, könne der Kläger von ihm kein Schmerzensgeld beanspruchen.

Hinsichtlich des Fahrers B hat sich die Beklagte auf die Haftungsbefreiung nach § 152 VVG berufen. Sie hat geltend gemacht: B habe vorsätzlich gehandelt; er habe mindestens billigend in Kauf genommen, dass der Kläger verletzt wurde. § 152 VVG sei entgegen der Ansicht des Klägers nicht nur anzuwenden, wenn der Versicherungsnehmer selbst den Schaden vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt habe. Diese Bestimmung gelte vielmehr auch bei vorsätzlichem Handeln des unberechtigten, aber nach § 10 II c AKB mitversicherten Fahrers.

Das Landgericht hat dem Kläger 5.157 DM nebst Zinsen (657 DM zum Ersatz des materiellen Schadens sowie 4.500 DM Schmerzensgeld) zugesprochen und im übrigen die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie hat ihr Rechtsmittel im ersten Termin hinsichtlich des dem Kläger zugesprochenen Vermögensschadens in Höhe von 657 DM zurückgenommen und ihren Antrag auf Abweisung der Klage nur noch insoweit weiterverfolgt, als sie verurteilt wurde, an den Kläger Schmerzensgeld zu zahlen.

Der Kläger hat sich der Berufung angeschlossen mit dem Antrag, das Urteil des Landgerichts zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, das über dem zuerkannten Betrag von 4.500 DM nebst Zinsen liege.

Das Oberlandesgericht hat die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts dahin geändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 657 DM nebst Zinsen zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag aus dem Berufungsrechtszug weiter.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.


Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger seine Ansprüche auf Ersatz des Unfallschadens nach § 3 Nr. 1 des Pflichtversicherungsgesetzes unmittelbar gegen die Beklagte geltend machen kann, soweit sie als Haftpflichtversicherer aufgrund des Unfalls zur Leistung verpflichtet ist.

I.

Die Parteien sind sich einig darüber, dass der Schwarzfahrer B aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung verpflichtet ist, dem Kläger ein Schmerzensgeld zu zahlen (§§ 823, 847 BGB). Fraglich kann nur sein, ob die Beklagte insoweit als Haftpflichtversicherer zur Leistung verpflichtet ist. Diese Frage kann nicht mit der Erwägung dahingestellt bleiben, die Beklagte habe aus den unter II dargelegten Gründen mit Rücksicht auf die Pflichtverletzung des Fahrzeughalters V dem Kläger ohnehin ein Schmerzensgeld zu zahlen. Sie muss vielmehr geprüft werden, weil dem Schwarzfahrer B ein größeres Verschulden an der Körperverletzung des Klägers zur Last zu legen ist als dem Fahrzeughalter V und sich deshalb die Verpflichtung der Beklagten ergeben könnte, für B ein höheres Schmerzensgeld zu zahlen.

1. Die Beklagte ist zwar gegenüber dem mitversicherten Fahrer B (§ 10 Abs. 2 b AKB) von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden, weil er den Unfall als unberechtigter Fahrer herbeigeführt hat und weil er zudem nicht im Besitz der vorgeschriebenen Fahrerlaubnis war (§ 2 Abs. 2 b und c AKB). Die Haftungsbefreiung wegen dieser Obliegenheitsverletzungen gilt jedoch nur für das Innenverhältnis der Beklagten zu B. Dem Anspruch des verletzten Klägers kann sie nach § 3 Nr. 4 des Pflichtversicherungsgesetzes nicht entgegengehalten werden.

2. Eine andere Frage ist, ob die Beklagte nach § 152 VVG auch gegenüber dem Kläger von der Haftung befreit ist, weil B den Unfall bedingt vorsätzlich herbeigeführt hat. Das hat das Berufungsgericht angenommen. Das ist entgegen der Ansicht der Revision rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Bei § 152 VVG handelt es sich, wie allgemein anerkannt ist, nicht um eine Obliegenheitsverletzung, die den Versicherer nachträglich von seiner Verpflichtung zur Leistung befreit, sondern um einen subjektiven Risikoausschluss, bei dem von vornherein festgelegt ist, dass ein solcher Schadensfall nicht unter den Schutz des Versicherungsvertrages fällt. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass diese Begrenzung der Haftung auch gegenüber dem geschädigten Dritten wirkt (Prölss, Versicherungsvertragsgesetz, 18.Aufl., § 152 Anm. 1 und OLG Köln, VersR 1960, 410).

b) Die Revision wendet sich vor allem gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, dass § 152 VVG nicht nur bei einer vorsätzlichen und widerrechtlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer gelte, sondern auch dann anzuwenden sei, wenn der mitversicherte Fahrer den Unfall widerrechtlich und vorsätzlich herbeigeführt hat. Ihr ist zuzugeben, dass § 152 VVG nur von dem Versicherungsnehmer spricht. Das steht aber einer Auslegung des Gesetzes, wie sie das Berufungsgericht gibt, nicht entgegen. Es hat im Anschluss an das in BGHZ 26, 133, 137 abgedruckte Urteil des Bundesgerichtshofs zutreffend dargelegt, dass das Versicherungsvertragsgesetz von dem Normalfall der Eigenversicherung ausgeht und deshalb regelmäßig nur vom Versicherungsnehmer spricht (vgl. auch BGHZ 33, 97, 99). Ohne das besonders hervorzuheben, meint es aber für den Fall, dass wie beim mitversicherten Fahrer eine Fremdversicherung vorliegt (BGHZ 49, 130, 133), vielfach auch den Versicherten. Soweit es sich nicht um Rechte und Pflichten handelt, die ihrer Natur nach nur von den Vertragsparteien erfüllt werden können, ist der Versicherte dem Versicherungsnehmer weitgehend gleichgestellt. Auch bei der Änderung des Kraftfahrzeughaftpflichtrechts durch die Neufassung des Pflichtversicherungsgesetzes vom 5. April 1965 hat der Gesetzgeber die Systematik des Versicherungsvertragsgesetzes beibehalten. Daher kann aus der Tatsache, dass § 152 VVG damals unverändert geblieben ist, entgegen der Meinung der Revision nicht geschlossen werden, dass nur ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers selbst den Versicherer von der Leistungspflicht freistellt.

Dass ein vorsätzliches Handeln des Versicherten die gleiche Wirkung hat, ergibt sich zudem auch aus § 79 VVG. Hiernach hat das Verhalten des Versicherten dieselbe rechtliche Bedeutung wie das Verhalten des Versicherungsnehmers selbst. Die Kraftfahrzeug-​Haftpflichtversicherung ist, soweit sie zu Gunsten des Fahrers besteht, eine Fremdversicherung (BGHZ 49, 130, 133). Daher ist § 79 VVG auch auf sie anzuwenden.

Schließlich entspricht diese Auslegung auch dem Sinn und dem Zweck des Gesetzes. § 152 VVG geht davon aus, dass demjenigen, der einen Schaden widerrechtlich und vorsätzlich herbeigeführt hat, kein Versicherungsschutz gewährt werden kann. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob es sich bei dem Schädiger um den Versicherungsnehmer oder um den Versicherten handelt. Wenn der Versicherer grundsätzlich verpflichtet ist, auch für Schäden einzustehen, die ein Schwarzfahrer verursacht, so muss ihm die gleiche Risikobegrenzung nach § 152 VVG zugute kommen, die ihm dann zusteht, wenn der Versicherungsnehmer selbst durch vorsätzliches Handeln den Schaden herbeigeführt hat. Es ist, wie das Berufungsgericht mit Recht hervorhebt, nicht einzusehen, dass der Versicherer im Falle des vorsätzlich handelnden Schwarzfahrers haften, also schlechter gestellt sein soll als im Falle einer vorsätzlichen Schadensverursachung durch den Halter und Versicherungsnehmer.

c) Da B zweifelsfrei widerrechtlich gehandelt hat, hängt die weitere Entscheidung insoweit nur noch davon ab, ob er den Schaden des Klägers auch vorsätzlich herbeigeführt hat. Auch das hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei bejaht.

Der Begriff des Vorsatzes umfasst auch im Versicherungsrecht den bedingten Vorsatz (BGHZ 7, 311, 313 und Urteil des BGH vom 27. Oktober 1954 – VI ZR 132/53 – VersR 1954, 591). Daher entfällt auch bei bedingt vorsätzlichem Handeln der Versicherungsschutz nach § 152 VVG.

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass bedingter Vorsatz vorliegt, wenn der Täter in dem Bewusstsein handelt, durch sein Tun könne einem anderen ein Schaden erwachsen und wenn er weiterhin den als möglich vorgestellten Erfolg für den Fall seines Eintretens gebilligt oder bewusst in Kauf genommen hat (BGH aaO). Das Berufungsgericht hält für bewiesen, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind. Hierzu wird im Berufungsurteil ausgeführt:

B habe bemerkt, dass der Kläger von der offenen Wagentür mitgerissen worden sei. Er habe gleichwohl nicht angehalten, weil er habe fliehen wollen. Er sei über eine Strecke von 16 m mit Vollgas zurückgefahren, offenbar gerade deshalb, weil er den Kläger vorher nicht habe abschütteln können. Dabei habe er, um die Flucht zu erreichen, etwaige Verletzungen des Klägers in Kauf genommen. Mindestens zu der Zeit, als B erkannt habe, dass er den Kläger mitriss, habe er gewusst, dass der Kläger noch nicht zurückgesprungen gewesen sei und sich also nach wie vor im Gefahrenbereich des Fahrzeugs befinde. Spätestens in diesem Zeitpunkt habe er die als möglich vorgestellte Verletzung des Klägers auch gebilligt. Wenn er sie habe vermeiden wollen, habe er sofort anhalten müssen. Das habe er aber nicht getan, weil er um jeden Preis habe fliehen wollen.

Das Berufungsgericht hat rechtsirrtumsfrei aus dem äußeren Ablauf des Geschehens und aus den eigenen Erklärungen des B auf dessen innere Willensrichtung geschlossen. Dabei handelt es sich, obwohl ein innerer Vorgang vorliegt, um die Feststellung einer Tatsache (§ 286 ZPO). Die Erwägungen, die das Berufungsgericht dabei angestellt hat, liegen auf dem Gebiet der dem Tatrichter vorbehaltenen Beweiswürdigung. Sie sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Was die Revision dagegen vorbringt, greift nicht durch (Art. 1 Nr. 4 des Entlastungsgesetzes).

Hiernach ist die Ansicht des Berufungsgerichts zu billigen, dass die Beklagte nach § 152 VVG insoweit von der Haftung freigestellt ist, als Schmerzensgeldansprüche gegen B erhoben werden.


II.

Hinsichtlich des Fahrzeughalters V ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger von ihm und damit auch von der Be-​Beklagten zwar nach §§ 7 Abs. 3, 11 StVG Ersatz seines Vermögensschadens (anerkannte 657 DM), nicht aber auch nach den Deliktsvorschriften die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlangen könne. Dieser Beurteilung kann nicht beigetreten werden.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Kraftfahrer im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht alles in seinen Kräften Stehende tun, um seinen Wagen vor einer Benutzung durch Unbefugte zu bewahren (Urteil vom 31. Januar 1961 – VI ZR 52/60 – VersR 1961, 417 = VRS 20, 251 und die dort angeführte weitere Rechtsprechung des BGH; ferner die Urteile vom 17. April 1962 – VI ZR 116/61, VersR 1962, 639 = VRS 23, 89 vom 12. November 1963 – VI ZR 160/62 – VersR 1964, 300 und vom 19. Oktober 1965 – VI ZR 116/64 – VersR 1966, 79). Die Benutzung von Kraftfahrzeugen durch Personen, die hierzu nicht geeignet oder nicht befugt sind, bringt erfahrungsgemäß erhebliche Gefahren für den Verkehr mit sich. Da sich gerade auf Schwarzfahrten eine unverhältnismäßig große Zahl von Verkehrsunfällen ereignet, ist es gerechtfertigt, dem Halter eines Kraftfahrzeugs eine besondere Obhutspflicht für sein Fahrzeug aufzuerlegen und von ihm zu fordern, dass er alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreift, um Schwarzfahrten zu verhüten.

Das Maß der Anforderungen, die hiernach im Interesse der Verkehrssicherheit zu stellen sind, bestimmt sich in erster Linie nach § 35 StVO, der verlangt, dass ein Kraftfahrer, der sein Fahrzeug verlässt, zur Verhinderung der unbefugten Benutzung "die üblicherweise hierfür bestimmten Vorrichtungen am Fahrzeug in Wirksamkeit setzt". Gegen diese Pflichten hat V verstoßen, denn es ist unstreitig, dass er das Lenkradschloss nicht verriegelt hat, als er seinen Wagen über Nacht auf der Straße stehen ließ. Zu den Sicherungsvorkehrungen, die eine unbefugte Benutzung des Fahrzeugs verhindern sollen, gehört neben dem Abschließen der Türen und dem Abziehen des Zündschlüssels auch das Verriegeln des Lenkradschlosses. Das ergibt sich zweifelsfrei aus § 38 a StVZO. Hiernach müssen Personenkraftwagen und Krafträder eine hinreichend wirkende Sicherungseinrichtung gegen unbefugte Benutzung des Fahrzeugs haben. Dabei ist ausdrücklich bestimmt, dass das Abschließen der Türen und das Abziehen des Zündschlüssels nicht als Sicherung in diesem Sinne gelten. V hat damit auch gegen § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 35 StVO verstoßen (s. dazu unten 2).

Das Berufungsgericht hat ebenfalls angenommen, dass V seine Pflichten aus § 35 StVO verletzt und dadurch die Schwarzfahrt des B schuldhaft ermöglicht hat. Es meint aber, eine Deliktshaftung V sei nicht gegeben, weil sich dessen Handeln und Verschulden darin erschöpfe, die Schwarzfahrt ermöglicht zu haben. Eine Haftung nach § 823 BGB komme nur in Betracht, wenn sich aus der unbefugten Benutzung von vornherein eine nicht unerhebliche Steigerung der Unfallgefahr ergebe und der Halter somit außer der unbefugten Benutzung auch die Gefahr einer erkennbar verkehrswidrigen Benutzung verschuldet habe. An Anhaltspunkten für ein solches weitergehendes Verschulden des Halters fehle es hier.

Diese im Ausgangspunkt zutreffenden Ausführungen berücksichtigen nicht die Gegebenheiten des vorliegenden Falles. Sie werden dem Sinn und dem Zweck der Sicherungspflicht desjenigen Kraftfahrzeughalters nicht gerecht, der sein Fahrzeug über Nacht auf einer öffentlichen Straße abstellt. Sie verkennen das Maß der Anforderungen, die an einen sorgfältigen Fahrzeughalter in einem solchen Falle zu stellen sind. Die Pflicht des Halters, die Benutzung seines Fahrzeugs durch Unbefugte zu verhindern, hat schon allgemein den Sinn, eine gesteigerte Gefährdung des Verkehrs durch nichtqualifizierte Schwarzfahrer zu verhüten, im besonderen durch Betrunkene oder durch Personen, die keinen Führerschein besitzen (so zutreffend von Hippel, VersR 1966, 507, 508). Das musste auch schon zur Unfallzeit jedem Kraftfahrer bekannt sein. Ferner entspricht es der Erfahrung, dass gerade bei Nacht häufig auf der Straße stehende Fahrzeuge entwendet und von angetrunkenen Fahrern oder von Personen ohne Führerschein benutzt werden. Stellt ein Kraftfahrer gleichwohl sein Fahrzeug über Nacht auf einer öffentlichen Straße ab, ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen zu treffen, so erleichtert er damit die unbefugte Benutzung seines Fahrzeugs und steigert die Unfallgefahr nicht unerheblich. Denn er muss damit rechnen, dass es durch eine zum Fahren ungeeignete und auch sonst unzuverlässige Person in den Verkehr gebracht wird und dass es dabei mit erheblich gesteigerter Wahrscheinlichkeit zu einer Schädigung anderer kommen kann.

Allerdings handelt es sich hier nicht wie in den meisten Fällen um einen vom Schwarzfahrer fahrlässig verschuldeten Unfallschaden, sondern um eine bedingt vorsätzliche Körperverletzung, die B bei der Benutzung des Kraftfahrzeugs begangen hat. Das steht aber nicht der Annahme entgegen, dass V den Schaden fahrlässig mitverursacht hat. Die Voraussehbarkeit, wie sie als Voraussetzung des Verschuldens zu fordern ist, erfordert nicht, dass der Täter eine genaue Vorstellung von der Art und dem Umfang des schädlichen Erfolges gehabt hat. Es kommt also nicht darauf an, ob er sich den Unfallverlauf, wie er sich tatsächlich abgespielt hat, mit seinen Folgen in allen Einzelheiten als möglich vorgestellt hat. Daher sind entgegen der Meinung des Berufungsgerichts auch bei V die Voraussetzungen gegeben, unter denen ein Verschulden des Fahrzeughalters im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu bejahen ist. Hiervon abgesehen ist für die noch zu erörternde Haftung V aus § 823 Abs. 2 BGB auch das nach dieser Vorschrift erforderliche Verschulden gegeben (vgl. unten 2).

Die Revisionserwiderung ist der Ansicht, bei einem bedingt vorsätzlichen Handeln des Schwarzfahrers liege der Schaden des Verletzten außerhalb des Schutzbereichs der Rechtsnorm, die der Halter verletzt habe. Hierin kann ihr nicht gefolgt werden. Der Bundesgerichtshof hat schon in seinem Urteil BGHZ 37, 311 ausgesprochen, dass der Schutzzweck des § 7 StVG solche Gefahren nicht ausnimmt, die der Benutzer eines Kraftfahrzeugs bewusst und gewollt gegen einen anderen ausspielt. Von der Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters sind daher Schäden nicht ausgenommen, die dadurch entstehen, dass der Fahrer durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs einen Menschen vorsätzlich tötet. Ähnliches gilt im vorliegenden Fall für die Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB. Auch hier liegt der bedingt vorsätzlich verursachte Schaden nicht außerhalb des Schutzbereichs des Gesetzes. Es will mit der allgemeinen Verpflichtung des Kraftwagenhalters, ein über Nacht auf öffentlicher Straße abgestelltes Fahrzeug gegen unbefugte Benutzung zu sichern, den Schutz Dritter gegen alle Gefahren gewährleisten, die sich aus einer Schwarzfahrt gerade solcher Personen ergeben können, die erfahrungsgemäß solche Fahrzeuge entwenden. Dazu gehört auch die Gefahr, dass solche Schwarzfahrer sich einer Festnahme zu entziehen versuchen und dabei einen anderen bedingt vorsätzlich verletzen. Dass auf einer derartigen Schwarzfahrt ein Fluchtversuch unternommen und dabei auch die Körperverletzung eines anderen, sei es des Verfolgers oder unbeteiligter Dritter, in Kauf genommen wird, ist durchaus nicht ungewöhnlich, sondern entspricht der Erfahrung. Die Körperverletzung des Klägers steht daher entgegen der Meinung der Revisionserwiderung auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit der Pflichtverletzung des V; es fehlt auch nicht an der Zurechenbarkeit unter dem Gesichtspunkt des Normzwecks.

Zusammenfassend ergibt sich, dass V die Körperverletzung des Klägers fahrlässig mitverursacht hat. Daher trifft ihn und damit auch die Beklagte als seinen Haftpflichtversicherer die Pflicht, dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.

2. Zu dem gleichen Ergebnis führt die Erwägung, dass § 35 StVO, den V schuldhaft verletzt hat, dem Schutz der Verkehrsteilnehmer dient und daher als Schutzgesetz anzusehen ist (ebenso OLG Köln, NJW 1957, 346). Daher ergibt sich der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen seines immateriellen Schadens auch aus § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 847 BGB.

Der Tatbestand der unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB ist in dem Verstoß gegen die im Schutzgesetz enthaltene Anordnung erschöpft. Deshalb braucht sich auch das Verschulden des Täters nur auf diesen Verstoß selbst zu beziehen. Ob er bestimmte Folgen seines Verhaltens vorausgesehen hat oder bei gehöriger Sorgfalt hätte voraussehen können, ist hier unerheblich, sofern nicht zum Tatbestand des Schutzgesetzes selbst eine solche Verletzung gehört. Es kommt daher nur darauf an, ob der Täter schuldhaft gegen das Schutzgesetz verstoßen hat (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 1955 – VI ZR 88/54 – VersR 1955, 504 = VRS 9,99). Dass V schuldhaft gegen § 35 StVO verstoßen hat, wurde schon ausgeführt.

3. Die Beklagte will in ihrer Revisionserwiderung auch hier die Haftungsbefreiung des § 152 VVG für sich in Anspruch nehmen. Sie meint, der Haftpflichtversicherer solle unter keinen Umständen für vorsätzlich herbeigeführte Schäden haften, möge nun dem Fahrer oder dem Halter die vorsätzliche Schadenszufügung zur Last fallen. Hierin kann ihr nicht gefolgt werden. Die Beklagte übersieht, dass bei einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung aus demselben Vertrag neben der Eigenversicherung zugunsten des Halters die gedanklich davon zu trennende Versicherung zugunsten des Fahrers und der nach § 10 Abs. 2 AKB mitversicherten Personen besteht. Dabei hat jeder Versicherte für sich einen selbständigen vertraglichen Anspruch darauf, im Schadensfall von den gegen ihn persönlich erhobenen Haftpflichtansprüchen freigestellt zu werden. Diese Besonderheit der versicherten Interessen und die darauf beruhende Selbständigkeit der einzelnen Haftpflichtversicherungsansprüche werden noch dadurch unterstrichen, dass die mitversicherten Personen nach § 10 Abs. 4 AKB ihre Versicherungsansprüche selbständig geltend machen können (BGHZ 49, 130, 133). Hat aber sowohl der Fahrzeughalter V als auch der Schwarzfahrer B einen selbständigen Befreiungsanspruch gegen die Beklagte, so liegt es nahe, dass im Falle des § 152 VVG zwar der vorsätzlich Handelnde seinen eigenen Anspruch auf Versicherungsschutz verliert, dass dadurch aber nicht ohne weiteres auch der Anspruch des anderen vernichtet wird. Dem § 152 VVG liegt, wie schon ausgeführt wurde, der Gedanke zu Grunde, dass demjenigen, der einen Schaden widerrechtlich und vorsätzlich herbeigeführt hat, kein Versicherungsschutz gewährt werden kann. Dem Gesetz ist aber nichts dafür zu entnehmen, dass bei vorsätzlichem Handeln eines Mitversicherten auch der Anspruch des nur fahrlässig handelnden Versicherungsnehmers auf Befreiung von den gegen ihn erhobenen Haftpflichtansprüchen beeinträchtigt werden soll.


III.

Nach alledem kann das Berufungsurteil insoweit nicht bestehen bleiben, als dem Kläger ein Schmerzensgeld versagt wurde. Da über die Höhe des zu zahlenden Betrages durch den Tatrichter zu entscheiden ist, war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.



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