Das Verkehrslexikon
Landgericht Coburg Urteil vom 07.02.2007 - 21 O 645/06 -
LG Coburg v. 07.02.2007: Zur Annahme von grober Fahrlässigkeit bei absoluter Fahruntüchtigkeit
Das Landgericht Coburg (Urteil vom 07.02.2007 - 21 O 645/06) hat entschieden:
Bei absoluter Fahruntüchtigkeit ist grundsätzlich von grober Fahrlässigkeit auszugehen. Die gesteigerte Vorwerfbarkeit wird widerlegbar vermutet. Dies führt zur völligen Leistungsfreiheit in der Kaskoversicherung und zum auf 5.000,00 € begrenzten Regress in der Haftpflichtversicherung.
Siehe auch Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Voll- oder Teilkaskoversicherung und Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Versicherung
Zum Sachverhalt: Der Kläger begehrte Leistungen aus einer Kaskoversicherung. Die Beklagte berief sich auf Leistungsfreiheit auch in der Haftpflichtversicherung.
Der Kläger hatte bei der Beklagten für seinen PKW eine Kfz-Haftpflicht und eine Vollkaskoversicherung. Am 08.03.2006 gegen 22.00 Uhr fuhr der Kläger in Mainz auf der BAB A60 in Richtung Rüsselsheimer Dreieck. Dabei geriet er vom linken auf den rechten Fahrstreifen und prallte mit seinem BMW gegen das Heck eines anderen Pkws. Eine dem Kläger um 23.20 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK zur Entnahmezeit von 1,74 Promille. Die Beklagte entzog daraufhin dem Kläger die Haftpflichtversicherungsschutz bis zu einem Betrag von 5.000,00. EUR und versagte ihm in der Kaskoversicherung den Versicherungsschutz.
Der Kläger behauptet, seine Frau habe ihm am 05.03.2006 für ihn völlig überraschend mitgeteilt, dass sie sich von ihm trennen wolle. Er habe sich deshalb … in Mainz ein Zimmer genommen. Am Nachmittag des 08.03.2006 habe er sich mit seiner Ehefrau getroffen, um zu, versuchen, seine Ehe zu retten. Das Gespräch habe aber nicht den gewünschten Verlauf genommen. Er habe, daraufhin telefonisch einen Detektiv beauftragt, seine Frau von der Wohnung aus zu verfolgen und zu observieren. Er selbst sei ins ... zurückgefahren. Dort habe er 375 ml Wein getrunken. Vor dem nachmittäglichen Gespräch mit seiner Ehefrau habe er ein Glas Bier getrunken. Weiteren Alkohol habe er am Unfalltag nicht zu sich genommen. Er habe ein Schlafmittel, das Medikament Stilnox, genommen, das Benzodiazepine enthalte, sowie ein Antidepressivum, das allerdings erst nach vier bis fünf Tagen wirke. Dann habe er sich ins Bett gelegt und sei eingeschlafen. Nach etwa 20 bis 30 Minuten habe ihn völlig überraschend ein Anruf des Detektivs erreicht. Dieser habe ihm mitgeteilt, er habe die Frau des Klägers in Frankfurt in flagranti angetroffen. Der Detektiv habe ihm auch den genauen Aufenthaltsort seiner Frau genannt. Von diesem Zeitpunkt bis zum Unfall wisse er nichts. Noch bei der Blutentnahme im Krankenhaus sei er in Trance gewesen. Der Kläger behauptet, er sei offensichtlich schuldunfähig gewesen.
Der Kläger hatte ursprünglich beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung wegen des Verkehrsunfalls vom 08.03.2006 auch bezüglich eines Betrages von 5.000,00 EUR sowie vollständig in der Kaskoversicherung zu gewähren, erklärte nach Erhebung der Widerklage die Hauptsache hinsichtlich der Haftpflichtversicherung für erledigt und beantragte Verurteilung hinsichtlich der Kaskoversicherung.
Die Beklagte hat widerklagend ihre Aufwendungen aus dem Haftpflichtvertrag (5.000,00 € abzüglich Prämienguthaben) geltend gemacht.
Die Klage blieb erfolglos; die Widerklage hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... I.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der Kaskoversicherung. Die Beklagte ist nämlich von der Verpflichtung zur Leistung frei, da der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 61 VVG). Eine dem Kläger nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration zur Entnahmezeit von 1,74 Promille. Der Kläger war somit absolut fahruntüchtig.
Bei absoluter Fahruntüchtigkeit ist grundsätzlich von grober Fahrlässigkeit auszugehen. Die gesteigerte Vorwerfbarkeit wird widerlegbar vermutet.
Diese Vermutung ist vorliegend nicht widerlegt.
Zwar wird die Sachverhaltsdarstellung des Klägers insofern bestätigt, als chemisch-toxikologische Untersuchungen den Nachweis des Schlaf- und Beruhigungsmittels Zolpidem (Stilnox) im Blut des Beschuldigten in einem therapeutischen Konzentrationsbereich erbrachten. Alkohol und Zolpidem können nach dem im Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten des … vom 04.10.2006 eine Wechselwirkung im Sinne einer gegenseitigen Wirkungsverstärkung eingehen.
Andererseits spricht für die behauptete Schuldunfähigkeit lediglich bzw. allenfalls die eigene Darstellung der Vorgeschichte des Unfalls durch den Kläger. Diese Darstellung wird von der Beklagten bestritten und vom Kläger nicht unter Beweis gestellt.
Auch wenn der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung durchaus einen sympathischen Eindruck hinterließ, ist seine Sachverhaltsschilderung nicht nachvollziehbar. Die von ihm angegebene Aufnahme von lediglich einem Glas Bier gegen 15.00 Uhr und von 375 ml Wein am Abend des Unfalltages ist, wie der Kläger als Arzt auch selbst weiß, nicht geeignet, die hohe Blutalkoholkonzentration von 1,74 Promille auch nur annähernd zu erklären. Auch im Übrigen ist die Darstellung des Klägers nicht frei von Ungereimtheiten. So ist kaum zu erklären, wie der vom Kläger erst nach dem fruchtlosen Gespräch mit seiner Frau verständigte Detektiv diese bereits von ihrer Wohnung aus beschatten konnte. Dies kann aber letztlich dahinstehen.
Gegen die vom Kläger behauptete Schuldunfähigkeit spricht zudem sein zielgerichtetes Vorgehen nach dem Anruf des Detektivs. Er war offensichtlich in der Lage, den vom Detektiv angegebenen Aufenthaltsort seiner Frau zu verstehen und zu behalten. Er verließ das Hotel, ging zu seinem Auto und fuhr bis zum Unfallort ca. 15 km. Auch nach dem Unfall setzte er seine Absicht, seine Ehefrau „in flagranti" zu erwischen, zielgerichtet und letztlich erfolgreich fort, indem er nach der Blutentnahme im Krankenhaus mit dem Taxi weiter in die Frankfurter Innenstadt fuhr und dort auch tatsächlich an dem vom Detektiv angegeben Aufenthaltsort seine Frau fand.
Der Kläger hat für die von ihm behauptete Schuldunfähigkeit Sachverständigenbeweis angeboten. Für einen solchen fehlen wegen der bestrittenen hinsichtlich der Alkoholaufnahme auch nicht nachvollziehbare Sachverhaltsdarstellung des Angeklagten aber hinreichende Anknüpfungstatsachen. Zudem wurde im Ermittlungsverfahren das Gutachten des … vom 03.11.2006 eingeholt. Darin gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass sich Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit nicht ergeben haben. Zwar versieht der Sachverständige diese Feststellung mit der üblichen Einschränkung, eine abschließende Beurteilung müsse einer etwaigen Hauptverhandlung unter Einvernahme des Beschuldigten und der Zeugen vorbehalten bleiben. Diese Einschränkung kommt vorliegend aber nicht zum Tragen, da der Kläger von dem Detektiv, dessen Anruf unterstellt werden kann, abgesehen, keinen Zeugen für den Unfall und seine Vorgeschichte benannt hat. Das im Ermittlungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten konnte gem. § 411 a ZPO in der seit .dem 01.01.2007 gültigen Fassung verwertet werden.
Für die Kausalität der Alkoholbeeinflussung für den Versicherungsfall spricht der Beweis des ersten Anscheins. Dieser wird durch das Unfallgeschehen - der Kläger wechselte vom linken auf den rechten Fahrstreifen und fuhr auf einen PKW auf - nicht widerlegt, sondern bestätigt.
II.
Die Widerklage ist zulässig und begründet.
Gem. §2 b Abs. l Satz 1 e, Abs. 2 ist die Beklagte von der Verpflichtung zur Leistung frei, da der Kläger in Folge Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Diese Leistungsfreiheit ist auf den Betrag von 5.000,00 EUR beschränkt.
Dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig war, ist unstreitig. Hinsichtlich des Verschuldens wird auf das unter I. Gesagte Bezug genommen.
Die Beklagte hat zur Regulierung des vom Kläger verursachten Unfalls als Haftpflichtversicherer bislang Aufwendungen in Höhe von 7.554,74. EUR geleistet. Dies hat sie durch die im Termin übergebenen Unterlagen, insbesondere das Sachverständigengutachten und die Korrespondenz bewiesen. Im Übrigen trägt der Kläger in der Klageschrift (Bl. 2) selbst vor, dass beide Unfallbeteiligte materielle Schäden in Höhe von 10.000,00 EUR erlitten. Von den 5.000,00 EUR hat die Beklagte das unstreitige Prämienguthaben des Klägers in Höhe von 194,76 EUR abgezogen. ..."