Das Verkehrslexikon
OLG Schleswig Urteil vom 07.07.2005 - 7 U 3/03 - Zur je hälftigen Haftung bei Unfall zwischen Abbieger in Mülldeponie und in unklarer Verkehrslage überholendem Porsche
OLG Schleswig v. 07.07.2005: Zur je hälftigen Haftung bei Unfall zwischen Abbieger in Mülldeponie und in unklarer Verkehrslage überholendem Porsche
Das OLG Schleswig (Urteil vom 07.07.2005 - 7 U 3/03) hat die Haftung bei einem Zusammenstoß einer nach links in ein Grundstück (Mülldeponie) abbiegenden Kehrmaschine mit einem überholenden Porsche auf jeweils 50 % festgesetzt.
Ein eingeholtes Sachverständigengutachten hatte ergeben:
- Der Führer der Kehrmaschine hätte den Porsche unmittelbar vor dem Abbiegebeginn im linken Außenspiegel erkennen und durch Abbruch des Abbiegevorgangs die Kollision vermeiden können.
- Der Porschefahrer hätte den linken Fahrtrichtungsanzeiger der Kehrmaschine, im Zuge des Ausschervorgangs erkennen und den Verkehrsunfall durch eine nachfolgende Bremsung vermeiden können.
Siehe auch Unfälle zwischen Überholer und vorausfahrendem Linksabbieger
Zum Verständnis: In der Entscheidung ist der Zeuge L. der Führer der Kehrmaschine, der Drittwiderbeklagte der Porschefahrer.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Den Zeugen L. trifft ein Verschulden; als Linksabbieger war er gemäß § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO verpflichtet, vor dem Einordnen als auch erneut vor dem Abbiegen Rückschau zu halten; darüber hinaus hatte sich der Zeuge gemäß § 9 Abs. 5 StVO insgesamt so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Wann ein „Grundstück“ dieser Regelung unterfällt, bestimmt sich funktionell danach, ob der Fahrzeugführer durch das Abbiegen auf die betreffende Fläche den fließenden Verkehr verlässt; als fließend ist dabei der Verkehr zu qualifizieren, der dem Bestreben nach einer zügigen Ortsveränderung dient; ein solcher fließender Verkehr bestand auf der Zuwegung zur Mülldeponie nicht.
Der Zeuge durfte trotz erfolgter Einordnung zur Fahrbahnmitte und trotz Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers nicht darauf vertrauen, dass sämtliche hinter der Kehrmaschine befindlichen Verkehrsteilnehmer seine Abbiegeabsicht erkennen würden, zumal die Zuwegung zur Mülldeponie durch andere Verkehrsteilnehmer nur schwer ausgemacht werden konnte. Auf der Landesstraße befand sich im Bereich des Kollisionsortes kein Überholverbot. Die Sicht war zum Unfallzeitpunkt gut. Die Straße verläuft an der Unfallstelle geradeaus. Dass Gegenverkehr herrschte, ist nicht ersichtlich.
Den Drittwiderbeklagten trifft gleichfalls ein Verschulden; er hat trotz unklarer Verkehrslage zum Überholen angesetzt.
Unklar ist eine Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO, wenn nach allen Umständen mit ungefährdendem Überholen nicht gerechnet werden darf; dieses ist zwar noch nicht allein deshalb der Fall, weil ein vorausfahrendes Fahrzeug langsam fährt; jedoch liegt eine unklare Verkehrslage dann vor, wenn sich insgesamt nicht verlässlich beurteilen lässt, was Vorausfahrende sogleich tun werden (vgl. OLG Schleswig NZV 1994, 30, 31).
Der Drittwiderbeklagte konnte und musste vor Beginn seines Überholmanövers erkennen, dass vor dem von ihm gelenkten Porsche zwei Fahrzeuge hinter der Kehrmaschine herfuhren, ohne diese zu überholen, obgleich ihre Fahrgeschwindigkeit nur ca. 20 km/h betrug, obgleich die Sichtverhältnisse gut waren, die Straße geradeaus verlief, kein Überholverbot bestand und kein Gegenverkehr herrschte. Soweit der Drittwiderbeklagte nach seiner Einlassung nicht erkannte, dass der Zeuge den Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt hatte, hätte er zumindest durch das Fahrverhalten der zwischen ihm und der Kehrmaschine befindlichen Fahrzeuge darauf schließen müssen, dass deren Fahrer ein Überholen aus bestimmten Gründen für untunlich hielten.
Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile führt zu einer Haftungsquote von 50 % zu 50 %; die Anteile der beiden beteiligten Fahrzeugführer und Fahrzeuge am Zustandekommen des Unfalls wiegen gleich schwer:
Dem Zeugen oblagen besondere Sorgfaltspflichten bei der Durchführung des Abbiegemanövers (zweite Rückschau und Ausschluss der Gefährdung anderer); der Drittwiderbeklagte durfte in der konkreten Situation nicht überholen (unklare Verkehrslage und damit ein Überholverbot), zudem hätte er nach den Ausführungen des Sachverständigen auch noch während des rechtswidrig begonnenen Überholmanövers den Fahrtrichtungsanzeiger der Kehrmaschine erkennen und bremsen können.
Die Betriebsgefahren der Fahrzeuge wiegen ebenfalls gl
eich schwer, auf der einen Seite die Größe, das Gewicht und die damit einhergehende Schwierigkeit der Beherrschung der Kehrmaschine, auf der anderen Seite die erhebliche Motorleistung des Porsche mit der beim Überholvorgang erheblich gesteigerten Beschleunigung (s. zu der Haftungsquote die ähnlichen Sachverhaltskonstellationen KG VRS 62, 95, 97; OLG Celle, OLG Report 2003, 39). ..."