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OLG München Urteil vom 01.12.2006 - 10 U 4638/06 - Zur Kollision zwischen Linksabbiegefr und Überholer im Überholverbot

OLG München v. 01.12.2006: Zur Kollision zwischen Linksabbiegefr und Überholer im Überholverbot


Das OLG München (Urteil vom 01.12.2006 - 10 U 4638/06) hat entschieden:
Im Falle einer Kollision zwischen einem Linksabbieger und einem trotz Überholverbot und erkennbarer Linksabbiegeabsicht des Vorausfahrenden überholenden Fahrzeug, dessen Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht nur unerheblich überschreitet, tritt nach Auffassung des Senats das im Verstoß gegen die zweite Rückschaupflicht liegende Verschulden sowie die Betriebsgefahr des Linksabbiegers grundsätzlich zurück und der Überholer haftet alleine.


Siehe auch Unfälle zwischen Überholer und vorausfahrendem Linksabbieger


Zum Sachverhalt: Die Klägerin machte gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, welcher sich am 13.01.2006 gegen 10.30 Uhr außerorts auf der B ...2 in Fr..-Li.. ereignete. Der Fahrer des klägerischen Lkw Mercedes, 7,5 to., fuhr hinter einem in gleicher Fahrtrichtung fahrenden Radlader. Hinter dem Lkw der Klägerin fuhr ein Kleinbus (20 Sitzplätze).

Der Fahrer des klägerischen Lkw wollte an der Abzweigung Lö...str. nach links abbiegen.

Die Abzweigung befand sich im Bereich eines durch Zeichen 276 angeordneten Überholverbotes mit Zusatzzeichen, durch welches das Überholen landwirtschaftlicher Fahrzeuge gestattet war. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war auf 80 km/h beschränkt. Der Fahrer des klägerischen Lkw hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt.

Der Erstbeklagte befand sich mit dem unbeladenen Lkw der Beklagten zu 2), amtl. Kennzeichen A... 8, zul. Gesamtgewicht 40 to., hinter dem Kleinbus und beabsichtigte, die vorausfahrenden Fahrzeuge zu überholen. Er fuhr auf die Gegenfahrbahn, wo es zur Kollision mit dem linksabbiegenden Lkw der Klägerin kam.

Während des Rechtsstreits regulierte die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 2), die Beklagte zu 3) den Schaden auf der Basis einer Haftungsverteilung von 60 % zu 40% zu Lasten der Beklagten, worauf die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärten.

Das Landgericht hat nach umfassender Beweisaufnahme die noch streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote der Klägerin von 20 % zugesprochen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie strebte den Wegfall ihrer Mithaftung an, wobei sie entgegen ihrem Vortrag in der Klageschrift behauptet, der Fahrer des klägerischen Lkw sei seiner zweiten Rückschaupflicht nachgekommen.

Das Rechtsmittel blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das Landgericht ist zu Recht von einer Haftungsverteilung von 80 % zu 20 % zu Gunsten der Klägerin ausgegangen und hat einen darüber hinausgehenden Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz verneint.

Der Senat hält die Ausführungen des Landgerichts sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung für zutreffend.

Ergänzend ist noch folgendes auszuführen:

Die nach §§ 17 II, I StVG zu treffende Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge durch das Landgericht ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Der Erstbeklagte hat sich grob verkehrswidrig verhalten, als er die vor ihm befindlichen drei Fahrzeuge überholen wollte. Bei Annäherung an die Unfallörtlichkeit hatte er zunächst das Verkehrszeichen 276 zu beachten, welches allerdings nach weiteren 300 m - noch eine deutliche Wegstrecke von der Unfallörtlichkeit entfernt - durch das Zusatzzeichen „landwirtschaftliche Fahrzeuge dürfen überholt werden“ eingeschränkt wurde. Die Annäherungsgeschwindigkeit betrug - wie die Auswertung der Tachographenscheibe des Lkw der Beklagten zu 2) durch den Sachverständigen Dipl. Ing. Ra...ergab - 75 km/h. Der Beklagte zu 1) hat zwar nicht die an der Unfallörtlichkeit allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit, welche an der Unfallörtlichkeit auf 80 km/h begrenzt war überschritten, wohl aber die für den von ihm geführten Lkw gem § 3 III Nr. 2 b StVO geltende Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Letzteres war zwar nicht unfallursächlich, erhöhte aber die Betriebsgefahr des Lkw, der andererseits unbeladen war. Weiter war die Abzweigung nach links ebenso wie eine von rechts kommende Einmündung sichtbar (Bl.48 d.A.) und die Anbringung des Zeichens 276 kam entsprechend der hierzu ergangenen Verwaltungsvorschrift Nr. I 3 gerade deshalb in Betracht, weil kein besonderer Streifen für Linksabbieger vorhanden ist.

2. Der Fahrer des Lkw der Klägerin hat gegen die ihm nach § 9 I S. 4 StVO obliegende Pflicht, vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten verstoßen. Dies hat die Klagepartei in der Klageschrift (dort S. 4 = Bl. 4 d.A.) selbst vorgetragen. Der Verstoß gegen die zweite Rückschaupflicht wurde vom Landgericht auch rechtsfehlerfrei festgestellt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen erfolgte die Kollision in der ersten Sekunde des Abbiegevorganges des klägerischen Lkw; zu diesem Zeitpunkt dauerte der Überholvorgang des Beklagten zu 1) - unter Berücksichtigung der erforderlichen Querversatzzeit auf die Gegenfahrbahn von mindestens 4 Sekunden und der für das Überholen des Kleinbusses zwingend erforderlichen Zeit - mindestens bereits seit 6 Sekunden an. Bei Beachtung der Rückschaupflicht vor dem Abbiegen war der Beklagte zu 1) daher für den Fahrer des Lkw der Klägerin sichtbar, was auch der Sachverständige bestätigt hat (vgl. Sitzungsniederschrift vom 30.06.2006, S. 6, 7 = Bl. 34, 35 d.A.).

Die zweite Rückschaupflicht entfiel vorliegend auch nicht im Hinblick auf § 9 I S. 4 HS. 2 StVO; dass ein Überholverbot angeordnet ist, genügt hierfür jedenfalls außerorts nicht: Erforderlich ist, dass die Möglichkeit eines Überholens aus besonderen Gründen so fern liegt, dass sie auch unter Berücksichtigung der den Linksabbieger treffenden gesteigerten Sorgfaltspflicht vernünftigerweise nicht in Rechnung gestellt werden muss ( BayObLG DAR 1974, 303 ; VRS Jahrgang 1981, Bd.61, 382). Vorliegend galt das Überholverbot nicht ausnahmslos, der Verlauf der Bundesstraße war über eine weite Wegstrecke geradlinig und der Fahrer des Lkw der Klägerin sah seinerseits von einem Überholen des Radladers deshalb ab, da er sich bereits „in der Nähe“ der Abzweigung befand (Betroffenenanhörung vom 25.01.2006 = Bl. 13 der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Passau, Az. 114 JS 4208/06 ) Der Sachverständige führte aus (Sitzungsniederschrift aaO S. 8 = Bl. 36 d.A.), dass die Stelle „zum Überholen verlockt“.

Der Lkw der Klägerin fuhr zunächst mit 55 km/h und verlangsamte sodann bei Annäherung an die selbstfahrende Arbeitsmaschine seine Geschwindigkeit. Der Fahrer des Lkw der Klägerin gab im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme eine von ihm gefahrene Geschwindigkeit von 40 - 50 km/h an (Sitzungsniederschrift aaO S. 4 = Bl.32 d.A.) Die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit der Arbeitsmaschine beträgt 40 km/h (S. 6 der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Passau Az. 114 JS 4208/06 ). In dieser Situation lag ein Überholtwerden trotz des angeordneten Überholverbotes nicht so fern, dass die Pflicht zur Rückschau unmittelbar vor dem Abbiegen entfallen könnte.

3. Im Falle einer Kollision zwischen einem Linksabbieger und einem trotz Überholverbot und erkennbarer Linksabbiegeabsicht des Vorausfahrenden überholenden Fahrzeug, dessen Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht nur unerheblich überschreitet, tritt nach Auffassung des Senats das im Verstoß gegen die zweite Rückschaupflicht liegende Verschulden sowie die Betriebsgefahr des Linksabbiegers grundsätzlich zurück und der Überholer haftet alleine (OLG München VersR 1975,1058; LG Hildesheim SP 1992, 301).

Wegen der im vorliegenden Fall bestehenden Besonderheiten (geradliniger Streckenverlauf, eingeschränktes Überholverbot, welches das Überholen landwirtschaftlicher Fahrzeuge gestattete, langsam mit ca.40 km/h über eine längere Strecke fahrende Kolonne aus insgesamt drei Fahrzeugen, wobei es sich bei dem vorausfahrenden Fahrzeug um einen Radlader mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h handelte), insbesondere in Verbindung mit dem Umstand, dass der Linksabbieger während eines erheblichen Zeitraumes vor dem Abbiegevorgang (mindestens 5 Sekunden) über eine längere Strecke (zwischen 55,55 m und 76,39 m) den rückwärtigen Verkehr nicht beobachtete, obwohl er seinerseits die grundsätzliche Überholmöglichkeit für den Geradeausverkehr in Rechnung stellte, ist die Verletzung der Rückschaupflicht nicht als so geringfügig zu erachten, dass diese als geringes Verschulden zusammen mit der Betriebsgefahr des linksabbiegenden Lkw zurücktreten könnte. Die vom Landgericht angenommene Haftungsverteilung hat daher im Ergebnis Bestand (vgl. auch LG Kassel VersR 1987,575). ..."



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