Das Verkehrslexikon
BGH Urteil vom 10.01.1978 - VI ZR 164/75 - Zum Anspruch auf Vorhaltekosten bei Beschädigung eines Linienbusses
BGH v. 10.01.1978: Zum Anspruch auf Vorhaltekosten bei Beschädigung eines Linienbusses
Der BGH (Urteil vom 10.01.1978 - VI ZR 164/75) hat entschieden:
- Wer einen Linienbus beschädigt, hat die auf die Reparaturzeit entfallenden Vorhaltekosten eines Reservefahrzeugs auch dann zu ersetzen, wenn der Ausfall des beschädigten Fahrzeugs durch Einsatz einer allgemeinen Betriebsreserve aufgefangen werden konnte. Dass ein Reservefahrzeug eigens für fremdverschuldete Unfälle gehalten wurde, ist nicht erforderlich (Abweichung von BGHZ 32, 280 = VersR 60, 661).
- Neben den Vorhaltekosten wird eine weitere Entschädigung für Nutzungsausfall grundsätzlich nicht geschuldet.
Siehe auch Nutzungsausfall und Nutzungsausfall oder Vorhaltekosten bei gewerblich bzw. geschäftlich oder gemischt privat-geschäftlich genutzten Fahrzeugen
Tatbestand:
Am 18.8.1969 wurde ein damals acht Jahre alter Gelenkomnibus der Klägerin (eines städtischen Verkehrsbetriebs) von einem bei der Beklagten zu 3) gegen Haftpflicht versicherten Muldenkipper der Beklagten zu 2), der von dem Beklagten zu 1) gefahren wurde, beschädigt. Die Ersatzpflicht der Beklagten steht dem Grunde nach fest. Die Parteien streiten nur noch darüber, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang die Klägerin auch Ersatz für ihr während der 107,5 Tage dauernden Reparaturzeit entgangene Gebrauchsvorteile (Nutzungsausfall) verlangen kann.
Das Landgericht hat die Klage insoweit ganz abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin auf deren Berufung hin auf der Basis eines Tagessatzes von 70 DM lediglich Vorhaltekosten in Höhe von 7.525 DM zuerkannt.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Nutzungsausfall weiter und begehrt hilfsweise Vorhaltekosten nach einem höheren Tagessatz. Die Beklagten erstreben mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I
1. Das Berufungsgericht stellt fest, dass die unstreitige Reparaturdauer von 107,5 Tagen der Klägerin nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Wenn damit die ursprüngliche Schätzung des von der Klägerin herangezogenen Sachverständigen ganz erheblich überschritten worden sei, so habe sie das nicht voraussehen können, zumal sich erst bei der Zerlegung des Fahrzeugs der volle Umfang der Schäden gezeigt habe. Auch für Fehler der Reparaturfirma, die die Reparaturzeit verlängert hätten, habe die Klägerin nicht einzustehen.
2. Die hiergegen von der Anschlussrevision erhobenen Rügen haben keinen Erfolg.
Die tatsächlichen Feststellungen, die das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang getroffen hat, sind als solche dem Angriff entzogen. Die erhobenen Verfahrensrügen erachtet der Senat nach Prüfung nicht für durchgreifend (§ 565a ZPO).
Sachlich-rechtliche Fehler sind insoweit nicht zu erkennen. Es entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass die Klägerin ihrer Ersatzforderung diejenige Art der Schadensbeseitigung zugrundelegen darf, die ihr in ihrer besonderen Lage als erforderlich und geeignet erscheinen können, wobei das "Prognoserisiko" bei der tatsächlich durchgeführten Reparatur auf den Schädiger abgewälzt werden kann (vgl Senatsurteil vom 20. Juni 1972 - VI ZR 61/71 - VersR 1972, 1024). Auch braucht sich die Klägerin Fehler des beauftragten Reparaturunternehmens abgesehen vom Fall eines hier nicht festgestellten Auswahlverschuldens den Beklagten gegenüber nicht anrechnen zu lassen (BGHZ 63, 182).
II.
Das Berufungsgericht hat der Kl. für die Dauer der Reparatur die anteiligen jährlichen Vorhaltekosten für einen Omnibus dieser Art zugesprochen, wobei es je Tag der Reparaturzeit 1/365 dieser Kosten in Ansatz bringt. Die von der Kl. in ihre Rechnung eingesetzte zusätzliche Alterungsabschreibung (vgl. dazu Klimke VersR 77, 788 (793) hat es nicht berücksichtigt. Denn es stellt sachverständig beraten fest, dass im Betrieb der Kl. die Fahrzeuge ohnehin bis zur Erschöpfung ihrer technischen Gebrauchsfähigkeit eingesetzt würden. Die Verfahrensrügen der Revision gegen die letztere Feststellung erachtet der Senat nicht für durchgreifend.
Auch einen über die Vorhaltekosten hinausgehenden weiteren Anspruch auf Entschädigung für entgangene Nutzung (vgl. BGHZ 56, 214 = VersR 71, 720) hält es für unbegründet. Diese Entscheidung (das Berufungsurteil ist insoweit in VersR 76, 665 abgedruckt) hat mindestens im Ergebnis gegenüber den Revisionsangriffen beider Parteien rechtlichen Bestand.
1. Die grundsätzliche Ersatzfähigkeit von Vorhaltekosten für ein Reservefahrzeug, soweit sie im gegebenen Fall erforderlich und geeignet waren, einen Ausfallschaden etwa durch Verlust von Einnahmen, durch Inanspruchnahme eines Mietfahrzeugs oder durch arbeits- und kostenaufwendige Behelfsmaßnahmen zu vermeiden, hat der Senat schon in seinem Urteil BGHZ 32, 280 (284 ff.) = VersR 60, 661 (662 re. Sp.) bejaht (vgl. ferner Senatsurteil vom 14.10.1975 VI ZR 255/74 VersR 76, 170). Allerdings hat es das erstgenannte Urteil noch für erforderlich gehalten, dass das ersatzweise eingesetzte Fahrzeug gerade im Hinblick auf befürchtete fremdverschuldete Ausfälle vorgehalten worden ist. Insofern stellt das Berufungsgericht aber fest, dass der Fahrzeugpark der Kl. im Hinblick auf Ausfälle aller Art reichlicher bemessen war, und dass sie die vorhandenen Fahrzeuge alle in etwa gleichem Umfang eingesetzt hat. Dies steht indessen der Ersatzfähigkeit der Vorhaltekosten nicht entgegen. Der Senat hat schon in seinem Urteil vom 14.10.1975 (aaO S. (174) erwogen, dass eine getrennte Vorhaltung von Fahrzeugen für fremdverschuldete und für andere Ausfälle wirtschaftlich eher fernliegt und es daher genügen sollte, dass der Geschädigte die Reservehaltung allgemein mit Rücksicht auf fremdverschuldete Ausfälle messbar erhöht hatte, und dass sich diese Vorsorge dann schadenmindernd ausgewirkt hat. Diese Voraussetzungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils im Streitfall erfüllt. Der Senat tritt daher dem Berufungsgericht aus den schon im Urteil vom 14.10.1975, wenn auch außerhalb der tragenden Begründung, angestellten Erwägungen bei und hält an der früheren Rechtsprechung nicht mehr fest.
Die getrennte Reservehaltung für fremdverschuldete Ausfälle einerseits und andererseits für solche, die auf anderen Ursachen beruhen, entspricht nicht der betriebswirtschaftlichen Praxis und kann deshalb auch nicht aus rein haftpflichtrechtlichen Gesichtspunkten angesonnen werden. Ist, wovon hier nach den tatrichterlichen Feststellungen auszugehen ist, eine sowohl dem Risiko fremdverschuldeter als auch demjenigen anderer Ausfälle insgesamt angemessene Reserve gehalten worden, indem der Gesamtbestand an Fahrzeugen etwas höher lag, als dies ohne unvorhersehbare Ausfälle erforderlich gewesen wäre, dann erscheint es angemessen, den Schädiger mit den auf die Reparaturzeit entfallenden Vorhaltekosten für ein Fahrzeug zu belasten.
a) Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass angesichts einer mehrfachen Zweckbestimmung des bewussten Überbestandes an Fahrzeugen nur die Anrechnung eines Teils der Vorhaltekosten berechtigt sei. Denn auch soweit nicht fremdverschuldete Unfälle einen Rückgriff auf die Reserve erforderlich machen, ist eine solche Aufteilung des dem Schaden gleichzustellenden Vorhalteaufwandes nicht möglich. Daher müsste diese Meinung dazu führen, dass der Geschädigte jeweils nur einen Teil der Bestandserhöhung ersetzt bekommt, die er in Voraussicht fremdverschuldeter Unfälle zusätzlich vorgenommen hat.
Abwegig ist auch dem so begründeten Ersatzanspruch gegenüber der Einwand der Bekl., dass der Ausfall des beschädigten Fahrzeugs für die Kl. nicht "fühlbar" geworden sei. Sie verkennen dabei, dass es insoweit überhaupt nicht um den Ersatz einer Entbehrung geht, sondern um die Erstattung von Kosten, die gerade zur Vermeidung einer schadenrechtlich relevanten Entbehrung aufgewandt worden sind.
b) Ebenso wenig greifen die Verfahrensrügen der Revision gegen die tatrichterliche Bemessung der jährlichen Vorhaltekosten durch. Wenn die Revision ferner meint, das Berufungsgericht habe für jeden Tag der Reparaturzeit nicht nur 1/365 sondern 1/300 der Jahreskosten in Ansatz bringen müssen (Klimke NJW 74, 81 (84), so vermag das jedenfalls die Hilfserwägung des Berufungsgerichts nicht zu entkräften, dass dann auch für das Unfallfahrzeug kein pausenloser Einsatz der Schadenberechnung unterlegt werden dürfe und daher das Ergebnis in etwa ebenso ausfallen müsste.
2. Über die demnach fehlerfrei der Kl. zugesprochenen und der Höhe nach festgestellten Vorhaltekosten hinaus kann die Kl. aber nicht die mit ihrer Revision weiterverfolgten zusätzlichen Entschädigungen für den zeitweiligen Nutzungsausfall beanspruchen.
a) Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass im Betrieb der Kl. die Fahrzeuge bis zur Erschöpfung ihrer technischen Gebrauchsfähigkeit eingesetzt wurden, schließt eine zusätzliche Entschädigung für Alterung des Fahrzeugs während der Reparaturzeit offensichtlich aus. Auf die buchmäßige Wertabschreibung kann es demgegenüber entgegen der Meinung der Revision nicht ankommen.
b) Auch eine besondere Entschädigung für die zeitweilige Gebrauchsentbehrung steht der Kl. nicht zu.
aa) Eine Entschädigung für zeitweise entgangene Gebrauchsvorteile (vgl. BGHZ 40, 345 = VersR 64, 225, 45, 212 = VersR 66, 497, 56, 214 = VersR 71, 720, st. Rspr.) hat der BGH allerdings soweit ersichtlich nur bei privatgenutzten Pkw zuerkannt (inwieweit das Urteil des III. Zivilsenats vom 13.12.1965 III ZR 62/64 VersR 66, 192 Linienomnibus davon eine Ausnahme macht, wird unten erörtert werden). Das bedeutet allerdings nicht, dass die Erwägungen, die bei lediglich privat genutzten Fahrzeugen zur Zubilligung dieser Entschädigung geführt haken, bei gewerblich genutzten Fahrzeugen, Behördenfahrzeugen und Fahrzeugen gemeinnütziger Einrichtungen (vgl. OLG Nürnberg VersR 69, 765) schlechthin ausgeschlossen wären (insofern sind etwa die Ausführungen bei Kötz, Deliktsrecht 1976 S. 212 ff. wohl nur in der Formulierung missverständlich). Wo allerdings das Fahrzeug unmittelbar zur Erbringung gewerblicher Leistungen dient, wie etwa eine Kraftdroschke (anders bei gleichzeitiger privater Nutzung, vgl. OLG München MDR 75, 755 und KG DAR 76, 296 (297), wird sich die Gebrauchsentbehrung unmittelbar in einer Minderung des Gewerbeertrags niederschlagen, und zwar entweder durch den Entgang von sonst zu erwartenden Einnahmen (§ 252 BGB) oder über die mit einer Ersatzbeschaffung verbundenen Unkosten. Soweit dies zutrifft, hat der Geschädigte den Ertragsentgang konkret zu berechnen. Die "Möglichkeit", den Entbehrungsschaden "abstrakt" zu berechnen (Senatsurteil BGHZ 45, 212 (216) = VersR 66, 497/498), bedeutet insoweit keine Wahlmöglichkeit, sondern tritt allenfalls hilfsweise da ein, wo es infolge besonderer persönlicher Anstrengungen oder Verzichten des Geschädigten nicht zu einem Niederschlag im Gewerbeertrag gekommen ist (vgl. auch Kötz aaO S. (215). Die schwierige Aufgabe, die reine Gebrauchsentbehrung nach allgemeinen Gesichtspunkten zu bewerten (vgl. BGHZ 56, 214 = VersR 71, 720), stellt sich also erst, wo eine solche konkret bezifferbare Schadenauswirkung fehlt. Das ist allerdings auch bei gewerblicher Nutzung immerhin denkbar. So mag etwa der zeitweilige Ausfall eines innerbetrieblichen Direktionswagens, für den kein Mietfahrzeug als zeitweiliger Ersatz beschafft wird, durch zeitraubende und lästige Sonderbemühungen von Unternehmer und Personal aufgefangen werden, diese aber müssen, auch soweit sie nicht zusätzlich vergütet werden, nicht dem Schädiger zugute kommen (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 17.3.1970 VI ZR 108/68 VersR 70, 547, für ähnliche Erwägungen hinsichtlich eines polizeilichen Streifenwagens vgl. AG Köln VersR 73, 630). Ob der Senat unter diesen Gesichtspunkten allen Erwägungen im Urteil des III. Zivilsenats vom 13.12.1965 aaO folgen könnte (dazu kritisch schon Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 12. Aufl. TZ (1224), und ob diese nicht jedenfalls ihre Motivation teilweise dadurch verlieren, dass der erk. Senat nunmehr die allzu strengen Anforderungen aufgibt, die er früher an die Anerkennung des Anspruchs auf Vorhaltekosten für ein Fahrzeug aus der Betriebsreserve gestellt hat (oben zu II. 1.), braucht nicht abschließend geprüft zu werden. Denn die dortige Entscheidung ist ersichtlich in besonderem Maße den im Einzelfall getroffenen Feststellungen verhaftet (vgl. schon Senatsurteil vom 14.10.1975 aaO S. 170 re. Sp.).
Überdies bestehen im Ergebnis gegen die damalige Entscheidung des III. Zivilsenats, die auch nur die dort von der Kl. unter Hinweis auf BGHZ 32, 280 = VersR 60, 661 begehrten Vorhaltekosten zugebilligt hat, keine Bedenken. Denn entweder hätten aus der Sicht der nunmehr geänderten Rechtsprechung des erk. Senats wegen des Rückgriffs auf die allgemeine Betriebsreserve Vorhaltekosten für ein Reservefahrzeug anerkannt werden müssen, oder aber es wären, soweit eine Lücke blieb, nach den in BGHZ 56, 214 = VersR 71, 720 entwickelten Grundsätzen jedenfalls die entsprechenden Vorhaltekosten für das zeitweise ungenutzte Schadenfahrzeug zu ersetzen gewesen.
bb) Für eine zusätzliche Nutzungsentschädigung, die bei einem Fahrzeug der hier in Frage stehenden Art schon nach dem bisher Angeführten kaum denkbar ist, kann jedenfalls daneben kein Raum sein (vgl. oben zu II. 1. a. E., so auch Thiele in Festschrift für Felgenträger 1969 S. 404 und Wussow WJ 75, 156). Denn da die durch den zeitweisen Ausfall des Schadenfahrzeugs gerissene Lücke wirksam ausgefüllt werden konnte, ist der Kl. eine weitere Gebrauchsentbehrung nicht entstanden. Der Fall liegt also abgesehen von der hier zu bejahenden Ersatzfähigkeit der Vorhaltekosten für ein Reservefahrzeug ebenso, wie wenn der KI. ein ansonsten brachliegendes Zweitfahrzeug zur Verfügung gestanden hätte (vgl. Senatsurteil vom 14.10.1975 aaO). Die Kl. missversteht das Senatsurteil BGHZ 56, 214 = VersR 71, 720, wenn sie meint, auch ihr müsse nach dessen Leitsatz ein "maßvoller Zuschlag" zu den Vorhaltekosten zugesprochen werden. Dort ging es darum, einen angemessenen Ausgleich für eine tatsächlich entstandene Gebrauchsentbehrung zu finden, die nicht ausgeglichen, sondern von dem Geschädigten unter Verzicht auf einen Mietwagen erduldet wurde. Nur insoweit hat der Senat gewissermaßen als Sockelbetrag die "Vorhaltekosten" eingesetzt, die der Geschädigte für die Verfügbarkeit des Fahrzeugs aufzuwenden bereit war und während des Nutzungsausfalls fruchtlos aufwenden musste, daneben hat er einen Zuschlag für erforderlich erachtet, um den unerwarteten Ausfall des in die Lebensgestaltung eingeplanten Fahrzeugs voll auszugleichen. All diese Erwägungen treffen auf den Fall der Kl. offensichtlich nicht zu.
Der Senat hat zwar in BGHZ 45, 212 (221) = VersR 66, 497 (499 li. Sp. oben) gesagt, für den Ausfall eines zu Erwerbszwecken benutzten Wagens könne nicht nebeneinander Nutzungsausfall und Gewinnentgang verlangt werden; sollte diese Bemerkung indessen dahin verstanden werden können, immerhin könne Nutzungsausfall anstelle des Gewinnentgangs (oder hier: der Vorhaltekosten) verlangt werden, würde der Senat hieran nicht festhalten.
III.
Nach allem bleiben Revision und Anschlussrevision ohne Erfolg.