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Kammergericht Berlin Beschluss vom 13.08.1999 - (3) 1 Ss 155/99 (69/99) - Zur Berechnung des Alkoholierungsgrades zum Vorfallzeitpunkt unter Berücksichtigung eines Nachtrunks
KG Berlin v. 13.08.1999: Zur Berechnung des Alkoholierungsgrades zum Vorfallzeitpunkt unter Berücksichtigung eines Nachtrunks
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 13.08.1999 - (3) 1 Ss 155/99 (69/99)) hat entschieden:
Wenn feststeht, welche Alkoholmenge der Angeklagte maximal nach der Tat zu sich genommen hat, ist zu ermitteln, zu welcher Alkoholkonzentration der Nachtrunk geführt haben kann. Dieser Wert ist von der durch Rückrechnung - ohne Berücksichtigung des Nachtrunks - ermittelten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration abzuziehen.
Siehe auch Nachtrunk - Alkoholkonsum nach dem relevanten Ereignis und Stichwörter zum Thema Alkohol
Zum Sachverhalt:Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 120,- DM verurteilt. Ferner hat es ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen, den ihm erteilten Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von vier Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten verworfen. Die Revision des Angeklagten hat, soweit mit ihr die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird, (vorläufig) Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Wie die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht in ihrer Stellungnahme zu dem Vorbringen des Angeklagten zutreffend ausgeführt hat, beruht die Überzeugung der Strafkammer, der Angeklagte sei zur Tatzeit absolut fahruntüchtig gewesen, auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung. Rechtsfehlerfrei ist die Beweiswürdigung nur, wenn sie auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. BGHR StPO § 261, Vermutung 1, 8 und 11; KG Urteil vom 12. März 1998 - (5) 1 Ss 267/97 (5/98)).
Die Ansicht der Strafkammer, der Angeklagte sei zur Tatzeit erheblich alkoholisiert gewesen, ist danach zwar nicht zu beanstanden, weil der Angeklagte nach eigenen Angaben um die Mittagszeit des Tattages vor der Begegnung mit den Zeugen R. und H. gegen 14.25 Uhr "reichlich" Weinbrand mit Cola getrunken hatte und bei dieser Begegnung deutliche äußere Anzeichen für eine alkoholische Beeinflussung (Alkohol in der Atemluft, gerötete Augen, lallende Aussprache und Gleichgewichtsstörungen) aufwies.
Die Ansicht der Strafkammer, dass der Angeklagte zur Tatzeit unter Einfluß einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 Promille stand und somit absolut fahruntauglich war, ist dagegen nicht ausreichend mit Tatsachen belegt. Entgegen der Ansicht der Strafkammer lässt sich dies hier nicht schon ohne weiteres daraus schließen, dass der Angeklagte eine Stunde nach dem Vorfall einen Blutalkoholgehalt von 1,95 Promille aufwies.
Die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration ist, soweit ein Blutprobenwert vorliegt, im Wege der Rückrechnung festzustellen (vgl. Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl., § 316 Rdnr. 8d). Entbehrlich ist die Rückrechnung bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille zur Zeit der Blutentnahme nur, wenn feststeht, dass sich die Alkoholmenge, die zu dieser Konzentration geführt hat, auch schon zur Tatzeit im Körper befand (vgl. BGHSt 25, 246, 251/252). Bei einem (unwiderlegten) Nachtrunk nach der Tat - wie hier - sind diese Voraussetzungen aber nicht gegeben.
In einem solchen Fall ist eine Rückrechnung geboten, für die der Tatrichter in aller Regel der Hilfe eines Sachverständigen bedarf (vgl. OLG Koblenz VRS 55, 130). Wenn feststeht, welche Alkoholmenge der Angeklagte maximal nach der Tat zu sich genommen hat, ist zu ermitteln, zu welcher Alkoholkonzentration der Nachtrunk geführt haben kann. Dieser Wert ist von der durch Rückrechnung - ohne Berücksichtigung des Nachtrunks - ermittelten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration abzuziehen (vgl. OLG Köln VRS 66, 352, 353). Die Blutalkoholkonzentration, die sich aus dem Nachtrunk ergibt, kann in der Weise berechnet werden, dass die Alkoholmenge (in g) durch das mit dem sogenannten Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht (in kg) geteilt wird (vgl. OLG Köln aaO, m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügen die vorliegenden Urteilsgründe nicht. Die Annahme, dass die Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit bei einer Blutalkoholkonzentration von jedenfalls mehr als 1,1 Promille, wahrscheinlich 1,7 Promille gelegen habe, hat die Strafkammer lediglich darauf gestützt, dass der Angeklagte nach der Tat nicht, wie von ihm behauptet, 6 - 7 Gläser Weinbrand mit Cola, sondern weniger getrunken habe und dass auch der Alkoholsachverständige dem Angeklagten aufgrund seines Erscheinungsbildes und Leistungsverhalten eine mittelgradige Alkoholisierung attestiert habe.
Diese Erwägungen bilden aber keine tragfähige Tatsachengrundlage für die Feststellung der absoluten Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zur Tatzeit, weil das Leistungsverhalten des Täters und sein Erscheinungsbild generell keinen Schluss auf eine bestimmte Höhe der Blutalkoholkonzentration zulassen (vgl. BGH StV 1997, 463 m.w.N.). ..."