Nachtrunk - Alkoholgenuss - Trinken nach dem Unfall - Alkoholgenuss nach Unfallflucht - Begleitstoffanalyse - Leistungsfreiheit in der Versicherung - MPU - Idiotentest - Blutalkoholprobe
Nachtrunk - Alkoholkonsum nach dem relevanten Ereignis
Unter Nachtrunk versteht man Alkoholgenuss, der nach der strafrechtlich oder bußgeldrechtlich oder auch versicherungsrechtich zu beurteilenden Teilnahme am Straßenverkehr erfolgte.
Steht fest, dass ein sog. Nachtrunk vorlag, kann das Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung nicht als Beweis herangezogen werden, dass der Betroffene unter der gleichen Menge Alkohol im Blut zur Tatzeit gefahren ist. Es muss dann ggf. anhand vorhandener Indizien und mit Hilfe eines Alkoholsachverständigen auf Grund der sonstigen Ergebnisse der Beweisaufnahme versucht werden, zu errechnen, welcher Blutalkoholgehalt vor und welcher nach der Tat zu welchen Ergebnissen geführt haben kann, wobei der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" zu beachten ist.
Der Nachtrunk hat aber auch eine wichtige versicherungsrechtliche Bedeutung, weil er eine zur Leistungsfreiheit des Versicherers führende Obliegenheitsverletzung darstellen kann.
KG Berlin v. 13.08.1999:
Wenn feststeht, welche Alkoholmenge der Angeklagte maximal nach der Tat zu sich genommen hat, ist zu ermitteln, zu welcher Alkoholkonzentration der Nachtrunk geführt haben kann. Dieser Wert ist von der durch Rückrechnung - ohne Berücksichtigung des Nachtrunks - ermittelten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration abzuziehen.
OLG Köln v. 23.01.2001:
Die Blutalkoholkonzentration, die sich aus dem Nachtrunk ergibt, kann in der Weise berechnet werden, dass die Alkoholmenge (in g) durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht (in kg) geteilt wird (sog. Widmark-Formel). Es bedarf daher der Feststellung der Alkoholmenge und des Körpergewichts im Tatzeitpunkt sowie der Bestimmung des Reduktionsfaktors. Dabei ist zugunsten des Angeklagten von den ihm günstigsten Werten auszugehen, soweit sichere Feststellungen nicht möglich sind.
OLG Hamm v. 17.03.2009:
Dem Gutachten eines Sachverständigen zu einem behaupteten Nachtrunk darf sich das Gericht nicht einfach anschließen. Will es dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens ohne Angabe eigener Erwägungen folgen, so müssen in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergegeben werden. Eine von dem herangezogenen Sachverständigen vorgenommene Rück- bzw. Hochrechnung des maßgeblichen BAK-Wertes muss in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise mitgeteilt werden.
OLG Frankfurt am Main v. 14.10.2009:
Will der Tatrichter einen Nachtrunk berücksichtigen, so hat er zunächst die Tatzeitblutalkoholkonzentration zu ermitteln, die die Angeklagte ohne Nachtrunk gehabt hätte. Von diesem Wert ist sodann die durch den Nachtrunk maximal verursachte Blutalkoholkonzentration abzuziehen. Die Blutalkoholkonzentration, die sich aus dem Genuss einer bestimmten Alkoholmenge ergibt, kann in der Weise errechnet werden, dass die wirksame Alkoholmenge (in Gramm) durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht (in Kg) geteilt wird. Es bedarf daher der Feststellung des Körpergewichts im Tatzeitpunkt, der Bestimmung des Reduktionsfaktors und der Mitteilung der aufgenommenen Alkoholmenge in Gramm. Hinsichtlich des Körpergewichts ist dabei zugunsten des Angeklagten vom Mindestgewicht auszugehen, da die durch Nachtrunk verursachte Blutalkoholkonzentration um so höher ist, je geringer das Körpergewicht ist. Wenn der individuelle Reduktionsfaktor nicht festgestellt ist, muss der Sachverständige darlegen, welcher Reduktionsfaktor bei dem Angeklagten als niedrigster Wert in Betracht kommt und zugunsten des Angeklagten davon ausgehen.
OLG Bamberg v. 22.03.2011:
Verweigert der Beschuldigte die Mitwirkung an einem freiwilligen Atemalkoholtest und fehlen auch sonstige eindeutige Anhaltspunkte für einen Alkoholisierungsgrad außerhalb eines rechtlich relevanten Grenzwertes, ist die polizeiliche Ermittlungsperson jedenfalls dann zur Anordnung der Blutprobenentnahme wegen Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung nach § 81a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 StPO berechtigt, wenn von einem sog. Nachtrunk auszugehen oder ein solcher nicht auszuschließen ist.
OLG Koblenz v. 20.03.2015:
Die Widerlegung einer konkreten Nachtrunkangabe durch einen Sachverständigen rechtfertigt ohne weitere Feststellungen nicht die Feststellung, dass überhaupt kein Nachtrunk vorgelegen hat.
OLG Hamm v. 26.02.2003:
Zur Überprüfung von Nachtrunkangaben eines Betroffenen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens kann eine Begleitstoffanalyse neben den üblichen Formelberechnungen aus den Trinkangaben des Betroffenen aufschlussreich sein.
OLG Karlsruhe v. 16.10.1996:
Es ist rechtsfehlerhaft, allein aus zwei im Abstand von 15 Minuten entnommenen Blutproben von zunächst 0,86 ‰ und sodann von 0,91 ‰ zu schließen, dass eine Nachtrunkbehauptung des Betroffenen in einem Bußgeldverfahren widerlegt sei.
LG Hildesheim v. 15.09.2009:
Wird im Verfahren wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt ein Gutachten über das Vorliegen eines behaupteten Nachtrunks eingeholt und kommt dieses zu dem Ergebnis, dass eine BAK von unter 1,1 ‰ zum Tatzeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann, so dass der Angeklagte lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG verurteilt werden kann, so können ihm die Kosten des Sachverständigengutachtens nicht auferlegt werden.