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Landgericht Chemnitz Urteil vom 19.03.2002 - 6 S 3348/01 - Zur Obliegenheitsverletzung durch Nachtrunk und zur versicherungsrechtlichen Relevanz desselben

LG Chemnitz v. 19.03.2002: Zur Obliegenheitsverletzung durch Nachtrunk und zur versicherungsrechtlichen Relevanz desselben


Das Landgericht Chemnitz (Urteil vom 19.03.2002 - 6 S 3348/01) hat entschieden:
Ein Nachtrunk stellt dann eine Obliegenheitsverletzung dar, wenn durch ihn die Feststellung des Alkoholisierungsgrades zum Vorfallszeitpunkt verhindert wird. Nur wenn feststeht, dass auch ohne den Nachtrunk zum Vorfallszeitpunkt mehr als 1,1 ‰ auf den Kfz-Führer einwirkten, ist der Nachtrunk versicherungsrechtlich nicht relevant.


Siehe auch Nachtrunk - Alkoholkonsum nach dem relevanten Ereignisk


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen, dass der Kläger gegen seine ihm obliegende versicherungsvertragliche Aufklärungspflicht vorsätzlich verstoßen hat, indem er sich trotz Kenntnis vom eingetretenen Verkehrsunfall vom Unfallort entfernt hat.

Die Beklagte, die gemäß § 3 Nummer 1 PflVersG dem der Unfallgegnerin ... entstandenen Schaden in Höhe von 4.582,65 DM ersetzt hat, verlangt wegen Obliegenheitspflichtverletzung diesen Betrag berechtigt vom Kläger zurück (§ 3 Nr. 9 PflichtVersG; § 5 Abs. 7 AKB; § 7 Abs. 1, 2 AKB; §§ 426 BGB, 6 KfzPflVV).

Das Amtsgericht hat in Verkennung, dass die Beklagte nach § 7 AKB von der Leistungspflicht frei geworden ist, die Widerklage zu unrecht abgewiesen. Insbesondere ist dem Amtsgericht nicht zu folgen, dass der Kläger seinen Aufklärungsobliegenheiten betreffend der Unfallgeschehnisse bereits umfassend nachgekommen war, als er sich vom Unfallort entfernt hatte und sich eine Vertragspflichtverletzung auch nicht daraus ergebe, soweit er gegenüber Zeugen am Unfallort wegen seines Alkoholgenusses darauf drängte, auf die Hinzuziehung der Polizei zum Zwecke der Unfallaufnahme zu verzichten.

Das Aufklärungsinteresse der Beklagten am Verkehrsunfall ist jedoch bereits mit diesem Verhalten gerade in relevanter Weise verletzt worden.

Vorliegend kommt hinzu, dass der Kläger nach eigenen Angaben vor dem Unfall 3 Dosen Bier getrunken hat und ca. 0,35 Liter Weinbrand (Goldkrone) danach.

Aufgrund dieses sogenannten Nachtrunks hat der Kläger jedenfalls vorsätzlich verhindert, dass eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit im Unfallzeitpunkt festgestellt werden konnte. In der Haftpflichtversicherung wird es nämlich grundsätzlich als eine Verletzung der Aufklärungspflicht angesehen, wenn der Versicherungsnehmer (Kläger) unmittelbar nach dem Schadensereignis Alkohol zu sich nimmt und dadurch die Feststellung seines Alkoholspiegels zum Zeitpunkt des Unfalleintrittes erschwert oder sogar unmöglich macht (vgl. BGH VersR 59, 896; BGH VersR 67, 1088 und BGH VersR 76, 84).

Durch den Umstand, dass der Versicherungsnehmer die getrunkene Alkoholmenge wahrheitsgemäß anzugeben hat kann das Aufklärungsinteresse allein nicht gewahrt werde, da die Richtigkeit einer solchen Angabe gerade wegen des Nachtrunks nicht mehr kontrollierbar ist (BGH VersR 70, 826).

Aufgrund dessen, dass der Kläger nach der Kollision seines PKW's mit der Straßenbahn den Unfallort verlassen hat und den von ihm behaupteten Nachtrunk vornahm, konnte nicht mehr festgestellt werden, in welchem Maße der Kläger bei Unfalleintritt alkoholisiert war. Dies verdeutlicht auch das Ergebnis des rechtsmedizinischen Gutachtens des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Leipzig vom 28.08.2000 (K 1). Zwar kann der Umfang des behaupteten Nachtrunks rechnerisch nicht widerlegt werden. Ebenso kann es aber auch nicht als erwiesen angesehen werden, dass der Kläger den Nachtrunk tatsächlich vorgenommen hat.

Dieser sogenannte Nachtrunk stellt sich jedenfalls dann als Verletzung der Aufklärungsobliegenheiten dar, wenn wie hier der Kläger nicht lediglich eine ganz unbedeutende Menge nachgetrunken hat bzw. die Blutalkoholkonzentration (BAK) nicht außerhalb des kritischen Grenzbereiches der Fahruntüchtigkeit gelegen hat (vgl. BGH 1976, 371).

Ausweislich des zur Entscheidungsgrundlage herangezogenen rechtsmedizinischen Gutachtens ist davon auszugehen, dass nach Angaben des Klägers zum Nachtrunk seine wahrscheinlich resultierende BAK 1,67 Promille betragen hat. Bei der vom Kläger angegebenen Nachtrunkmenge von 0,35 Liter Weinbrand handelt es sich nach Überzeugung der Kammer jedenfalls nicht um eine nicht ins Gewicht fallenden Nachtrunk, wie das beispielsweise der Fall ist, wenn nach dem Unfall eine Flasche Bier getrunken wird.

Nur wenn die BAK ohne den behaupteten Nachtrunk bereits oberhalb der 1,1 Promillegrenze gelegen hat, ist die Aufklärungspflicht durch den Nachtrunk nicht mehr in relevanter Weise verletzt worden (vgl. BGH VersR 71, 659).

Davon ist aber nach den eigenen Darlegungen des Klägers, wonach er vor dem Unfall 1,5 Liter Bier konsumiert hat, hier gerade nicht auszugehen. Denn unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Resorptionsdefizites und der zwischen Trinkbeginn (16.10 Uhr) und Unfalleintritt (20.50 Uhr) abgebauten BAK hat die BAK des Klägers ohne den behaupteten Nachtrunk zum Unfallzeitpunkt nicht bereits oberhalb 1,1 Promillegrenze gelegen.

Deshalb kommt es auch überhaupt nicht mehr darauf an, ob dem Kläger zum Unfallzeitpunkt eine alkoholische Beeinflussung nachzuweisen war oder nicht. Entscheidend ist allein, dass der Kläger zwischen dem Unfallzeitpunkt und der Blutprobe so erhebliche Mengen an Alkohol nachgetrunken hat, dass eben nicht mehr nachgewiesen werden kann, ob und in welchem Umfange er zum Unfallzeitpunkt unter Alkoholeinwirkung gestanden hat oder nicht (BGH VersR 1970, 626).

Da ein ins Gewicht fallender Nachtrunk, wie dies hier der Fall ist, eine Obliegenheitsverletzung darstellt, bei der das vorsätzliche Verhalten vermutet wird, ist die Beklagte von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden. Das Verlangen gegenüber dem Kläger auf Rückzahlung des streitgegenständlichen Betrages, der der Höhe nach unstrittig ist, besteht zu Recht. ..."



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