Das Verkehrslexikon
VGH Mannheim Beschluss vom 17.01.2000 - 10 S 1979/99 - Zur Annahme von Alkoholmissbrauch bei erheblichem Nachtrunk nach einem Unfall
VGH Mannheim v. 17.01.2000: Zur Annahme von Alkoholmissbrauch bei erheblichem Nachtrunk nach einem Unfall
Der VGH Mannheim (Beschluss vom 17.01.2000 - 10 S 1979/99) hat entschieden:
Nimmt ein Kfz-Führer nach einem Unfall, bei dem er bereits zu 0,8 ‰ alkoholisiert war, weiteren Alkohol zu sich, was insgesamt zu einer Blutalkoholkonzentration von 1,97 ‰ führt, dann liegt die Annahme von Alkoholmissbrauch nahe, sodass die Anordnung zur Beibringung einer positiven MPU gerechtfertigt ist.
Siehe auch Nachtrunk - Alkoholkonsum nach dem relevanten Ereignisk
Zum Sachverhalt: Der Antragsteller hatte mit einem Kfz unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilgenommen. Die BAK betrug zwei Stunden nach dem Vorfall 1,97 ‰. Er hatte sich im Strafverfahren mit Nachtrunk verteidigt und das Strafgericht ging im Urteil nur von einer Mindestalkoholisierung von 0,8 ‰ aus.
Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete eine MPU an und entzog mit Sofortvollzug die Fahrerlaubnis des Antragstellers, nachdem dieser der Anordnung nicht nachgekommen war.
Den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Ernstliche Zweifel bestehen nicht, soweit das Verwaltungsgericht - seine Entscheidung selbständig tragend - angenommen hat, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung schon daran scheitert, dass sie nicht erforderlich ist, um den Antragsteller vor schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen zu bewahren (vgl. zu diesen Anforderungen BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988, BVerfGE 79, 69 = NJW 1989, 827). Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass dem Besitz einer Fahrerlaubnis, zumal sie es ermöglicht, unter erleichterten Bedingungen familiäre und soziale Kontakte zu pflegen, ein hoher Stellenwert für die Lebensqualität zukommt. Der Nichtbesitz einer Fahrerlaubnis führt aber deswegen im Regelfall noch nicht dazu, dass Nachteile im dargestellten Sinne zu bejahen sind. Der Antragsteller hat auch in seinem Zulassungsvorbringen keine besonderen Umstände angeführt, die in seinem Fall ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht insoweit, als das Verwaltungsgericht einen Anordnungsanspruch verneint hat, weil ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht überwiegend wahrscheinlich sei. Es kann offen und gegebenenfalls der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob die Auffassung des Verwaltungsgerichts zutreffend ist, dass die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, ihre Rechtsgrundlage hier in § 11 Abs. 3 Nr. 4 und Nr. 5 Buchst. b FeV findet. Denn auch wenn mit dem Antragsteller anzunehmen wäre, dass § 13 FeV als spezielle Zuweisungsregel für das Erfordernis einer medizinisch-psychologischen Begutachtung im Falle von Alkoholmissbrauch (siehe auch § 11 Abs. 3 Satz 2 FeV) die allgemeine Regel des § 11 FeV verdrängt, wäre die Anordnung wohl zu Recht ergangen. Denn bei summarischer Prüfung spricht vieles dafür, dass die Anordnung ihre Rechtsgrundlage jedenfalls in § 13 Nr. 2 Buchst. c oder Buchst. a FeV findet.
Wie bereits das Verwaltungsgericht - wenn auch in einem anderen rechtlichen Zusammenhang - ausgeführt hat, dürften die Sachverhaltsfeststellungen des Strafrichters im Urteil vom 13.5.1998, ohne dass es auf die Frage einer Bindungswirkung (vgl. § 3 Abs. 4 StVG) für die Verkehrsbehörde ankommt, durchaus Raum lassen für die Feststellung, dass der Antragsteller bei dem Unfall, der der Verurteilung zugrunde liegt, ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt hat. Der Strafrichter hat eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,8 Promille angenommen und damit keine Feststellungen über deren tatsächliche Höhe getroffen. Außerdem hat er unter Würdigung des Gutachtens des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. W. und von Zeugenaussagen die Feststellungen getroffen, dass der Antragsteller, nach dem Genuss erheblicher Mengen Alkohol leicht geschwankt habe und nicht mehr in der Lage gewesen sei, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen, und dass seine Trinkeinlassung insgesamt widerlegt sei und auch seine Angaben zur Menge des Nachtrunks unglaubwürdig seien. Es dürfte auf der Grundlage dieser Feststellungen nicht zu beanstanden sein, dass der Antragsgegner bei einer ca. zwei Stunden nach dem Unfall gemessenen Blutalkoholkonzentration von 1,97 Promille für den von ihm zu verantwortenden präventiven Bereich der Gefahrenabwehr annimmt, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls ein Kraftfahrzeug mit 1,6 Promille oder mehr geführt hat.
Aber auch wenn dem Antragsteller darin zu folgen wäre, dass aufgrund der Feststellungen im Strafurteil nicht angenommen werden dürfe, er habe mit 1,6 Promille oder mehr ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt, dürfte für die Anordnung eine Rechtsgrundlage in § 13 Nr. 2 Buchst. a FeV bestehen. Es dürften nämlich Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, wenn den Antragsteller die Aufregung über einen Verkehrsunfall mit einem nur geringen Sachschaden dazu veranlasst hat, bei bereits bestehender Alkoholisierung von mindestens 0,8 Promille in kurzer Zeit drei Obstschnäpse und drei 0,5-Liter-Flaschen Bier zu trinken (so ebenfalls die Feststellungen des Strafrichters), und dadurch eine Blutalkoholkonzentration von 1,97 Promille erreicht wird. Ein derartiges Verhalten dürfte nicht nachvollziehbar sein, ohne dass eine gewisse Dauer regelmäßigen Alkoholkonsums mit Erreichen hoher BAK-Werte angenommen werden kann (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 13 FeV RdNr. 4) und damit eine missbräuchliche Gewöhnung an Alkohol besteht. ..."