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OLG Karlsruhe Beschluss vom 16.10.1996 - 2 Ss 239/96 - Zur Widerlegung einer Nachtrunkbehauptung durch zwei dich beieinander liegenden BAK-Werten
OLG Karlsruhe v. 16.10.1996: Zur Widerlegung einer Nachtrunkbehauptung durch zwei dich beieinander liegenden BAK-Werten
Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 16.10.1996 - 2 Ss 239/96) hat entschieden:
Es ist rechtsfehlerhaft, allein aus zwei im Abstand von 15 Minuten entnommenen Blutproben von zunächst 0,86 ‰ und sodann von 0,91 ‰ zu schließen, dass eine Nachtrunkbehauptung des Betroffenen in einem Bußgeldverfahren widerlegt sei.
Siehe auch Nachtrunk - Alkoholkonsum nach dem relevanten Ereignisk
Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht Lörrach verurteilte den Betroffenen am 13.06.1996 wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG zu einer Geldbuße von 500 DM und verhängte ein Fahrverbot von einem Monat.
Die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat vorläufigen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Das Amtsgericht hat zwar rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Betroffene am 19.01.1996, nachts um 3.55 Uhr, seinen Pkw in L. auf öffentlicher Straße führte. Die Feststellung, dass seine Blutalkoholkonzentration hierbei mehr als 0,8 %o betrug, beruht jedoch auf einer nicht ausreichenden Darlegung.
Das Amtsgericht hat aus der Tatsache, das die beiden um 4.51 Uhr bzw. um 5.06 Uhr entnommenen Blutproben Werte von 0,91 bzw. 0,86 %o, also eine Differenz von 0,05 %o aufwiesen, geschlossen, das ein Nachtrunk - ein solcher war offensichtlich behauptet worden - ausgeschlossen sei (UAS. 3, 3. Absatz). Offensichtlich sieht das Amtsgericht in dieser negativen Differenz der Entnahmewerte über einen Zeitraum von 15 Minuten ein ausreichendes Beweisanzeichen dafür, das nach dem Vorfallszeitpunkt kein Alkohol mehr konsumiert worden sein kann. Dies ist rechtsfehlerhaft.
Das Amtsgericht lässt nämlich dabei zum einen außer acht, das nach feststehender wissenschaftlicher Erkenntnis diese - hier nur sehr geringe - Differenz nicht den tatsächlichen Veränderungen des Blutalkoholspiegels entsprechen muss. Wegen der den Nachweismethoden anhaftenden Fehlerbreite, die bei der Festlegung des Grenzwertes allerdings berücksichtigt ist, beweist eine solche Abnahme der Werte nicht, das ein Alkoholabbau stattgefunden hat. Sie schließt sogar nicht aus, das die wirkliche Blutalkoholkonzentration zwischenzeitlich sogar angestiegen sein kann (BayObLG NJW 1976, 382; vgl. weiter nur Hentschel/Born Trunkenheit im Straßenverkehr 4. Auflage Rdnr. 71 und 101 a mit w.N. aus der rechtsmedizinischen Literatur). Auch hätte das Amtsgericht in diesem Zusammenhang berücksichtigen müssen, das der nur geringe zeitliche Abstand von nur 15 Minuten zwischen den beiden Entnahmen zur Überprüfung von Nachtrunkbehauptungen keine Aussagekraft hat (Hentschel/Born a.a.O. Rdnr. 72 a m.w.N.).
Zum anderen legt das Amtsgericht nicht dar, zu welchem Zeitpunkt nach dem Vorfall und welche Menge an Alkohol nach der Einlassung des Betroffenen nachgetrunken worden sein soll. Diese Faktoren sind jedoch zur Erklärung des maßgeblichen Entnahmewerts von 0,91 %o von Bedeutung. Wenn nämlich kurz nach dem Fahrtzeitpunkt (3.55 Uhr) z. B. eine Menge von lediglich 0,3 Liter Bier (= ca. 11 Gramm Alkohol; bei einem Körpergewicht von 68 Kilogramm könnte ein solcher Nachtrunk zu einer max. Blutalkoholkonzentration von 0,22 %o führen) nachgetrunken wurde, ist es nicht fernliegend und jedenfalls möglich, das diese Menge zum Erreichen des Grenzwertes von 0,8 %o geführt hat. Zu den insoweit vom Tatrichter zu treffenden Feststellungen und der anzuwendenden Berechnungsmethode kann der Senat - zur Vermeidung von bloßen Wiederholungen - auf die übereinstimmend von der Rechtsprechung (BayObLG VRS 58, 391; OLG Köln VRS 66, 352; BA 1985, 74) und der Literatur (Dreher/Tröndle StGB 47. Auflage § 316 Rdnr. 8 e; Mühlhaus/Janiszewski StVO 14. Aufl. § 316 StGB Rdnr. 24; Jagusch/Hentschel StRVR 33. Auflage § 316 StGB Rdnrn. 50, 59 i.V.m. Rdnr. 15 b zu § 24 a StVG; vgl. neuestens auch Grohmann BA 1996, 177, 193 f.) aufgestellten Grundsätze verweisen.
Auf diesem Darlegungsmangel beruht das angefochtene Urteil; es ist deshalb aufzuheben.
In der neuen Hauptverhandlung wird sich das Amtsgericht bei der Klärung der - nicht unkomplizierten - Nachtrunkfrage der Hilfe eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen bedienen müssen (Tröndle a.a.O.; Jagusch/Hentschel a.a.O. § 316 StGB Rdnr. 50). Möglicherweise wird auch die Durchführung einer gaschromatographischen Begleitstoffanalyse geeignet und geboten sein (vgl. dazu Janiszewski Verkehrsstrafrecht 4. Auflage Rdnrn. 356 a und b; Hentschel/Born a.a.O. Rdnr. 101 a jew. m.w.N.). ..."