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OLG Schleswig Urteil vom 14.11.1979 - 9 U 46/79 - Zur Annahme eines besonders schweren Falles einer Obliegenheitsverletzung bei Unfallflucht und Nachtrunk

OLG Schleswig v. 14.11.1979: Zur Annahme eines besonders schweren Falles einer Obliegenheitsverletzung bei Unfallflucht und Nachtrunk


Das OLG Schleswig (Urteil vom 14.11.1979 - 9 U 46/79) hat entschieden:
Sowohl unerlaubtes Entfernen vom Unfallort wie auch ein Nachtrunk führen in der Regel zur Leistungsfreiheit des Kfz-Versicherers; jedoch handelt es sich nur dann um eine schwerwiegende Obliegenheitsverletzung mit der Folge des doppelten Regresses, wenn sich das Verschulden als besonders "krass" erweist, also über den normalen Ablauf hinausgeht.


Siehe auch Nachtrunk - Alkoholkonsum nach dem relevanten Ereignisk


Anmerkung: Dem Urteil liegen noch die alten Regressbeträge zu Grunde; diese wurden im Laufe der Zeit nach oben angepasst und betragen jetzt (2006) für die Verletzung der Aufklärungspflichten 2.500,00 € und 5.000,00 €.

Zum Sachverhalt: Der Kläger verursachte am 6. November 1977 gegen 19,55 Uhr in K. an der Kreuzung D.-Platz/P.-Straße mit seinem Pkw Audi 80 LS einen Unfall. Er beachtete das Rotlicht der Lichtzeichenanlage am D.-Platz nicht und stieß mit dem aus der P.-Straße kommenden Pkw DAF des Unfallgegners F. zusammen. Der Pkw des Klägers, der erst 2 Tage alt war, erlitt Totalschaden. Er war bei der Beklagten gegen Haftpflicht und Kasko versichert.

Der Kläger ließ sein Fahrzeug mit sämtlichen Papieren zurück und verließ mit seinen beiden Begleitern zu Fuß die Unfallstelle.

Er begab sich zunächst in die nahegelegene Gaststätte " ... " und trank dort angeblich 2 Cognac. Gegen 22 Uhr war der Kläger zu Hause und legte sich zu Bett, nachdem er von seiner Ehefrau erfahren hatte, dass die Polizei bereits dort gewesen war. Die Polizei erschien jedoch erneut und veranlasste die Entnahme von Blutproben. Die um 2.30 Uhr entnommene Probe enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 0,41vT, die um 2.45 Uhr entnommene Probe von 0,37vT. Am Tage nach dem Unfall meldete der Kläger diesen der Beklagten.

Durch Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 3. Juli 1978 (35 Ds 328/78) ist der Kläger wegen Verkehrsunfallflucht zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,-- DM verurteilt worden.

Mit Schreiben vom 6. Oktober 1978 versagte die Beklagte dem Kläger den Versicherungsschutz nach § 7 V AKB, indem sie die Regulierung des Kasko-Schadens ablehnte und Erstattung des von ihr an den Unfallgegner gezahlten Schadensersatzes in Höhe von 2.474,67 DM verlangte.

Der Kläger hat fristgerecht Deckungsschutzklage erhoben und dazu vorgebracht:

Er habe die Unfallstelle nicht vorsätzlich verlassen; vielmehr habe er in einer gewissen Kopflosigkeit gehandelt; er sei schockiert gewesen, weil er den Unfall mit seinem neuen Wagen durch Unachtsamkeit selbst verschuldet habe. Durch das Verlassen der Unfallstelle habe er die Aufklärung des Unfalls nicht behindert. Er habe auch nicht unter Alkoholeinfluss gestanden. Jedenfalls liege kein besonders schwerwiegender Fall im Sinne des § 7 V AKB vor, so dass die Beklagte allenfalls in Höhe von 1.000,-- DM von der Verpflichtung zur Leistung frei sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ist von einem erhöhten Regress ausgegangen. Die hiergegen gerichtete Teilberufung des Klägers hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Senat folgt dem Landgericht darin, dass der Kläger die ihm nach § 7 I Nr 2 AKB obliegende Aufklärungspflicht vorsätzlich dadurch verletzt hat, dass er die Unfallstelle verlassen und Alkohol zu sich genommen hat. Für einen echten, den Vorsatz ausschließenden Unfallschock reichen die vom Kläger angeführten Umstände (er verhielt sich abnorm, wirkte verwirrt und verstört, stotterte) nicht aus. Eine Beweiserhebung darüber bedurfte es daher nicht, zumal der Kläger in 2. Instanz - wie sein Antrag zeigt - selbst davon ausgeht, dass die Beklagte jedenfalls in Höhe eines Betrages von 1.000,-- DM ihm gegenüber von der Verpflichtung zur Leistung frei ist.

Die Entscheidung hängt daher allein davon ab, ob die Leistungsfreiheit der Beklagten auf einen Betrag von 5.000,-- DM beschränkt ist, dh ob die Verletzung der Aufklärungspflicht als besonders schwerwiegend im Sinne des § 7 V Nr 2 Satz 2 AKB anzusehen ist. Was darunter zu verstehen ist, ist streitig und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Der Senat vermag sich nicht der Auffassung anzuschließen, dass das Merkmal "besonders schwerwiegend" auf die Grundsätze der Rechtsprechung zu der alten Fassung des § 7 V AKB Bezug nimmt (wie Prölss/Martin, VVG, 21. Aufl, § 7 AKB Anm 6 B; Stiefel/Hofmann, AKB, 11. Aufl, § 7 RdNr 80 mit weiteren Nachweisen annehmen; aA OLG Hamm VersR 1979, 75; LG München VersR 1977, 952). Nach dieser Rechtsprechung war die Leistungsfreiheit des Versicherers davon abhängig, dass die vorsätzliche, folgenlos gebliebene Verletzung der Aufklärungspflicht generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, und den Versicherungsnehmer der Vorwurf erheblichen Verschuldens traf. Dass diese Grundsätze bei der Auslegung des Begriffs "besonders schwerwiegend" herangezogen werden sollen, kommt in der Neufassung aber nicht - auch nicht ansatzweise - zum Ausdruck. Die genannten Grundsätze der Rechtsprechung zu der alten Fassung des § 7 V AKB würden ausreichen, um eine schwerwiegende Verletzung der Aufklärungspflicht anzunehmen. Wenn diese aber "besonders schwerwiegend" sein soll, muss noch etwas hinzukommen. Nach Auffassung des Senats muss das Schwergewicht auf die Eignung der Verletzung der Aufklärungspflicht gelegt werden, die Interessen des Versicherers zu gefährden. Nach der bisherigen Rechtsprechung war die endgültige unerlaubte Entfernung vom Unfallort generell geeignet, das Aufklärungsinteresse des Versicherers ernsthaft zu gefährden (vgl BGH VersR 1972, 341). Nach der Neufassung des § 7 V AKB ist eine Verkehrsunfallflucht dieser Art aber nicht schon stets eine besonders schwerwiegende Verletzung der Aufklärungspflicht. Es können nur Fälle von Aufklärungspflichtverletzung in Betracht kommen, die ein besonderes Gewicht haben und als besonders krass zu beurteilen sind. Nur dies entspricht dem Sinn und Zweck des § 7 V Nr 2 Satz 2 AKB, der eine Ausnahme von dem Regelfall von Satz 1 darstellt.

Hiervon ausgehend nimmt der Senat mit dem Landgericht zwar ein erhebliches Verschulden auf Seiten des Klägers an. Mag ihm beim Verlassen der Unfallstelle angesichts des angerichteten Schadens an seinem neuen Wagen auch eine gewisse vorübergehende Kopflosigkeit zuzubilligen sein, so muss diese doch rasch abgeklungen sein, wie es sogar beim sogenannten Unfallschock angenommen wird (vgl BGH VersR 1970, 801; Stiefel/Hofmann RdNr 88). Dem Kläger ist daher auf jeden Fall der Vorwurf zu machen, dass er nicht an die Unfallstelle zurückgekehrt ist, sondern sich 2 Stunden lang verborgen gehalten und Alkohol zu sich genommen hat und sich selbst dann nicht gemeldet hat, als er bei der Rückkehr nach Hause von seiner Ehefrau erfuhr, dass die Polizei nach ihm suchte. Dieses ganze Verhalten begründet den Vorwurf erheblichen Verschuldens.

Die in der Unfallflucht und dem Nachtrunk liegende Verletzung der Aufklärungspflicht überschreitet aber kaum das übliche Maß und kann nicht als besonders krass beurteilt werden. Der Kläger hat seinen Wagen mit den Fahrzeugpapieren an der Unfallstelle zurückgelassen. Wenn damit auch noch nicht feststand, wer den Wagen gefahren hatte, so spielt dies für das Aufklärungsinteresse der Beklagten doch nur eine verhältnismäßig geringe Rolle. Zur Aufklärung des Unfallherganges selbst hätte der Kläger beim Verbleiben an der Unfallstelle nur ... wenig beitragen können, da die alleinige Verursachung des Unfalls durch ihn ... offensichtlich war und eine Mitverursachung durch den Unfallgegner fern lag. Unfallspuren sind nicht verwischt worden. Der Grad der Alkoholbeeinflussung des Klägers spielte für die Haftungsfrage keine besondere Rolle. Jedenfalls hat die Beklagte nicht dargetan, inwieweit durch den Nachtrunk ihr Aufklärungsinteresse in der Haftpflichtversicherung berührt worden ist. Am nächsten Tag hat der Kläger den Unfall der Beklagten gemeldet und wahrheitsgemäße Angaben dazu gemacht. Soweit für das Aufklärungsinteresse der Beklagten auch die Höhe des entstandenen Schadens von Bedeutung ist, so waren hier Personen nicht verletzt worden und war nur verhältnismäßig geringer Sachschaden entstanden.

Nach allem ist daher eine besonders schwerwiegende Verletzung der Aufklärungspflicht zu verneinen.

Da die Frage, was unter einer besonders schwerwiegenden Verletzung der Aufklärungspflicht zu verstehen ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, hat der Senat die Revision zugelassen. ..."



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