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OLG Jena Beschluss vom 04.01.2006 - 1 Ss 224/05 - Zur nochmaligen Überprüfung der Erscheinenspflicht bei Ausbleiben des Betroffenen in d Hauptverhandlung

OLG Jena v. 04.01.2006: Zur nochmaligen Überprüfung der Erscheinenspflicht bei Ausbleiben des Betroffenen in d Hauptverhandlung


Das OLG Jena (Beschluss vom 04.01.2006 - 1 Ss 224/05) hat entschieden:
Die Rüge der Verletzung des § 73 Abs. 2 OWiG und die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG unterscheiden sich sowohl in den inhaltlichen Anforderungen an das Rügevorbringen als auch hinsichtlich der Prüfungstiefe seitens des Rechtsbeschwerdegerichts. Ungeachtet der bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erfolgten Zurückweisung eines Entbindungsantrages ist der Tatrichter verpflichtet, sich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG nochmals damit auseinander zu setzen, ob der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen hätte entbunden werden müssen; einzig hat er in aller Regel keinen Anlass, die Durchführung und das Ergebnis dieser Prüfung in den schriftlichen Urteilsgründen mitzuteilen, wenn sich hierzu bereits der Zurückweisungsbeschluss verhält.


Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen


Zum Sachverhalt: Durch Bußgeldbescheid vom 16.02.2004 setzte das Thüringer Polizeiverwaltungsamt - Zentrale Bußgeldstelle - gegen die Betroffene wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h eine Geldbuße von 50,00 € fest.

Den hiergegen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch verwarf das Amtsgericht Eisenach in der Hauptverhandlung vom 10.03.2005 wegen unentschuldigten Ausbleibens der Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG.

Der Betroffene beantragte die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 17.10.2005 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Eisenach vom 04.05.2005 aufzuheben und den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Eisenach vom 10.03.2005 als unbegründet zu verwerfen.

Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Soweit die Betroffene beanstandet, das Amtsgericht habe ihrem Antrag, sie von der gesetzlichen Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden (§ 73 Abs. 2 OWiG), zu Unrecht nicht entsprochen, fehlt es an einer den Anforderungen der §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 2 OWiG genügenden, ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge.

Eine solche Rüge erfordert einen Tatsachenvortrag, der so vollständig ist, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler und daraus resultierend ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft.

Es obliegt daher dem Betroffenen darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht seinem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen. Der Betroffene muss also genau darlegen, dass sämtliche Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind und dass der Tatrichter unter keinen Umständen von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Sachaufklärung hätte erwarten dürfen (Senat VRS 106, 299, 300). Hierzu ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen (Göhler/Seitz, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdnr. 48c; KK-Senge, OWiG, 2. Aufl., § 74 Rn. 56). In diesem Zusammenhang ist auch darzulegen, wann und mit welcher Begründung der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden ist und wie das Gericht diesen Antrag beschieden hat. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör zudem nur dann verletzt ist, wenn die ergangene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat, müssen in der Begründungsschrift konkret die Tatsachen dargelegt werden, anhand derer die Beruhensfrage geprüft werden kann (OLG Hamm VRS 84, 234, 235). Da zudem der Verteidiger für den Betroffenen einen Antrag auf Entbindung von der Erscheinenspflicht nur stellen kann, wenn ihm über die allgemeine Verteidigungsvollmacht hinaus eine besondere Vertretungsvollmacht erteilt ist, die der Schriftform bedarf, gehört es schließlich auch zum ordnungsgemäßen Vortrag, dass der Verteidiger, der einen Entbindungsantrag gestellt hat, die besondere (schriftliche) Vertretungsvollmacht für den Betroffenen hatte und diese dem Tatgericht auch nachgewiesen hat (OLG Köln NZV 2002, 466, 468; Senat a.a.O.).

Diesen Anforderungen wird die Verfahrensrüge der Betroffenen nicht vollständig gerecht.

Insoweit reichten die Darlegung des konkreten Tatvorwurfs und der Hinweis darauf, dass die Betroffene auf Entbindung mit der Begründung angetragen habe, sie räume seine Fahrereigenschaft ein und mache darüber hinaus von ihrem Schweigerecht Gebrauch, nicht aus. Erforderlich wäre es vielmehr gewesen, die konkrete Beweissituation substantiiert darzulegen, insbesondere die weiteren Beweismittel zu bezeichnen, die dem Amtsgericht zur Sachaufklärung zur Verfügung standen und das Erscheinen der Betroffenen entbehrlich machten.

2. Soweit das Vorbringen der Betroffenen zugleich die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG enthält - die fehlerhafte Nichtentbindung ist als Entschuldigungsgrund i.S. dieser Vorschrift anzusehen (OLG Dresden zfs 2003, 374; BayObLG DAR 2001, 354; KK-Senge a.a.O. Rn. 33) -, ist diese zwar ordnungsgemäß ausgeführt, in der Sache aber nicht durchgreifend.

a) Während auf die Rüge der Verletzung des § 73 Abs. 2 OWiG das Rechtsbeschwerdegericht die Entscheidung des Tatrichters über den Entbindungsantrag in vollem Umfang überprüft, ist - nicht anders als sonst im Zusammenhang mit möglichen Entschuldigungsgründen - bei § 74 Abs. 2 OWiG lediglich zu prüfen, ob der Tatrichter die im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Entschuldigungsgründe überhaupt einer sachlichen Prüfung unterzogen und dabei den Rechtsbegriff der „nicht genügenden Entschuldigung“ richtig angewandt hat. Diese Kontrolle beschränkt sich mithin darauf, ob der Tatrichter gesehen hat, dass ein Entbindungsantrag vorgelegen hat und dass eine fehlerhafte Nichtentbindung einen Entschuldigungsgrund darstellen würde. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Nichtentbindung finden dagegen nicht statt.

Einhergehend damit sind auch die inhaltlichen Anforderungen an eine Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG weniger streng als bei der Verfahrensrüge nach § 73 Abs. 2 OWiG.

b) Der Tatrichter ist verpflichtet, sich jeweils davon zu überzeugen, ob die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG vorliegen. Dies umfasst auch die (nochmalige) Überprüfung der früheren Ablehnung der Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen auf ihre Richtigkeit hin.

Befreit ist er lediglich von der Pflicht, Durchführung und Ergebnis dieser Prüfung in seinem Urteil mitzuteilen.

Der Tatrichter hat nämlich grundsätzlich keine Veranlassung, sich in den schriftlichen Urteilsgründen mit einem Entbindungsantrag, den er bereits zuvor - wie hier - durch begründeten Beschluss zurückgewiesen hat, abermals auseinander zu setzen. Dies ist bereits im Vorfeld der Einspruchsverwerfung geschehen und es besteht keine Notwendigkeit, dass der Tatrichter ohne das Vorliegen neuer tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte oder ohne eine Gegenvorstellung des Betroffenen (s. Göhler/Seitz a.a.O. Rn. 48) die Gründe der Nichtentbindung erneut darlegt.

c) Macht der Tatrichter gleichwohl Ausführungen in den schriftlichen Urteilsgründen zu der von ihm durchgeführten Prüfung der Voraussetzungen der Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen und lassen seine Ausführungen Fehler erkennen, sind diese aber beachtlich.

Darauf, dass dem Tatrichter ein solcher Fehler unterlaufen ist, deutet vorliegend die fehlerhafte Angabe im Urteil vom 10.03.2005 hin, ein Entbindungsantrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG sei nicht gestellt worden.

Ein derartiger Fehler führt aber per se noch nicht zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Denn nicht jeder Verfahrensfehler begründet einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, der wiederum allein zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führt. Erforderlich ist vielmehr, dass durch eine rechtsfehlerhafte Anwendung der Verfahrensvorschriften das unabdingbare Maß des verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn die in Rede stehende (Nicht-)Entscheidung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und als willkürlich angesehen werden muss (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811, 2812). Davon kann hier aber schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Tatrichter sich mit dem Entbindungsantrag im Vorfeld der Hauptverhandlung bereits sachlich auseinandergesetzt und lediglich die nochmalige Auseinandersetzung mit dem Entbindungsantrag der Betroffenen versäumt hat, ohne dass in der Zwischenzeit neue Gesichtspunkte hinzugetreten sind. ..."



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