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OLG Stuttgart (Urteil vom 24.11.1989 - 1 Ss 484/89 - Zum Zurückbehaltungsrecht am Fahrzeug wegen der privaten Abschleppkosten
OLG Stuttgart v. 24.11.1989: Zum Zurückbehaltungsrecht am Fahrzeug wegen der privaten Abschleppkosten
Das OLG Stuttgart (Urteil vom 24.11.1989 - 1 Ss 484/89) hat entschieden:
- Der Inhaber eines Privatparkplatzes darf grundsätzlich vollen Schadensersatz verlangen, bevor er ein rechtswidrig geparktes und deshalb abgeschlepptes Fahrzeug herausgibt.
- Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts kann jedoch gegen Treu und Glauben verstoßen und verwerflich sein, wenn sich der Berechtigte nicht an Zusagen über die ungefähre Höhe des Schadensersatzes hält.
Siehe auch Private Abschleppkosten und - Kfz-Umsetzungsgebühren
Zum Sachverhalt: Die Firma des Angeklagten hatte vor dem Geschäftsgebäude in S., S. zwei Kundenparkplätze gemietet. Diese waren jeweils durch das Hinweisschild "P Firma S. nur für Kunden - widerrechtlich abgestellte und behindernde Pkw werden kostenpflichtig bei Tag und Nacht abgeschleppt" gekennzeichnet; ferner war ein Schild "Halteverbot" angebracht, das wie Zeichen 283 zu § 41 StVO aussah. Rechtwinklig zum rechten der beiden Kundenparkplätze befand sich ein weiterer Parkplatz, den der Angeklagte angemietet hatte, um seinen Pkw zu parken. Von diesem Parkplatz aus konnte man nur über die Kundenparkplätze ausfahren.
Da auf den Kundenparkplätzen immer wieder Unbefugte parkten, hatte der Angeklagte mit dem Rechtsberater seiner Firma, dem Zeugen Rechtsanwalt D., Rücksprache genommen und die Auskunft erhalten, er könne die Abschleppkosten und den Verdienstausfall geltend machen und habe bis zur Zahlung dieser Beträge das Recht, den Standort des abgeschleppten Pkw's zu verschweigen.
Am 28. April 1988 gegen 17.00 Uhr stellte die Zeugin M. ihren Pkw VW Golf unberechtigt auf den rechten der beiden Kundenparkplätze. Zu diesem Zeitpunkt stand der Pkw des Angeklagten auf seinem Parkplatz. Gegen 17.30 Uhr wollte der Angeklagte wegfahren, konnte dies aber nicht, weil der Pkw der Zeugin die Ausfahrt versperrte. Der Angeklagte wollte um 18.00 Uhr bei einer vereinbarten Besprechung mit seiner Ehefrau, seinem Sohn und einem Firmenangestellten in A. sein; er beauftragte daher kurz nach 17.30 Uhr ein Abschleppunternehmen mit dem Abschleppen des Pkw's der Zeugin. Vom Telefonieren bis zum Abschleppen vergingen ca. 30 - 45 Minuten. Als der Angeklagte in A. ankam, waren die anderen Besprechungsteilnehmer inzwischen weggefahren.
Die durch das Abschleppen entstandenen Kosten in Höhe von 139,68 DM bezahlte der Angeklagte an das Abschleppunternehmen; für eine Stunde ausgefallener Arbeitszeit war ihm ein weiterer Schaden in Höhe von DM 136,80 (inklusive Mehrwertsteuer) entstanden.
Zwischen 19.00 Uhr und 20.00 Uhr am 28. April 1988 entdeckte die Zeugin, daß ihr Pkw abgeschleppt worden war und rief den Angeklagten an, der jedoch nicht zu erreichen war. Als sie ihn am nächsten Tag telefonisch erreichte, gab sie sich als Halterin des abgeschleppten Pkw's zu erkennen und fragte, was sie zu bezahlen habe. Der Angeklagte nannte daraufhin einen Betrag von ungefähr 225,-- bis 230,-- DM. Die Zeugin M. bat nun die Zeugin H., die angefallenen Kosten zu bezahlen und erwähnte dabei, die Kosten würden unter 250,-- DM betragen. Die Zeugin H. begab sich nun mit 250,-- DM zur Firma S. Der Angeklagte nannte ihr einen Gesamtbetrag von 276,48 DM angefallener Kosten. Als die Zeugin sagte, soviel Geld habe sie nicht dabei, wies der Angeklagte sie aus dem Laden mit dem Bemerken, sie solle das restliche Geld holen. Der Angeklagte fühlte sich zu der Weigerung, den Standort des Pkw's zu nennen aufgrund der Rücksprache mit Rechtsanwalt D. berechtigt.
Die Zeugin M., die keine Zahlung an den Angeklagten leistete, erfuhr noch am Abend des 29. April 1988 durch die Polizei vom Standort ihres Pkw's.
Das Landgericht hat die Tatbestände der versuchten Erpressung und der versuchten Nötigung verneint. Gegen dieses freisprechende Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die erfolgreich war.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... 1. Zu Recht geht das Landgericht zunächst davon aus, daß die Weigerung des Angeklagten, den Standort des Pkw's bekanntzugeben, solange nicht der Gesamtbetrag des entstandenen Schadens bezahlt sei, eine Drohung mit einem empfindlichen Übel (§ 240 Abs. 1 StGB) darstellt. Es meint jedoch, dem Angeklagten habe wegen seiner Schadensersatzforderung von 276,48 DM ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden; die Geltendmachung dieses Zurückbehaltungsrechts verstoße trotz der Geringfügigkeit der zugrundeliegenden Forderung von 276,48 DM nicht gegen Treu und Glauben, auch wenn der Gebrauch des Fahrzeugs in seinem Wert höher zu veranschlagen sei. Denn die Bezahlung durch die Zeugin M. hätte allenfalls etwa einen Tag in Anspruch genommen, andererseits wäre der Klageweg für den Angeklagten zu zeitraubend und unsicher gewesen.
2. Diesen Erwägungen vermag der Senat nicht beizutreten. Der Angeklagte hat nach den Feststellungen der Zeugin M. ein empfindliches Übel angedroht (§ 240 Abs. 1 StGB) und zugefügt, als er ihr wegen eines geringfügigen Restbetrages die Benutzung ihres Pkw's nicht nur vorübergehend vorenthielt, obwohl diese zur Zahlung des von ihm am Telefon genannten Schadensersatzbetrages bereit war. Zu Unrecht meint das Landgericht, die Handlungsweise des Angeklagten sei bereits objektiv nicht rechtswidrig gewesen. Denn der Angeklagte konnte hier dem auf § 985 BGB gestützten Herausgabeverlangen der Beauftragten der Zeugin M. ein Recht zum Besitz nach § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB, worunter auch das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB fällt (vgl. BGHZ 64, 122), nicht entgegenhalten.
Allerdings hatte der Angeklagte gegen die Zeugin M. einen Schadensersatzanspruch, weil diese durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) sein Besitzrecht an dem Kundenparkplatz gestört hatte. Diese schuldhafte Verletzung des rechtmäßigen Besitzes, stellt eine unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB dar (vgl. OLG Karlsruhe OLGZ 1978, 206; LG Heidelberg DAR 1979, 167; Dörner DAR 1980, 102 ff.). Darüberhinaus liegt auch eine unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB vor, da die Zeugin M. gegen die dem Besitzerschutz dienende Vorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen Landesgesetzes über Ordnungswidrigkeiten zumindest fahrlässig verstoßen hatte, indem sie auf dem deutlich sichtbar und allgemein verständlich gekennzeichneten privaten Stellplatz unbefugt parkte. Ob darüberhinaus auch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 679, 670 BGB) besteht (vgl. dazu LG Heidelberg aaO und Dörner aaO), kann hier dahinstehen. Gegen die tatrichterlichen Feststellungen zur Höhe des unmittelbaren und mittelbaren Schadens (vgl. zum letzteren Dörner DAR 1980, 102, 107) bestehen keine rechtlichen Bedenken, zumal der Angeklagte auch noch vergeblich nach A. gefahren ist.
Wegen dieses aus demselben rechtlichen Verhältnis folgenden Gegenanspruchs durfte der Angeklagte ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB jedoch nicht geltend machen, weil dem hier der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegenstand. § 273 BGB enthält nach allgemeiner Ansicht (vgl. Dörner aaO m.w.Nachw.) nur eine Konkretisierung von § 242 BGB; die Geltendmachung der Einrede steht unter dem Vorbehalt, daß die besonderen Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben nicht eine Ausübung verbieten. Dabei kann das vorangegangene Verhalten des Berechtigten, aber auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er in § 320 Abs. 2 BGB für die Verweigerung der Gegenleistung nach nicht vollständiger Erbringung der Leistung seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. RGZ 61, 128, 133; Soergel/Wolf BGB 11. Auflage § 273 Rdnr. 49), eine Rolle spielen.
Hier hatte die Beauftragte der Zeugin M. eine Zahlung angeboten, die offensichtlich auf das zuvor geführte Telefonat zurückging, in dem der Angeklagte einen Betrag von 225,-- bis 230,-- DM genannt hatte. Die geforderten 276,48 DM konnte sie nicht sogleich bezahlen, weil sie nur 250,-- DM mitführte. Auch wenn die Beauftragte der Zeugin M. letzteren Betrag dem Angeklagten nicht ausdrücklich genannt hat, so ist nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe doch davon auszugehen, daß der Angeklagte glaubte, sie habe wenigstens 230,-- DM dabei.
Ob allein die geringe Differenz von 46,48 DM (276,48 DM minus 230 DM) ausgereicht hätte, um dem Angeklagten nach Treu und Glauben die Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht zu verwehren, kann dahinstehen. Jedenfalls mußte sich der Angeklagte an dem von ihm selbst genannten Betrag von ungefähr 225,-- DM bis 230,-- DM festhalten lassen; denn der Umstand, daß die Beauftragte der Zeugin M. einige Mark zu wenig bei sich führte, ging offensichtlich auf die von ihm erteilte Auskunft zurück. Bei dieser dem Angeklagten bewußten Sachlage hätte er nach Treu und Glauben nicht auf der Bezahlung der vollständigen Schadenssumme bestehen dürfen, sondern hätte als Folge seines Versehens die Beschwernis und das Risiko der nachträglichen Geltendmachung des verhältnismäßig geringen Restbetrages von - nach seiner Vorstellung - 46,48 DM auf sich nehmen müssen. Als er demgegenüber eine Teilleistung ablehnte und auf sofortiger vollständiger Bezahlung bestand, setzte er sich zu seinem eigenen vorherigen Verhalten bei der Auskunftserteilung und damit zu dem bei der Zeugin geschaffenen Vertrauen in Widerspruch und verstieß damit gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Ein Zurückbehaltungsrecht durfte er sonach nicht geltend machen.
Ob die rechtswidrige Zurückbehaltung des Fahrzeugs verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB war, ist der tatrichterlichen Beurteilung überlassen. Dazu hat das Landgericht bis jetzt nur die Verhältnismäßigkeit einer Forderung von DM 276,48 zu dem vorenthaltenen Gebrauch des Kraftwagens geprüft, nicht jedoch den anstoßerregenden Umstand, daß der Angeklagte sich in Widerspruch zu seiner eigenen Auskunft und dem dadurch geschaffenen Vertrauen setzte, zumal der fehlende Betrag allenfalls auch nach seiner Vorstellung sich tatsächlich noch auf DM 46,48 belief. Das ist ein sachlicher Mangel des Urteils, der zur Aufhebung führt.
3. Auch die Hilfserwägungen des Landgerichts zum Verbotsirrtum (§ 17 StGB) halten rechtlicher Prüfung nicht stand, weil wiederum nicht berücksichtigt wird, daß der Angeklagte sich in Widerspruch zu seiner eigenen Auskunft über die Höhe des Auslösungsbetrags setzte und er für diese Fallgestaltung keinen Rechtsrat eingeholt hatte, auf den er sich hätte verlassen können. Auch damit setzt sich das Landgericht nicht auseinander.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. ..."