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BGH Urteil vom 17.03.1954 - VI ZR 162/52 - Zum Quotenvorrecht des Versicherten bei nur teilweiser Schadensdeckung
BGH v. 17.03.1954: Zum Quotenvorrecht des Versicherten bei nur teilweiser Schadensdeckung
Der BGH (Urteil vom 17.03.1954 - VI ZR 162/52) hat sich grundsätzlich für die Anwendung der sog. Differenztheorie entschieden:
Wird der Schaden des Versicherungsnehmers durch die Versicherungsleistung nur teilweise gedeckt, so verbleibt eine sonstige Ersatzforderung dem Versicherungsnehmer bis zur völligen Deckung seines Schadens. Nur die Restforderung geht auf den Versicherer über.
Siehe auch Quotenvorrecht und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung
Aus den Entscheidungsgründen:
"... In der Rechtslehre bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des § 67 Abs 1 VVG in solchen Fällen. Nach der absoluten Theorie geht der Ersatzanspruch ohne Rücksicht auf den Umfang des Schadens bis zur Höhe der Versicherungsleistung auf den Versicherer über (Gerhard-Hagen, VVG § 67 Anm 3; Schüttensack, DR 1944, 173). Die von Kisch vertretene relative Theorie will den Ersatzanspruch im Verhältnis der Entschädigung zum ungedeckten Teil des Schadens zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer aufteilen (WuR 1935, 50; LZ 1916, 13). Nach der Differenztheorie schließlich (Prölss, VVG 7. Aufl § 67 Anm 6; Möller, DAR 1953, 107; Ehrenzweig, Deutsches Versicherungsrecht S 287; Schmidt, VersR 1953, 457) bleibt der Versicherungsnehmer in Höhe des Unterschiedes zwischen Schaden und der erhaltenen Versicherungssumme Gläubiger der Ersatzforderung. Der Versicherer kommt nach dieser Theorie erst nach voller Entschädigung des Versicherungsnehmers zum Zuge. Diese Auffassung wird auch von mehreren Oberlandesgerichten vertreten, so dass sie als die herrschende bezeichnet werden kann (Hamm, DR 1939, 1636; Stuttgart, HRR 1932 Nr 2296; Freiburg, VersR 1953, 178; Oldenburg, VRS 1953, 335; Braunschweig, VersR 1953, 201). Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Theorie an.
Für eine verhältnismäßige Aufteilung des Ersatzanspruchs zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer im Sinne der relativen Theorie gibt das Gesetz keine Anhaltspunkte. Der Wortlaut des § 67 Abs 1 VVG spricht anscheinend für die absolute Theorie, denn der Übergang der Ersatzforderung bis zur Höhe der Versicherungsleistung wird dort nur von deren Zahlung abhängig gemacht. Die Auslegung eines Gesetzes darf jedoch nicht am Wortlaut haften, sondern muss unter Anwendung des Grundsatzes des § 133 BGB den wirklichen Willen des Gesetzgebers erforschen (RGZ 89, 187; 96, 327; 117, 429; 139, 112; 142, 40). Demgemäß ist die Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes vorzunehmen, wenn die Worte den maßgebenden Gedanken nur unvollkommen wiedergeben (BGHZ 2, 184; Reinicke NJW 1952, 1033). Sinn und Zweck der Bestimmung des § 67 Abs 1 VVG sind jedoch, insoweit stimmen die verschiedenen Lehrmeinungen überein, darin zu erblicken, dass der Versicherungsnehmer nicht mehr als den Ersatz seines Schadens erhalten und der Ersatzpflichtige keinen Vorteil aus der von dem Geschädigten abgeschlossenen Versicherung ziehen soll. Dieser Zweck würde aber bei unzureichender Deckung des Schadens nach jeder der drei angeführten Theorien erreicht werden. Darüber hinaus würde aber nach der absoluten und relativen Theorie der Versicherungsnehmer durch den der Höhe der Versicherungsleistung entsprechenden Übergang des ganzen Ersatzanspruchs oder eines Teiles davon den Teil des Schadens selbst zu tragen haben, welcher durch die erhaltene Entschädigung und den etwaigen ihm verbleibenden Teil des Ersatzanspruchs nicht gedeckt ist.
Dieses unbefriedigende Ergebnis suchen die Vertreter der Differenztheorie zu vermeiden, indem sie einen Übergang der Ersatzforderung erst nach völliger Befriedigung des Versicherungsnehmers annehmen. Die gesetzliche Grundlage für diese Auffassung sehen sie zum Teil in der Vorschrift des Satzes 2 von § 67 Abs 1 VVG, wonach der Forderungsübergang nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden darf (OLG Hamm, DR 1939, 1636; OLG Oldenburg, VRS 1953, 335; Möller, DAR 1953, 107). Eine solche Auslegung dieser Bestimmung erscheint jedoch bedenklich im Hinblick auf die in der Rechtslehre unumstrittene Bedeutung ähnlicher gesetzlicher Vorschriften, welche sich regelmäßig im Anschluss an gesetzliche Forderungsübergänge im Bürgerlichen Gesetzbuch und in anderen Gesetzen finden (BGB §§ 268, 426, 274; Bundesbeamtengesetz § 168). Diese haben stets nur die Bedeutung, dass sie dem alten Gläubiger, dem ein Teil der Forderung verblieben ist, bei der Befriedigung den Vorrang gewähren Schüttensack, DR 1944, 173). Dass auch die entsprechende Bedeutung des § 67 Abs 1 Satz 2 VVG nur diesen Zweck verfolgt, geht aus dem in den Gesetzesmaterialien gegebenen Beispiel hervor (RTDrucksachen Nr 36412 LegPer I Session 1907).
Die Richtigkeit der Differenztheorie kann jedoch aus dem Sinn und Zweck des § 67 Abs 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem Wesen des Schadensversicherungsvertrags entnommen werden (Prölss, DR 1944, 429). Der Zweck eines Versicherungsvertrages besteht bei der Schadensversicherung in der Regel darin, dem Versicherungsnehmer einen etwaigen Schaden auf jeden Fall bis zur Höhe der Versicherungssumme ohne Rücksicht auf andere Ersatzmöglichkeiten zu ersetzen. Der Übergang der Ersatzforderung soll andererseits nur dazu dienen, eine Begünstigung des Ersatzpflichtigen und eine Bereicherung des Versicherungsnehmers zu verhindern. Der Versicherer hingegen hat sein Entgelt für seine Leistung bereits in Gestalt der Versicherungsprämien erhalten. Hieraus rechtfertigt sich der Schluss, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Ersatzforderung erst dann auf den Versicherer übergehen soll, wenn und soweit dies zur Vermeidung einer Bereicherung des Versicherungsnehmers notwendig ist. Eine solche würde aber erst dann eintreten, wenn die Versicherungsleistung und die Ersatzforderung zusammen den Schaden übersteigen. Die Interessenlage ist hier wesentlich anders, als bei dem in § 1542 RVO und § 167 BBG angeordneten Übergang der Ersatzforderung eines Versicherten auf den Sozialversicherungsträger oder des versorgungsberechtigten Beamten auf seinen Dienstherrn. Die in den vorgenannten Bestimmungen geregelten Versorgungsansprüche sind öffentlichrechtlicher Art. Es liegt daher im öffentlichen Interesse, dass Ersatzansprüche in Höhe der gewährten öffentlichrechtlichen Leistungen ohne Einschränkung auf die Versorgungsstelle übergehen. Bei dem Privatversicherungsvertrag stehen jedoch die Interessen des Versicherungsnehmers im Vordergrund. Es besteht rechtspolitisch gesehen keine Veranlassung, dem Versicherer, der bereits das Entgelt für seine Leistung erhalten hat, einen weiteren Gegenwert zuzuführen, solange der Versicherungsnehmer keine volle Deckung für seinen Schaden erhalten hat. Der Satz 1 des § 67 VVG ist daher einschränkend dahin auszulegen, dass soweit der Versicherungsvertrag nicht im Einzelfalle andere Bestimmungen enthält, der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers nur insoweit auf den Versicherer übergeht, als er zusammen mit der gezahlten Versicherungsentschädigung den Schaden des Versicherungsnehmers übersteigt. Demnach ist der Ersatzanspruch, welcher der Klägerin gegen den Erstbeklagten erwachsen ist, nicht auf den Versicherer übergegangen, falls der Gesamtschaden tatsächlich die in der Klage angegebene Höhe erreicht. Ob und inwieweit dies zutrifft, kann erst in dem Verfahren über die Höhe des Anspruchs geprüft werden. ..."