Das Verkehrslexikon

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OLG Hamm Urteil vom 13.10.1994 - 27 U 153/93 - Zur Alleinhaftung des den Gehweg benutzenden erwachsenen Radfahrers

OLG Hamm v. 13.10.1994: Zur Alleinhaftung des den Gehweg benutzenden erwachsenen Radfahrers


Das OLG Hamm (Urteil vom 13.10.1994 - 27 U 153/93) hat entschieden:
Ein Erwachsener, der den Bürgersteig mit dem Fahrrad befährt, verstößt gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht nach StVO § 1 Abs 2. Diese Regelung dient auch dem Schutz des Grundstücksausbiegers. Bei einer Kollision mit einem Grundstücksausbieger, der mit der gebotenen Vorsicht aus dem Grundstück herausfährt, haftet der Radfahrer zu 100 Prozent.


Siehe auch Radfahrer im Verkehrsrecht und Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer


Zum Sachverhalt: Der Kl. nimmt den Bekl. als Radfahrer auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall v. 6. 7. 1992 gegen 7.20 Uhr auf dem neben der R.-Straße verlaufenden Gehweg innerorts von E. in Anspruch. Der Kl. wollte mit seinem Pkw Porsche 924, Baujahr 1978, aus dem Grundstück R.-Straße nach Überquerung des zwischen dem Grundstück und der Fahrbahn verlaufenden Gehwegs nach links auf die R.-Straße einbiegen. Die Sicht nach rechts auf den Gehweg war durch den Treppenaufgang eines Hauses eingeschränkt. Der Bekl. befuhr den Gehweg - aus Sicht des Kl. - von rechts kommend mit seinem Fahrrad, dessen Vorderrad - ähnlich einem sog. Choppermotorrad - bei schräg nach vorn verlaufender Lenkstange in einem Abstand von ca. 1,5 m zum Hinterrad angebracht ist. In Höhe der Grundstücksausfahrt kollidierte er mit dem Pkw; die linke Pedale stieß gegen den Stoßfänger vorne rechts.

Das LG hat der auf vollen Ersatz des auf 7511,70 DM berechneten Schadens gerichteten Klage im wesentlichen stattgegeben.

Die dagegen gerichtete Berufung des Bekl., der nur einen eigenen Haftungsanteil von 1/3 hinnehmen will, blieb dem Grunde nach ohne Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Zu Recht hat das LG dem Grunde nach die volle Haftung des Bekl. angenommen; er ist dem Kl. gern. §§ 8231, 254 BGB zum Schadensersatz in Höhe von 6912,88 DM verpflichtet.

Der Bekl. hat sich grob verkehrswidrig verhalten, indem er mit seinem Fahrrad den Gehweg - noch dazu in Gegenrichtung - befuhr. Dazu war er nicht berechtigt, denn die Voraussetzungen des § 2 V StVO - nach dieser Vorschrift dürfen Kinder bis zum 8. Lebensjahr den Gehweg mit einem Rad befahren - lagen ersichtlich nicht vor. Der Bekl. hätte den in Fahrtrichtung rechten Fahrstreifen der R-Straße benutzen müssen. Das verkehrswidrige Verhalten stellt einen Verstoß gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten jedes Verkehrsteilnehmers dar (§ 1 II StVO). Diese Regelung bezweckt auch den Schutz des Kl. als Grundstücksausbieger.

Der Bekl. handelte auch fahrlässig. Wie er im Senatstermin eingeräumt hat, war er sich darüber im klaren, zum Befahren des Gehwegs noch dazu in dieser Richtung nicht berechtigt gewesen zu sein. Er benutzte ihn lediglich aus Gründen der Bequemlichkeit. Die Kollision war deshalb für den Bekl., dem die Örtlichkeiten überdies bekannt waren, vorhersehbar und vermeidbar.

Dem Kl. hingegen fällt ein Mitverschulden nicht zur Last. Er hat sich mit der gebotenen äußersten Vorsicht langsam aus dem Grundstück auf den Gehweg getastet. Aufgrund seiner mit den glaubhaften Aussagen seines Sohnes übereinstimmenden Angaben ist erwiesen, dass er den Pkw zunächst auf dem Grundstück angehalten hatte, und zwar mit der Front etwa in Höhe der zwischen der Grundstücksausfahrt und dem Gehweg verlaufenden Regenrinne. Nachdem er die Verkehrsverhältnisse auf der R-Straße links der Ausfahrt beobachtet hatte, ließ er den Pkw langsam anrollen, um die Verkehrsverhältnisse rechts der Grundstücksausfahrt beobachten zu können. Der Zeuge B richtete als Beifahrer den Blick auf den nach rechts verlaufenden Gehweg. Als der Pkw soweit gerollt war, dass der Bekl., der sich dem Pkw bereits bis auf wenige Meter genähert hatte, sichtbar wurde, brachte der 1(1. den Pkw auf entsprechenden Zuruf des Zeugen sofort zum Stillstand. Mehr konnte er nicht tun. Eines Einweisers musste er sich in dieser Situation nicht bedienen. Mit der grob verkehrswidrigen und unvorsichtigen Nutzung des Gehwegs durch den Bekl. brauchte er nicht zu rechnen, zumal auch für diesen die durch den Treppenaufgang des Hauses eingeschränkte Sichtmöglichkeit deutlich war.

Der Kl. hat sich auch nicht die Betriebsgefahr seines Pkw anspruchsmindernd zurechnen zu lassen. Dabei kann die Frage, ob sich der Unfall für ihn als unabwendbares Ereignis i.S. des § 711 StVG darstellt, auf sich beruhen. Der Bekl. hatte den Gehweg in Gegenrichtung mit einem nicht betriebstauglichen Fahrrad - dieses verfügte nicht über die gern. § 65 I 2 StVZO erforderliche Vorderradbremse - und obgleich ihm Örtlichkeit und eingeschränkte Sichtverhältnisse im Eingangsbereich des Grundstücks bekannt waren, so befahren, dass er vor dem sich langsam in sein Gesichtsfeld bewegenden Pkw nicht mehr anhalten konnte. Gegenüber diesem erheblichen Verschulden tritt die Betriebsgefahr des Pkw zurück. ..."







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