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Verwaltungsgericht Braunschweig Beschluss vom 13.06.2003 - 6 B 212/03 - Liegt bei einem Radfahrer Alkoholgewöhnung vor, so ist die Anordnung einer MPU rechtmäßig

VG Braunschweig v. 13.06.2003: Liegt bei einem Radfahrer Alkoholgewöhnung vor, so ist die Anordnung einer MPU rechtmäßig


Das Verwaltungsgericht Braunschweig (Beschluss vom 13.06.2003 - 6 B 212/03) hat entschieden:
Liegt bei einem Radfahrer Alkoholgewöhnung vor, so ist die Anordnung einer MPU zwecks Überprüfung der künftigen Gefahr von Alkoholmissbrauch (fehlendes sicheres Trennvermögen von erheblichem Alkoholkonsum und Teilnahme mit einem Kfz am Straßenverkehr) rechtmäßig (gegen VG Bremen NZV 1992, 295, Urt. vom 11.12.1991 - 5 A 462/90).


Siehe auch Alkoholproblematik bei Radfahrern und Fahrerlaubniskonsequenzen und Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer


Zum Sachverhalt: Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Am 13.10.2002 gegen 00:45 Uhr befuhr der Antragsteller mit seinem Fahrrad in offenbar alkoholisiertem Zustand eine öffentliche Straße im Gebiet der Antragsgegnerin. Die daraufhin durchgeführten Blutentnahme ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,12 g o/oo. Das Amtsgericht Braunschweig verurteilte ihn mit Strafbefehl vom 25.11.2002 (Az.: 9 Cs 905 Js 49267/02), rechtskräftig seit 13.12.2002, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.

Mit Schreiben vom 07.07.2003 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, bis zum 06.05.2003 ein Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen, um die Frage zu klären, ob der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde und ob bei ihm als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Klasse 3 in Frage stellten. Die dazu erforderliche Einverständniserklärung solle der Antragsteller bis zum 04.03.2003 vorlegen.

Nachdem die Antragsgegnerin antragsgemäß eine Verlängerung der Frist zur Vorlage der Einverständniserklärung bis zum 28.03.2003 gewährt hatte, teilte der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigten mit, er sei zu der geforderten medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht bereit. Er bitte jedoch zu prüfen, ob nicht eine fachärztliche Untersuchung ausreiche. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 01.04.2003 ab und setzte eine letzte Frist zur Vorlage der Einverständniserklärung bis zum 15.04.2003, die jedoch fruchtlos verstrich.

Mit Bescheid vom 12.05.2003 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse 3. Gleichzeitig ordnete sie die sofortigen Vollziehung dieser Verfügung mit der Begründung an, aus dem Verhalten des Antragsteller müsse geschlossen werden, dass die von ihr erhobenen Eignungsbedenken zu Recht bestünden. Deshalb habe sich der ursprüngliche Verdacht so stark verdichtet, dass nunmehr angenommen werden müsse, dass er andere Verkehrsteilnehmer gefährden oder schädigen werde, was im überwiegenden öffentlichen Interesse nicht einmal für die Zeit bis zur Beendigung eines Rechtsbehelfsverfahrens hingenommen werden könne.

Hiergegen erhob der Antragsteller am 21.05.2003 Widerspruch, über den, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden ist. Ebenfalls am 21.05.2003 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

Der Antrag hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht begründet.

Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten.

Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG entzogen worden ist, ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die an der Fahreignung des Betroffenen bestehenden Zweifel so weit verdichtet haben, dass die ernste Besorgnis gerechtfertigt erscheint, er werde andere Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährden, wenn er bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt (Finkelnburg/ Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m.w.N.). Eine solche Gefahr für die Allgemeinheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn besondere Umstände eine Gefährlichkeit gegenwärtig begründen, die im Wege der Abwägung zu Lasten der Allgemeinheit und damit im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts ist vorläufiger Rechtsschutz bereits dann zu versagen , wenn der Rechtsbehelf gegen eine Fahrerlaubnisentziehungsverfügung Aussicht auf Erfolg nicht verspricht und der Sofortvollzug formell ordnungsgemäß begründet worden ist (st. Rspr. seit dem Beschl. vom 03.06.1993 - 12 M 2023/93 -, OVGE 44, 327; Beschl. vom 01.06.1999 - 12 M 2308/99). Nach der gegenwärtigen Sachlage sind diese Voraussetzungen gegeben.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. d. F. der Bekanntmachung vom 05.03.2003 (BGBl I S. 310) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18. August 1998 (BGBl. I, S. 2214), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.09.2002 (BGBl. I S. 3574), hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Dies ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere anzunehmen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlagen 4, 5 oder 6 zu den §§ 11,13 und 14 FeV vorliegen, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, hat die Fahrerlaubnisbehörde entsprechend §§ 11 bis 14 FeV vorzugehen (§ 46 Abs. 3 FeV). Zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik hat sie gemäß §§ 46 Abs. 3, 13 Nr. 2 c FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern, wenn „ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr“ geführt wurde. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Nach der für diese Regelung vom Verordnungsgeber in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verdichten sich die Zweifel an der Fahreignung zu der Gewissheit, dass der Betroffene nicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher zu lenken, weil aus dem Verhalten des Betroffenen zu schließen ist, er wolle Mängel, die seine Fahreignung ausschließen könnten, verbergen (BVerwG, Urteil vom 27.09.1995, BVerwGE 99, 249). Diese Voraussetzungen sind offensichtlich erfüllt.

Gestützt auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 und Abs. 3 FeV durfte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entziehen, da er sich als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat.

Nachdem der Antragsteller sich ausdrücklich geweigert hatte, das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten beizubringen, obwohl er auf die Folgen einer ungerechtfertigten Weigerung hingewiesen war, durfte die Antragsgegnerin gemäß § 11 Abs. 8 FeV annehmen, dass beim Antragsteller gemäß §§ 46 Abs. 3, 13 Nr. 2 c FeV nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten auszuräumende Eignungszweifel bestehen, die er zu verdecken trachtet.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es sowohl für die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens als auch für die von der Antragsgegnerin daraus gezogenen Schlüsse unerheblich, dass er die von der Polizei entdeckte Alkoholfahrt mit dem Fahrrad und nicht mit einem Kraftfahrzeug begangen hat. § 13 Nr. 2 c FeV setzt nicht die Verkehrsteilnahme mit einem Kraftfahrzeug voraus, sondern hält bereits die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem „Fahrzeug“ für ausreichend. Demgemäss ist in der Rechtsprechung geklärt, dass auch bei einem Ersttäter, der, obwohl er einen Alkoholisierungsgrad hat, der die Grenzwerte des § 13 Nr. 2 c FeV übersteigt, mit seinem Fahrrad am Straßenverkehr teilnimmt, ein medizinisch-psychologisches Gutachten verlangt werden muss (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 14.01.2000, - 12 O 136/00 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 22.01.2001 - 19 B 1757, 19 E 886/00, VRS 100, 394; VG Braunschweig, Beschl. vom 09.04.2001 - 6 B 59/01; VG Oldenburg, Beschl. vom 31.10.2002 - 7 B 4361/02; VG Karlsruhe, Beschl. vom 25.03.2002 - 12 K 436/02 - zitiert nach Juris; zum älteren Recht vgl. ferner BVerwG, Beschl. vom 09.09.1996, 11 B 61/96 -; Urt. vom 27.09.1995 - 11 C 34/94 - BVerwGE 99, 249; Beschl. vom 22.06.1994 - 11 B 82/94; VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 16.07.1998 - 10 S 1461/97).

Soweit das VG Bremen (Urt. vom 11.12.1991 - 5 A 462/90 -, NZV 1992, 295) - wie vom Antragsteller angeführt - eine andere Auffassung vertreten hat, ist diese schon nach altem Recht vereinzelt geblieben und durch das neue Recht - wie gezeigt - überholt.

Nach Nr. 8.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV kann nach einem Alkoholmissbrauch die Fahreignung grundsätzlich erst dann wieder angenommen werden, wenn die missbräuchlichen Alkoholtrinkgewohnheiten beendet sind und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Ein Fall des Alkoholmissbrauchs liegt u.a. dann vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber in einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Maße alkoholische Getränke konsumiert, sodass von einer Trennung des Alkoholkonsums und dem Führen von Kraftfahrzeugen ohne Alkoholeinfluss nicht sicher ausgegangen werden kann. Nach den von der Fahrerlaubnisverordnung aufgegriffenen gesicherten Erkenntnissen der Alkoholforschung (vgl. dazu auch die Begr. des Bundesrats, BRDrucks 443/98, abgedr. bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. A., § 13 FeV m. w. N.; Schubert u.a., Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, S. 79 ff) besteht die Gefahr - wie vorliegend - auch bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der so alkoholgewöhnt ist, dass er die in § 13 Nr. 2c FeV genannten Werte erreicht (und überschreitet) und gleichwohl noch mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnimmt.

Dass der Antragsteller trotz seiner offenbar erreichten Giftfestigkeit bislang noch nicht durch das Führen von Kraftfahrzeugen in alkoholisiertem Zustand auffällig geworden ist, kann ihn nicht entscheidend entlasten. Dies kann seinen Grund auch darin haben, dass Verkehrsteilnahmen unter dem Einfluss von Alkohol nicht selten nicht entdeckt werden. Umso eher ist es die Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, bei gegebenem Anlass mit einer Eignungsuntersuchung festzustellen, ob der Betreffende angesichts seiner erheblich normabweichenden Trinkgewohnheiten noch in der Lage ist, den Genuss von größeren Mengen Alkohol und das Führen von Kraftfahrzeugen strikt zu trennen.

Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, sich im Rahmen des Widerspruchsverfahrens der geforderten Untersuchung doch noch zu unterziehen und so ggf. den Nachweis zu führen, dass die Bedenken gegen seine Fahreignung nicht (mehr) bestehen. ..."