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OLG Oldenburg Urteil vom 04.03.2002 - 15 U 63/01 - Das Rechtsfahrgebot schützt nur den berechtigten Gegen- und Überholverkehr, nicht den Einbiegeverkehr
OLG Oldenburg v. 04.03.2002: Das Rechtsfahrgebot schützt nur den berechtigten Gegen- und Überholverkehr, nicht aber den Einbiegeverkehr
Das OLG Oldenburg (Urteil vom 04.03.2002 - 15 U 63/01) hat bei einer Kollision zwischen einem gegen das Rechtsfahrgebot verstoßenden Vorfahrtberechtigen und einem wartepflichtigen Einbieger eine Haftungsverteilung von 75 : 25 zu Lasten des Wartepflichtigen angenommen:
Das Rechtsfahrgebot schützt nur den berechtigten Gegen- und Überholverkehr, nicht aber den Einbiegeverkehr. Bei der Haftungsabwägung ist bei einem Verstoß jedoch eine erhöhte Betriebsgefahr zu berücksichtigen.
Siehe auch Das Rechtsfahrgebot und Stichwörter zum Thema Vorfahrt
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Soweit die Fahrzeughalterhaftung (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 Satz 2 StVG) zu beurteilen ist, für die die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer nach § 3 PflVersG einzustehen hat, geht der Senat mit dem Landgericht davon aus, dass von keiner Seite der Unabwendbarkeitsbeweis (§ 7 Abs. 2 StVG) geführt worden ist. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) als Fahrzeugführerin gilt gemäß § 18 Abs. 1 StVG eine Haftung für vermutetes Verschulden, wobei bei den Ansprüchen aus § 18 Abs. 1 StVG über § 18 Abs. 3 StVG ebenfalls § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG als Haftungsminderungsnorm eingreift.
Nach dem Ergebnis der protokollierten Beweisaufnahme in der ersten Instanz ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) zwar gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 1 StVO) verstoßen hat, weil sie ohne berechtigten Anlass zu weit links gefahren ist. Ein unfallursächliches Verschulden ist ihr aber dennoch nicht anzulasten, weil das Rechtsfahrgebot nur den berechtigten Gegen- und Überholverkehr, nicht aber den Einbiegeverkehr schützt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 2 StVO Rdnr. 33). Bei der Abwägung ist auf Beklagtenseite jedoch eine erhöhte Betriebsgefahr zu berücksichtigen, denn der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot erhöht die Gefahr von Zusammenstößen im Einmündungsbereich typischerweise (vgl. OLG Köln NZV 1989, 437).
...
Bei der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung muss sich der Kläger nicht nur die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges, sondern auch das Verschulden seiner Ehefrau als Fahrerin zurechnen lassen. Die Zeugin S... hat eine Vorfahrtsverletzung begangen (§ 8 StVO), weil sie das Vorfahrtsrecht der Beklagten zu 1) nicht beachtet hat, das sich auf die ganze Straßenbreite bezog und nicht dadurch verloren ging, dass die Vorfahrtsberechtigte nicht die rechte Straßenseite benutzte. Auch in verkehrsberuhigten Bereichen gilt für Fahrzeuge der Grundsatz rechts vor links. Der Kläger hat den Anschein schuldhafter Verkehrsverletzung durch seine Ehefrau als Fahrerin gegen sich (vgl. BGH NJW 82, 2668; OLG Düsseldorf VRS 47, 87). Dieser kann nur durch bewiesene Tatsachen ausgeräumt werden, aus denen folgt, dass die Zeugin S... auch bei Anwendung größter Sorgfalt die vorfahrtsberechtigte Beklagte zu 1) nicht sehen konnte. Insoweit fehlt bereits jeder konkrete Vortrag dazu, ab wann die Beklagte zu 1) zu sehen war und wo sich die beteiligten Fahrzeuge zu diesem Zeitpunkt befanden. Die Bekundung der Zeugin B..., die Zeugin S... habe sich vorsichtig um die Kurve herumgetastet, reicht zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht aus.
Bei der nach § 17 Abs. 1 StVO vorzunehmenden Abwägung ist somit auf Beklagtenseite nur die durch den Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot erhöhte Betriebsgefahr in Ansatz zu bringen. Die Abwägung führt unter Berücksichtigung des Verschuldens der Ehefrau des Klägers und der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dazu, dass die Beklagten dem Kläger jedenfalls nicht mehr als 1/4 seines entstandenen Schadens zu ersetzen haben. ..."