Grundsätzlich gilt, dass stets und unter allen Umständen möglichst weit rechts gefahren werden soll.
Jedoch gibt es hiervon auch Ausnahmen wie beispielsweise die sog. freie Fahrstreifenwahl innerhalb geschlossener Ortschaften, wenn Fahrbahnmarkierungen vorhanden sind.
Bei Kollisionen mit einem Fahrzeug, dessen Führer formal gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hat, ist stets zu prüfen, ob das Rechtsfahrgebot auch dem Schutz des kollidierenden Fahrzeugführers diente oder nicht. Im allgemeinen wird durch das Gebot nur der erlaubte Gegen- und Überholverkehr geschützt, nicht hingegen kreuzender oder einbiegender Verkehr oder die Fahrbahn querende Fußgänger.
Aber auch, wenn mangels Schutzgesetzfunktion ein Mitverschulden nicht in Betracht kommt, ist zu beachten, dass ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot in jedem Fall geeignet ist, die Betriebsgefahr zu erhöhen und in der Regel verschuldensunabhängig zu einer Mithaftung von 1/4 führt.
Ein vielfach vorkommender Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot ist das Kurvenschneiden beim Ein- und Abbiegen - vorwiegend nach links.
BayObLG v. 08.03.1972::
Wer dem abknickenden Verlauf der Vorfahrtstraße folgt, ändert zwar seine Fahrtrichtung, biegt aber nicht ab im rechtstechnischen Sinn des StVO 1970 § 9 Abs 1. Er unterliegt daher nicht der Pflicht, sich vor dem Abbiegen nach links bis zur Mitte der Fahrbahn einzuordnen, muss vielmehr gemäß StVO 1970 § 2 Abs 2 S 1 möglichst weit rechts fahren.
OLG Köln v. 19.06.1991:
Ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot erhöht die Betriebsgefahr und kann zu einer Mithaftung von 1/4 führen.
OLG Hamm v. 18.11.2003:
Das Rechtsfahrgebot bestimmt nicht nur, welche von mehreren nebeneinander gelegenen Fahrbahnen zu benutzen ist, sondern gilt auch in der jeweiligen Fahrbahn selbst, also auch im Einbahnverkehr. Was "möglichst weit rechts" ist, hängt ab von der Örtlichkeit, der Fahrbahnart und -beschaffenheit, der Fahrgeschwindigkeit, den Sichtverhältnissen, dem Gegenverkehr und anderen Umständen. Dabei hat der Kraftfahrer - innerhalb der Fahrbahn - einen gewissen Beurteilungsspielraum, solange er sich soweit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr "vernünftig" ist.
KG Berlin v. 08.12.2006:
Auch wenn das Rechtsfahrgebot grundsätzlich nur dem Schutz des gleichgerichteten Verkehrs dient, schließt das nicht aus, dass sich durch die Benutzung der linken Fahrbahnseite die Betriebsgefahr eines unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges erhöht und allein dadurch zur Mithaftung führt. Denn erlaubtes Tun kann eine erhöhte Betriebsgefahr gegenüber der normalen Gefahr des Betriebes des Kraftfahrzeuges nicht ausschließen, die Erhöhung der Betriebsgefahr muß nicht durch unerlaubtes Verhalten des Fahrzeugführers verursacht sein.
OLG Brandenburg v. 26.04.2007:
Für die Einhaltung des Rechtsfahrgebots ist es im allgemeinen ausreichend, wenn von der linken Fahrzeugseite aus noch ein Abstand von mindestens 50 cm bis zur Mittellinie eingehalten wird.
AG Brilon v. 13.09.2007:
Kommt es infolge eines Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot zu einem Zusammenstoß im Begegnungsverkehr mit einem überbreiten Treckergespann, dann haftet der Pkw-Fahrer angesichts der überhöhten Betriebsgefahr des überbreiten Gespanns nur zu 70 %.
AG Fürth v. 20.11.2007:
Verstößt ein Kfz-Führer in einer Kurve gegen das Rechtsfahrgebot und fährt er dabei mit unangepasster Geschwindigkeit und bremst zudem zu spät, so haftet er bei einer Kollision mit dem Gegenverkehr zu 70 %, wenn auch der Unfallgegner seinerseits nicht weit rechts genug gefahren ist.
KG Berlin v. 08.06.2009:
Das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO) dient nicht dem Schutz des Linksabbiegers.
OLG Naumburg v. 05.08.2010:
Ist abweichend vom Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StVO ein paralleles Fahren auf beiden Fahrstreifen zulässig (hier nach § 7 Abs. 1 StVO), so kommt ein Verstoß gegen das Gebot, nur dann zu überholen, wenn man selbst mit wesentlich höherer Geschwindigkeit fährt als der zu Überholende ( § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO), nicht in Betracht. Die Zulässigkeit der Benutzung des linken Fahrstreifens ist von der konkreten Verkehrssituation abhängig.
AG Strausberg v. 17.08.2010:
Um an einer Rechts-vor-Links-Kreuzung die Vorfahrt beachten zu können, muss man mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass man notfalls rechtzeitig anhalten kann. Diese als „halbe Vorfahrt“ bezeichnete Situation dient grundsätzlich auch dem Schutz des von links kommenden Wartepflichtigen. Kommt es in dieser Situation der „halben Vorfahrt“ zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Vorfahrtberechtigten und einem von links kommenden Wartepflichtigen, geht die obergerichtliche Rechtsprechung von einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten in Höhe von 25 % aus. Die Mithaftungsquote kann sich bei Verletzung des Rechtsfahrgebots durch den Vorfahrtberechtigten auf 50 % erhöhen.
BGH v. 20.09.2011:
Das Befahren der linken Fahrbahn durch den am fließenden Verkehr teilnehmenden Fahrzeugführer beseitigt nicht die Verpflichtung des aus einem Grundstück auf die Straße Einfahrenden, dem fließenden Verkehr den Vorrang zu belassen und diesen nicht zu behindern. Den gegen das Rechtsfahrgebot verstoßenden Kfz-Führer trifft keine Mitschuld.
OLG Stuttgart v. 05.12.2018:
Schadensteilung 50:50 ist angemessen, wenn ein unfallursächlich leichter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO in vergleichbarem Maße und mit vergleichbarer Vorwerfbarkeit zu dem Unfallereignis beigetragen hat wie der Umstand, dass ein Motorradfahrer in Schräglage mit nicht angepasster Geschwindigkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 StVO in eine Stichstraße eingebogen ist.
LG Saarbrücken v. 30.09.2016:
Kollidiert ein Vorbeifahrender mit einem nach § 10 Satz 1 StVO in den Verkehr einfahrenden Fahrzeug, kann dem Vorbeifahrenden allein aus dem Umstand, dass er nur 35 cm von der Seitenbegrenzungslinie gefahren ist, kein Verschuldensvorwurf gemacht werden.
BGH v. 09.07.1996:
Das Rechtsfahrgebot des StVO § 2 Abs 2 läßt eine Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn nicht zu, soweit überhaupt, und sei es auch nur bei behutsamer Fahrweise, nach Lage der Dinge ein Überholtwerden oder eine Gefährdung von Gegenverkehr möglich ist. Das Rechtsfahrgebot und das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht gelten uneingeschränkt nebeneinander.
OLG München v. 11.04.2014:
Das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO ist, wie schon der Wortlaut („möglichst weit rechts“) erkennen lässt, nicht starr. Was „möglichst weit rechts“ ist, hängt ab von der Örtlichkeit, der Fahrbahnart und -beschaffenheit, der Fahrgeschwindigkeit, den Sichtverhältnissen, dem Gegenverkehr und anderen Umständen. Dabei hat der Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungsfreiraum, solange er sich so weit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr „vernünftig“ ist. Dieser Beurteilungsfreiraum entfällt indes dann, wenn - wie etwa an Kuppen oder in Kurven - die Strecke unübersichtlich ist. In diesen Fällen muss der Fahrer die äußerste rechte Fahrbahnseite einhalten, weil die Gefahr besteht, dass die Unübersichtlichkeit der Strecke ein rechtzeitiges Ausweichen nach rechts vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis nicht mehr zulässt.
BGH v. 09.12.1986:
Wer die Überholspur einer Autobahn länger als nach der Verkehrslage geboten, befährt, verstößt gegen das Rechtsfahrgebot des StVO § 2 Abs 2 und ist allein wegen dieses Verstoßes zur Rechenschaft zu ziehen, auch wenn er durch seine Fahrweise nachfolgende Verkehrsteilnehmer am Überholen gehindert hat, sofern das Überholen nur durch Überschreiten der höchstzulässigen Geschwindigkeit möglich gewesen wäre.
OLG Stuttgart v. 26.10.2006:
Kollidiert ein alkoholbedingt absolut fahruntüchtiger Fahrer infolge einer wesentlichen Überschreitung der Mittellinie mit einem Fahrzeug des Gegenverkehrs, dessen Fahrer das Rechtsfahrgebot nicht beachtet hat, muss sich der Fahrer bzw. Halter des entgegenkommenden Fahrzeugs wegen dieses Verkehrsverstoßes trotz groben Verschuldens des alkoholisierten Fahrers einen Mitverschuldensanteil von 20 % anrechnen lassen.
Fahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung:
OLG Köln v. 10.12.2015:
Das Rechtsfahrgebot betrifft seinem Sinn nach nicht denjenigen Verkehrsteilnehmer, der entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fährt.
OLG Karlsruhe v. 30.05.2016:
Ein Radfahrer, dessen Fahrlinie auf einem 2 Meter breiten Sand-Schotter-Weg einen Seitenabstand von ca. 80 cm zum rechten Rand des Weges einhält, verstößt nicht gegen das Rechtsfahrgebot.