Das Verkehrslexikon

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VGH Mannheim Urteil vom 05.12.2002 - 5 S 2625/01 - Befolgungsanordnung an einen Liegeradfahrer, mit seinem Liegefahrrad vorhandene benutzungspflichtige Radwege zu befahren

VGH Mannheim v. 05.12.2002:Befolgungsanordnung an einen Liegeradfahrer, mit seinem Liegefahrrad vorhandene benutzungspflichtige Radwege zu befahren


Der VGH Baden-Württemberg in Mannheim (Urteil vom 05.12.2002 - 5 S 2625/01) hat entschieden:
  1. 1. Zur Frage, ob eine generelle verkehrsrechtliche Befolgungsanordnung auf § 44 Abs. 2 i.V.m. § 36 StVO gestützt werden kann.

  2. Eine generelle Befolgungsanordnung darf unbeschadet dessen erlassen werden, dass die Nichtbefolgung der darin konkretisierten gesetzlichen Pflicht eine Ordnungswidrigkeit darstellt und als solche verfolgt werden kann (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 24.6.1976 - I C 56.74 -und BayVGH, Urt. v. 27.10.1981 - 22. B - 2206/79 -).

Siehe auch Fahrrad-Rikscha - Fahrrad-Taxi - Liegefahrrad - Bierbike


Zum Sachverhalt: Der Kläger wendete sich gegen eine Verfügung der Beklagten, mit der durchgesetzt werden soll, dass er mit seinem Liegerad Radwege und nicht die Fahrbahn benutzt.

Bereits im Jahr 1994 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass er gegen Verkehrsvorschriften verstoße, wenn er mit seinem Liegerad vorhandene Radwege nicht benutze, und dass deshalb die Anordnung zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht in Betracht komme. Am 26.09.1998 beschlagnahmte ein Beamter des Polizeivollzugsdienstes das Liegerad des Klägers, nachdem dieser sich aus grundsätzlichen Erwägungen geweigert hatte, einen mit Zeichen 241 ausgeschilderten Radweg zu benutzen. Wegen dieses Vorfalls verurteilte das Amtsgericht Karlsruhe den Kläger rechtskräftig zu einer Geldbuße von 20,00 DM. Den gegen die fortdauernde Beschlagnahme des Liegerads eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Landespolizeidirektion Karlsruhe zurück. Die daraufhin gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe am 08.03.1999 ab. Wenig später erhielt der Kläger sein Liegerad wieder ausgehändigt. Auf die Berufung des Klägers änderte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10.07.2000 das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe teilweise ab und stellte fest, dass die Beschlagnahmeverfügung seit dem 12.10.1998 rechtswidrig gewesen sei; im Übrigen wies er die Berufung des Klägers zurück (1 S 1862/99). In den Entscheidungsgründen führte er u.a. aus: Entgegen der Ansicht des Klägers handele es sich bei seinem Liegerad um ein Fahrrad im Sinne der Straßenverkehrsordnung. Seine Behauptung, durch den Radwegbenutzungszwang in seinem zügigen Fortkommen behindert und auch selbst gefährdet zu werden, begründe für ihn keine grundsätzliche Ausnahme von der Radwegebenutzungspflicht. Kein Verkehrsteilnehmer habe ein Recht darauf, mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit, die er mit seinem Fahrzeug erreichen könne, am Straßenverkehr teilzunehmen. Die Beschlagnahme sei auch im Übrigen zunächst rechtmäßig gewesen. Sie sei jedoch seit dem 12.10.1998 rechtswidrig (geworden). Eine Störung gehe nicht von dem beschlagnahmten Liegerad selbst, sondern von dessen Benutzung durch den Kläger aus. Die erforderliche und geeignete Maßnahme, um dieser Gefahr effizient begegnen zu können, liege in der Einwirkung auf das Verhalten des Klägers. Demgemäß sei es angezeigt und sinnvoll, dass die Beklagte den Kläger nunmehr durch die konkretisierende Verfügung vom 15.04.1999 unter Androhung eines empfindlichen Zwangsgeldes zur Benutzung der Radwege verpflichtet habe. Eine solche Befolgungsanordnung sei gegenüber einer lang anhaltenden Beschlagnahme das den Kläger weniger belastende Mittel. Es sei Aufgabe der Beklagten gewesen, den Erlass einer solchen Maßnahme alsbald in die Wege zu leiten. Dies hätte nach Ansicht des Senats zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit innerhalb von zwei Wochen nach der erfolgten Beschlagnahme geschehen können. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 31.05.2001 (3 B 183.00) zurück.

Die erwähnte und im vorliegenden Verfahren allein umstrittene Verfügung der Beklagten vom 15.04.1999 lautet wie folgt:
  1. Sie werden hiermit ausdrücklich verpflichtet, bei Benutzung eines Liegerades gemäß § 2 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung (StVO) Radwege zu benutzen, wenn ihre jeweilige Fahrtrichtung mit den Zeichen 237 (Sonderweg Radfahrer), 240 (gemeinsamer Fuß- und Radweg) oder 241 (getrennter Rad- und Fußweg) StVO gekennzeichnet ist.

  2. Gemäß § 80 Abs. 2 Ziff. (?) Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entfällt die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen diese Entscheidung. Die Kennzeichnung der Fahrtrichtung mit den Zeichen 237, 240 oder 241 StVO stellt eine unaufschiebbare Anordnung im Sinne der VwGO dar.

  3. Falls Sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, drohen wir Ihnen hiermit die Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von 3.000,00 DM an (§§ 49 Abs. 1 Polizeigesetz, 19 ff. Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz). Ist das Zwangsgeld uneinbringlich, kann auf Antrag des Amtes Bürgerservice und Sicherheit Zwangshaft angeordnet werden.

  4. Für diese Entscheidung wird eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 95,00 DM zzgl. der Auslagen für die Postzustellung in Höhe von 11,00 DM festgesetzt.“
In der Begründung wird sinngemäß lediglich ausgeführt: Ein Liegerad sei ein Fahrrad, das gemäß § 2 Abs. 4 StVO auf Radwegen geführt werden müsse. Es sei zu erwarten, dass der Kläger dies auch künftig nicht beachten werde. Zur Entscheidung über die Vollziehbarkeit von Nr. 1 der Verfügung enthält die Begründung keine Ausführungen.

Den am 31.05.1999 erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Karlsruhe am 03.08.1999 mit der Maßgabe zurück, dass die in der angegriffenen Verfügung ausgesprochene Verpflichtung zur Benutzung von gekennzeichneten Radwegen dann entfalle, wenn der Radweg im Einzelfall für Liegeräder unbenutzbar sei; die Unbenutzbarkeit des Weges könne sich aus dessen Beschaffenheit (z.B. versetzte Sperren, die mit dem Liegerad auch nicht schiebend überwunden werden können), oder aus seinem Zustand (Schlaglöcher, tiefer Schnee, Eis) ergeben. In den Gründen führte es aus: Die generelle Verpflichtung des Klägers zur Benutzung entsprechend ausgeschilderter Radwege rechtfertige sich im vorliegenden Fall aus den §§ 1 und 3 PolG wegen dessen wiederholt ausgesprochener Weigerung, ausgeschilderte Radwege mit seinem Liegerad zu benutzen. Da von ihm weitere Verstöße gegen die Radwegebenutzungspflicht zu erwarten seien, sei die Beklagte zur Abwehr der hieraus entstehenden Gefahren berechtigt, ihm im Wege einer sogenannten unselbständigen Polizeiverfügung die besondere Beachtung eines sich bereits aus der Rechtsnorm des § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO ergebenden Verhaltensgebots aufzuerlegen. Sofern Radwege „zuständlich“ unbenutzbar seien, d.h. bei versetzten Sperren, bei Engstellen oder bei großen Schlaglöchern, sei ein (Liege-)Radfahrer von der Pflicht, sie zu benutzen, allerdings befreit. Insoweit habe der Widerspruch Erfolg. Die Anordnung des Sofortvollzugs „nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO“ sei rechtmäßig. Dies ergebe sich zwar entgegen der Auffassung der Ausgangsbehörde noch nicht aus dem Charakter der erwähnten Verkehrszeichen als unaufschiebbare Anordnung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren für die Verkehrssicherheit seien jedoch derart schwerwiegend, dass etwaigen Rechtsbehelfen die aufschiebende Wirkung versagt werden müsse. Dem Kläger sei auch zu Recht ein Zwangsgeld angedroht worden.

Der Kläger hat am 02.09.1999 Klage erhoben. Mit Urteil vom 19.09.2001 (12 K 2343/01) hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügung der Beklagten vom 15.04.1999 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidium Karlsruhe vom 03.08.1999 aufgehoben.

Im Tatbestand des Urteils heißt es, der Kläger wende sich gegen eine Verfügung der Straßenverkehrsbehörde, mit der die Pflicht zur Radwegebenutzung festgestellt und ihm ein Zwangsgeld angedroht werde. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, für die in Nr. 1 der Verfügung getroffene Feststellung fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Verwaltungsbehörden dürften verbindlich feststellende Verwaltungsakte nur erlassen, wenn sie dazu durch Gesetz ermächtigt seien. Eine gesetzliche Grundlage für eine förmliche Feststellung der Radwegebenutzungspflicht enthielten weder das Straßenverkehrsgesetz noch die Straßenverkehrsordnung. Insoweit bestehe auch keine Regelungslücke. Nach der Straßenverkehrsordnung sollten (bußgeldbewehrte) Verstöße allein als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Das Urteil wurde der Beklagten am 26.09.2001 zugestellt.

Auf den am 25.10.2001 gestellten Zulassungsantrag der Beklagten hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 04.12.2001 (5 S 2372/01) zugelassen und zur Begründung ausgeführt, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, soweit darin Nr. 1 der angefochtenen Verfügung als Feststellung interpretiert werde.

Die Beklagte hat beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19. September 2001 ﷓ 12 K 2343/01 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
Sie trug vor: Das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 10.07.2000 die angefochtene Befolgungsanordnung als das geeignete und gegenüber einer Beschlagnahme des Liegerads geringer eingreifende Mittel angesehen habe. Es liege auch kein Fall vor, in dem nur gelegentlich gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verstoßen werde. Vielmehr habe der Kläger ausdrücklich erklärt, dass er nicht daran denke, mit seinem Liegerad Radwege zu benutzen. Die Befolgungsanordnung sei als präventive Maßnahme weitaus effizienter als die Verhängung eines Bußgelds.

Der Kläger hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.

Er verteidigte das verwaltungsgerichtliche Urteil und trägt weiter vor: Nr. 1 der angefochtenen Verfügung sei kein Verwaltungsakt. Es fehle an einer Regelung. Es werde nur der Inhalt von § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO wiederholt. Es werde auch kein Einzelfall, sondern eine abstrakte Vielzahl von Fällen geregelt. Auch eine Allgemeinverfügung liege nicht vor, weil sich die Verfügung allein an den Kläger richte. Es handele sich lediglich um eine abstrakt-individuelle Maßnahme. Demzufolge fehle auch eine Grundlage für die Vollstreckung. Radfahrstreifen, die Teil der Fahrbahn seien, würde er benutzen. Der Streit gehe um die Benutzung von Bordsteinradwegen, die es aber in Karlsruhe nicht gebe, weil die Stadt im Wege einer „sehr intensiven“ Handhabung der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung dem rechtsabbiegenden Verkehr die Vorfahrt vor auf dem Bordsteinradweg geradeaus fahrenden Radfahrern einräume. Da diesbezügliche Regelungen nur zulässig seien, wenn für den Autofahrer nicht erkennbar sei, dass der Radweg zur Straße gehöre, gehe die Beklagte offensichtlich davon aus, dass der Radweg nicht zur Straße gehöre. Dann gebe es aber auch keine Radwegebenutzungspflicht. Deren strenge Auslegung verstoße gegen den Gleichheitssatz. Nur weil sein Liegerad die „falsche Energiequelle“ habe, würde ihm als Liegeradfahrer vorenthalten, wie ein 15-jähriger Mofafahrer auf der Fahrbahn fahren zu dürfen. Gegen ihn dürfe nicht härter vorgegangen werden als etwa gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs, der dieses auf einem Radweg parke. Die Androhung eines Zwangsgelds sei sinnlos. Die Beklagte könne sein Verhalten mit der streitigen Verfügung nachweislich nicht ändern.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte nach der Stellung der Anträge Nr. 3 der angefochtenen Verfügung vom 15.04.1999 aufgehoben. Die Beteiligten haben insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Soweit danach noch anhängig, hatte die Berufung der Beklagten Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die angefochtene Verfügung - hinsichtlich der in Nr. 3 enthaltenen Zwangsgeldandrohung - aufgehoben hat und die Beteiligten anschließend den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO auszusprechen, dass das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts wirkungslos geworden ist.

Die danach noch anhängige und nach der Zulassung durch den Senat statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat sie die Beklagte rechtzeitig und formgerecht begründet. Dabei durfte sie sowohl hinsichtlich des zu stellenden Berufungsantrags wie auch hinsichtlich der Berufungsbegründung auf ihr Vorbringen im Zulassungsverfahren Bezug nehmen.

Die Berufung ist auch begründet.

Die Klage des Klägers ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft. Sie richtet sich (noch) gegen die in Nr. 1 der angefochtenen Verfügung enthaltene Befolgungsanordnung in der Fassung des Widerspruchsbescheids, mit der dem Kläger aufgegeben wird, beim Führen eines Liegerads ausgeschilderte Radwege zu befahren. Entgegen der nicht weiter begründeten Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte nicht lediglich die gesetzliche Pflicht des Klägers festgestellt, beim Führen eines Liegerads ausgeschilderte Radwege zu benutzen. Dies zeigt sowohl der Wortlaut: „Sie werden hiermit ... verpflichtet, ...“, wie auch der Umstand, dass dem auf diese Weise ausgesprochenen Gebot die Androhung eines Zwangsgelds für den Fall beigefügt ist, dass der Kläger „dieser Verpflichtung“ nicht nachkommen sollte. Soweit der Kläger geltend macht, die Befolgungsanordnung sei ab-strakt-individuell und deshalb überhaupt kein Verwaltungsakt, trifft dies ersichtlich nicht zu. Das folgt bereits aus der äußeren Form der Anordnung. Inhaltlich handelt es sich um eine Bündelung von konkret-individuellen Regelungen im Sinne von § 35 Satz 1 LVwVfG; denn dem Kläger wird (konkret) aufgegeben, gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO beschilderte Radwege zu benutzen, wenn er ein Liegerad führt und der Radweg seinem Zustand nach zumutbar mit einem Liegerad befahren werden kann. Auch im Übrigen ist die Klage zulässig.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat ihr zu Unrecht stattgegeben. Die Befolgungsanordnung ist in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Befolgungsanordnung ist allerdings entgegen der ursprünglichen Auffassung der Beklagten nicht schon § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO. Nach dieser Vorschrift (in der hier maßgeblichen Fassung der 24. ÄndVO v. 07.08.1997 - BGBl. I S. 2028) müssen Radfahrer Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist. Zwar wurde früher angenommen, es bedürfe für eine Einzelanordnung, welche gesetzlich geregelte Pflichten auf einen Betroffenen anwendet und dabei den Inhalt einer Vorschrift für den Betroffenen in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt verbindlich klärt und durchsetzt, keiner eigenen Befugnisnorm (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 23.02.1979 - 7 C 31.76 - Buchholz 442.16 § 18 StVZO Nr. 1; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 24.6.1976 - I C 56.74 - Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 2 = NJW 1977, 772; Urt. v. 16.12.1977 - VII C 79.75 -Buchholz 442.03 § 52 GüKG Nr. 1 = JZ 1978, 234). Diese Rechtsprechung ist jedoch überholt. Selbst für die Feststellung einer gesetzlich begründeten Verpflichtung bedarf es nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer gesetzlichen Grundlage, die sich zumindest im Wege der Auslegung ermitteln lassen muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.1985 - 8 C 105.83 = BVerwGE 72, 265 = NJW 1986, 1120; Beschl. v. 10.10.1990 - 1 B 131.90 - Buchholz 451.20 § 34c GewO Nr. 4 = NVwZ 1991, 267; Beschl. v. 22.10.1991 - 1 C 1.91 - Buchholz 451.20 § 33c GewO Nr. 3 = NVwZ 1992, 665; vgl. auch BSG, Urt. v. 15.12.1999 - B 9 V 26.98 -, Breith 2000, 394 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 69). Dies gilt umso mehr für eine Befolgungsanordnung, die nicht nur der Konkretisierung einer gesetzlichen Pflicht dient, sondern auch Grundlage einer Vollstreckung sein kann (und soll).

Ob als Rechtsgrundlage für die angefochtene Befolgungsanordnung § 44 Abs. 2 Satz 1 StVO hinreichend wäre, kann dahinstehen. Nach dieser Vorschrift ist die Polizei befugt, den Verkehr durch Zeichen und Weisungen (§ 36) zu regeln. Polizei in diesem Sinn ist nicht nur der Polizeivollzugsdienst, sondern auch die Polizeibehörde (Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 17. Aufl., § 44 StVO Rdnr. 2 unter Hinweis auf OLG Zweibrücken, NZV 1989, 311). Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO sind die Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten zu befolgen. Nach Satz 2 der Vorschrift gehen sie allen anderen Anordnungen und sonstigen Regeln vor, entbinden den Verkehrsteilnehmer aber nicht von seiner Sorgfaltspflicht. Die in Absatz 2 der Vorschrift aufgeführten Zeichen können gemäß Absatz 3 durch Weisungen ergänzt und geändert werden. Polizeiliche Weisungen in diesem Sinne sind sowohl solche, die einem gegenwärtigen Verkehrsbedürfnis durch die Regelung des Verkehrs im Einzelfall dienen sollen, als auch solche, die dadurch unmittelbar verkehrsbezogen sind, dass sie die von einem Verkehrsteilnehmer ausgehende - andauernde - Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit beseitigen (BGH, Beschl. v. 31.01.1984 - 4 StR 350.83 - BGHSt 32, 248 = NJW 1984, 1568). In diesem letztgenannten Sinne könnte auch die vorliegende generelle Befolgungsanordnung als Weisung gemäß § 36 StVO verstanden werden, auch wenn sie keinem augenblicklichen Bedürfnis zur Regelung des Straßenverkehrs oder zur Erhaltung seiner Sicherheit entspringt, wie es gegeben wäre, wenn der Kläger von einem Polizeibeamten bei einem Verstoß gegen die Radwegebenutzungspflicht angetroffen würde.

Offenbleiben kann dies, weil die Befolgungsanordnung jedenfalls - hiervon ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im Widerspruchsbescheid ausgegangen -auf §§ 1 und 3 PolG gestützt werden kann. Denn die Beklagte wäre auch dann für den Erlass der Befolgungsanordnung zuständig und deren Rechtmäßigkeit hängt nicht davon ab, ob in ihrer Begründung die richtige Rechtsgrundlage angeführt ist.

Die Befolgungsanordnung leidet nicht an einem Bestimmtheitsmangel im Sinne von § 37 Abs. 1 LVwVfG. Insbesondere sind die vom Regierungspräsidium Karlsruhe beigefügten Maßgaben im jeweiligen Einzelfall bestimmbar.

Dem Erlass der Befolgungsanordnung steht nicht entgegen, dass sie im Wesentlichen, abgesehen von den Maßgaben des Regierungspräsidiums, nur den Wortlaut des § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO wiederholt. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass eine Polizeibehörde in Polizeiverordnungen normierte Ge- oder Verbote durch sogenannte unselbständige Polizeiverfügung konkretisieren darf, wenn eine Übertretung eines solchen Gebots oder Verbots droht (vgl. PrOVGE 95, 155; 99, 217; BayVGH, Urt. v. 27.10.1981 - 22. B - 2206/79 -, GewA 1982, 87 m.w.N.; Württenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 4. Aufl., Rdnr. 461). Soweit vereinzelt gefordert wird, es bedürfe eines qualifizierten Anlasses für den Erlass einer solchen Befolgungsanordnung, wenn diese auf die Schaffung einer zusätzlichen Sanktion neben dem einschlägigen Ordnungswidrigkeitentatbestand hinausläuft (OVG Bremen, Entsch. v. 01.12.1981 - 1 BA 57/81 - Juris, nur Leitsatz), kommt dies nach Auffassung des Senats allenfalls dann in Betracht, wenn für jeden Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld angedroht bzw. festgesetzt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall und wäre im Übrigen auch unzulässig (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.2002 - 5 S 3057/99 - VBlBW 2002, 297 im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 26.06.1997 - 1 A 10.95 - Buchholz 452.00 § 93 VAG Nr. 1 = NVwZ 1998, 393). Im Übrigen hat der Kläger für den Erlass der Befolgungsanordnung einen qualifizierten Anlass gegeben, weil er sich hartnäckig geweigert hat (und noch weigert), der Radwegebenutzungspflicht für Liegeradfahrer nachzukommen.

Dass der Kläger beim Führen eines Liegerads grundsätzlich der Radwegebenutzungspflicht gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO unterliegt und dass die Vorschrift insoweit auch mit höherrangigem Recht vereinbar ist, ist im Verfahren des Klägers wegen der Beschlagnahme seines Liegerads geklärt worden (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.07.2000 - 1 S 1862/99 - VBlBW 2001, 100; BVerwG, Beschl. v. 31.05.2001 - 3 B 183.00 - Buchholz 442.151 § 2 StVO Nr. 2 = NZV 2001, 493). Zwar entfalten diese Entscheidungen im Verhältnis des Klägers zur Beklagten keine Rechtskraft, weil Beklagter damals das Land Baden-Württemberg war. Der Senat schließt sich diesen Entscheidungen aber an. Neue Gesichtspunkte hat der Kläger insoweit auch nicht vorgetragen. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt die Radwegebenutzungspflicht nicht nur in Bezug auf von der Fahrbahn abgetrennte Radstreifen (vgl. VwV-StVO I Nr. 3 zu § 2 Abs. 4 Satz 2), sondern auch für ausgeschilderte baulich angelegte Radwege (vgl. VwV-StVO I Nr. 2 zu § 2 Abs. 4 Satz 2). Sie hängt nicht etwa davon ab, ob an Kreuzungen rechtsabbiegenden Fahrzeugen abweichend von § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO die Vorfahrt eingeräumt wird (vgl. VwV-StVO I zu § 9 Abs. 3). Der Kläger verkennt die Rechtslage auch, soweit er der Ansicht ist, es sei ihm nicht zuzumuten, baulich angelegte Radwege zu benutzen, weil er nicht in jedem Fall wissen bzw. erkennen könne, ob im Verlauf eines solchen Radwegs ein für ihn mit zumutbarem Aufwand nicht überwindbares Hindernis, wie eine versetzte Sperre oder eine plötzliche Verschlechterung der Fahrbahndecke, im Sinne der im Widerspruchsbescheid bestimmten Maßgaben vorhanden sei. Vielmehr obliegt es ihm, sich vor der Benutzung eines solchen Radwegs ortskundig zu machen oder aber gegebenenfalls angesichts solcher Hindernisse diese entweder zu überwinden oder aber unter Inkaufnahme eines Umwegs umzukehren.

Indem der Kläger sich hartnäckig weigert, ausgeschilderte Radwege mit seinem Liegerad zu benutzen, gibt er einen Anlass für den Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung im Sinne von § 44 Abs. 2 StVO bzw. für den Erlass einer polizeilichen Verfügung im Sinne von §§ 1 und 3 PolG. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob das Verhalten des Klägers objektiv - die subjektive Einschätzung des Klägers ist insoweit nicht maßgebend - in der jeweiligen Situation zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer führt. Denn die zum verkehrsrechtlichen bzw. polizeirechtlichen Einschreiten berechtigende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung liegt bereits in dem Verstoß gegen die Vorschrift des § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO.

Die Befolgungsanordnung ist ohne Ermessensfehler ergangen. Der Kläger kann nicht mit Erfolg einwenden, sie sei ungeeignet, weil er von der Fahrbahn abgetrennte Radfahrstreifen ohnehin benutze. Denn die Verfügung regelt seine Benutzungspflicht in Bezug auch auf baulich angelegte, vom Kläger als Bordsteinradwege bezeichnete Radwege, die er ausdrücklich nicht benutzen will. Die Befolgungsanordnung ist auch erforderlich. Ein geringer eingreifendes Mittel ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht benannt. Die Befolgungsanordnung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Mit ihr wird dem Kläger lediglich aufgegeben, der schon von Gesetzes wegen bestehenden Radwegebenutzungspflicht gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO Folge zu leisten, die ihrerseits nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Die Befolgungsanordnung verletzt den Kläger schließlich auch nicht in seinem Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Es ist insbesondere nicht festzustellen, dass die Beklagte in Fällen einer hartnäckigen und auf einer abweichenden Rechtsüberzeugung beruhenden Verletzung von straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen durch eine andere Person eine Befolgungsanordnung nicht erlassen hätte bzw. erlassen würde. Solche Fälle hat auch der Kläger nicht benannt. Er erkennt nicht, dass er das nachdrückliche Vorgehen der Beklagten dadurch herausfordert, dass er auf seinem falschen Rechtsstandpunkt beharrt und aus Überzeugung neue Verstöße ankündigt.

Unverhältnismäßig ist die Befolgungsanordnung auch nicht deshalb, weil die Beklagte sie nicht nur zur Klärung der Rechtslage, sondern - wohl in erster Linie - als Grundlage für eine gegebenenfalls erfolgende Vollstreckung erlassen hat. Die Androhung von Zwangsmitteln zur Durchsetzung der Befolgungsanordnung ist nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil Verstöße gegen § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO bußgeldbewehrt sind. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass eine solche Befolgungsanordnung unbeschadet dessen erlassen werden darf, dass die Nichtbefolgung der darin konkretisierten gesetzlichen Pflicht eine Ordnungswidrigkeit darstellt und als solche verfolgt werden kann. Beide Maßnahmen sind unterschiedlicher Art und können nebeneinander ergehen; eine Reihenfolge ist nicht festgelegt (BVerwG, Urt. v. 24.6.1976 - I C 56.74 - a.a.O.; BayVGH, Urt. v. 27.10.1981 - 22. B - 2206/79 - a.a.O.). Im Bußgeldverfahren soll eine Zuwiderhandlung, die in der Vergangenheit liegt, geahndet werden. Dagegen hat der Verwaltungszwang zum Ziel, eine bestimmte Verpflichtung des Betroffenen unabhängig von seinem Verschulden durchzusetzen (BVerwG, Urt. v. 16.12.1977 - VII C 79.75 - a.a.O.). Demzufolge gibt auch der Bußgeldkatalog für ein anzudrohendes und ggf. festzusetzendes Zwangsgeld keinen Rahmen vor (so auch BayVGH, Urt. v. 27.10.1981 - 22. B - 2206/79 - a.a.O.). Der Rahmen ergibt sich vielmehr aus § 23 LVwVG.

Soweit die Klage abgewiesen wird, hat der Kläger als Unterliegender gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, entspricht es billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO, der Beklagten die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen aufzuerlegen. Denn indem sie in der mündlichen Verhandlung die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 der angefochtenen Verfügung aufgehoben hat, hat sie sich freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben. Im Übrigen hätte die Klage voraussichtlich insoweit Erfolg gehabt, weil die Befolgungsanordnung im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids nicht bestandskräftig und mangels Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch nicht vollstreckbar im Sinne von § 2 Nr. 2 LVwVG gewesen sein dürfte. Die Nr. 2 der angefochtenen Verfügung enthält wohl allenfalls einen für die Befolgungsanordnung nicht zutreffenden Hinweis auf eine sofortige Vollziehbarkeit gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO. Eine Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hat im Übrigen wohl auch nicht das Regierungspräsidium Karlsruhe erlassen. Dafür reicht es nicht aus, dass es lediglich in den Gründen des Widerspruchsbescheids die unklare Äußerung der Beklagten in der angefochtenen Verfügung als Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO verstanden und dem eine Begründung gemäß § 80 Abs. 3 VwGO beigefügt hat. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. ..."



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