Das Verkehrslexikon

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OLG Jena Beschluss vom 15.02.2008 - 1 Ss 313/07 - Zur Notwendigkeit der Mitteilung der Einlassung des Betroffenen in den Urteilsgründen

OLG Jena v. 15.02.2008: Zur Notwendigkeit der Mitteilung der Einlassung des Betroffenen in den Urteilsgründen


Das OLG Jena (Beschluss vom 15.02.2008 - 1 Ss 313/07) hat entschieden:
Die Gründe eines Urteils im Bußgeldverfahren müssen so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung möglich ist. Es ist nicht ausreichend, wenn das Urteil nicht erkennen lässt, ob und wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung geäußert oder ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, und wenn unklar bleibt, ob der Tatrichter einer etwaigen Einlassung gefolgt ist oder sie für widerlegt angesehen hat.


Siehe auch Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren und Einlassungen des Betroffenen im Bußgeldverfahren


Zum Sachverhalt:

Mit Bußgeldbescheid des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes/Zentrale Bußgeldstelle vom 08.06.2006 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 60 km/h eine Geldbuße von 300,00 Euro sowie ein Fahrverbot von 1 Monat festgesetzt. Hiergegen hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 10.07.2007 wurde der Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,00 EUR verurteilt. Es wurde weiter ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt.

Hiergegen richtete sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die - vorläufigen - Erfolg hatte.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... In der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung an das Amtsgericht Erfurt.

Auch wenn an die Gründe eines Urteils im Bußgeldverfahren keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, müssen sie doch zumindest so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung möglich ist. Dem genügt das angefochtene Erkenntnis nicht.

a. So lässt das Urteil zunächst nicht erkennen, ob und wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung geäußert oder ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Auch bleibt unklar, ob der Tatrichter einer etwaigen Einlassung gefolgt ist oder sie für widerlegt angesehen hat. Der Beweiswürdigung lässt sich lediglich entnehmen, dass in der Hauptverhandlung die polizeilich gefertigte schriftliche Videodistanzauswertung verlesen und die gefertigte Videosequenz in Augenschein genommen wurde. Diese Säumnis stellt aber jedenfalls dann einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung der Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (OLG Koblenz VRS 71, 42 f.; OLG Oldenburg StV 1984, 374; vgl. auch Göhler, OWiG, 14. Aufl. 2006, § 71 Rn. 43).

Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der Mitteilung, aufgrund welcher Umstände der Tatrichter davon ausgegangen ist, dass der Betroffene der Fahrer des durch die Polizei gemessenen Fahrzeugs gewesen ist. Aus den Urteilsgründen ergibt sich insbesondere nicht, ob diese Feststellung aufgrund der Einlassung des Betroffen oder etwa anhand der Videoaufzeichnungen getroffen wurde.

Es ist weiterhin nicht mitgeteilt, ob und welche Umstände der Betroffene mitgeteilt hat, die für ein vorsätzliches bzw. fahrlässiges Handeln sprechen und in welchem Maße sich das Gericht mit etwaigen Einlassungen auseinandergesetzt hat.

Darüber hinaus sind die Urteilsgründe im Rahmen der Erörterung zum Schuldvorwurf widersprüchlich und deuten auf eine rechtsfehlerhafte Beurteilung hin. Insoweit wird zwar zunächst ausgeführt, der Betroffene habe fahrlässig gehandelt, weil er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Geschwindigkeitsbeschränkung hätte erkennen können. Andererseits wird im Rahmen der Erörterungen zum Fahrverbot angegeben, „der Betroffene habe zweimal das Zeichen 274 „130 km/h“ passiert und es beidesmal bewusst nicht wahrgenommen“ (Seite 3 letzter Absatz). Gerade die letzte Formulierung legt aber die Ansicht des Tatrichters nahe, dass der Betroffene bewusst „weggesehen“ und es dabei zumindest in Kauf genommen hat, gegen ein Geschwindigkeitsbeschränkung zu verstoßen. In diesem Falle hätte er aber bedingt vorsätzlich gehandelt.

b. Auch hinsichtlich der Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs bedarf es der Mitteilung der Einlassung des Verfolgten. Nur dann kann der Senat nämlich prüfen, ob der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, welche es ausnahmsweise gebieten, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss vom 27.3.2001, 1 Ss 163/04: Augenblicksversagen; zu einem Ausnahmefall, vgl. OLG Karlsruhe DAR 2006, 227f.: Rückgriff auf in Bezug genommene Lichtbilder der Verkehrsüberwachung).

Auch hier fehlt es an der Mitteilung durch den Tatrichter, ob und in welcher Weise sich der Betroffene eingelassen hat. Eine Überprüfung, ob diese Einlassung rechtsfehlerfrei gewürdigt wurden, ist daher nicht möglich.

Da zureichende Feststellungen dem Urteil nicht zu entnehmen sind, war dieses aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Erfurt zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, Abs. 6 OWiG). ..."