Das Verkehrslexikon
OLG München Beschluss vom 03.07.2008 - 5St RR 119/08 - Notwendige Urteilsfeststellungen bei Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
OLG München v. 03.07.2008: Bei Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis müssen Feststellungen über die Angabe von Zeitpunkt und Ort der Fahrzeugführung hinausgehen
Das OLG München (Beschluss vom 03.07.2008 - 5St RR 119/08) hat entschieden:
Bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis muss das tatrichterliche Urteil - soweit möglich - Feststellungen zu den Gegebenheiten der Fahrt enthalten (Anlass und Dauer der Fahrt, Handeln aus einem Antrieb etc.). Fehlen diese Feststellungen, ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch in der Regel unwirksam.
Siehe auch Die Beschränkung des Rechtsmittels in Strafsachen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Fahren ohne Fahrerlaubnis
Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht München hat den Angeklagten am 4.5.2007 wegen Betrugs in acht tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Diebstahl, Urkundenfälschung, Missbrauch von Titeln und in Tatmehrheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Das Amtsgericht hat zu den Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis folgende Feststellungen getroffen:
„B I. 3.
Am 05.10.2005 versprach der Angeklagte dem Geschädigten Dr. F., die Darlehensraten für den Kauf eines Fahrzeuges zu begleichen, wenn er dieses nutzen dürfe. Er sicherte dem Geschädigten zu, sämtliche anfallenden Kosten zu übernehmen. Im Vertrauen darauf, dass der Angeklagte tatsächlich willens und in der Lage wäre, seiner Zusage nachzukommen, erwarb der Geschädigte den PKW Mercedes C 180 mit dem amtlichen Kennzeichen für den Preis von 18 970,00 Euro, welchen er durch ein aufgenommenes Darlehen finanzierte, und übergab den PKW an den Angeklagten. Entsprechend seiner vorgefassten Absicht bezahlte der Angeklagte an den Geschädigten lediglich eine der monatlichen Raten in Höhe von 443,31 Euro und nutzte das Fahrzeug in der Zeit zwischen 07.10.2005 bis zu seiner Festnahme am 03.04.2006. Insbesondere fuhr der Angeklagte mit dem PKW am 07.10.2005 im Münchner Stadtgebiet, obwohl er, wie er wusste, nicht über die hierzu erforderliche Fahrerlaubnis verfügte. Die Darlehensgeberin nahm den Geschädigten Dr. F. auf Zahlung der monatlichen Raten in Anspruch.
Der Geschädigte Dr. F. zahlte die monatlichen Raten bis zur Veräußerung des Kfz im April 2006 weiter. Der Pkw wurde mit Verlusten zum Preis von ca. 13 000,- Euro wieder veräußert.
…
B I. 5.
Zu einem weiteren, nicht näher bekannten Zeitpunkt Ende Oktober 2005 erklärte der Angeklagte gegenüber dem Geschädigten Dr. F., dass er 3 200,00 Euro benötige, sonst müsse er in Haft gehen, da er eine Frist versäumt habe. Er versprach dem Geschädigten, das Darlehen zurück zu zahlen. In Wirklichkeit hatte der Angeklagte vor, den erbetenen Betrag endgültig für sich zu behalten. Im Vertrauen auf die Rückzahlungswilligkeit und -fähigkeit des Angeklagten händigte der Geschädigte in dem von dem Angeklagten gelenkten PKW auf der Fahrstrecke zwischen Au bei Bad Aibling und München aus. Auch zu diesem Zeitpunkt verfügte der Angeklagte nicht über die hierzu erforderliche Fahrerlaubnis.
…
II.
Am 08.01.2006 gegen 09.20 Uhr betankte der Angeklagte den PKW Mercedes C 180 mit dem Amtlichen Kennzeichen mit 35,87 Liter Super-Benzin im Wert von 45,88 Euro bei der Esso-Tankstelle in … in …. Dabei hatte er von an Beginn an vor, die Bezahlung des betankten Kraftstoffes schuldig zu bleiben. Entsprechend vorgefasster Absicht verließ er die Tankstelle, ohne den Kraftstoff bezahlt zu haben. Das Kraftfahrzeug hatte er auf öffentlichen Straßen zu dieser Tankstelle gefahren, ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein, was er wusste.“
Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft - jeweils auf das Strafmaß beschränkt - Berufung eingelegt. Das Landgericht hat diese Beschränkung als wirksam angesehen und den vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde gelegt.
Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil im Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verurteilt wurde.
Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Rechtsfolgenausspruch; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Revision hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"1. Die Revision ist teilweise begründet, weil das Amtsgericht Art und Umfang der Schuld des Angeklagten, soweit es diesen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen hat, nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße festgestellt hat, so dass insoweit die Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam war (vgl. BayObLGSt 1999, 105; OLG München Beschlüsse vom 20.6.2007 - 4St RR 103/07 - und vom 8.10.2007 - 4St RR 178/07 sowie Urteil vom 18.2.2008 - 4St RR 202/07; Meyer-Goßner StPO, 51. Aufl., § 318 Rn. 16 m.w.N.).
a) Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge und unabhängig von einer sachlichen Beschwer des Angeklagten ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorangegangenen amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat. Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, falls das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) sich nur mit einzelnen Teilen des Ersturteils befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt war (vgl. BayObLGSt a.a.O.; Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 33). Grundsätzlich ist der Rechtsfolgenausspruch alleine anfechtbar, wenn die Schuldfeststellungen eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung bilden. Dies ist hier nicht der Fall.
b) Bei der Verurteilung wegen einer (folgenlosen) Fahrt ohne Fahrerlaubnis darf sich der Tatrichter - hinsichtlich der Tat selbst - nicht damit begnügen, neben der Schuldform lediglich anzugeben, dass der Angeklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort ein Fahrzeug geführt hat (in einem solchen Fall ist eine Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch in der Regel unwirksam). Die Schuld des Täters kann in derartigen Fällen wesentlich durch die Gegebenheiten der Fahrt selbst bestimmt sein. Hierzu sind daher - soweit möglich - Feststellungen erforderlich, wie zumal bei einem (wie auch vorliegend) geständigen Angeklagten. Anlass und Dauer der Fahrt können ebenso von Bedeutung sein, wie der Umstand, ob der Täter sich eher zufällig zur Fahrt entschlossen hat, wobei eine Rolle spielen kann, ob er aus eigenem Antrieb handelte oder von Dritten verleitet wurde. Wesentliche Faktoren können sein, ob und weshalb die Fahrt privat oder beruflich veranlasst war, ob der Täter hierzu durch Dritte gedrängt wurde, sowie unter dem Gesichtspunkt des Ausmaßes der herbeigeführten Gefahr, die Dauer und Länge der bereits zurückgelegten und der noch beabsichtigten Fahrstrecke sowie die Verkehrsbedeutung der befahrenen Straße (BayObLG NZV 1992, 453; 1997, 244 [jeweils zu den gebotenen Feststellungen bei Trunkenheit im Verkehr]; OLG München Urteil vom 18.2.2008 - 4St RR 202/07 m.w. Rechtsprechungsnachweisen).
Feststellungen im genannten Sinn oder wenigstens zu einigen nach Lage des Einzelfalls besonders bedeutsamen Umständen werden sich vom Tatrichter auch regelmäßig ohne besonderen Aufwand treffen und im Urteil darstellen lassen. Nur wenn dies nicht mit mehr verhältnismäßigen Mitteln oder gar nicht möglich ist, etwa weil der Täter schweigt und Zeugen nicht zur Verfügung stehen, könnte etwas anderes gelten (BayObLG NZV 1997, 244).
c) Zu alledem enthält das Urteil des Amtsgerichts vom 4.5.2007 keine Ausführungen. Das Berufungsgericht hätte das nicht hinnehmen dürfen. Vielmehr hätte es über diese Tatfragen ohne Rücksicht auf die erklärte Berufungsbeschränkung neu entscheiden müssen. Weil das nicht geschehen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung auf diesem Mangel beruht.
2. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. ..."