Zur Wirksamkeit einer Tarifbestimmung in der Fahrzeugversicherung, die im Versicherungsfall bei Überschreitung der im Versicherungsantrag genannten jährlichen Fahrleistung - unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen Versicherungsbeginn und Schadentag - eine Verdoppelung der Selbstbeteiligung vorsieht.Zum Sachverhalt: Die Klägerin beantragte am 06.04.2006 bei der Beklagten den Abschluss einer Kraftfahrtversicherung für den Pkw BMW …, die eine Fahrzeugvollversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 1 000,00 € umfaßte. Im Antrag gab die Klägerin die jährliche Fahrleistung mit 15 000 km und den Tachostand mit 118 000 km an. Die Beklagte fertigte am 26.05.2006 den Versicherungsschein aus. Danach lagen dem Vertrag der Antrag und die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) sowie die Tarifbestimmungen für die Kraftfahrtversicherung (TB) zugrunde. In Ziffer 13e der Tarifbestimmungen heißt es unter der Überschrift „Erhöhte Selbstbeteiligung im Schadenfall“:Die Klägerin nahm die Beklagte wegen Schäden aufgrund eines Unfalls vom 26.05.2007 in Anspruch. Die Klägerin bat in der Folgezeit um Auszahlung des durch Gutachten ermittelten Reparaturkostenaufwand von 2 957,52 € netto unter Abzug der Selbstbeteiligung von 1 000,00 €. Die Beklagte rechnete mit Schreiben vom 05.06.2007 unter Abzug der doppelten Selbstbeteiligung, nämlich 2 000,00 €, ab, da der Pkw der Klägerin die im Antrag angegebene jährliche Fahrleistung von 15 000 km unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen Antragstellung und Unfalltag um mehr als 25 % überschritten habe. Mit Schreiben vom 15.06.2007 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte zur Zahlung von 1 000,00 € bis zum 22.06.2007 auf. Dieser Betrag und die vorgerichtlichen Anwaltskosten sind Klagegegenstand.
- Besteht für einen Pkw eine Fahrzeugversicherung, so wird eine bestehende Selbstbeteiligung im Schadenfall verdoppelt, bzw. wenn eine Fahrzeugversicherung ohne Selbstbeteiligung besteht, die Entschädigungsleistung um einen Betrag von 300,00 € gekürzt, wenn
- im Schadenfall festgestellt wird, dass die vom Versicherungsnehmer im Antrag genannte jährliche Fahrleistung - unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen Versicherungsbeginn und Schadentag - um mehr als 25 % überschritten wurde oder ….
Die Klägerin hat vorgetragen, die Tarifbestimmung in Ziffer 13e sei eine überraschende versteckte Strafklausel und daher nach § 305c Abs. 1 BGB unwirksam. Der Versicherungsnehmer dürfe davon ausgehen, 15 000 km in einem Vertragsjahr zurücklegen zu dürfen, gleichgültig ob zu Beginn oder zu Ende des Jahres.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Klausel sei weder überraschend noch ungewöhnlich. Die Kilometer seien für das Antragsdatum 21.04.2006 zutreffend berechnet worden.
Das Amtsgericht hat die Klage im schriftlichen Verfahren abgewiesen, da die Klausel nicht überraschend sei. Vom Versicherungsnehmer sei zu erwarten, dass er die Klausel zur Kenntnis nehme. Durch die höhere Fahrleistung bestehe ein höheres Risiko.
Hiergegen richtete sich die - erfolgreiche - Berufung der Klägerin.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Klägerin steht aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 1 VVG ein weiterer Zahlungsanspruch in Höhe von 1 000,00 € gegen die Beklagte zu. Die von der Beklagten verwendete Klausel Ziffer 13e (1) a) der Tarifbestimmungen ist gemäß §§ 305c, 307 BGB in mehrfacher Hinsicht unwirksam. Die Klausel ist sowohl überraschend wie auch mehrdeutig für den Versicherungsnehmer.
1. Das Überraschungsmoment folgt allerdings nicht -wie die Klägerin meint- bereits daraus, dass die Überschreitung einer vereinbarten Jahreskilometerleistung nachteilige Folgen für den Versicherungsnehmer nach sich ziehen kann. Denn da die zugrunde gelegte Fahrleistung mit Prämienvorteilen korrespondiert, muss der Versicherungsnehmer damit rechnen, dass eine Änderung der Bemessungsgrundlagen für die Prämienberechnung durch eine Erhöhung des Risikos infolge einer erhöhten Fahrleistung zu einer Kompensation zu Gunsten des Versicherers und der durch diesen vertretenen Versichertengemeinschaft führt. Darin vermag das Gericht grds. auch keine unbillige Sanktion zu erblicken, da es ansonsten jedem Versicherungsnehmer risikolos möglich wäre, zu Lasten der Versichertengemeinschaft bei Antragstellung unangemessene niedrige Jahreskilometerangaben zu machen, um eine möglichst niedrige Versicherungsprämie zahlen zu müssen.
Als überraschend i.S.v. § 305c BGB wertet das Gericht jedoch die Anknüpfung der Folgen einer Überschreitung der zugrunde gelegten jährlichen Fahrleistung an den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers, da bei Abschluss der Versicherung die Höhe der Jahreskilometerlaufleistung keinen Einfluss auf die Versicherungsleistung, sondern auf die Versicherungsprämie hat. Denn nach § 305c BGB sind überraschend Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen -zu denen auch die Versicherungs- und Tarifbedingungen der Beklagten zählen-, die objektiv ungewöhnlich sind und ein Überraschungsmoment enthalten. Danach braucht der Versicherungsnehmer nicht damit zu rechnen, dass eine Überschreitung der angegebenen jährlichen Fahrleistung Einfluss auf die Leistungspflicht des Versicherers haben soll, obwohl bei Antragstellung diesem Kriterium Bedeutung nur für die Prämiengestaltung zugemessen wird. Damit wäre die Höhe der Versicherungsprämie nach Auffassung des Gerichts ein sachgerechter Anknüpfungspunkt, um auf eine Überschreitung der angegebenen Jahreskilometerleistung zu reagieren. Das Gericht lässt ausdrücklich dahinstehen, ob die Beklagten nicht mit der Anknüpfung an die Leistungsfreiheit gegen §§ 15a, 34a VVG i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 25 VVG verstößt, wenn es sich bei der Vereinbarung zur Einhaltung eines bestimmten Fahrleistung bzw. bei der Überschreitung der vereinbarten Laufleistung inhaltlich um eine verhüllte Obliegenheit oder eine Gefahrerhöhung handelt, weil für diese Tatbestände die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit an halbzwingende Voraussetzungen geknüpft ist, von denen die Beklagte mit der von ihr verwendeten Tarifklausel zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht.
2. Zudem enthält die Klausel eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Versicherungsnehmer und benachteiligt die Klägerin dadurch unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. So wie die Sanktion auf ein Überschreiten der angegebenen Jahreslaufleistung im vorliegenden Fall ausgestaltet ist, muss der Versicherungsnehmer, im konkreten Fall auch die Klägerin, einen höheren Nachteil hinnehmen, wenn der Versicherer ein geringeres Risiko trägt, während der Nachteil für den Versicherungsnehmer geringer ist, wenn der Versicherer ein höheres Risiko genommen hat. Denn eine -auch hohe- Selbstbeteiligung verdoppelt sich, obwohl das Risiko für den Versicherer mit der Höhe der Selbstbeteiligung sinkt, während bei einer Vertragsgestaltung ohne Selbstbeteiligung die Leistungsfreiheit des Versicherers auf einen Betrag von 300 € beschränkt ist, obwohl sein Risiko von Beginn an wegen der unbeschränkten Leistungspflicht höher gewesen ist, als bei Vereinbarung einer die Leistungspflicht eingrenzenden Selbstbeteiligung. Diese Gestaltung ist nicht verständlich und konnte dem Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch nicht plausibel erläutert werden.
3. Schließlich ist die Tarifklausel in Ziff. 3e auch unklar und benachteiligt die Klägerin dadurch unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Versicherungsrechtliche Vertragsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (BGH r+s 2008, 25; OLG Hamm NJOZ 2006, 282). Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender von allgemeinen Versicherungsbedingungen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen, insbesondere müssen Nachteile und Belastungen so weit erkennbar werden, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH NJW 2006, 2545; VersR 2005,639). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Klausel in mehrfacher Hinsicht unklar. Bereits der verwendete Begriff des Versicherungsbeginns ist nicht eindeutig. Es könnte der technische Versicherungsbeginn, der materielle Versicherungsbeginn oder der formelle Versicherungsbeginn gemeint sein. Je nach dem ist auch unklar, welche Kilometerleistung bereits bei Versicherungsbeginn vorlag, da die im Antrag angegebene Fahrleistung von 118 000 km bei Versicherungsbeginn bereits erheblich überschritten sein könnte. Unklar ist ferner, ob mit der Versicherung eine vom Hauptversicherungsvertrag verselbständigte (OLG Saarbrücken r+s 2006, 274) vorläufige Deckung, wie sie in der Kraftfahrzeugversicherung häufig vereinbart wird, oder der endgültige Versicherungsvertrag gemeint sein soll. Auch davon hängt ab, von welcher Ausgangslaufleistung auszugehen ist. Weiter ist unklar, inwieweit bei einem Unfall im ersten Versicherungsjahr die Regelung Anwendung finden kann. So wird der Versicherungsnehmer im Unklaren gelassen, ob die Regelung Anwendung findet, wenn er beispielsweise 7 Monate nach Versicherungsbeginn bereits 14 000 km bei einer vereinbarten Fahrleistung von jährlich 15 000 km zurückgelegt hat. Aus diesem Gesichtspunkt ist auch in den Folgejahren mit Hilfe der Klausel eine Überschreitung der jährlichen Fahrleistung von 15 000 km, die um 25 % überschritten werden darf, nicht eindeutig festzustellen, da ungeregelt bleibt, ob der Versicherungsnehmer ein Unterschreiten der angegebenen Fahrleistung im ersten Jahr im folgenden Jahr mit einer höheren Fahrleistung folgenlos ausgleichen darf oder ob ihn die Sanktion auch treffen soll, wenn er im Schnitt der Jahre die angegeben Fahrleistung nicht um mehr als 25 % überschreitet, dies aber in einzelnen Jahren durchaus der Fall war. Diese Unklarheiten werden auch in der eigenen Berechnung der Beklagten deutlich. Danach soll die Klägerin nach 404 Tagen 24 688 km gefahren sein und daher die vereinbarte jährliche Fahrleistung überschritten haben. Dies erschließt sich dem verständigen Versicherungsnehmer nicht. Denn er kann ausgehend von der Angabe im Versicherungsschein, dass seine jährliche Fahrleistung 15 000 km betrage, zumindest annehmen, dass es ihm vorbehalten bleibt, wann im Jahr er seine vereinbarte jährliche Fahrleistung erbringt. Nach der im Versicherungsschein niedergelegten Vereinbarung ist es ihm sogar unbenommen, im ersten Monat eines Jahres 2/3 der jährlichen Fahrleistung zu absolvieren und in den restlichen 11 Monaten des Jahres lediglich 1/3. Diese Vereinbarung steht im Widerspruch zu der oben genannten Klausel, da dort der Zeitraum zwischen Versicherungsbeginn und Schadentag für die Ermittlung der jährlichen Fahrleistung maßgeblich sein soll. Im Übrigen ist die Klausel dann auch ungeeignet, eine Überschreitung der jährlichen Fahrleistung festzustellen. Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang zu Recht daraufhin, dass die Beklagte die Fahrleistung in Monatsfahrleistungen hätte aufteilen müssen, wenn sie auch schon bei Unfällen zu Beginn eines Versicherungsjahres die Überschreitung der Fahrleistung mit einer Sanktion belegen will. ..."