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Landgericht Aachen Urteil vom 10.10.2008 - 6 S 69/08 - Zum Anspruch auf Erstattung der Stundensätze einer Fachwerkstatt bei Wahl einer billigeren Reparatur
LG Aachen v. 10.10.2008: Zum Anspruch auf Erstattung der Stundensätze einer Fachwerkstatt bei Wahl einer billigeren Reparatur
Das Landgericht LG Aachen (Urteil vom 10.10.2008 - 6 S 69/08) hat entschieden:
- Sowohl im Fall der Veräußerung im unreparierten Zustand als auch im Fall der Ausführung einer „Billigreparatur“ und fiktiver Abrechnung auf Basis eines Sachverständigengutachtens sind die höheren Stundenverrechnungssätze tatsächlich nicht angefallen. Maßgeblich ist, dass Ziel des Schadensersatzes die Totalreparation ist und der Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist. Er hat Anspruch auf Erstattung der Stundensätze einer Fachwerkstatt.
- Als Folge der Dispositionsbefugnis des Geschädigten steht ihm - auch wenn das Fahrzeug nur minderwertig repariert wurde - für den Zeitraum des Ausfalls des Fahrzeugs eine - in zeitlicher Hinsicht nicht über die Dauer bei Durchführung einer ordnungsgemäßen Reparatur hinausgehende - Nutzungsausfallentschädigung zu. Anhaltspunkt für die Dauer kann die vom Sachverständigen für angemessen gehaltene Reparaturzeit sein.
Siehe auch Stundenlohnsätze - Stundenverrechnungssätze einer Fachwerkstatt und Einzelne Schadenspositionen in der Unfallregulierung
Gründe:
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß den §§ 313 a Abs. 1, 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
Nach dem Inhalt der Berufungsbegründung werden die vom Amtsgericht zugesprochenen Positionen „Mehrwertsteuer“ (294,50 €), restliche Reparaturkosten (953,73 € = 3 120,49 € abzgl. gezahlter 2 166,76 €) und Nutzungsausfall (129,00 € = drei Tage à 43,00 €), insgesamt mithin ein Betrag von 1 377,23 € beanstandet.
1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer aus §§ 7, 17 StVG, 3 PflVersG (§ 115 VVG), 823 ff., 249 Abs. 2 BGB nicht zu. Dem Kläger ist der Nachweis des Ausgleichs des Mehrwertsteuerbetrages gemäß § 249 Abs. 2 BGB nicht gelungen.
Auf die Verfügung der Kammer vom 19. August 2008 hat der Kläger keinen Zahlungsnachweis eingereicht. Nach der Aussage des Zeugen … gemäß Beweisaufnahme der ersten Instanz steht jedoch - ohne dass insoweit auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen abzustellen wäre - nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass es zum Ausgleich gekommen ist.
Mit seiner Erklärung „Die Rechnung ist bar bezahlt worden, allerdings inkl. der hier ausgewiesenen MWSt, soweit ich mich erinnere“ hat der Zeuge seine Aussage selbst relativiert und Zweifel bekundet. Die Annahme, der Kläger habe die Rechnung inklusive der ausgewiesenen Mehrwertsteuer ausgeglichen, kann darauf nicht gestützt werden.
2. Dem Kläger steht der Anspruch auf Ausgleich der restlichen Reparaturkosten in Gestalt der in dem Gutachten ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze - wie vom Amtsgericht ausgeurteilt - aus §§ 7, 17 StVG, 3 PflVersG, 823 ff, 249 BGB zu.
Die Parteien streiten insoweit darüber, ob im Rahmen des Schadensersatzanspruchs die Stundenverrechnungssätze einer Fachwerkstatt in Ansatz gebracht werden können, wie sie in dem Gutachten des Sachverständigen … niedergelegt sind. Gegen die fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis bestehen nach der durchgeführten Teilreparatur keine Bedenken.
Grundsätzlich darf der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen. Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region repräsentiert als statistisch ermittelte Rechengröße nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag ( BGH NJW 2003, 2086). Denn einerseits ist der Schädiger zur vollständigen Behebung des Schadens unabhängig von den wirtschaftlichen Dispositionen des Geschädigten verpflichtet. Darüber hinaus würde bei anderer Sichtweise die dem Geschädigten durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eingeschränkt werden. Schließlich würde die Realisierung einer Reparatur zu dem bezeichneten Mittelwert der Stundenverrechnungssätze eine erhebliche Eigeninitiative des Geschädigten erfordern, wozu dieser grundsätzlich nicht verpflichtet ist. Denn er müsste Erkundigungen hinsichtlich der Werkstatterfahrung für die Reparatur der entsprechenden Fahrzeugmarke anstellen und entsprechende Preisangebote einholen ( BGH NJW 2003, 2086, 2087).
Vorliegend gilt auch nicht deshalb etwas anderes, weil die Beklagte zu 2) auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit hingewiesen hat. Zum Zeitpunkt des entsprechenden Schreibens vom 14. Februar 2007 war das Fahrzeug durch den Kläger - wie sich aus der Reparaturbescheinigung vom 17. September 2007 ergibt - bereits der Reparatur zugeführt. Das Angebot der Beklagten konnte der Kläger daher nicht mehr annehmen.
Der Verpflichtung zum Ersatz der höheren Stundenverrechnungssätze steht vorliegend auch nicht entgegen, dass der Kläger eine günstige Reparatur gewählt hat und die erhöhten Kosten damit gerade nicht angefallen sind.
Zwar wurde teilweise in diesen Konstellationen vertreten, dass der Geschädigte lediglich die mittleren ortsüblichen Stundenverrechnungssätze geltend machen kann:
Rechnet der Geschädigte auf Basis fiktiver Reparaturkosten ab, berechnet sich der ersatzfähige Arbeitslohn auf Basis mittlerer ortsüblicher Stundenverrechnungssätze und nicht auf der Basis der höheren Sätze einer Vertragswerkstatt. Dies gilt jedenfalls, wenn der Geschädigte den Unfallschaden tatsächlich in einer kleineren Werkstatt und lediglich behelfsmäßig hat reparieren lassen und auch nicht dargelegt hat, dass er sonst üblicherweise eine Vertragswerkstatt aufzusuchen pflegt (vgl. OLG Hamm RuS 1996, 357). Die Erstattung von Stundenverrechnungssätzen einer Vertragswerkstatt, die die ortsüblichen durchschnittlichen Stundenverrechnungssätze einer autorisierten anerkannten Fachwerkstatt übersteigen, kommt dann nicht in Betracht, wenn der Geschädigte durch Eigenreparatur seines verunfallten Fahrzeuges deutlich macht, dass es ihm auf die im Fall eines Weiterverkaufs realisierbare „Wertschätzung“ an einer Reparatur durch eine „Vertragswerkstatt“ gerade nicht ankommt (vgl. LG Aachen (5 S 232/92) Schaden-Praxis 1993, 175).
Der Bundesgerichtshof hat im - den vorzitierten Entscheidungen zeitlich nachgehenden - sogenannten Porsche-Urteil jedoch entschieden, dass der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf. Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region repräsentiert als statistisch ermittelte Rechengröße demnach nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag (vgl. BGH NJW 2003, 1158). Allerdings lag dieser Entscheidung eine Konstellation zugrunde, in der die Geschädigte das Fahrzeug unrepariert veräußert hat.
Nach Auffassung der Kammer kann allerdings der hier vorliegende Fall nicht anders behandelt werden. Sowohl im Fall der Veräußerung im unreparierten Zustand als auch im Fall der Ausführung einer „Billigreparatur“ und fiktiver Abrechnung auf Basis eines Sachverständigengutachtens sind die höheren Stundenverrechnungssätze tatsächlich nicht angefallen. Maßgeblich ist, dass Ziel des Schadensersatzes die Totalreparation ist und der Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist (vgl. BGH VersR 1989, 1056). Dem Geschädigten soll bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen. Der Schädiger ist zur vollständigen Behebung des Schadens unabhängig von den wirtschaftlichen Dispositionen des Geschädigten verpflichtet. Bei anderer Sicht würde die dem Geschädigten eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eingeschränkt werden (vgl. BGH NJW 2003, 2086).
In der zitierten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof auch angeführt, dass das konkrete Verhalten des Geschädigten die Schadenshöhe nicht beeinflusst, solange die Schadensberechnung das Gebot der Wirtschaftlichkeit und das Verbot der Bereicherung beachtet. In diesem Rahmen ist der Geschädigte nämlich grundsätzlich hinsichtlich der Verwendung des zum Schadensausgleich erhaltenen Geldbetrages frei.
Vor diesem Hintergrund ist daher die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Reparaturkosten nicht zu beanstanden.
3. Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls für drei Tage in der durch das Amtsgericht ausgeurteilten Höhe aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVersG, 115 VVG, 249 ff. BGB zu.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in Gestalt der Ausführungen des Sachverständigen wurde das Fahrzeug zweifellos repariert, auch wenn durch den Kläger lediglich eine "Billig-Reparatur" veranlasst wurde. Den Nutzungswillen hat der Kläger mit Beauftragung der Reparatur manifestiert. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen zur Dispositionsbefugnis des Geschädigten steht dem Kläger - auch wenn das Fahrzeug nur minderwertig repariert wurde - für den Zeitraum des Ausfalls des Fahrzeugs auch eine - in zeitlicher Hinsicht nicht über die Dauer bei Durchführung einer ordnungsgemäßen Reparatur hinausgehende - Nutzungsausfallentschädigung zu. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht ein Nutzungsausfall für drei Tage - auf Basis einer um eine Stufe niedrigen Fahrzeugklasse - als erstattungsfähig angesehen hat (§ 287 ZPO), zumal der Sachverständige ... eine Reparaturdauer von 4-5 Tagen angegeben hat, ohne das insoweit durchgreifende Zweifel bestehen. Die in der Reparaturbestätigung angegebene Dauer von einer Woche hat das Amtsgericht dagegen zutreffend nicht voll berücksichtigt.
Auch hinsichtlich des Nutzungsausfalls ist die Berufung daher zurückzuweisen.
III.
Vor dem Hintergrund der ausgeurteilten berechtigten klägerischen Ansprüche sind die von dem Amtsgericht zugesprochenen vorprozessualen Kosten (Streitwert bis 1.200,00 €) nicht zu beanstanden.
IV.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 173 ZPO.
Berufungsstreitwert: 1.345,42 €