Die Sachlage, dass eine Fahrerlaubnis im Verwaltungsweg entzogen wurde, ist gleichzustellen mit der Situation nach Ablauf der gerichtlichen Sperrfrist, nach welcher die Neuerteilung der Fahrerlaubnis ( laut EuGH auch in einem anderen Mitgliedstaat bei Erfüllung der Voraussetzungen) beantragt und erworben werden kann. Nach Rückverlegung des Wohnsitzes nach Deutschland kann sodann mit der nach Ablauf der Sperrfrist erteilten ausländischen EU/EWR-Fahrerlaubnis unbeanstandet in der Bundesrepublik Deutschland gefahren werden. Die Einhaltung des Wohnsitzprinzips ist vom Aufenthaltsstaat nicht zu überprüfen.Aus den Entscheidungsgründen:
"Mit der Anklageschrift vom 28.04.2005 wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, am 03.02.2005 gegen 16.25 Uhr mit seinem PKW, Typ VW, Kennzeichen ... auf der Prießnitzstr. Pufendorfstr. in Leipzig wissentlich ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis gefahren zu sein.
Zwar lag beim Angeschuldigten laut Auszug aus dem deutschen Verkehrszentralregister zur Tatzeit ein Entzug seiner deutschen Fahrerlaubnis vom 05.09.1996 durch die Führerscheinstelle in Chemnitz vor. Zudem wurde auf Antrag des Angeschuldigten die Neuerteilung der deutschen Fahrerlaubnis Klassen 1 und 3 wegen fehlendem medizinisch-psychologischen Gutachten (MPU) am 30.09.1999 behördlich versagt. Allerdings war der Angeschuldigte zum Tatzeitpunkt im Besitz einer gültigen tschechischen Fahrerlaubnis der Klasse B gemäß dem am 10.01.2005 ausgestellten tschechischen Führerschein (vgl. Blatt 12 d.A.), die ihn nach Auffassung des Gerichts zum Führen eines Kraftfahrzeuges berechtigte.
Inhaber einer gültigen EU/ EWR-Fahrerlaubnis, die - wie der Angeschuldigte - ihren ordentlichen Wohnsitz i.S.v. § 7 Abs. 1 FeV in Deutschland haben, dürfen gem. § 28 Abs. 1 FeV im Umfang ihrer Berechtigung grds. Kraftfahrzeuge im Inland führen. Einschränkung erfährt dieser Grundsatz zwar durch § 28 Abs. 2 bis 5 FeV. Allerdings stehen diese Vorbehalte der Berechtigung des Angeschuldigten, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, letztlich nicht entgegen.
1.) Nach der Entscheidung des EuGH vom 29.04.2004 (Rechtssache C-476/01, Kapper Rn. 70 ff) darf ein Mitgliedstaat einem von einem anderen Mitgliedstaat später ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht weiterhin versagen, wenn die frühere Fahrerlaubnis des Führerscheininhabers im erstgenannten Mitgliedstaat entzogen wurde, die Sperrfrist aber für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat bereits abgelaufen ist. Aus dem EuGH-Urteil folgt, dass § 2 8 Abs. 4 Nr. 3 FeV als Ausnahme von der grds. Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen jedenfalls insoweit gegen EU-Recht (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG) verstößt, als danach auch einer nach Ablauf einer strafgerichtlichen Fahrerlaubnissperre in einem anderen EU-Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis die Anerkennung versagt wird. Unter Anwendung dieser Rechtsprechung lehnten das OLG Saarbrücken im Beschluss vom 04. 11.2004 (Az.: Ss 16/04 (42/04)) und das OLG Köln im Beschluss vom 04.11.2004 (Az.: Ss 184/04) eine Strafbarkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG wegen Fahrens mit gültiger (EU-) Fahrerlaubnis ab.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem vom EuGH zu beurteilenden Fall dahingehend, dass es keine strafgerichtliche Sperrfristverhängung gegen den Angeschuldigten gab. Auch mußte der Angeschuldigte keine andere gesetzliche Frist einhalten, bevor er einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis bei einer zuständigen deutschen Behörde stellen durfte.
Diese Sachlage ist gleichzustellen mit der Situation nach Ablauf der gerichtlichen Sperrfrist, nach welcher die Neuerteilung der Fahrerlaubnis ( laut EuGH auch in einem anderen Mitgliedstaat bei Erfüllung der Voraussetzungen) beantragt und erworben werden kann. Nach Rückverlegung des Wohnsitzes nach Deutschland kann sodann mit der nach Ablauf der Sperrfrist erteilten ausländischen EU/EWR-Fahrerlaubnis unbeanstandet in der Bundesrepublik Deutschland gefahren werden. Etwas anderes kann im vorliegenden Fall ohne Sperrfrist nicht gelten. Aus der EuGH-Entscheidung (Rn. 70 ff., insbesondere Rn. 75 ff.; vgl. aber auch OLG Saarbrücken, s.o.; VG Karlsruhe, Urteil vom 18.08.2004, Az.: 11 K 4476/03, Rn. 22 ff., ergibt sich, dass für die in der Richtlinie 91/439/EWG geforderte gegenseitige Anerkennung eines EU/EWR-Führerscheins ohne jede Formalität allein die Frage maßgeblich sein kann, ob bei den deutschen Behörden wieder ein Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hätte gestellt werden dürfen oder ob diesbezüglich noch irgendeine Sperre bestand. Trifft Ersteres zu, so kann die Fahrerlaubnis auch in einem anderen EU-Mitgliedstaat (v.a. bei Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses) erworben werden.
So lag der Fall auch beim Angeschuldigten, der im Zeitpunkt der Erlangung der tschechischen Fahrerlaubnis am 10.01.2005 in der Bundesrepublik Deutschland keinerlei Sperre unterlag, d.h. auch dort die Fahrerlaubnis hätte erwerben können. Da mit darf ihm die Anerkennung der in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis nicht versagt werden.
Insoweit darf die Gültigkeit einer in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen EU-Fahrerlaubnis gerade auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob beispielsweise bereits auf Antrag in Deutschland wegen fehlender MPU die Neuerteilung versagt wurde. Die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik sind zu deren Anerkennung aufgrund vorrangigen Rechts der Europäischen Gemeinschaften verpflichtet. (so insbesondere auch OLG Saarbrücken, s.o.; vgl. aber auch EuGH-Urteil, Rn. 76 f.; wohl ebenso VG Karlsruhe, s.o. Rn. 24 ) .
2.) Der Angeschuldigte ist auch nicht ohne gültige Fahrerlaubnis gefahren, weil zweifelhaft sein könnte, ob er wirklich die Voraussetzungen für den Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis in der Tschechischen Republik, insbesondere das Erfordernis des Wohnsitzes, erfüllte. Hierzu führt der EuGH in seiner Entscheidung (s.o.; Rn. 45 ff.) aus, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, nicht deshalb ablehnen darf, weil nach den ihm vorliegenden Informationen der Inhaber des Führerscheins zum Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates hatte, der den Führerschein ausgestellt hat. Der Besitz des Führerscheins beweise, dass der Inhaber des Führerscheins im Ausstellungszeitpunkt seinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellungsstaat hatte. § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV ist insoweit unanwendbar. Damit ist eine Überprüfung der Wohnsitzkriterien durch die deutschen Behörden unzulässig, (so auch OLG Saarbrücken, s.o.)
Der Angeschuldigte hat demnach in der Tschechischen Republik eine gültige (europäische) Fahrerlaubnis gemäß dem ausgestellten tschechischen Führerschein vom 10.01.2005 erworben. Mithin stellt die Fahrt vom 03.02.2005 kein Fahren ohne Fahrerlaubnis i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar.
Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass hierdurch ein sogenannter "Führerscheintourismus" die Folge ist. Dies dürfte zweifellos die negative Folge der Harmonisierung von nationalem Recht der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene sein und kann letztlich nur durch lückenschließende Regelungen auf EU-Ebene unterbunden werden. ..."