Das Verkehrslexikon
OLG München (Urteil vom 16.05.2008 - 10 U 1748/08 - Zur Schadensteilung bei einem Unfall zwischen Linksabbieger in ein Grundstück und Überholer in unklarer Verkehrslage
OLG München v. 16.05.2008: Zur Schadensteilung bei einem Unfall zwischen Linksabbieger in ein Grundstück und Überholer in unklarer Verkehrslage
Das OLG München (Urteil vom 16.05.2008 - 10 U 1748/08) hat entschieden:
- Verlangsamt der Kfz-Führer vor dem beabsichtigten Linksabbiegen und blinkt er dabei links, dann ist von einer unklaren Verkehrslage auszugehen und bei einer Kollision mit einem Überholer ist Schadensteilung angemessen.
- Die vorgerichtlichen nichtanrechenbaren Rechtsanwaltskosten können wie bereits angefallene Sachverständigenkosten oder geschätzte Reparaturkosten im Schadensersatzprozess neben der Hauptsache geltend gemacht werden.
- Auch bei sog. einfachen Regulierungssachen handelt es sich um eine durchschnittliche Angelegenheit, bei der die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG angemessen ist.
Siehe auch Geschäftsgebühr (Nr. 2400 RVG-VV) und gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV)
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten und des Widerklägers hat in der Sache überwiegend Erfolg.
I. Das Landgericht hat zu Unrecht eine vollständige Haftung der Beklagten angenommen. Nach der vom Senat wiederholten Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) unter Verstoß gegen § 9 V StVO (doppelte Rückschaupflicht) nach links in eine Grundstückseinfahrt abgebogen ist. Der Drittwiderbeklagte zu 2) hat jedoch entgegen § 5 III Nr. 1 StVO in unklarer Verkehrslage überholt (vgl. zu den jeweiligen Voraussetzungen der Hinweis zur Ladungsverfügung vom 31.03.2008 = Bl. 105 d.A.). Beide Verkehrsverstöße sind hier als gleich schwer anzusetzen, so dass eine Haftungsverteilung von 50 : 50 angemessen ist (§ 17 II, III StVG; vgl. hierzu auch Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10. Aufl., A Rd. 161 Vorb.). Dies führt, da die Höhe der Ansprüche unstreitig war, zu den im Tenor ausgewiesenen jeweils für Klage und Widerklage zuzusprechenden Schadensersatzbeträgen (§§ 823 I BGB, 7 I, 17 I StVG, 3 Nr. 1, 2 PflVG). Der Verzugsschaden folgt aus § 286 BGB.
Aufgrund der überzeugenden Aussage des Zeugen A. L. steht fest, dass der Beklagte zu 1) bereits geraume Zeit vor Einleitung des Abbiegemanövers nach links geblinkt hat. Selbst der Kläger hat vorgetragen, dass der Ducato des Beklagten zu 1) die Geschwindigkeit erheblich reduziert hat und jedenfalls kein Blinken nach rechts erfolgt ist. Der Sachverständige H. hat wie bereits in erster Instanz überzeugend erläutert, dass wegen der Enge der Straße, der Breite der Außenspiegel und rechts neben der Straße befindlicher Sträucher, wie den Lichtbildern von der Unfallstelle zu entnehmen ist, ein deutliches Einordnen zur Mitte hin kaum sichtbar möglich ist. Entgegen der Beweiswürdigungen des Erstgerichts wie der Klageseite sieht der Senat keine durchgreifenden Anhaltspunkte, dem Zeugen A. L. nicht zu glauben. Zwar ist zu berücksichtigen, dass er als Schwager des Beklagten zu 1) nicht unbeteiligt am Ausgang des Rechtsstreits ist, dennoch kann dies alleine noch keine Unglaubwürdigkeit begründen. Jedenfalls trägt das Argument des Erstgerichts, der Zeuge habe Geschwindigkeiten falsch eingeschätzt, nicht, worauf bereits im Hinweis zur Ladungsverfügung (a.a.O.) Stellung genommen wurde. Auch die von der Klägerseite angesprochene angebliche Unglaubwürdigkeit des Zeugen, weil sich doch niemand in der kalten Jahreszeit nackt aus dem Fenster beuge, ist zu erwidern, dass es am Unfalltag eine Außentemperatur von 16° Celsius herrschte, worauf bereits in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde, und die Unfallstelle in einer ländlichen Umgebung liegt, eine Beobachtung durch Dritte also wenig wahrscheinlich erschien.
Bei der Abwägung der Verschuldensanteile maßgeblich war, dass der Überholvorgang des Drittwiderbeklagten zu 2) wegen der Geschwindigkeitsverlangsamung und des Linksblinkens nicht nur in unklarer Verkehrslage erfolgte, sondern, wie die Berechnungen des Sachverständigen auf Frage des Senats ergaben, bei Einhaltung des notwendigen Sicherheitsabstands zum überholten Fahrzeug auch ohne Abbiegevorgang des Beklagtenfahrzeug nur unter Mitbenutzung des Gehwegs auf der gegenüberliegenden Straßenseite hätte durchgeführt werden können (vgl. §§ 5 IV 2, 1 II StVO). Da der Überholvorgang im Bereich von mehreren Hofeinfahrten erfolgte, konnte der Drittwiderbeklagte zu 2) nicht überblicken, ob nicht Fußgänger oder Kinder auf den Gehweg treten. Dieser Gesichtspunkt ist maßgeblich, spielt er doch eine Rolle bei der Frage, ob der Beklagte zu 1) vorwerfbar damit rechnen musste, dass ihn ein Fahrzeug an dieser Stelle überholen wird. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge A. L. auch berichtete, dass der Drittwiderbeklagte zu 2) nach dem Unfall einräumte, den linken Blinker am Ducato gesehen zu haben.
Im Ergebnis führt dies dazu, dass trotz der prinzipiell höheren Sorgfaltsverpflichtung in § 9 V StVO eine hälftige Schadensteilung sachgerecht ist. Auf die weitere Frage, ob der Drittwiderbeklagte zu 1) nach dem Unfall seine Schuld eingestanden hat (vgl. die Aussage der Zeugin K. L.), kommt es für die Entscheidung nicht mehr an.
Die vorgerichtlichen nichtanrechenbaren Rechtsanwaltskosten können wie bereits angefallene Sachverständigenkosten oder geschätzte Reparaturkosten im Schadensersatzprozess neben der Hauptsache geltend gemacht werden (BGH AnwBl. 2007, 154 ff. = VersR 2007, 265 = NZV 2007, 181; Senat AnwBl 2006, 768 f. = RVGreport 2006, 467 = zfs 2007, 48 = VersR 2007, 267 = NZV 2007, 211; Urt. v. 29.06.2007 - 10 U 5755/06). Nach § 249 I, II 1 BGB sind diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten in Form vorprozessualer, nicht anrechenbaren Anwaltskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (Senat a.a.O.). Als erforderlich sind die nach dem Urteil begründeten Forderungen anzusehen (Senat a.a.O.). Auch bei sog. einfachen Regulierungssachen handelt es sich um eine durchschnittliche Angelegenheit, bei der die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG angemessen ist (BGH AnwBl. 2007, 154 ff. = VersR 2007, 265 = NZV 2007, 181; Senat a.a.O.). Die jeweils zugesprochenen vorgerichtlichen Anwaltskosten entsprechen den vorgenannten Grundsätzen. Die geringfügige Zurückweisung der Berufung resultiert daraus, dass im Antrag der Beklagten, der bereits zu Recht eine hälftige Teilung des Schadens und dementsprechende Anwaltskosten zugrunde legte, die Verzinsung der vorgerichtlichen Anwaltskosten des Klägervertreters, die vom Landgericht insoweit richtig zugesprochen wurden, weggelassen wurde.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I 1 Fall 1, II, 97 I, 100 II, IV ZPO (Baumbach’sche Formel).
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts."