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VGH Mannheim Urteil vom 20.03.2009 - 10 S 95/08 - Zum Wohnsitzerfordernis bei EU-Führerscheinen und zur Anlauf- und Ablaufhemmung für Eintragungen im VZR
VGH Mannheim v. 20.03.2009: Zum Wohnsitzerfordernis bei der Erteilung eines EU-Führerscheins, zum unvorhergesehenen vorzeitigen Abbruch der 185-Tagefrist und zur Anlauf- und Ablaufhemmung bei der Tilgung von Altfällen.
Das VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 20.03.2009 - 10 S 95/08) hat entschieden:
- Bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraumes nach § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG sind sowohl § 29 Abs. 5 StVG (Anlaufhemmung) als auch § 29 Abs. 6 StVG (Ablaufhemmung) zu berücksichtigen.
- Eine Person, die in Ausnutzung des Rechts auf Freizügigkeit sich mit der Intention eines mindestens 185 Tage umfassenden Aufenthalts in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begibt, muss berechtigt sein, eine Fahrerlaubnis in dem neuen Aufnahmemitgliedstaat zu beantragen und zu erhalten, auch wenn der Aufenthalt im Ausstellermitgliedstaat vor Ablauf der Frist von 185 Tagen unvorhergesehen wieder beendet wird.
- Dass das von der Richtlinie 91/439/EWG vorgeschriebene Wohnortprinzip in Polen erst nach der Erteilung der Fahrerlaubnis (am 21.10.2005) eingeführt worden ist, ist nicht von Bedeutung. Maßgeblich ist allein, dass die Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen die - auch für die Polnische Republik zwingenden - gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben erteilt worden ist.
Siehe auch Tilgungsfristen und Tilgungshemmung bei den Eintragungen im Verkehrszentralregister (VZR) und Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
Zum Sachverhalt: Der 1958 geborene Kläger wendete sich gegen die Entziehung der ihm im Oktober 2005 in Polen erteilten Fahrerlaubnis.
Im Jahre 1981 war der Kläger zweimal wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) verurteilt worden. Er hatte mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,34 Promille und 2,11 Promille Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr geführt. Nach Ablauf der im letzten Urteil festgesetzten Sperrfrist wurde dem Kläger im Juni 1986 erneut die Fahrerlaubnis erteilt. Im November 1987 führte der Kläger wiederum ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille). Das Amtsgericht Waiblingen setzte für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine Sperrfrist von 9 Monaten fest. Ein im Wiedererteilungsverfahren vorgelegtes medizinisch-psychologisches Gutachten von 06.12.1988 kam zu einem im Hinblick auf die Fahreignung des Klägers negativen Ergebnis. Da auch das Obergutachten vom 06.04.1989 ein negatives Ergebnis hatte, wurde der Antrag des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt. Ein weiterer Antrag des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wurde mit Verfügung vom 20.02.1990 abgelehnt, nachdem der Kläger ein vom Landratsamt gefordertes Fahreignungsgutachten nicht beigebracht hatte. Auch ein weiterer Antrag des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vom 30.01.1999 wurde wegen Nichtvorlage des von ihm geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens am 06.03.2000 abgelehnt.
Am 14.10.2005 wurde dem Kläger in Polen eine Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt (Stadt Szczecin). Im Führerschein ist in der Rubrik Nr. 8 eine Adresse in Stettin (Szczecin) angegeben. Von der Erteilung der Fahrerlaubnis erhielt das Landratsamt Rems-Murr-Kreis vom Kraftfahrt-Bundesamt am 14.12.2005 Kenntnis. Mit Schreiben vom 10.01.2006 forderte das Landratsamt den Kläger auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Das Landratsamt wies darauf hin, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen werden könne, sofern er sich weigere, sich untersuchen zu lassen oder das Gutachten nicht fristgerecht beibringe. Zur Begründung der Gutachtensaufforderung verwies das Landratsamt u.a. auf die zuletzt erfolgte strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und die seither nicht nachgewiesene Fahreignung. In dem zu erstellenden Gutachten sei zu klären, ob zu erwarten sei, ob der Kläger auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde.
Mit für sofort vollziehbar erklärter (Ziff. 3) Verfügung vom 06.02.2006 entzog das Landratsamt Rems-Murr-Kreis dem Kläger die polnische Fahrerlaubnis der Klasse B (Ziff. 1) und gab dem Kläger auf, den polnischen Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 20.02.2006 beim Landratsamt abzuliefern (Ziff. 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Führerscheins drohte das Landratsamt dem Kläger die kostenpflichtige Wegnahme durch die Polizei im Rahmen des unmittelbaren Zwangs an (Ziff. 4). Für die Entscheidung wurde in Ziff. 5 eine Gebühr von 184,26 EUR festgesetzt. Gegen die Verfügung vom 06.02.2006 erhob der Kläger am 17.02.2006 Widerspruch. Das Widerspruchsschreiben ist dem Landratsamt von Polen aus übersandt worden und trägt eine polnische Adresse als Absender. Mit Verfügung vom 17.05.2006 hob das Landratsamt Ziff. 2 und 4 seiner Verfügung vom 06.02.2006 auf.
Am 14.06.2005 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und zur Begründung geltend gemacht, dass die Vorgehensweise des Landratsamtes mit dem Gemeinschaftsrecht nicht in Einklang stehe und seine polnische Fahrerlaubnis anzuerkennen sei.
Zur Begründung des Antrags auf Klageabweisung hat der Beklagte vorgetragen, dass aufgrund der im Führungszeugnis des Klägers enthaltenen Verurteilungen die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV gerechtfertigt gewesen sei. Die Überprüfung der Fahreignung erfolge im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG. Beim gegenwärtigen Stand der Harmonisierung sei nicht sichergestellt, dass den polnischen Behörden die Tatsachen, aus denen sich die Bedenken hinsichtlich der Fahreignung des Klägers ergeben, bei der Erteilung der Fahrerlaubnis bekannt gewesen seien. Aus den Alkoholauffälligkeiten des Klägers im Straßenverkehr und den dabei erreichten erheblichen Blutalkoholkonzentrationen sei zu schließen, dass der Kläger über längere Zeit hinweg Alkoholmissbrauch betrieben habe. Hinweise für eine adäquate Aufarbeitung dieser Problematik gebe es nicht. Es sei daher davon auszugehen, dass das massive Alkoholproblem des Klägers und die sich aus den Gutachten ergebenden Eignungsbedenken nach wie vor bestünden. Nach Maßgabe des § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG sei die Gutachtensanforderung rechtmäßig, weil die Eintragungen zum Zeitpunkt des Erlasses der Anforderung noch hätten verwertet werden dürfen.
Mit Urteil vom 23.07.2007 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart den Bescheid des Landratsamtes Rems-Murr-Kreis vom 06.02.2006 in der Gestalt der Änderungsverfügung vom 17.05.2006 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es auf die Frage der Vereinbarkeit der angefochtenen Verfügung mit dem europarechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen nicht ankomme. Die Gutachtensaufforderung des Landratsamtes sei rechtswidrig. Damit sei der Beklagte nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV berechtigt, aus der Nichtbeibringung des medizinisch-psycho-logischen Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Klägers zu schließen. Der Kläger sei der Verpflichtung zur Beibringung eines medizinisch-psycho-logischen Gutachtens zu Recht nicht gefolgt. Der Strafbefehl des Amtsgerichts Waiblingen vom 03.02.1988 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr unterliege dem Verwertungsverbot des § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG. Die zehnjährige Tilgungsfrist habe am 03.02.1993 begonnen und sei deshalb am 03.02.2003 abgelaufen. Damit sei die Verwertung des amtsgerichtlichen Strafbefehls über dieses Datum hinaus nicht mehr möglich. Die Versagungsentscheidung vom 06.03.2000 könne die Tilgung der strafgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahre 1988 nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG nicht hinauszögern. Denn der Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn aus dem Jahre 1988 sei bereits vor der Eintragung der Versagungsentscheidung getilgt. Die Gutachtensaufforderung könne auch nicht auf die Regelung des § 13 Nr. 2 Buchst. a FeV gestützt werden. Denn die weiteren Alkoholfahrten des Klägers lägen zeitlich noch vor der mit Strafbefehl vom 03.02.1988 abgeurteilten Alkoholfahrt und seien ebenfalls aus dem Verkehrszentralregister getilgt.
Der Beklagte hat am 21.08.2007 die Zulassung der Berufung beantragt und den Zulassungsantrag zugleich begründet. Der Beschluss über die Zulassung der Berufung ist dem Beklagten am 16.01.2008 zugestellt worden.
Zur Begründung trug der Beklagte vor: Der Strafbefehl des Amtsgerichts Waiblingen aus dem Jahre 1988 unterliege nicht dem Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 StVG. Maßgeblich sei die Überleitungsvorschrift des § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG. Zu berücksichtigen sei die Regelung des § 29 Abs. 6 StVG über die Ablaufhemmung von Tilgungsfristen. Nur auf diese Weise könne eine sachlich nicht gerechtfertigte Bevorzugung der unter die Übergangsregelung fallenden Sachverhalte gegenüber Neufällen oder abgeschlossenen Altfällen vermieden werden. Daher sei die Tilgungsfrist erst fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Strafbefehls angelaufen. Die Tilgungsfrist sei durch die zwischenzeitlich einzutragende Versagung der Fahrerlaubnis aus dem Jahre 2000 gehemmt, so dass § 29 Abs. 8 StVG keine Anwendung finde. Das Wohnsitzerfordernis der Richtlinie 91/439/EWG sei in Polen erst seit dem 21.10.2005 gültig gewesen. Damit sei zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis im Oktober 2005 das Erfordernis der Führerscheinrichtlinie eines mindestens sechsmonatigen ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat noch nicht in polnisches Recht umgesetzt gewesen. Aus der Stellungnahme der polnischen Behörde ergebe sich, dass der Kläger lediglich vom 18.07. bis zum 15.10.2005 in Stettin gemeldet gewesen sei. Daher stehe aufgrund unbestreitbarer Informationen der polnischen Behörden fest, dass das Wohnsitzerfordernis der Richtlinie 91/439/EWG bei der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis an den Kläger nicht beachtet worden sei. Der ununterbrochen in Deutschland gemeldete Kläger habe keinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne der Richtlinie in Polen gehabt. Dementsprechend könnten deutsche Behörden die Anerkennung der Gültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis verweigern. Die in der Verfügung vom 06.02.20006 festgesetzte Gebühr habe sich ausschließlich auf die in Ziff. 1 ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis bezogen. Die Aufhebung von Ziff. 2 und 4 der Verfügung sei deshalb für die Höhe der Gebühr nicht von Bedeutung.
Der Kläger trat der Berufung entgergen. Der vom Beklagten auch herangezogene § 28 Abs. 5 FeV sei nach den Urteilen des EuGH vom 26.06.2008 gemeinschaftswidrig und ohne weiteres unanwendbar. Nach diesen Urteilen des EuGH liege die Prüfungskompetenz hinsichtlich der Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis beim Ausstellermitgliedstaat. Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaates sei es verwehrt, in eigener Machtvollkommenheit die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis nachzuprüfen. Den Gesichtspunkten des fortwirkenden Eignungsmangels oder des Rechtsmissbrauchs habe der EuGH eine klare Absage erteilt. Die vom EuGH anerkannten Ausnahmen für den Aufnahmemitgliedstaat hinsichtlich der Verpflichtung zur Anerkennung der im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis lägen hier nicht vor. Der Führerschein weise auf seinen Wohnsitz im Ausland hin. Unbestreitbare Informationen des Ausstellermitgliedstaates hinsichtlich des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis lägen nicht vor. Auch fehle es an den nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG erforderlichen Ermessenserwägungen der Straßenverkehrsbehörde.
Das Gericht hat eine Mitteilung der Stadtverwaltung Stettin (Szczecin) vom 20.03.2008 über die Umstände der Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B an den Kläger übersetzen lassen.
Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Landratsamtes Rems-Murr-Kreis vom 06.02.2006 in der Gestalt der Änderungsverfügung des Landratsamtes vom 17.05.2006 aufgehoben. Denn der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1) Die auf die Nichtbeibringung des mit Schreiben vom 10.01.2006 geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens gestützte Entziehung der dem Kläger in Polen am 14.10.2005 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse B (Ziff. 1 der Verfügung vom 06.02.2006) ist rechtmäßig.
a) aa) Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Anerkennungsgrundsatz des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG, steht der Entziehung der dem Kläger im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnis unter Berücksichtigung von Umständen, die vor der Fahrerlaubniserteilung liegen, nicht entgegen ( BVerwG, Urt.v. 11.12.2008 - 3 C 26.07 -, Rn. 27).
Aus den Urteilen des EuGH vom 26.06.2008 (Rs. C-329/06 und C-343/06 sowie C-334/06 bis C-336/06) zur Auslegung der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG ergibt sich, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung einer im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnis ablehnen kann, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Zwar ist in dem dem Kläger in Polen ausgestellten Führerschein in der Rubrik Nr. 8 („Wohnort“) eine Adresse in der Stadt Stettin (Szczecin) angegeben. Aus der an das Kraftfahrt-Bundesamt gerichteten Mitteilung der Stadt Stettin vom 20.03.2008 ergibt sich aber, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis (14.10.2005) seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht im polnischen Hoheitsgebiet hatte (Meldung in Stettin lediglich im Zeitraum vom 18.07. bis zum 15.10.2005). Aus dieser Nachricht der Stadt Stettin ist ferner zu schließen, dass das Wohnsitzerfordernis des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG erst am 21.10.2005 in nationales polnisches Recht umgesetzt worden ist. Als Wohnort im Sinne der Richtlinie 91/439/EWG gilt nach deren Art. 9 der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und berufliche Bindungen oder - im Falle eines Führerscheininhaber ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. Als örtlicher Wohnsitz eines Führerscheininhaber, dessen berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem seiner persönlichen Bindungen liegen und der sich daher abwechselnd an verschiedenen Orten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufhalten muss, gilt jedoch der Ort seiner persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt. Im Hinblick auf die Angaben der Stadt Stettin zur dortigen Meldung des Klägers ist der Senat zu Gunsten des Klägers von der Möglichkeit ausgegangen, er sei im Juli 2005 nach Polen umgezogen und habe dort einen Aufenthalt beabsichtigt, der die Anforderungen eines Wohnsitzes im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG erfüllt. Denn eine Person, die in Ausnutzung des Rechts auf Freizügigkeit sich mit dieser Intention in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begibt, muss berechtigt sein, eine Fahrerlaubnis in dem neuen Aufnahmemitgliedstaat zu beantragen und zu erhalten, auch wenn der Aufenthalt im Ausstellermitgliedstaat vor Ablauf der Frist von 185 Tagen unvorhergesehen wieder beendet wird. Auf die Aufforderungen des Senats, die Umstände seiner lediglich dreimonatigen Meldung in Polen näher zu erläutern, hat der Kläger nicht reagiert. Die Anfrage bei dem erst beim Rentenversicherer des Klägers ermittelten Arbeitgeber hat dann ergeben (09.03.2009), dass der Kläger während des gesamtes Jahres 2005 durchgehend in Waiblingen-Hohenacker beschäftigt war und in der Zeit, in der er in Polen gemeldet war, tatsächlich nur wenige Wochen Urlaub hatte (11. bis 29.07. sowie 28.09. bis 05.10.2005).
Dass das von der Richtlinie 91/439/EWG vorgeschriebene Wohnortprinzip in Polen erst nach der Erteilung der Fahrerlaubnis (am 21.10.2005) eingeführt worden ist, ist nicht von Bedeutung. Maßgeblich ist allein, dass die Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen die - auch für die Polnische Republik zwingenden - gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben erteilt worden ist. In der Rechtsprechung des EuGH ist ferner anerkannt, dass die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung der ihm durch Art. 234 Buchst. a EGV verliehenen Befugnis vornimmt, die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie sie seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre, erforderlichenfalls erläutert und verdeutlicht. Hieraus folgt, dass der Richter die in dieser Weise ausgelegte Vorschrift auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Auslegungsersuchen ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden kann und muss, wenn im Übrigen die Voraussetzungen dafür, dass ein Rechtsstreit über die Anwendung dieser Vorschrift vor die zuständigen Gerichte gebracht wird, erfüllt sind (z.B. Urt.v. 15.12.1995, Rs. C-415/93, Bosman, Slg. I-4921, Rn. 141). Unerheblich ist auch, dass der EuGH in seinem Urteil vom 29.04.2004 (C-476/01) den Mitgliedstaaten die Berücksichtigung eines Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis der Richtlinie 91/439/EWG untersagt hat (vgl. im Anschluss daran Senatsbeschl. v. 21.06.2004 - 10 S 308/04 -, NJW 2004, 3058). Denn in seinen oben genannten Urteilen vom 26.06.2008 hat der EuGH diese Rechtsprechung in den dort aufgeführten beiden Fallvarianten wieder aufgegeben.
bb) Nach Maßgabe des hier auch im Hinblick auf solche Umstände anwendbaren nationalen Rechts, die vor der im EU-Ausland erfolgten Fahrerlaubniserteilung liegen, hat das Landratsamt als zuständige Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger zu Recht die polnische Fahrerlaubnis entzogen. Der Kläger hat das von ihm mit Schreiben vom 10.01.2006 verlangte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt. Dementsprechend war das Landratsamt gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV berechtigt, von der Nichteignung des Klägers mit der Folge auszugehen, dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen war. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG sowie § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV beschränkt sich die Entziehung im Falle einer im Ausland erteilten Fahrerlaubnis auf die Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war die auf § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV gestützte Gutachtensanforderung vom 10.01.2006 rechtmäßig. Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt hat. Die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Waiblingen vom 03.02.1988 wegen der Trunkenheitsfahrt vom 26.11.1987 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,31 Promille (Vergehen der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs) war entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zum Zeitpunkt der Gutachtensanforderung noch nicht getilgt und deshalb noch verwertbar (§ 29 Abs. 8 Satz 1 StVG). Hieran konnte das Landratsamt bei der Überprüfung der Fahreignung des Klägers unter Berufung auf § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV anknüpfen. Dies ergibt sich aus der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG und den in diesem Zusammenhang anzuwendenden Bestimmungen des § 29 Abs. 5 und 6 StVG.
Die bestandskräftige Versagung der Fahrerlaubnis vom 06.03.2000 als solche ist in das Verkehrszentralregister einzutragen (§ 28 Abs. 3 Nr. 5 StVG). Die Tilgungsfrist von zehn Jahren (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG) ist noch nicht abgelaufen. Wegen dieser Eintragung ist nach § 29 Abs. 6 StVG auch der Ablauf der Tilgungsfrist für die Eintragung des Strafbefehls vom 03.02.1988 gehemmt. Nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG ist, sofern im Register mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG über eine Person eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung vorbehaltlich der Regelungen in den Sätzen 2 bis 5 erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Die Vorschriften des § 29 Abs. 6 Satz 2 bis 5 StVG sind hier nicht anzuwenden. Zum Zeitpunkt der Eintragung der Versagung der Fahrerlaubnis vom 06.03.2000 war die Eintragung wegen des Strafbefehls vom 03.02.1988 noch nicht getilgt, weil auch insoweit die Vorschrift des § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG (Anlaufhemmung) zu berücksichtigen ist. Die Verwertbarkeit von Entscheidungen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 747) am 01.01.1999 in das Verkehrszentralregister eingetragen waren, bestimmt sich nach der Übergangsregelung des § 65 Abs. 9 StVG. Der in § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG enthaltenen Verweis auf die Geltung der Verwertungsvorschriften nach altem Recht ist beschränkt auf die Verwertbarkeit bis längstens zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist „entspricht“. Was einer zehnjährigen Tilgungsfrist in diesem Sinne „entspricht“, ergibt sich aber aus § 29 StVG n.F. einschließlich der Regelung über den Beginn der Tilgungsfrist in § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG (vgl. BVerwG, Urt.v. 09.06.2005 - 3 C 21.04 -, DAR 2005, 578). Bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraumes nach § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG sind danach sowohl § 29 Abs. 5 StVG (Anlaufhemmung) als auch § 29 Abs. 6 StVG (Ablaufhemmung) zu berücksichtigen (vgl. auch BayVGH, Beschl.v. 23.11.2005 - 11 Cs 05.1279 -, juris). Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Norm als auch aus der gesetzlichen Systematik. Denn es besteht kein Anlass, zwar § 29 Abs. 6 StVG bei der Berechnung der Frist des § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG zu berücksichtigen, nicht aber § 29 Abs. 5 StVG, wenn sich die Bestimmung der Frist nach dem jetzt geltenden Recht richten soll. Auch die Entstehungsgeschichte spricht für die uneingeschränkte Heranziehung des § 29 StVG auf die Berechnung der Tilgungsfrist. § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG wurde durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. März 2001 (BGBl. I S. 386) eingefügt. Mit der Befristung der Tilgungsfrist auf zehn Jahre sollte ein Gleichstand mit der ab dem 01.01.1999 geltenden Neuregelung hergestellt werden, die generell eine Tilgungsfrist und damit auch eine Verwertbarkeit von zehn Jahren vorsieht (BT-Drucks. 14/4304, S. 14 zu Nr. 18 Buchst. b). Wegen des gesetzgeberischen Ziels der Gleichbehandlung von „Alteinträgen“ im Verkehrszentralregister (vor dem 01.01.1999) und danach erfolgten (Neu-)Einträgen muss aber auch die Vorschrift des § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG über die Anlaufhemmung berücksichtigt werden, die - abweichend von der früheren Rechtslage - den Beginn des Laufs der Tilgungsfrist hinausschiebt (spätestens fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung).
Die Gutachtensanforderung des Landratsamtes vom 10.01.2006 begegnet auch im Übrigen keinen Bedenken in formeller oder materiell-rechtlicher Hinsicht. Das Landratsamt hat sowohl die für die Anforderung maßgebliche Grundlage (§ 13 Nr. 2 Buchst. c FeV) als auch die tatsächlichen Umstände angegeben, die Anlass zu der Aufforderung gegeben hatten.
b) Selbst wenn den vorstehenden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung vom 10.01.2006 nicht zu folgen sein sollte, wäre die Klage gegen Ziff. 1 der Verfügung des Landratsamtes vom 06.02.2006 abzuweisen. Denn hinsichtlich der dann als rechtswidrig zu bewertenden Entziehung der Fahrerlaubnis käme aufgrund von § 47 LVwVfG die Umdeutung in einen Verwaltungsakt in Betracht, der feststellt, dass der Kläger bezogen auf den Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung vom 06.02.2006 aufgrund der in Polen erteilten Fahrerlaubnis nicht berechtigt ist, Kraftfahrzeuge der Klasse B im Bundesgebiet zu führen. Dieser feststellende Verwaltungsakt entspräche der bereits durch § 28 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 FeV bestimmten innerstaatlichen Rechtslage, die in der hier gegebenen Konstellation mit den Vorgaben des EuGH zur Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG übereinstimmt. Denn nach diesen Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung war der Kläger auf Grund der in Polen erworbenen Fahrerlaubnis zu keinem Zeitpunkt zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtigt, so dass ihm diese Berechtigung auch nicht durch eine behördliche Verfügung entzogen werden kann. Für diesen der - durch § 28 Abs. 4 FeV bestimmten - Rechtslage entsprechenden feststellenden Verwaltungsakt ist die Frage der Verwertbarkeit von Eintragungen im Verkehrszentralregister nicht von Bedeutung.
2) Auch die Festsetzung der „Gebühr“ in Ziff. 5 der Verfügung vom 06.02.2006 in Höhe von 184,26 EUR, die nach § 6a Abs. 3 StVG sowie § 6 GebOSt i.V.m. § 22 Abs. 1 VwKostG ebenfalls Gegenstand der vom Kläger unbeschränkt erhobenen Anfechtungsklage ist, ist rechtmäßig.
Das Landratsamt ist hinsichtlich der „Gebührenfestsetzung“ zutreffend von §§ 1 und 4 GebOSt und Nr. 206 des Gebührentarifs für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebTSt) sowie § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt (Auslagenersatz) ausgegangen. Entsprechend der Ermächtigung in § 6a Abs. 2 StVG wird in Nr. 206 GebTSt der Fahrerlaubnisbehörde für die Bemessung der Gebühr ein Rahmen (33,20 bis 256,- EUR) eröffnet. Anhaltspunkte dafür, dass die vom Landratsamt festgesetzte Gebühr in Höhe von 180,- EUR, die sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens hält, ermessensfehlerhaft ist, sind weder vom Kläger geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich. Zwar hat das Landratsamt mit Verfügung vom 17.05.2006 Ziff. 2 und 4 seiner Verfügung vom 06.02.2006 aufgehoben. Das Landratsamt hat aber im Berufungsverfahren im Schriftsatz vom 18.03.2009 substantiiert dargelegt, dass für die Festsetzung der eigentlichen Gebühr allein die Entziehung der Fahrerlaubnis (Ziff. 1 der ursprünglichen Verfügung) maßgeblich war, weil es sich bei der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins lediglich um eine rein akzessorische Anordnung zur Durchsetzung der im Vordergrund stehenden Entziehung der Fahrerlaubnis handelt. Dementsprechend kann die Festsetzung der Gebühr im Hinblick auf die Aufhebung von Ziff. 2 und 4 der Ausgangsverfügung nicht beanstandet werden. ..."