Trotz Existenzgefährdung kann ein Fahrverbot ausgesprochen werden, wenn der bereits vielfach und einschlägig vorbelastete Betroffene seine Nichtanordnung als „Freibrief“ für weiteres Fehlverhalten verstehen würde. Es bedarf in diesen Fällen der Abwägung zwischen der Schwere der Wiederholungstäterschaft und dem Grad der Existenzgefährdung.Entscheidungsgründe:
"Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift vom 25.03.2009 Folgendes ausgeführt:„I.Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.
Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen durch Urteil vom 15.01.2009 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 125,00 EUR verurteilt, ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen und angeordnet, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Ihr ist auch in der Sache ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.
Die infolge der wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die allein erhobene Sachrüge nur noch auf den Rechtsfolgenausspruch zu erstreckende Überprüfung des angefochtenen Urteils zeigt einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, soweit das Amtsgericht die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots angeordnet hat.
Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegend eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäss von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (zu vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 29.11.2007 - 3 SsOWi 784/07 -; OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2007 - 4 SsOWi 891/06 -). Zwar ist die Entscheidung des Tatrichters vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel „bis zur Grenze des Vertretbaren“ hinzunehmen. Der Tatrichter muss jedoch nach einhelliger Rechtsprechung der Obergerichte für seine Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben.
Soweit die persönliche Situation eines Betroffenen Anlass zu einer derartigen Prüfung sein kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbots regelmäßig hinzunehmen hat. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern nur erhebliche Härten, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (stände Rechtsprechung).
Die Behauptung des drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes oder der Existenzgrundlage ist von dem Tatrichter einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Denn dem Betroffenen ist grundsätzlich zuzumuten, berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes durch Maßnahmen wie z.B. die Inanspruchnahme von Urlaub, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen, die Heranziehung eines Angestellten als Fahrer, die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers oder eine Kombination dieser Maßnahmen auszugleichen (Senatsbeschluss vom 04.03.2005 - 3 SsOWi 3/05 -). Für hierdurch auftretende finanzielle Belastungen muss notfalls ein Kredit aufgenommen werden (zu vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312; OLG Karlsruhe NZV 2004, 653; BayOblG NZV 2002, 143). Derartige Belastungen durch einen Kredit, der in kleineren für den Betroffenen tragbaren Raten abgetragen werden kann, und die sich im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer eines Fahrverbots von einem Monat in überschaubaren Grenzen bewegen, sind hinzunehmen.
Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Gefahr einer Existenzbedrohung für den Betroffenen durch das Fahrverbot verneint, wenn dieser sämtliche in Betracht zu ziehende - näher ausgeführte - Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen ausschöpft. Die gegenteilige, durch ein in der Hauptverhandlung erörtertes Schreiben der Steuerberaterin ergänzte Darstellung des Betroffenen hat es offenkundig als nicht ausreichend angesehen.
Dies genügt nicht den auch im Bußgeldverfahren zu stellenden Anforderungen an eine Beweiswürdigung.
Das Urteil muss erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob das Gericht dieser Einlassung (und warum) folgt oder ob und inwieweit es seine Einlassung für widerlegt ansieht (zu vgl. Göhler, 14. Aufl., OWiG, § 71, Rdnr. 71 m.w.N.). Bei der Frage der Verhängung des Regelfahrverbots sind - im Hinblick auf das grundsätzliche Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme - bei der Entscheidung für ein ausnahmsweises Absehen von der Verhängung dieser Maßnahme zwar höhere Ansprüche an die Begründung zu stellen als im umgekehrten Fall. Hat der Betroffene aber - wie hier - die Gefahr einer Bedrohung seiner beruflichen Existenz durch die Verhängung des Fahrverbots konkret behauptet, so müssen die Urteilsgründe eine - wenn ggf. auch knappe - Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Tatsachen enthalten. Der Betroffene muss diese Tatsachen nicht nachweisen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 29.11.2007 - 3 SsOWi 784/07 -). Vielmehr hat das Gericht den Betroffenen erforderlichenfalls zu einer Ergänzung und Präzisierung aufzufordern und seine Angaben ggf. zu überprüfen. Im vorliegenden Fall enthalten die Urteilsgründe keine Angaben dazu, ob und mit welchem Ergebnis der Betroffene zu seinen Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie zu der Entstehung des Schreibens der Steuerberaterin Eggert und dessen Inhalts befragt worden ist. Je nach dem Ergebnis dieser Befragung hätte sich ergeben können, dass die offenkundig bestellte, sehr allgemein gehaltene und jegliche Zahlenangaben vermeidende Darstellung der Steuerberaterin als bedeutungslos angesehen werden kann, oder dass - nach entsprechender Entbindung von der Schweigepflicht - eine Vernehmung dieser Steuerberaterin in Betracht gezogen werden muss.
Wegen der Wechselwirkung zwischen der Höhe einer Geldbuße und einem Fahrverbot ist das Urteil im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zurückzuverweisen.“
Ergänzend bemerkt der Senat:
Bei der erneuten Entscheidung wird auch zu prüfen sein, ob hier - trotz einer gewissen Existenzgefährdung wegen der Häufigkeit und Einschlägigkeit der Verkehrsverstöße (bei der hier abgeurteilten Tat handelt es sich um den dritten Geschwindigkeitsverstoß innerhalb von knapp zwei Jahren) ein Fahrverbot auszusprechen ist, weil der Betroffene als mehrfacher Wiederholungstäter ein Absehen von einem Fahrverbot als Freibrief für weiteres Fehlverhalten verstehen würde ( OLG Hamm NZV 1995, 498 f.; OLG Brandenburg VRS 107, 53, 55; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 88, 89; König in: Hentschel/u.a. Straßenverkehrsrecht 40. Aufl. § 25 StVG Rdn. 25). Der Senat war hier aufgrund der unzureichenden Feststellungen zum Grad der Existenzgefährdung daran gehindert, aufgrund dieser Erwägung bereits selbst die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen, denn die Schwere der Wiederholungstäterschaft und der Grad der Existenzgefährdung sind gegeneinander abzuwägen. Dazu bedarf es aber noch weiterer Feststellungen, denn die Vorbelastungsschwere und -häufigkeit sind noch nicht derart gravierend, dass selbst bei einer als sicher anzunehmenden vollständigen Gefährdung der Existenz des Betroffenen durch ein Fahrverbot ein solches auf jeden Fall auszusprechen gewesen wäre."