Das Verkehrslexikon
Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss vom 04.06.2008 - Au 3 S 08.645 - Zur Annahme der ausnahmsweise gegebenen Fahreignung bei Substitutionsbehandlung
VG Augsburg v. 04.06.2008: Zu den Voraussetzungen für die Annahme der Fahrgeeignetheit nach Substitionsbehandlung bei Drogenabhängigkeit
Das Verwaltungsgericht Augsburg (Beschluss vom 04.06.2008 - Au 3 S 08.645) hat entschieden:
Die Bewertungen der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zur Fahrungeeignetheit bei Konsum harter Drogen gelten nach Satz 1 der Vorbemerkung 3 zu diesem Regelwerk jedoch nur für den Regelfall; Kompensationen sind u. a. durch besondere Verhaltenssteuerung und -umstellung möglich (vgl. Satz 2 der Vorbemerkung 3). In Rechtsprechung und Schrifttum besteht Einvernehmen darüber, dass die Fahreignung von Personen, die sich in einer lege artis durchgeführten Methadonsubstitution befinden, in Einzelfällen fortbesteht, obwohl bei dieser Behandlungsform von einer Betäubungsmittelabhängigkeit auszugehen ist. Voraussetzung ist, dass der Betroffene unter anderem den Nachweis führt, dass kein Konsum von Betäubungsmitteln mehr besteht. Nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV ist hierfür eine Entgiftung/Entwöhnung sowie eine einjährige Abstinenz zu belegen.
Siehe auch Drogen-Substitution (Methadon - Subutex - Buprenorphin) und Drogen im Fahrerlaubnisrecht
Entscheidungsgründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die sofortige Vollziehung des Entzugs der Fahrerlaubnis des Antragstellers.
1. Der am 1. März 1967 geborene Antragsteller war seit 20. Mai 1983 im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klassen 1 b und 4, die am 17. Oktober 1985 auf die Klassen 1 und 3 erweitert wurde (jeweils alte Klasseneinteilung).
Im Rahmen anderweitiger strafrechtlicher Ermittlungen (Verdacht auf Geldfälschung) wurde die Wohnung des Antragstellers am 7. Mai 2007 von der Polizei durchsucht. Dabei wurden 18 Packungen des Medikaments "Subutex" gefunden. Der Antragsteller gab nach Darstellung der Polizei an, dass er betäubungsmittelabhängig sei und sich in einem Methadon-Programm befinde; die Tabletten habe ihm sein Arzt verschrieben. Weiter wurden mehrere gebrauchte und neue Einwegspritzen wie auch ein "Briefchen" mit Anhaftungen gefunden. Nach Darstellung der Polizei habe der Antragsteller angegeben, das in dem "Briefchen" befindliche Heroin vor ca. zwei Wochen konsumiert zu haben. Der Antragsteller gab in seiner Vernehmung als Beschuldigter im Strafverfahren vor der Polizei am 22. Mai 2007 an, dass er das Medikament "Subutex" nicht so eingenommen habe, wie der Arzt es ihm verordnet habe. Deshalb seien einige Packungen übrig geblieben. Zu den bei ihm aufgefundenen "Briefchen" wolle er nichts sagen. In einem Attest dieses Arztes vom 8. Mai 2007, das der Antragsteller der Polizei bei der Vernehmung vorgelegt hat, ist festgehalten, dass der Antragsteller zur Zeit mit Methadon (TD - wohl Tagesdosis: 52 mg) substituiert werde. In der Zeit vom 23. Januar 2001 bis 3. Mai 2004 habe der Antragsteller "Subutex" 2 mg (TD 4 Tabletten) bekommen.
Der Antragsteller legte ein Attest seines Hausarztes vom 20. März 2008 vor, nach dem der Antragsteller seit Mai 2005 in Methadon-Substitutionsbehandlung stehe, wobei die Dosierung von 60 mg auf 40 mg täglich herabgesetzt worden sei. Die mindestens monatlichen Beigebrauchskontrollen mittels Urinanalysen seien in den letzten zwei Jahren unauffällig ausgefallen. Bei niedriger, langjähriger Methadondosis ohne Beigebrauchsnachweis sei der Antragsteller voll fahrtauglich.
Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 6. Mai 2008 in Nr. 1. die Fahrerlaubnis. In Nr. 2. wurde der Antragsteller aufgefordert, seinen Führerschein bis spätestens 21. Mai 2008 beim Landratsamt abzuliefern. Für den Fall, dass er dieser Aufforderung nicht nachkomme, werde nach Nr. 3. ein Zwangsgeld von 200,-- EUR fällig . Die sofortige Vollziehung von Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheides wurde angeordnet. Der Antragsteller sei als Konsument von "harten" Drogen - hier Heroin - ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Nach der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung ist ein Widerspruch oder eine Klage statthaft. Der Antragsteller hat am 16. Mai 2008 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.
Der Antragsteller hat nach telefonischer Mitteilung des Landratsamtes seinen Führerschein bislang nicht abgegeben.
2. Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 6. Mai 2008 wiederherzustellen.
Nach dem Attest des behandelnden Hausarztes sei der Antragsteller voll fahrtauglich. Es habe danach beim Antragsteller in den vergangenen zwei Jahren gerade kein Beikonsum vorgelegen. Im übrigen lägen die Umstände, auf die sich die Fahrerlaubnisbehörde beziehe, ein Jahr zurück.
3. Das Landratsamt beantragt für den Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Das Landratsamt habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass der Antragsteller Heroin konsumiert habe. Daher sei keine weitere Aufklärung des Sachverhalts erfolgt. Auch wenn seit dem Bekanntwerden dieser Umstände bis zu einer behördlichen Reaktion neun Monate vergangen seien, müsste die Verkehrsteilnahme offenkundig ungeeigneter Personen auch nach Ablauf dieses Zeitraums unterbunden werden.
4. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids wiederhergestellt und gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Nr. 2 (Ablieferungspflicht: BayVGH vom 15.12.2005, DAR 2006, 169; vom 9.6.2005, VRS 109, 141) und Nr. 3 des Bescheides (Zwangsgeldandrohung: Art. 21 a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes/VwZVG) angeordnet werden soll. Da der Antragsteller seinen Führerschein noch nicht abgeliefert hat, ist diesbezüglich keine Erledigung eingetreten (vgl. BayVGH vom 20.1.2006, 11 CS 05.1584).
Die Rechtsbehelfsbelehrung, die auf ein fakultatives Widerspruchsverfahren hinweist, ist fehlerhaft. Insbesondere handelt es sich bei Verwaltungsakten der hier gegenständlichen Art nicht um personenbezogene Prüfungsentscheidungen im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) in der Fassung des Gesetzes vom 22. Juni 2007 (GVBl. S. 390). Die amtliche Begründung (LT-Drs 15/7252) nimmt zunächst Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. April 1991 (BVerfGE 84, 34) und will den Begriff erweitern auf Rechtsbereiche, in denen Entscheidungen getroffen werden, die nur mittelbar berufsbezogene Wirkung entfalten können bzw. schulrechtliche Prüfungen oder die Erteilung der Fahrerlaubnis nach bestandener Fahrerlaubnisprüfung. Damit können nur Fallgestaltungen erfasst sein, bei denen die Entscheidung über die Erteilung bzw. Nichterteilung der Fahrerlaubnis gerichtlich lediglich begrenzt überprüfbar ist, weil Prüfern oder Sachverständigen ein prüfungsrechtlicher Beurteilungsspielraum zukommt. Dies ist in erster Linie bei der Abnahme der praktischen Prüfung nach § 17 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) der Fall. Ein derartiger Beurteilungsspielraum, der ein verwaltungsinternes Überdenkungsverfahren erfordert, damit der Betroffene seine Einwendungen gegen das Nichtbestehen der Prüfung wirksam vortragen kann, besteht aber im Fahrerlaubnisrecht regelmäßig nicht. Vielmehr handelt es sich hier vielfach um behördliche Entscheidungen, bei denen der Behörde nicht einmal ein Ermessen eingeräumt ist.
Der vom Antragsteller eingelegte Widerspruch ist mithin nicht statthaft. Auf Grund der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung beträgt die Klagefrist nicht einen Monat, wie in § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgesehen, sondern gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO ein Jahr. Der Antragsteller hat somit ausreichend Gelegenheit, noch Klage zu erheben. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt zwar grundsätzlich voraus, dass bei der Entscheidung des Gerichts bereits ein Rechtsbehelf eingelegt ist, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet werden soll. Vorliegend gebietet es aber die Garantie effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), von der Zulässigkeit des Antrages auszugehen, da der Meinungsstreit hinsichtlich des Wegfalls des Widerspruchsverfahrens in Fahrerlaubnissachen nicht auf dem Rücken des Rechtssuchenden ausgetragen werden soll.
2. Bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird. Hierbei sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der noch zu erhebenden Anfechtungsklage ausschlaggebend. Insoweit ist eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage geboten aber auch ausreichend. (Vgl. zum Ganzen: Jörg Schmidt in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNrn. 69 ff. zu § 80).
Nach einer summarischen Bewertung der Erfolgsaussichten der noch zu erhebenden Anfechtungsklage spricht viel für deren Erfolg. Nach § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Ungeeignet ist u. a., wer an einer Erkrankung oder einem Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis leidet oder wiederholt erheblich gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze (§ 11 Abs. 1 Satz 3 FeV) verstoßen hat. Es ist in hohem Maße zweifelhaft, dass die Ungeeignet des Antragstellers auf Grund der angeblichen Heroineinnahme die Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids am 8. Mai 2008 ohne weiteres feststand und die Behörde ohne Aufklärungsmaßnahmen nach § 11 Abs. 7 FeV auf die Ungeeignetheit schließen durfte.
a) In Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung wird ausgeführt, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Einnahme von Betäubungsmitteln i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis; vgl. hierzu Nr. 9.2.1 und Nr. 9.2.2.) nicht besteht. Nach Nr. 9.3 der Anlage 4 FeV ist auch ungeeignet, wer von Betäubungsmitteln i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen abhängig ist.
Da der Antragsteller nach dem Attest seines behandelnden Arztes Methadon einnimmt und dieser Stoff in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführt ist, er mithin ein Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes darstellt, liegen die Voraussetzungen der Nummer 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vor. Zu dem gleichen Ergebnis führt die Erwägung, dass die Aufnahme in ein Methadonprogramm eine seit längerer Zeit bestehende, manifeste Opioidabhängigkeit voraussetzt (vgl. Niederhuber im Tagungsbericht "Substitution und Fahrerlaubnis", hrsg. von der Bayerischen Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis, S. 23). Aus der Tatsache, dass dem Antragsteller Methadon ärztlich verordnet wird, folgt mithin, dass er jedenfalls in der Vergangenheit andere Betäubungsmittel als Cannabis konsumiert hat. Daher müssen die Tatbestandsmerkmale der Nummer 9.1 zunächst bejaht werden.
Die Bewertungen der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung gelten nach Satz 1 der Vorbemerkung 3 zu diesem Regelwerk jedoch nur für den Regelfall; Kompensationen sind u. a. durch besondere Verhaltenssteuerung und -umstellung möglich (vgl. Satz 2 der Vorbemerkung 3). In Rechtsprechung und Schrifttum besteht Einvernehmen darüber, dass die Fahreignung von Personen, die sich in einer lege artis durchgeführten Methadonsubstitution befinden, in Einzelfällen fortbesteht, obwohl bei dieser Behandlungsform von einer Betäubungsmittelabhängigkeit auszugehen ist. Hintergrund sind zahlreiche Studien (vornehmlich aus dem angelsächsischen Raum), die zu dem Ergebnis gelangt sind, dass mit Methadon substituierte Patienten nur relativ wenige signifikante Verschlechterungen in den fahrrelevanten psychophysischen Leistungen gegenüber Personen aus Kontrollgruppen zeigen (vgl. hierzu BayVGH vom 23.5.2005, 11 C 04.2992). Weitere Studien belegen, dass in der überwiegenden Mehrzahl die psychophysische Leistungsfähigkeit von Substitutionspatienten mit der von Vergleichsprobanden (nämlich gesunden Personen bzw. drogenfreien ehemaligen Heroinabhängigen) als gleichwertig anzusehen sind; sofern die Substitutionspatienten zusätzlich zum Methadon keine psychotropen Medikamente einnehmen und sie über einen so langen Zeitraum substituiert werden, dass sie nach der Adaption an die Dosis eine gesundheitliche Stabilisierung erreichen, kann man sie als fahrtüchtig bezeichnen (Berghaus/Friedel, NZV 1994, 377 ff).
Von einer solchen Möglichkeit, die allerdings nur in "seltenen Ausnahmefällen" und nur dann Platz greife, "wenn besondere Umstände dies im Einzelfall rechtfertigen", gehen auch die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung in Nr. 3.12.1 aus (zitiert nach Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahrereignung - Kommentar, 2. Auflage 2005, S. 168). Voraussetzung ist, dass der Betroffene unter anderem den Nachweis führt, dass kein Konsum von Betäubungsmitteln mehr besteht. Nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV ist hierfür eine Entgiftung/Entwöhnung sowie eine einjährige Abstinenz zu belegen. Unter Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen wird in Nr. 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung für den konkreten Fall der Methadon-Substitution ausgeführt, dass derjenige, der als Betäubungsmittelabhängiger mit Methadon substituiert wird,
"im Hinblick auf eine ausreichend beständige Anpassungs- und Leistungsfähigkeit in der Regel nicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist eine positive Beurteilung möglich, wenn besondere Umstände dies im Einzelfall rechtfertigen. Hierzu gehören unter anderem eine mehr als einjährige Methadon Substitution, eine psychosoziale stabile Integration, die Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen, inklusive Alkohol, seit mindestens einem Jahr, nachgewiesen durch geeignete regelmäßige, zufällige Kontrollen (z. B. Urin, Haar) während der Therapie, der Nachweis für Eigenverantwortung und Therapie-Compliance sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit".
In diesen Fällen kommt nach den Begutachtungs-Leitlinien
"neben den körperlichen Befunden den Persönlichkeits-, Leistungs-, Verhaltens- und den sozialpsychologischen Befunden erhebliche Bedeutung für die Begründung von positiven Regelausnahmen zu".
Entscheidend ist, dass der Betreffende eine psychische Stabilisierung belegt, die eine hinreichend verlässliche Überwindung des Suchpotentials beinhaltet. Nur dann kann eine Rückfallgefahr hinsichtlich des Konsums "harter" Drogen ausgeschlossen werden (OVG Bremen vom 16.3.2005, 1 S 58/05, NordÖR 2005, 263; VG Bayreuth vom 22.12.2003, B 1 S 03.1609). Dem psychologischen Element kommt damit entscheidende Bedeutung zu. Denn Methadon überdeckt die körperlichen Entzugserscheinungen, die bei einem Absetzen der zuvor eingenommenen Droge eintreten. Um eine Rückfallgefahr auszuschließen, muss der Betreffende aber einen belastungsfähigen Einstellungs- und Verhaltenswandel darlegen, der einen Rückfall in den früheren Drogenkonsum ausschließt.
Ob der Ansicht des VG Leipzig (Beschluss vom 13.2.2007, SächsVBl 2007, 169) gefolgt werden kann, dass bei Personen, die mit Methadon substituiert werden, allein durch den Konsum des Betäubungsmittels nicht der Regelfall der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegt, erscheint fraglich. Denn damit wird die Grundannahme der Nr. 3.12.1 der Begutachtungsleitlinien, die bei der Substitution mit Methadon gerade von der grundsätzlichen Ungeeignetheit ausgeht und nur in seltenen Ausnahmefällen eine positive Beurteilung für möglich hält, gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Bei der Auslegung der medizinisch geprägten Begriffe der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung sind die Begutachtungsleitlinien von besonderer Bedeutung, da sich die Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung in ihrem Aufbau nach den Begutachtungsleitlinien richtet (Begründung zu § 11 FeV: Bundesrats-Drucksache 443/98, S. 255). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Methadonabgabe das Ziel der Wiedereingliederung des Betroffenen verfolgt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung/BtMVV). Das rechtfertigt eine Sonderbehandlung methadonsubstituierter Menschen (OVGSaarl vom 27.3.2006, ZfS 2006, 355). Jedenfalls dann, wenn Umstände auf eine Ausnahme vom Regelfall hindeuten, ist eine Aufklärung erforderlich, um der Behörde die Beurteilung zu ermöglichen, ob der Betreffende fahrgeeignet ist (vgl. BayVGH vom 23.5.2005, a.a.O.; vom 10.10.2003, 11 CS 03.2204).
b) Diesen Anforderungen hat das Landratsamt vorliegend jedoch nicht entsprochen; der Antragsteller hat hinreichend Umstände angegeben, die nahe legen, dass er trotz Metadon-Substitution ausnahmsweise fahrgeeignet sein könnte. Der Schluss auf die Ungeeignetheit ohne weitere Sachaufklärung (§ 11 Abs. 7 FeV) ist vorliegend nicht gerechtfertigt.
Für eine möglicherweise vorliegende Fahreignung spricht der Umstand, dass der Antragsteller nach dem Attest seines behandelnden Arztes vom 20. März 2008 in den vergangenen zwei Jahren nach den mindestens monatlich durchgeführten Urinkontrollen keine anderen Betäubungsmittel eingenommen hat. Hinzu kommt die relativ lange Dauer der Methadon-Substitution seit Mai 2004 - also seit nunmehr vier Jahren -, ohne dass es zu irgendwelchen Auffälligkeiten des Antragstellers gekommen ist. Nach dem Attest des Arztes vom 8. Mai 2007 ging der Methadon-Substitution bereits eine Substitution mit "Subutex" vom 23. Januar 2001 bis 3. Mai 2004 voraus. Für eine psychosoziale Integration spricht, dass der Antragsteller nach Aktenlage bei der Vernehmung durch die Polizei am 22. Mai 2007 in einem Arbeitsverhältnis stand. Hinzu kommt, dass nach den von den Polizeibeamten wiedergegebenen Äußerungen des Antragstellers bei der Hausdurchsuchung, er habe etwa zwei Wochen vor der Hausdurchsuchung Heroin konsumiert, der Konsumzeitpunkt danach überschlägig Ende März 2007 gewesen sein muss. Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angenommene verfahrensrechtliche Einjahresfrist, innerhalb der die Behörden bei der Verwirklichung eines Umstands, der nach Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zur Ungeeignetheit führt, vom Regelfall der fehlenden Eignung ausgehen dürfen (BayVGH vom 9.5.2005, BayVBl 2006, 18), war bei Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids am 8. Mai 2008 bereits abgelaufen, da der Konsumzeitpunkt, auf den die Behörde die Ungeeignetheit stützt, Ende März 2007 lag und mit dem Attest vom 20. März 2008 das Unterlassen von Beigebrauch schlüssig vorgetragen ist. Diese Jahresfrist ist von ihrem Grundgedanken auch hier heranzuziehen. Hinzu kommt, dass sich nach dem Attest des Arztes das Unterlassen von Beigebrauch über zwei Jahre belegt ist. Zwar ist zuzugeben, dass durch die Aussage der Polizeibeamten, dass der Antragsteller anlässlich der Hausdurchsuchung am 7. Mai 2007 Heroin konsumiert habe, die Aussagekraft der ärztlichen Äußerung in Zweifel gezogen wird. Der Antragsteller seinerseits hat zu den "Briefchen" bei der Vernehmung am 22. Mai 2007 ausdrücklich keine weiteren Angaben gemacht. Es ist auch merkwürdig, dass erhebliche Mengen des Arzneimittels "Subutex", dessen Verordnung seit dem 3. Mai 2004 beendet war (Attest vom 8. Mai 2007), nach mehr als drei Jahren in der Wohnung des Antragstellers zu finden waren. Die Umstände des Falles waren daher widersprüchlich, sodass die Frage, ob der Antragsteller tatsächlich neben Methadon andere Betäubungsmittel konsumierte, über den medizinischen Teil einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aufzuklären war, die Frage, ob der Antragsteller nach der langjährigen Methadon-Substitution über die erforderliche psychische Stabilität verfügt, um fahrgeeignet zu sein, über den psychologischen Teil der Untersuchung. Es geht nicht an, dass das Landratsamt im Entzugsbescheid keine Gründe dafür angibt, warum es dem Attest des behandelnden Arztes, aus dem hervorgeht, dass der Antragsteller seit zwei Jahren ohne Beigebrauchsnachweis ist, keinerlei Bedeutung zumisst. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Verschreibung eines Substitutionsmittels nach § 5 Abs. 2 BtMVV u.a. voraussetzt, dass der Patient den Arzt in erforderlichem Umfang, in der Regel wöchentlich, konsultiert und die Erhebungen und Untersuchungen des Arztes nicht ergeben, dass der Patient Stoffe gebraucht, deren Konsum nach Art und Menge den Zweck der Substitution gefährdet oder die psychiatrischen, psychotherapeutischen oder psychosozialen Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen durch den Patienten nicht dauerhaft nicht in Anspruch genommen werden. Daraus ergibt sich, dass die ärztliche Betreuung und Überwachung eines Methadon-Patienten durch den behandelnden Arzt relativ eng ist; daher ist einem Attest des behandelnden Arztes über einen solchen Patienten ein entsprechendes Gewicht beizumessen. Es bedarf daher einer substantiierten Darstellung, wenn die Führerscheinbehörde einer solchen Äußerung keine Bedeutung beimessen will.
3. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist im vorliegenden Fall auch unverhältnismäßig. Die abzuwägenden Interessen müssen mit dem Gewicht eingestellt werden, das sie in dem jeweiligen Einzelfall konkret haben (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 80 Rdnr. 91). Das private Interesse des Antragstellers, vorläufig weiterhin im Besitz seiner Fahrerlaubnis zu verbleiben, überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung, da vom Antragsteller keine so gravierenden Gefahren für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer ausgehen, dass die Bestandskraft des Bescheides vom 6. Mai 2008 nicht abgewartet werden könnte. Es kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass das Sicherheitsrisiko, das von der Verkehrsteilnahme des Antragstellers ausgeht, deutlich über dem liegt, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Straßenverkehr verbunden ist (BVerfG vom 20.6.2002, NJW 2002, 2378).
Der Antragsteller ist seit mehreren Jahren in Substitutionsbehandlung und unauffällig. Für die vergangenen zwei Jahre ist Beigebrauchsfreiheit durch den behandelnden Arzt belegt. Anlass für die Annahme der Behörde, der Antragsteller sei fahrungeeignet, sind die dazu in Widerspruch stehenden Berichte über Angaben des Antragstellers, er habe - wohl im März 2007 - Heroin konsumiert. Hinzu kommt, dass dieser Umstand dem Landratsamt erstmals am 30. Mai 2007 mitgeteilt wurde. Eine erste Reaktion hierauf erfolgte erstmals mit Schreiben vom 1. Februar 2008. Warum an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ein besonderes öffentliches Interesse bestehen soll, nachdem die Behörde zuvor acht Monate völlig untätig war, ist nicht ersichtlich.
4. Da die Anordnung des sofortigen Vollzugs des Entzugs der Fahrerlaubnis keinen Bestand hat, ist die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der in Nr. 2 des Bescheids angeordneten Ablieferung des Führerscheins wie auch der in Nr. 3 des Bescheids erfolgten Zwangsmittelandrohung in Form eines aufschiebend bedingten Leistungsbescheids nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG anzuordnen.
5. Der Antragsgegner hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes und berücksichtigt die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die dem Antragsteller erteilte Fahrerlaubnis der früheren Klassen 1 und 3 entspricht nach Nr. I der Anlage 3 zur Fahrerlaubnis-Verordnung den aktuellen Klassen A, B, BE, C1, C1E, M und L. Nach § 6 Abs. 3 FeV umfasst die Klasse C1E die übrigen Klassen der Fahrerlaubnis des Antragstellers. Somit ist für den Streit um die Fahrerlaubnis der Klasse C1E ein Wert von 7.500,-- EUR festzusetzen (C1: 5.000,-- EUR nach Nr. 46.5, E: 2.500,-- nach Nr. 46.8), für die Klasse A 5000,-- EUR (Nr. 46.1), nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs die Hälfte im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes."