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OLG Brandenburg Urteil vom 17.03.2009 - 2 Ss 81/08 - Zum strafbaren Fahren ohne Fahrerlaubnis mit einem während einer Sperrfrist erteilten EU-Führerschein
OLG Brandenburg v. 17.03.2009: Zum strafbaren Fahren ohne Fahrerlaubnis mit einem während einer Sperrfrist erteilten EU-Führerschein
Das OLG Brandenburg (Urteil vom 17.03.2009 - 2 Ss 81/08) hat entschieden:
Eine vor Ablauf einer im Inland verhängten Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis berechtigt nicht dazu, im Inland Kraftfahrzeuge zu führen.
Eine solche Fahrerlaubnis wird auch nicht nach Ablauf der Sperrfrist im Inland wirksam.
Siehe auch Stichwörter zum Thema EU-Führerschein und Stichwörter zum Thema Verkehrsverwaltungsrecht
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 11. März 2008 vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
„Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts vom 16.01.2004, rechtskräftig seit dem 24.01.2004, wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und Fahren ohne Fahrerlaubnis, zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und es wurde eine Sperre von acht Monaten für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis verhängt, die am 23.07.2005 endete.
Am 26.01.2007 wurde der Angeklagte im Rahmen einer Verkehrskontrolle gegen 19:30 Uhr in als Führer eines Pkw angetroffen. Er war im Besitz eines tschechischen Führerscheins der Klasse B vom 27.01.2005, der am 31.01.2005 in M. ausgestellt wurde. Eine deutsche Fahrerlaubnis hat der Angeklagte weder vor noch nach Ablauf der mit Urteil vom 16.01.2004 verhängten Sperre erworben. Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, bei diesem Sachverhalt ohne erforderliche Fahrerlaubnis gefahren zu sein und sich mithin gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht zu haben.“
Das Amtsgericht hat seinen Freispruch auf Rechtsgründe gestützt und sich insoweit der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Nürnberg und München angeschlossen.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat die Staatsanwaltschaft am 13. März 2008 Revision eingelegt und diese unter dem 9. Mai 2008 fristgerecht begründet. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft tritt der Revision bei und beantragt zu entscheiden, wie geschehen.
Die Revision hat Erfolg.
II.
Die Revision ist zulässig und begründet.
1. Das Amtsgericht stützt seine Rechtsauffassung, der Angeklagte habe sich nicht eines Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht, auf die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Nürnberg ( NStZ-RR 2007, 269) und München ( NJW 2007, 1152). Diese Rechtsprechung ist indes durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. Juni 2008 in den Rechtssachen Zerche u.a. (BeckRS 2008 70690), Wiedemann ( NJW 2008, 2403) und Möginger (NJW 2009, 207) überholt.
Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ohne gültige Fahrerlaubnis im Inland gefahren. Er kann sich nicht darauf berufen, im Besitz einer gültigen ausländischen EU-Fahrerlaubnis (§ 28 Abs. 1 Satz 1 FeV) gewesen zu sein, die ihn im Inland zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt hätte. Nach der genannten Vorschrift dürfen Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz (§ 7 Abs. 1, 2 FeV) in der Bundesrepublik Deutschland haben, vorbehaltlich der Einschränkungen nach § 28 Abs. 2 bis 4 FeV im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Der Angeklagte unterfällt indes der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 4 Nr. 3 und 4 FeV. Denn die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV gilt nicht für Inhaber einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis, denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Inland die Fahrerlaubnis entzogen worden ist und denen auf Grund dessen keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Ein solcher Fall liegt hier vor.
Dem Angeklagten wurde am 16. Januar 2004 durch Urteil eines deutschen Gerichts die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen. Gegen ihn wurde zugleich eine Sperrfrist von acht Monaten bis zum 23. Juli 2005 festgesetzt. Noch vor Ablauf der Sperrfrist hat er am 27. Januar 2005 in der Tschechischen Republik eine EU-Fahrerlaubnis erworben. Diese Fahrerlaubnis darf von Behörden und Gerichten der Bundesrepublik Deutschland für deren Hoheitsgebiet nicht anerkannt werden (vgl. Art 11 Abs. 4 der neugefassten EU-Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG vom 20. Dezember 2006), auch wenn die gegen den Angeklagten verhängte Sperrfrist bei „Benutzung“ der Fahrerlaubnis anlässlich der Fahrt vom 26. Januar 2007 bereits abgelaufen war. Es kommt für die Anerkennung der Gültigkeit einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf den Zeitpunkt ihrer „Benutzung“, sondern auf den Zeitpunkt ihrer Ausstellung an. Der während des Laufs einer in der Bundesrepublik Deutschland strafgerichtlich verhängten Fahrerlaubnissperrfrist in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellte EU-Führerschein wird auch nicht dadurch wirksam, dass die Sperrfrist abläuft (OLG Stuttgart NStZ-RR 2007, 271). Dies hat nunmehr der EuGH in den Rechtssachen Wiedemann (a.a.O., Nr. 65), Zerche (a.a.O., Nr. 62) und Möginger (a.a.O., Nr. 41) bestätigt (vgl. dazu auch Dauer NJW 2008, 2381, 2382; ders. in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 28 FeV, Rn. 8). Damit ist klargestellt, dass insoweit EU-Recht der Anwendung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 und 4 FeV nicht entgegensteht.
Auf die entgegenstehende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Nürnberg (a.a.O.), München (a.a.O.), Saarbrücken (NStZ-RR 2005, 50) und Jena (VRS 112, 367) kommt es deshalb nicht mehr an. Eine Vorlage der Sache an den EuGH gemäß Art. 234 EGV ist nicht geboten, da der EuGH die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage bereits geklärt hat. Es bedarf auch keiner Vorlage der Sache an den BGH. Eine solche wäre unzulässig, da der Senat durch den BGH nicht daran gehindert werden kann, die Rechtsprechung des EuGH zu übernehmen und anzuwenden (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O., 52 m.w.N.; OLG Jena, a.a.O., 371).
2. Bei der erneuten Verhandlung wird das Amtsgericht auch zu klären haben, ob sich aus dem dem Angeklagten in der Tschechischen Republik erteilten Führerschein etwa ergibt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Ausstellung desselben seinen ordentliche Wohnsitz nicht in der Tschechischen Republik hatte. Dann wäre die ihm in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis bereits deswegen in der Bundesrepublik Deutschland nicht anzuerkennen.
Zwar darf grundsätzlich ein Mitgliedsstaat die von einem anderen Mitgliedsstaat erteilte Fahrerlaubnis nicht allein deswegen nicht anerkennen, weil der Inhaber der Fahrerlaubnis nach den ihm vorliegenden Informationen seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis nicht auf dem Gebiet des ausstellenden Mitgliedsstaates gehabt hat (EuGH NJW 2004, 1725, Rechtssache Kapper). Das gilt jedoch dann nicht, wenn sich aufgrund von Angaben in dem im EU-Ausland erteilten Führerschein selbst oder sonst aufgrund vom Ausstellerstaat herrührender unbestreitbarer Informationen ergibt, dass der Inhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in dem Ausstellerstaat hatte (EuGH NJW 2008, 2403, Rechtssache Wiedemann; BeckRS 2008 70690, Rechtssache Zerche).
Darüber hinaus werden auch dazu Feststellungen zu erfolgen haben, ob der Angeklagte sich bei Benutzung der tschechischen Fahrerlaubnis etwa in einem Verbotsirrtum (§ 17 StGB) befunden hat, der bei Unvermeidbarkeit die Schuld ausschließen würde.
Die Sache bedarf deshalb erneuter tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung.
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass sich § 28 FeV in der am 19. Januar 2009 in Kraft getretenen Fassung als das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB gegenüber der bis dahin geltenden Fassung erweisen dürfte. Denn § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV n.F. enthält nun eine Einschränkung zu den Fällen der Nichtanerkennung von im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnissen nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 3 und 4. Danach sind nämlich die letztgenannten Vorschriften nicht anwendbar, wenn die dort bezeichneten Maßnahmen nicht mehr im Verkehrszentralregister eingetragen und nach § 29 StVG getilgt sind.