Das Verkehrslexikon

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OLG Karlsruhe Beschluss vom 28.08.2009 - 1 Ss 135/08 - Zur Einstellung des Verfahrens wegen unerlaubter Handybenutzung bei Aussage gegen Aussage OLG Karlsruhe v. 28.08.2009: Zum Urteilsinhalt in Bußgeldsachen und zur Verfahrenseinstellung bei Missverhältnis zwischen Verfahrensaufwand und Ahndung

Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 28.08.2009 - 1 Ss 135/08) hat entschieden:
  1. Eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG kann veranlasst sein, wenn eine etwaige Ahndung der Tat unter Berücksichtigung des weiteren Verfahrensverlaufs in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Tat und den damit verbundenen zusätzlichen Belastungen für die Betroffene stünde (Aussage gegen Aussage beim Vorwurf der unbefugten Benutzung eines Mobiltelefons).

  2. Die Urteilsgründe im OWi-Verfahren unterliegen keinen hohen Anforderungen. Gleichwohl müssen sie so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht eine rechtliche Überprüfung auf die Sachrüge hin ermöglichen. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung des Tatrichters, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, diese auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze hin zu überprüfen. Besondere Anforderungen bestehen zudem in solchen Fällen, bei denen Aussage gegen Aussage steht. Dort bedarf es zusätzlich einer Gesamtwürdigung aller Indizien, weshalb der Tatrichter die für die Bedeutung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände im Urteil darlegen und würdigen muss.

Siehe auch Funktelefon - Handy-Benutzung und Einstellung des Verfahrens wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit


Gründe:

I.

Das Amtsgericht ... verurteilte die Betroffenen am 02.07.2008 wegen vorsätzlichen Benutzens eines Mobiltelefons während der Fahrt nach §§ 23 Abs. 1a, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 40 Euro, weil sie nach den getroffenen Feststellungen am 20.10.2007 um 14.40 Uhr beim Alten Bahnhof in X. als Fahrerin des Pkw der Marke Mini mit dem amtlichen Kennzeichen … während der Fahrt ein Mobiltelefon benutzt habe. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Betroffenen, mit welcher sie die die Sachrüge erhebt und die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts beantragt. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 24.09.2008 beantragt, den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die Betroffene hat auf die Anfrage des Senates im Hinblick auf eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG einer solchen unter Verwahrung gegen die Kosten zugestimmt, die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe ist einer solchen entgegengetreten.


II.

Der Senat hält eine Ahndung des Verkehrsverstoßes nicht für geboten.

Eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG war vorliegend veranlasst, weil eine etwaige Ahndung der Tat unter Berücksichtigung des weiteren Verfahrensverlaufs in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Tat und den damit verbundenen zusätzlichen Belastungen für die Betroffene stünde (vgl. auch Thüringer Oberlandesgericht VRS 113, 368 f.). Insoweit ist zu sehen, dass vorliegend eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Klärung der Anforderungen an die gerichtliche Beweiswürdigung bei der Feststellung der Benutzung eines Mobiltelefons während der Fahrt mit einem Pkw geboten gewesen wäre (Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, § 80 Rn. 12 f.) und nach vorläufiger Beurteilung durch den nach § 80a Abs. 1 OWiG besetzten Senat viel dafür spricht, dass die Feststellungen zur Benutzung des Mobiltelefons durch die Betroffene nach erfolgter Zulassung der Rechtsbeschwerde einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten würden, das angefochtene Urteil aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht X. zurückzuverweisen wäre (vgl. Thüringer Oberlandesgericht a.a.O.).

Ausweislich der Urteilsgründe hat die Betroffene die Benutzung ihres Mobiltelefons während der Fahrt in Abrede gestellt und angegeben, dieses erst nach Aussteigen aus dem Fahrzeug gebraucht zu haben. Bestätigt wird diese Einlassung durch die Aussage der im Fahrzeug mitfahrenden Zeugin M. – der Mutter der Betroffenen –, nach welcher nicht diese, sondern sie – die Zeugin – während der Fahrt das „Handy“ benutzt habe. Gestützt hat das Amtsgericht seine Verurteilung auf die Aussage des Gemeindevollzugsbeamten D. welcher angegeben hat, deutlich und mit direkter Sicht auf das Fahrzeug der Betroffenen gesehen zu haben, wie die Fahrerin ein Mobiltelefon an ihr Ohr gehalten habe.

Zwar unterliegen die Gründe des Urteils im Ordnungswidrigkeitenverfahren keinen hohen Anforderungen. Gleichwohl müssen sie so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht eine rechtliche Überprüfung auf die Sachrüge hin ermöglichen. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung des Tatrichters, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, diese auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze hin zu überprüfen (Thüringer Oberlandesgericht a.a.O.; Karlsruher Kommentar – OWIG – Senge, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 106 ff.; Göhler, a.a.O, § 71 Rn. 42 ff., jeweils m.w.N.). Besondere Anforderungen bestehen zudem in solchen Fällen, bei denen Aussage gegen Aussage steht. Dort bedarf es zusätzlich einer Gesamtwürdigung aller Indizien ( BayObLG NZV 2003, 247 ff.), weshalb der Tatrichter die für die Bedeutung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände im Urteil darlegen und würdigen muss ( BGH StV 1992, 97 f.; 1995, 115 f.; OLG Oldenburg DAR 2000, 86). Zwar hat sich das Amtsgericht vorliegend mit Frage eines Motivs der Falschbelastung der Betroffenen durch den Gemeindevollzugsbeamten auseinandergesetzt und ein solches rechtsfehlerfrei verneint, es geht jedoch auf die für die Nachvollziehbarkeit der Angaben des Zeugen zentrale Frage nicht ein, ob in welchem Umfang diesem eine Wahrnehmung der Benutzung des Mobiltelefons durch die Betroffene möglich war. Die Darstellung in den Urteilsgründen, der Zeuge habe „direkte Sicht auf das Fahrzeug“ gehabt, reicht hierfür nicht aus und ist insoweit als lückenhaft anzusehen. Vielmehr hätte es neben einer zureichenden Schilderung der konkreten Örtlichkeit vor allem Angaben zur Entfernung zwischen dem Standort des Zeugen und dem Fahrzeug, über dessen Geschwindigkeit und zur Dauer der Beobachtung, je nach Sachlage auch zum Blickwinkel und zu den Lichtverhältnisse bedurft, damit zureichend die Möglichkeit eines Wahrnehmungsfehlers des Zeugen beurteilt werden kann.


III.

Das Verfahren war daher einzustellen. Eine Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe (§ 47 Abs. 2 Satz 2 OWiG) oder einer vorherigen Zulassung der Rechtsbeschwerde (Senat NZV 2004, 654 f.; Göhler, a.a.O., Rn. 41) bedurfte es hierzu nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 und 4 StPO. Nach den vorherigen Ausführungen besteht – anders als in Fällen der fehlenden Zulassungsvorrausetzungen nach § 80 OWiG – kein Anlass, die notwendigen Auslagen der Betroffenen nicht der Staatslasse aufzuerlegen (Göhler, a.a.O. § 47 Rn. 49; Karlsruher Kommentar – OWIG – Bohnert, a.a.O., § 47 Rn. 131). In diesem Zusammenhang hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Staatsanwaltschaft X. mit Verfügung vom 15.12.2008 das gegen die Mutter der Betroffenen – die Zeugin M. – wegen Verdachts der falschen uneidlichen Aussage nach § 153 StGB eingeleitete Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat, nachdem unter anderem ein in diesem Verfahren durchgeführter Augenscheinstermin Zweifel an der Wahrnehmbarkeit des vom Gemeindevollzugsbeamten geschilderten Verkehrsverstoßes ergeben hatte.

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