Soll vom Regelfall der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, so bedarf es wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer einer besonders eingehenden und sorgfältigen Überprüfung der Einlassung des Betroffenen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalls auszuschließen und auch dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung zu ermöglichen. Deshalb hat das Amtsgericht eine auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung zu geben, in der es im einzelnen darlegt, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot bei einer Ordnungswidrigkeit wegen einer Trunkenheitsfahrt abzusehen.
Gründe:
I.
Der Landrat des Märkischen Kreises hat mit Bußgeldbescheid vom 18. September 2008 gegen den Betroffenen wegen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder mehr (hier: 0,95 Promille) eine Geldbuße in Höhe von 250,00 € sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats mit der Maßgabe nach § 25 Abs. 2a StVG festgesetzt.
Auf den hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Iserlohn ihn durch das angefochtene Urteil wegen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder mehr zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 € verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen.
Es hat u.a. folgende persönliche und tatsächliche Feststellungen getroffen:„Der Betroffene ist von Beruf Frisör und verfügt über ein geregeltes Einkommen. Als Frisör macht er häufiger Hausbesuche. Ehrenamtlich kümmert er sich um einen Nachbarn namens Y, Z, …1 I. Diesem Nachbarn ist das rechte Bein und der rechte Arm amputiert. Der Betroffene fährt diesen Nachbarn regelmäßig, damit dieser seinen notwendigen Besorgungen und Arztbesuchen nachkommen kann.Das Absehen von der Verhängung des noch im Bußgeldbescheid gem. § 4 Abs. 3 BKatV festgesetzten einmonatigen Regelfahrverbotes hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
Der Betroffene befuhr am 03.08.3008 um 23:35 Uhr als Führer und Halter mit dem PKW amtliches Kennzeichen … die T-Straße in Iserlohn. Er fiel wegen Alkoholeinflusses auf. Dem Betroffenen wurde durch die Ärztin C. am 04.08.2008 um 0:15 Uhr eine Blutprobe entnommen, nachdem aufgrund des zu niedrigen Atemvolumens eine Bestimmung der Atemalkoholkonzentration mittels Dräger 7110 Evidential durch die Polizeibeamten nicht möglich war. Eine Auswertung der Blutprobe durch Dr. u der M. GmbH ergab einen Mittelwert von 0,95 ‰. Der Betroffene handelte fahrlässig.
Der Betroffene ließ sich glaubhaft geständig ein.
Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Betroffene gegen § 24a StVO verstoßen, da er mehr als 0,5 ‰ Alkohol im Blut hatte. Der Betroffene handelte auch zumindest fahrlässig und hat damit den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt.“„Gegen den Betroffenen war eine Geldbuße von 500 € festzusetzen. Von einem Fahrverbot wurde gegen Heraufsetzung der Geldbuße abgesehen, da ein Fahrverbot nicht angemessen erscheint. Zum einen ist der Betroffene beruflich auf seinen Führerschein angewiesen, da er seine Frisörtätigkeit vor allem auch auf Hausbesuchsebene durchführt. Zum anderen aber war sein ehrenamtliches Engagement zu berücksichtigen. Er kümmert sich um seinen Nachbarn und betreut diesen, wobei er Fahrten für diesen übernimmt und diesen auch fährt. Der Betroffene ist daher in stärkerer Weise als andere auf die Nutzung des Kraftfahrzeuges angewiesen.“Das Urteil ist der Staatsanwaltschaft Hagen, die nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, am 15. Dezember 2008 zunächst ohne Gründe zugestellt worden, die nach Rechtsmitteleinlegung durch die Staatsanwaltschaft nachträglich zu den Akten gebracht worden sind. Das begründete Urteil ist der Staatsanwaltschaft sodann am 29. Dezember 2008 zugestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt, die sie unter näheren Ausführungen mit der Sachrüge begründet und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat und der die Generalstaatsanwaltschaft mit ergänzenden Ausführungen beigetreten ist.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und im Umfang der Aufhebung zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Iserlohn.
1. Gegen die Wirksamkeit der Beschränkung der Rechtsbeschwerde bestehen keine Bedenken.
Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder gemäß §§ 24a Abs. 1, 25 StVG; § 4 Abs. 3 BKatV, zumal der Betroffene den Tatvorwurf eingeräumt hat.
2. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs. Die Erwägungen, auf Grund derer das Amtsgericht von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots abgesehen hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Staatsanwaltschaft Hagen hat zur Begründung ihrer Rechtsbeschwerde Folgendes ausgeführt:„Zwar unterliegt es in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung, ob ganz besondere Gründe vorliegen, die ausnahmsweise Anlaß geben könnten, von der Verhängung eines Fahrverbotes nach § 25 Absatz 1 Satz 2 StVG in Verbindung mit § 4 Absatz 3 BKatV abzusehen (z. vgl. BGHSt 38, 231, 237), jedoch steht dem Tatrichter kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen zu. Wie bei der Regelwirkung der §§ 69 Abs. 2, 44 Absatz 1 Satz 2 StGB hat das Gericht unter Anlegung strenger Maßstäbe zu prüfen und darzulegen, ob ganz außergewöhnliche Umstände äußerer oder innerer Art die Regelwirkung entfallen lassen können. Nur solche Umstände rechtfertigen den Wegfall des Regelfahrverbotes nach § 25 Absatz 1 Satz 2 StVG, die auch bei einem Vergehen der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB die Regelwirkung des § 69 StGB entfallen lassen würden.Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und zum Gegenstand seiner Entscheidung. Sie entsprechen der ständigen Rechtsprechung aller hiesigen Strafsenate. Die Entscheidung über das Absehen von dem Regelfahrverbot ist in jedem Falle eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen. Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Er hat Angaben des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und im Urteil darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet (vgl. ständige Rechtsprechung des Senats).
Derartige Gründe sind in der angefochtenen Entscheidung nicht nachvollziehbar dargelegt.
Das Amtsgericht hat der Tat selbst keine besonderen Gründe beigelegt, die das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes rechtfertigen würden. Lediglich in der Person des Betroffenen hat es besondere Gründe gesehen, die das Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbotes zulassen sollen.
Die Verhängung des Fahrverbotes sei nicht angemessen, weil der Betroffene seine berufliche Tätigkeit als Frisör insbesondere bei Hausbesuchen ausübe, ehrenamtlich einen körperbehinderten Nachbarn fahre, dem der rechte Arm und das rechte Bein fehlten und Fahrten für diesen übernehme. Der Betroffene sei daher auf stärkere Weise als andere auf die Nutzung des Kraftfahrzeuges angewiesen.
Diese nachträgliche Begründung der angefochtenen Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Amtsgericht hat den Wegfall des Regelfahrverbotes nur begründet, indem es die Angaben des Betroffenen ungeprüft wiedergegeben hat. Die angefochtene Entscheidung lässt jegliche Auseinandersetzung mit der Einlassung und ihre Überprüfung vermissen. Soll vom Regelfall der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, so bedarf aber es wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer aber einer besonders eingehenden und sorgfältigen Überprüfung der Einlassung des Betroffenen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalls auszuschließen und auch dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung zu ermöglichen (z. vgl. OLG Karlsruhe, Beschluß vom 8.8.2005, Verkehrsrechtliche Mitteilung 2005, 91 und OLG Karlsruhe, Beschluß vom 10.11.2004, NJW2005, 450). Deshalb hat das Amtsgericht eine auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung zu geben, in der es im einzelnen darlegt, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen (z. vgl. BHGSt 38, 125, 123, OLG Hamm, Beschluß vom 28.3.2003, 2 Ss OWi 482/2003).
Zu einer näheren Überprüfung und kritischen Hinterfragung der Angaben des Betroffenen bestand vorliegend auch deshalb Anlaß, weil die ungeprüft übernommene Einlassung des Betroffenen lückenhaft ist.
Soweit das Amtsgericht den Wegfall des Regelfahrverbotes damit begründet, dass der Betroffene beruflich auf seinen Führerschein angewiesen sei, ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, ob der Betroffene abhängig beschäftigt ist und für den Fall einer Vollstreckung des Fahrverbots die Kündigung des Arbeitsverhältnisses droht oder ob er als Selbstständiger dadurch einer akuten Existenzgefährdung ausgesetzt ist. Hinsichtlich des Einwandes, der Betroffene müsse im Rahmen seiner beruflichen Verpflichtung mit einem PKW Kundenbesuche durchführen, hat das Amtsgericht nicht geprüft, wie häufig der Betroffene überhaupt auswärtige Termine wahrnehmen muss und ob er die Kunden nicht auch mittels öffentlicher Verkehrsmittel oder Taxen erreichen bzw. sich von einer anderen Person fahren lassen kann.
Nur rein wirtschaftliche Nachteile sind Folge der vorwerfbaren Handlung und als solche von dem Betroffenen als selbstverschuldet hinzunehmen.
Soweit das Amtsgericht den Wegfall des Regelfahrverbotes mit dem ehrenamtlichen Engagement des Betroffen begründet, ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nichts zum Umfang und der Erforderlichkeit der für den körperbehinderten Nachbarn vorgenommenen Fahrten.
Bereits die Prüfung und Darlegung eines Ausnahmefalls zum Regelfahrverbot einer Ordnungswidrigkeit nur nach § 24 StVG und nicht nach § 24a StVG wegen der Unterstützung eines pflegebedürftigen Angehörigen erfordert detaillierte Angaben zum Umfang der erforderlichen Hilfsleistungen und die auf Tatsachen gestützte Feststellung, dass diese Hilfestellung von keiner anderen, unentgeltlichen Betreuungsperson gewährt werden kann und dass dem Bedürftigen die Beschäftigung einer professionellen Hilfe nicht zuzumuten ist (z. vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.3.2002, 2 Ss OWi 96/06).
Demgegenüber bleibt es in der angefochtenen Entscheidung offen, inwieweit der Bedürftige gerade auf die Fahrdienste des Betroffenen angewiesen ist, er insbesondere nicht von anderen Personen, auch in Begleitung des Betroffenen, entgeltlich oder unentgeltlich gefahren werden kann. Da der Beschuldigte nicht pflegt, sondern nur fährt, was auch andere Personen problemlos tun können, erscheint die Annahme eines ganz außergewöhnlichen Umstandes, der den Wegfall des Regelfahrverbotes nach § 25 Absatz 1 Satz 2 StVG rechtfertigen könnte, ohnehin eher fernliegend. Ordnungsgemäß festgestellt und dargelegt ist ein solcher Umstand in der angefochtenen Entscheidung jedenfalls nicht, so dass das Urteil auch deswegen keinen Bestand haben kann.
Letztlich lässt die angefochtene Entscheidung jegliche Abwägung der Gründe, die für und gegen die Verhängung des Regelfahrverbotes sprechen, vermissen. Insbesondere der Umstand, dass der Grenzwert von 0,5 Promille Blutalkoholgehalt in hohem Maße überschritten wurde, findet keine Berücksichtigung.
Aus Gründen der Gleichbehandlung gegenüber anderen Betroffenen bei gleichgelagerten Regelfällen kann das Urteil nach alledem keinen Bestand haben.“
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
In den Urteilsgründen wird lediglich mitgeteilt, der Betroffene sei als Frisör tätig und mache häufiger Hausbesuche. Diese Ausführungen, die allein auf den Angaben des Betroffenen beruhen, sind unzureichend. So hätte dargelegt werden müssen, wann der Betroffene an seinem Arbeitsplatz erscheinen muss und wie sich die Verkehrsverbindungen zu seinen Kunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Einzelnen darstellen und ob nicht doch die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel – wenn auch unter Inkaufnahme erheblicher Zeitverluste – möglich ist. Des Weiteren fehlen Angaben dazu, wie häufig der Betroffene auswärtige Termine bei Kunden wahrzunehmen hat. Dass die – zumindest gelegentliche Inanspruchnahme – eines Taxis unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des Betroffenen hier ausscheidet, ist nicht überprüfbar, da das Urteil jegliche Ausführungen zu den Einkommensverhältnissen des Betroffenen vermissen lässt. Es heißt lediglich, dass der Betroffene über ein geregeltes Einkommen verfüge. In diesem Zusammenhang ist aber auch zu berücksichtigen, dass bei der Anordnung eines Regelfahrverbots die Erhöhung der Geldbuße entfällt, mithin der Betroffene aufgrund dieser „wirtschaftlichen Ersparnis“ auch eher in der Lage ist, sich Fahrten mit dem Taxi zu leisten.
Letztlich gilt aber der Grundsatz, dass berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des angeordneten Fahrverbotes, wie z.B. die Inanspruchnahme von Urlaub sowie die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen als selbstverschuldet hinzunehmen sind und nicht ausreichen, um von der Verhängung eines Regelfahrverbots abzusehen.
Soweit das Absehen vom Fahrverbot mit dem ehrenamtlichen Einsatz des Betroffenen für seinen Nachbarn begründet wird, genügen diese Ausführungen – worauf die Staatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat – ebenfalls nicht den Anforderungen. So ist nicht ersichtlich, dass die Betreuung des Nachbarn im Falle der Verhängung des einmonatigen Regelfahrverbotes ernsthaft gefährdet wäre. Es ist nämlich nicht ausreichend vorgetragen, inwieweit der Nachbar gerade auf die Fahr- und Versorgungsdienste des Betroffenen angewiesen ist (vgl. hierzu Beschluss des erkennenden Senats vom 16. März 2006 in 2 Ss OWi 96/06 und auch den Beschluss des hiesigen 4. Senats für Bußgeldsachen vom 30. Oktober 2004 in 4 Ss OWi 697/03; Beschluss des hiesigen 5. Senats für Bußgeldsachen vom 30. Oktober 2004 in 5 Ss OWi 837/00).
Da nach alledem das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes auf einer nicht tragfähigen Begründung beruht, kann das angefochtene Urteil – angesichts der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot – im gesamten Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht in Betracht, da noch weitere tatsächliche Feststellungen getroffen werden müssen.
Die Sache war daher in diesem Umfang an das Amtsgericht Iserlohn zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückzuverweisen.