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OLG Rostock Beschluss vom 09.01.2001 - 1 W 338/98 - Zur angemessenen Regulierungsfrist in Verkehrsunfallsachen von 4 bis 6 Wochen
OLG Rostock v. 09.01.2001: Zur angemessenen Regulierungsfrist in Verkehrsunfallsachen von 4 bis 6 Wochen
Das OLG Rostock (Beschluss vom 09.01.2001 - 1 W 338/98) hat entschieden:
Ein Versicherer hat keinen Klageanlass gegeben, wenn ihm der Geschädigte nicht eine ausreichende Zeit zur Überprüfung der Forderung gegeben hat. Im Haftpflichtprozess, insbesondere in Verkehrsunfallsachen, sind dabei andere Maßstäbe zu beachten als ansonsten; dies beruht auf den besonderen Verhältnissen beim Haftpflichtversicherer. Aus diesen Gründen muss von einem durch Verkehrsunfall Geschädigten mehr Geduld vor Erhebung einer Klage gegen den Versicherer erwartet werden, als im Falle einer Inanspruchnahme des unmittelbaren Schädigers. Wie die Prüfungsfrist zu bemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und richtet sich nach der Kompliziertheit des die Schadensersatzpflicht auslösenden Ereignisses und nach der Zusammensetzung und dem Umfang der geltend gemachten Ansprüche. Bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen ist der Haftpflichtversicherung ein Prüfungszeitraum von etwa 4 bis 6 Wochen zuzugestehen.
Siehe auch Erledigungserklärung und Kostenentscheidung und Dauer der Schadenregulierung - angemessene Regulierungsfrist
Gründe:
I.
Die gemäß § 99 Abs. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Das Landgericht hat dem Kläger zu Recht die Kosten des Rechtsstreits nach § 93 ZPO auferlegt.
1. Die Beklagten zu 1. und 2. haben den Anspruch des Klägers sofort anerkannt und keine Veranlassung zur Klage gegeben. Veranlassung zur Klage gibt man durch ein Verhalten, das vernünftigerweise den Schluss auf die Notwendigkeit eines Prozesses rechtfertigt (RGZ 118, 261 [264]). Bei dem Erst- und dem Zweitbeklagten kann hiervon keine Rede sein. Der Kläger ist an sie vorprozessual nie mit einer Zahlungsaufforderung herangetreten (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1992, 1528 und OLG Report 2000, 213 [214]).
2. Ebenso wenig hat die Beklagte zu 3. Veranlassung zur Klage gegeben.
a) Im Schadensersatzrecht gilt allgemein, dass der Beklagte keinen Klageanlass gegeben hat, wenn ihm der Geschädigte nicht eine ausreichende Zeit zur Überprüfung der Forderung gegeben hat (Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 93 Rn. 53). Im Haftpflichtprozess, insbesondere in Verkehrsunfallsachen, sind dabei andere Maßstäbe zu beachten als ansonsten; dies beruht auf den besonderen Verhältnissen beim Haftpflichtversicherer. Bei ihm kommen zahlreiche Schadensfälle zusammen. Er ist über den einzelnen Unfall aus eigenem Wissen nicht informiert, sondern muss sich in erster Linie darauf verlassen, was sein Versicherungsnehmer ihm an Informationen an die Hand gibt. Hinzu kommt, dass die Schadensfälle bei einer Versicherung über einen größeren Büroapparat abgewickelt werden müssen, was ebenfalls gewisse Mindestverzögerungen zur Folge hat (LG Aachen, ZfS 1983, 303). Schließlich liegt eine angemessene Ermittlungsfrist im Interesse der Gesamtheit aller pflichtversicherten Kfz-Halter, die über ihre Prämienleistungen die Unfallschäden im Ergebnis zu tragen haben (OLG Köln, VersR 1974, 268). Aus diesen Gründen muss von einem durch Verkehrsunfall Geschädigten mehr Geduld vor Erhebung einer Klage gegen den Versicherer erwartet werden, als im Falle einer Inanspruchnahme des unmittelbaren Schädigers (LG Aachen, ZfS 1983, 303). Wie die Prüfungsfrist zu bemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und richtet sich nach der Kompliziertheit des die Schadensersatzpflicht auslösenden Ereignisses und nach der Zusammensetzung und dem Umfang der geltend gemachten Ansprüche (OLG Frankfurt, OLG Report 1996, 77). Bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen ist der Haftpflichtversicherung ein Prüfungszeitraum von etwa 4 bis 6 Wochen zuzugestehen (Becker/Böhme, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 21. Aufl., H 5; 3 bis 4 Wochen: LG Aachen, a.a.O.; LG Bielefeld, ZFS 1988, 282; LG München, VersR 1973, 871).
b) Ob bei Anfertigung der Klageschrift vom 09.06.1998 ein solcher Zeitraum verstrichen war, muss offen bleiben. Die Prüfungsfrist wird nicht durch das Unfallereignis, sondern erst durch den Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens in Lauf gesetzt (LG Aachen, a.a.O.; LG Düsseldorf; VersR 1981, 582 [583]). Diesen Zeitpunkt hat keine Partei benannt. Letztlich kann die Frage dahinstehen. Die angemessene Prüfungsfrist hat die Beklagte zu 3. auch dann nicht versäumt, wenn ihr die Zahlungsaufforderung zeitnah zum Unfall (17.04.1998) zugegangen wäre. Indem der Kläger deren Schreiben vom 15.05.1998 unbeantwortet gelassen hat, verlängerte sich die in diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufene Prüfungsfrist in einem Umfang, der die Klageerhebung verfrüht erscheinen lässt.
aa) In dem genannten Schreiben hat die Beklagte zu 3. mitgeteilt, dass sie noch auf den Strafaktenauszug warte und auf die Sache zurückkommen werde. Ob der Haftpflichtversicherung gegenüber dem Geschädigten - wie auch im Verhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und seiner Versicherung (Hartmann, a.a.O., Rn. 54 ff.) - generell das Recht zusteht, die Entscheidung ihrer Eintrittspflicht von einer vorherigen Einsicht in die Ermittlungsakten abhängig zu machen, ist umstritten (dafür: Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 11 Rn. 3 mit Nachweisen; so auch: OLG Hamm, Schaden-Praxis 1997, 144 und VersR 1988, 1038 [1039]; dagegen: OLG Saarbrücken, NZV 1991, 312 [313]; AG Münsingen, VersR 1997, 893). Der Senat muss diese Frage nicht beantworten. Die Klägerin jedenfalls war zu einem solchen Vorgehen berechtigt. Sie durfte den ausbleibenden Widerspruch des Klägers auf das Schreiben vom 15.05.1998 so verstehen, dass dieser mit einer Herbeiziehung der Ermittlungsakte und einer hierdurch verzögerten Schadensregulierung einverstanden sei. Zwar ist bei der Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses Zurückhaltung geboten. Da das dem Kläger schriftlich mitgeteilte Vorgehen nach verbreiteter Ansicht grundsätzlich mitgeteilte Vorgehen nach verbreiteter Ansicht grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, durfte die Beklagte zu 3. bei einem entgegenstehenden Willen des Klägers jedoch einen ausdrücklichen Widerspruch erwarten. Dies gilt umso mehr, als ihr zuvor durch den Kläger offensichtlich keine Frist zur Zahlung oder zur Erklärung der Einstandspflicht gesetzt worden war. Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte zu 3. annehmen, der Kläger werde bis zu der von ihr veranlassten Akteneinsicht die Geduld aufbringen, um die sie ihn mit Schreiben vom 15.05.1998 gebeten hat.
bb) Die Mitte Mai 1998 stillschweigend verlängerte Prüfungsfrist war bei Anfertigung der Klageschrift noch nicht abgelaufen. Gewährt der Geschädigte mit Rücksicht auf eine Akteneinsichtnamebegehren des Haftpflichtversicherers eine weitere angemessene Prüfungsfrist, ohne deren Ablauf kalendermäßig zu bestimmen, kann die Versicherung jedenfalls dann noch bis zu einem Monat mit der Schadensregulierung zuwarten, wenn nicht der Geschädigte zwischenzeitlich ausdrücklich nach dem Sachstand anfragt und hierbei zu erkennen gibt, dass er eine weitere Verzögerung nicht hinnehmen werde (vgl. OLG Frankfurt, OLG Report 1996, 77; LG Bonn, VersR 1978, 356). Der Kläger ließ die Klageschrift am 09.06.1998, mithin während dieser Monatsfrist fertigen, ohne noch einmal an die Beklagte zu 3. herangetreten zu sein.
c) Der Umstand, dass die Beklagte zu 3. erst am 27.07.1998 - etwa einen Monat nach ihrem am 29.06.1998 erklärten Anerkenntnis - Zahlung leistete, rechtfertigt nicht die Feststellung, der Kläger habe Veranlassung zur Klage gehabt. Zwar ist anerkannt, dass zu dieser Beurteilung auch das Verhalten des Beklagten nach Klageerhebung herangezogen werden kann. Ein Klageanlass ergibt sich jedoch nicht schon daraus, dass die anerkannte Forderung nicht binnen kurzer Frist auch erfüllt wird. Bestand bei Erhebung der Klage zu ihr kein Anlass, kann ein solcher nicht später rückwirkend eintreten. Die gegenteilige Ansicht (Herget, in: Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 93 Rn. 3) vollzieht eine Verknüpfung von Anerkenntnis und Erfüllung, die im Gesetz keine Stütze findet (BGH, NJW 1979, 2040 [2041]).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Senat hat den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren entsprechend § 14 Abs. 1 GKG festgesetzt und hierbei die erstinstanzlich entstandenen Kosten zugrundegelegt.