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Landgericht Aachen Urteil vom 26.03.2009 - 2 S 241/08 - Kein Integritätsinteresse bei bloßer Wiederherstellung der Fahrfähigkeit

LG Aachen v. 26.03.2009: Kein Integritätsinteresse bei bloßer Wiederherstellung der Fahrfähigkeit


Das Landgericht Aachen (Urteil vom 26.03.2009 - 2 S 241/08) hat entschieden:
Übersteigen die sachverständig ermittelten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert, ist die Reparatur im Allgemeinen unverhältnismäßig und kann dem Geschädigten nur dann ausnahmsweise zugebilligt werden, wenn der für ihn gewohnte und von ihm gewünschte Zustand des Fahrzeugs auch tatsächlich wie vor dem Schadensfall erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird. Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ist dann zu bejahen, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Durch die Weiternutzung eines Fahrzeugs, das zwar repariert wurde, dessen Reparatur aber hinter einer fachgerechten Reparatur in dem vom Sachverständigen zugrundegelegten Umfang zurückbleibt, beweist der Geschädigte zwar sein Interesse an der Mobilität, jedoch nicht an der Integrität. Dieses Mobilitätsinteresse kann aber im Allgemeinen durch die Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs in vergleichbarer Weise befriedigt werden.


Siehe auch Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis und Integritätsinteresse und Ersatz der Reparaturkosten bis zu 130-% des Wiederbeschaffungswertes - die sog. 130-%-Grenze


Tatbestand:

Bei einem Verkehrsunfall am 9. November 2007 wurde das Fahrzeug des Klägers der Marke Mercedes Benz beschädigt. Dass die Beklagte, die der Haftpflichtversicherer des gegnerischen Unfallfahrzeugs ist, dem Kläger zum vollständigen Ersatz der ihm durch den Verkehrsunfall entstandenen Schäden verpflichtet ist, steht zwischen den Parteien dem Grunde nach außer Streit. In einem von dem Kläger vorgerichtlich eingeholten Schadensgutachten ermittelte die DEKRA unter dem 14. November 2007 einen Wiederbeschaffungswert für sein Fahrzeug in Höhe von 5.300,00 € und einen Restwert in Höhe von 2.700,00 €. Die erforderlichen Reparaturkosten bezifferte das Gutachten auf 5.305,23 € netto bzw. 6.313,22 € brutto. Am 28. November 2007 zahlte die Beklagte an den Kläger zum Ersatz des an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens einen Betrag in Höhe von 2.600,00 €, der dem Wiederbeschaffungsaufwand entspricht. Mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16. Januar 2008 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 31. Januar 2008 zur Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 2 700,00 € bis zum Wiederbeschaffungswert auf. Zur Begründung führte er aus, das Fahrzeug sei instand gesetzt worden, und fügte eine Bescheinigung der DEKRA vom 10. Januar 2008 bei, in der es heißt:
„Der vormals begutachtete Schaden vorne rechts wurde instandgesetzt“.
Die Beklagte forderte den Kläger auf, eine Bestätigung darüber vorzulegen, dass das Fahrzeug ordnungsgemäß im Rahmen des Gutachtens repariert worden sei. Auf eine unmittelbar an die DEKRA gerichtete Anfrage der Beklagten teilte die DEKRA mit Schreiben vom 11. Februar 2008 mit, bei der Nachbesichtigung des Fahrzeugs sei festgestellt worden, dass sich der Zustand des Fahrzeuges gegenüber der ersten Besichtigung am 14. November 2007 verändert habe, eine genaue Aussage hinsichtlich des exakten Instandsetzungsumfanges indes nur im Rahmen einer weiteren Besichtigung getroffen werden könne, welche gegebenenfalls gesondert in Auftrag gegeben werden müsse.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, das Fahrzeug sei in einem Umfang repariert worden, der den Wiederbeschaffungsaufwand deutlich übersteige, und unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008, Aktenzeichen VI ZR 220/07, die Auffassung vertreten, er könne unter diesen Voraussetzungen (fiktive) Reparaturkosten insoweit beanspruchen, als diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, so dass die Beklagte ihm zur Zahlung weiterer 2.700,00 € verpflichtet sei.

Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.700,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, der Kläger sei auf eine Abrechnung nach dem Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2.700,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2008 verurteilt. Zur Begründung führte es aus, der Kläger berufe sich zu Recht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008 (Aktenzeichen VI ZR 220/07). Danach könne der Geschädigte die vom Kläger gewählte Abrechnungsmodalität dann wählen, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall mindestens 6 Monate weiter genutzt und zu diesem Zwecke verkehrssicher habe (teil-)reparieren lassen. Beide Voraussetzungen seien erfüllt.

Mit der Berufung begehrt die Beklagte unter Wiederholung ihrer Ansicht Abweisung der Klage.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 12. August 2008 – 81 C 72/08 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.


Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte über den bereits regulierten Wiederbeschaffungsaufwand hinaus kein weiterer Zahlungsanspruch gemäß §§ 115 Abs. 1 VVG, 7 Abs. 1, 17 StVG, 823 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB wegen des ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 9. November 2007 an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens zu.

Unstreitig übersteigen sowohl die sachverständig ermittelten Nettoreparaturkosten (5 305,23 €) als auch die Bruttoreparaturkosten (6.313,22 €) den Wiederbeschaffungswert (5 300,00 €) des klägerischen Fahrzeugs. Für Fälle, in denen die fiktiven Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs übersteigen, ist anerkannt, dass die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten zuerkannt werden können, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30 % übersteigen, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. BGH NJW 2005, 1108). Dass das klägerische Fahrzeug fachgerecht und in einem Umfang repariert wurde, wie ihn die DEKRA zur Grundlage ihrer Kostenschätzung gemacht hat, behauptet der Kläger indes selbst nicht. Er hat vielmehr vorgetragen, das Fahrzeug sei in einem Umfang repariert worden, der den Wiederbeschaffungsaufwand deutlich übersteige, und begehrt lediglich Zahlung des Differenzbetrages bis zum Wiederbeschaffungswert.

Ein Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert steht dem Kläger nicht zu. Nach Auffassung der Kammer kann sich der Kläger insoweit nicht mit Erfolg auf die von ihm in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008, Aktenzeichen VI ZR 220/07 (abgedruckt u.a. in: NJW 2008, 1941) berufen. Dort hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Unfallgeschädigter (fiktiv) die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes regelmäßig (nur) abrechnen kann, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-)reparieren lässt. Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt liegt jedoch in einem entscheidenden Punkt anders als der vorliegend zu entscheidende Fall. In dem von dem Bundesgerichtshof entschiedenen Fall überstieg der sachverständig ermittelte Reparaturbetrag den Wiederbeschaffungswert nicht, während vorliegend die sachverständig ermittelten Netto- und Bruttoreparaturkosten den ermittelten Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeugs übersteigen. In diesen Fällen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich die Kammer anschließt, eine grundlegend andere Betrachtungsweise geboten. Zwar steht es dem Geschädigten auch in solchen Fällen frei, in welcher Weise er den Schaden beseitigen will. Dem Geschädigten können Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs übersteigen, jedoch grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt; andernfalls ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt (BGH NJW 2005, 1110).

Demgegenüber vermag die Kammer – anders als der Kläger und das Amtsgericht – der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008 nicht zu entnehmen, dass der Geschädigte, sofern er nachweist, dass eine Reparatur erfolgt ist, die wertmäßig den Wiederbeschaffungsaufwand in irgendeiner Höhe übersteigt, berechtigt sein soll, ungeachtet des tatsächlichen Umfangs und Wertes dieser Reparatur immer Reparaturkosten in Höhe des Wiederbeschaffungswertes zu begehren. Die Interessenlage liegt insoweit anders als in Sachverhaltskonstellationen, in denen der sachverständig ermittelte Reparaturaufwand den Wiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeugs nicht übersteigt. Übersteigen die sachverständig ermittelten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert, ist die Reparatur im Allgemeinen unverhältnismäßig und kann dem Geschädigten nur dann ausnahmsweise zugebilligt werden, wenn der für ihn gewohnte und von ihm gewünschte Zustand des Fahrzeugs auch tatsächlich wie vor dem Schadensfall erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird (BGH NJW 2005, 1108). Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ist dann zu bejahen, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Durch die Weiternutzung eines Fahrzeugs, das zwar repariert wurde, dessen Reparatur aber hinter einer fachgerechten Reparatur in dem vom Sachverständigen zugrundegelegten Umfang zurückbleibt, beweist der Geschädigte zwar sein Interesse an der Mobilität. Dieses Mobilitätsinteresse kann aber im Allgemeinen durch die Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs in vergleichbarer Weise befriedigt werden. Unter diesen Voraussetzungen ist der Ersatzanspruch des Geschädigten auf den für die Wiederbeschaffung erforderlichen Aufwand als wirtschaftlichste Möglichkeit der Naturalrestitution beschränkt. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 29. April 2008 formuliert hat, der Geschädigte könne Reparaturkosten „bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts“ beanspruchen, stellt der Wiederbeschaffungswert nach Auffassung der Kammer lediglich die Höchstgrenze dar, die in den einschlägigen Fällen ohnehin nicht überschritten wird. Da der Kläger Zahlung des Differenzbetrages zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert auch dann nicht beanspruchen kann, wenn seine Behauptung, sein Fahrzeug sei in einem Umfang repariert worden, der den Wiederbeschaffungsaufwand deutlich übersteige, zuträfe, war eine Beweisaufnahme über diese von der Beklagten bestrittene Tatsache durch Einholung des vom Kläger angebotenen Sachverständigengutachtens nicht geboten.

Dem Kläger steht auch kein geringerer als der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu. Zwar könnte er grundsätzlich Reparaturkosten geltend machen, die den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigen. Hierzu hätte es ihm allerdings oblegen, konkret darzulegen und nachzuweisen, in welchem wertmäßigen Umfang die Reparatur erfolgt ist. Nur dieser nachgewiesene Wert wäre nach bereits in der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2009 mitgeteilter Auffassung der Kammer durch die Beklagte zu ersetzen. Zu diesem Aspekt fehlt jedoch ein ausreichender Tatsachenvortrag durch den Kläger, so dass eine Beweisaufnahme hierzu nicht veranlasst war. Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung der DEKRA vom 10. Januar 2008 ist insoweit ohne Aussagekraft. Die Bestätigung, dass der vormals von der DEKRA begutachtete Schaden instand gesetzt wurde, besagt nichts über den Umfang und den Wert der Reparatur. Dass eine genaue Aussage hinsichtlich des exakten Instandsetzungsumfanges ohne erneute Begutachtung nicht getroffen werden könne, hat die DEKRA mit Schreiben vom 11. Februar 2008 noch einmal ausdrücklich mitgeteilt. Da der Kläger nicht substantiiert dargelegt hat, welchen wertmäßigen Umfang die erfolgte Reparatur hatte, und auch keine Umstände vorgetragen hat, die der Kammer eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO ermöglichen, war die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.

Die Kammer hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.



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